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[826] Ich hatte dem Postillion gesagt, er sollte mich in Kopenhagen in ein gutes Wirtshaus führen, wo man etwas mehr als Dänisch spräche, denn meine Zunge wollte sich noch gar nicht geben. Je weiter ich in Schweden herunter kam, desto weniger wollte es mit meiner Buchgelehrsamkeit gehen, ich warf also den schwedischen Pepliers von Oräus beiseite und fing an, die Sache bloß praktisch zu treiben; wo es denn mit Hilfe des Englischen noch leidlich genug ging. Eben als ich nun anfing, kauderwelsch rüstig Schwedisch zu radebrechen und das Knackabroe vortrefflich zu finden, mußte ich über den Sund. So gehts mit dem ganzen Leben. Wenn man erst recht eingerichtet ist, segelt man ab. Mein Postillion brachte mich also in Kopenhagen dem alten Schlosse gegenüber in das Hotel Royal, besser konnte ich nach seiner Meinung freilich nicht wohnen, und ich war auch zufrieden. Es ist, wie Du denken kannst, ein Haus nach großem Stil; der schön geputzte Merkur sah mich und meinen Tornister ziemlich zweideutig an, als ob er intimieren wollte, wir gehörten wohl beide nicht hierher. Denn wer in der Welt nicht auch sogleich Gold von außen hat oder durch den Anschein verspricht, ist in Ewigkeit ein Lump, wie sich unsere feinen Leute ausdrücken, auch wenn er in der Tasche in Dukaten wühlte. Es kommt überall nur auf den Schein an. Man braucht weder gelehrt, noch weise, noch brav, noch gut, noch gerecht zu sein, wenn man nur so aussieht, als ob man es alles wäre. Das wissen die Kauze in der[826] großen und kleinen Welt sehr wohl, die für alle Bedürfnisse ein Dutzend Hauptgesichter haben, ohne die Menge kleinerer Schattierungen. »Ein Zimmer, lieber Freund, ein Zimmer!« sagte ich zu dem mich betrachtenden Mephistopheles. Mein Ton mußte doch besser sein als meine Figur, er nahm ganz höflich meinen Sack und führte mich hinauf in meine Klause, mit der ich sehr wohl zufrieden war. Es ist hier unstreitig einer der schönen Plätze der Stadt, an denen Kopenhagen nicht arm ist. Vor mir auf dem Kanal war ein sehr lebhaftes Gewimmel merkantilischer Geschäftigkeit, nichts als Ausladen und Einladen, und gegenüber arbeiteten oben eine Menge Soldaten an dem Abtragen der alten Schloßruine, um sie zum neuen Bau in den Stand zu setzen. Die Ruine ist eine der größten und schönsten, die ich gesehen habe, und würde dem Geschmack jeder Zeit und jeder Nation Ehre machen. Mich deucht, es ist weiter nordwärts durchaus kein solches Gebäude mehr, wenigstens soviel ich von Rußland und Schweden gesehen habe.
Seeland überhaupt und Kopenhagen insbesondere liegt sehr tief; es ist also kein Wunder, daß vorzüglich die Fremden über nasse, ungesunde und rheumatische Luft klagen. Marezoll ist vorzüglich mit seinen Beschwerden darüber laut geworden, und wenn ich nur nach der kurzen Zeit meines dasigen Aufenthalts, noch dazu am Ende des Augusts, urteilen darf, so bin ich sehr geneigt ihm beizustimmen, denn der trüben, ganz finstern Regentage waren selbst in der schönen Jahreszeit wenigstens die größere Hälfte.
In Kopenhagen glaubt man schon halb im Vaterlande zu sein. Fleißiges Aufmerken auf literarische und kleinstatistische Dinge, die man in allen Büchern findet, ist nicht mein Talent, Du wirst also schon Nachsicht mit mir haben, wenn meine Nachrichten in beiderlei[827] Rücksicht nun noch etwas magerer werden. Ich weiß nicht, woher es kommt, aber es kommt mir vor, als ob ich allen warmen Anteil an den menschlichen Dingen verloren hätte. Jeder denkt nur an sich und sich und wieder an sich, von Bonaparte bis zum letzten Torschreiber. Das mag freilich tief genug in der menschlichen Natur liegen, nur sollten die Erscheinungen etwas liberaler und billiger sein. Der Sache kann nun wohl nicht abgeholfen werden, wenn nur dem Übermaße gesteuert werden könnte. Die Unmöglichkeit, etwas rein Gutes zu wirken, wie ich mir es denke, macht mich zuweilen etwas traurig, bis ich mich wieder fasse und mich mit dem Waidspruch tröste: Sei ein Mann und tue das Deinige, und überlaß das übrige dem Schicksal!
Die dänische Regierung hat mich eben nicht in dieses Klagelied gesetzt, denn soviel ich urteilen kann, ist hier alles sehr freundlich und liberal, als man es irgendwo nur erwarten darf. Auch herrscht hier ohne viel Geld ein Grad von Wohlstand, der dem Zuschauer wohltut.
Von dem gelehrten Wesen habe ich hier nicht viel vernommen. Nur ein einziges Mal war ich in der königlichen Bibliothek. Sie ist nicht sehr reich, wenn man sie mit der Pariser, Wiener oder Dresdener vergleicht, aber denn doch ansehnlich genug. Es waren eine große Menge Doubletten beiseite gelegt, die zu den neuen Instituten nach Rußland gehen sollen. Moldenhawer war nicht gegenwärtig, und ich hörte an einigen Orten etwas über seinen literarischen Egoismus klagen. Bekanntlich hat Suhm Reiskens Nachlaß gekauft und ihn in die Bibliothek gegeben. Darunter seien Sachen von Wert gewesen, zum Beispiel, Golius mit Reiskens Noten, Reiskens Dissertationen über die arabischen Ärzte mit vielen späteren Anmerkungen,[828] desgleichen Stobäus, durchschossen, mit Reiskens Beiträgen. Das Ganze habe ohne Würdigung in Waschkörben in einem Winkel gestanden. Endlich sei es zwar geborgen und geordnet worden; aber der Golius werde auf Verlangen nicht gegeben, und man wisse gar nicht, wo Stobäus hingekommen sei. Es läßt sich denken, daß ein durchschossenes Buch von Reiske schon etwas Bemerkenswertes enthält. Das alles tut mir Moldenhawers wegen leid; ich habe dafür meine Gewährsleute.
Eine ungerechte Klage aber von einigen gegen die Bibliothek ist, daß man sagt, alles, was die Fremden und vorzüglich die Engländer gegen Dänemark geschrieben haben, werde sehr absichtlich versteckt. Die Ursache ist, weil, wie ich höre, die ganze dänische Geschichte in den Fächern der oberen Galerie steht. Ob es eine gute Methode sei, die Vaterlandsgeschichte auf diese Weise ein wenig zu beseitigen, ist eine andere Frage. Von neueren wichtigen Werken ist kein so großer Vorrat da, weder in der Kunst, noch in der Philologie, noch in der Geschichte.
Die Kunstkammer enthält, außer einer Menge artiger Spielereien, auch sehr viele Stücke, die nicht allein für die dänische, sondern für die ganze nordisch-deutsche Geschichte überhaupt von großer Wichtigkeit sind. Schade, daß die bekannten goldenen Hörner so schändlich verlorengegangen sind! Ein Beweis der Gelindigkeit der hiesigen Regierung ist, daß der Bube, der sie gestohlen und zerstört hat, nicht mit dem Tode, sondern nur mit dem Zuchthause bestraft wird. Von allen Kunstkammern ist vielleicht die hiesige für das anschauliche Geschichtsstudium die reichste und belehrendste, soviel auch übrigens noch Quinquaillerien darin sind. Wichtiger, als man glaubt, ist der Vorsaal derselben. Man findet hier eine Gemäldesammlung,[829] auf die gewöhnlich sehr wenig gerechnet wird, die aber mehr enthält, als man vielleicht überhaupt in Kopenhagen sucht. Die Gemälde in der Kunstkammer selbst haben nicht viel mehr als Geschichtswert, von Margarethe herab bis auf die jetzt lebende Familie. Aber hier im Vorsaale sind viele Stücke von großem Kunstwert, entschieden von den besten Meistern der guten strengeren italienischen Schulen. Der Inspektor behauptete von drei Stücken, die ich vorzüglich betrachtete, eines sei ein Angelo, eines ein Leonardo da Vinci und eines ein Raphael. Ich bin nicht Kunstkenner genug, um den Ausspruch gehörig zu würdigen; aber er ist nicht ohne Grund. Nur um Leonardo da Vinci möchte ich zweifeln, weil ich dazu in dem Stücke nicht die Vollendung, weder in der Zeichnung noch in der Färbung, finde. Aber es gibt bestimmt mehreres in der Sammlung, das klassisch italienisch ist; schon genug für einen Ort, von dem man gewöhnlich nur wenig hört, wenn man von Kunstsammlungen redet! In den andern Schlössern in Seeland sollen hier und da noch gute alte Stücke stehen, und man würde vielleicht wohltun, sie hier oder an irgend einem andern Orte alle zusammenzubringen.
Die Klassensche Bibliothek und die Universitätsbibliothek habe ich nicht gesehen. Der Stifter der ersten war, wie Du wahrscheinlich schon weißt, in jeder Rücksicht ein Mann, der das Lob und den Dank seines Vaterlandes und Achtung aller Rechtschaffenen in ganz Europa verdient. Als unbekannter Privatmann stieg er durch eigene Kraft und einen umfassenden Geist in vielen Kenntnissen, und vorzüglich in Mechanik und Physik, zu Unternehmungen auf, die ihn endlich in den Stand setzten, der Wohltäter einer großen Stadt zu werden. Es ist fast keine öffentliche[830] Stiftung hier, die nicht etwas von seiner Güte genösse, und überall wird sein Name mit herzlicher Verehrung genannt.
Einige der schönsten Partien für mich waren im Boote auf der Rhede mit Scheel, der als Stadtphysikus die Besorgung der Quarantäne hat, die hier musterhaft eingerichtet ist, und auf die sich sodann alle übrigen nordischen Häfen ruhig verlassen. Was hier untersucht und gesund gefunden ist, geht überall sicher, wo das nicht ist, ahmt man die hiesigen Sicherheitsmaßregeln nach. Scheel ist von dieser Seite ein sehr glückliches Menschenkind, wo er nur erscheint, erscheint er immer als Erlöser und Freiheitsbringer, weil vor der Untersuchung niemand an das Land gehen darf. Die Dänen sind jetzt nach den Engländern wohl die größten Seereisenden; und fast alle Tage kommen Schiffe aus allen Weltgegenden an, und meistens dänische. Daher sie denn den Reichtum des Luxus aller Länder an den Sund bringen, wo man auch nicht ermangelt, ihn mit Geschmack gehörig zu genießen, ehe man ihn weiter fördert. Ein Schildkrötenschmaus mit dem gehörigen Gefolge fremder Weine ist bei den hiesigen Kaufleuten ein gewöhnliches Fest, mit dem Kato wohl schwerlich zufrieden gewesen sein würde. Wer wird aber auch bei den Erstlingssöhnen und Lieblingskindern Merkurs Frugalität suchen? Sind sie mit Merkur dem Reichtumbringer fertig, so gehen sie freudig mit Merkur dem Nekropompen. Alle Augenblicke bringt hier ein Schiffer ein Sortiment fremder Tiere mit, aus bloßer Ökonomie oder Phantasie, und ohne daran zu denken, daß er dem Naturhistoriker damit eine große Freude macht. Kopenhagen ist durchaus der beste und freundlichste Hafen. Nur Syrakus würde besser sein, wenn die Leute dort nicht zu faul wären. Nirgends findet man wohl eine so[831] große Menge Schiffe aller Nationen, da es überdies der beste Intermediärhafen des Nordens und des Südens ist.
Eines der westindischen Schiffe, das ich mit Scheel besuchte, war ursprünglich ein amerikanisches, dessen ganze Mannschaft von den Schwarzen auf Guinea niedergemacht worden war. Von den Schwarzen war es an die Portugiesen, und von diesen an die Dänen gekommen. Man zeigte im Schiffe noch die Merkmale von der Wut der Schwarzen. Es wäre gar nicht übel, wenn es allen Bristolern und Liverpoolern so ginge, die mit echt britischer Humanität zu ihrer und des Christentums Schande den Sklavenhandel verewigen. Es wäre ein ganz kleines Vergeltungsrecht für die Greuel, die sie teils verüben, teils veranlassen.
Mit einem der Schiffe aus Westindien erhielt die hiesige Sanitätsinspektion vor kurzem den Stoff des gelben Fiebers in einer Flasche, hermetisch versiegelt, zur Untersuchung; denn die dortigen Ärzte waren durchaus der Meinung, daß die Krankheit zwar epidemisch, aber nicht kontagiös sei. Ein eigener Einfall, das gelbe Fieber versiegelt über den Ozean zu schicken! Der Stoff bestand aus der ausgebrochenen bösartigen Materie, in der heftigsten Krise der Krankheit. Du kannst Dir denken, daß die Erscheinung der Flasche mit der Meldung im Briefe eine sonderbare nicht ganz freudige Wirkung gemacht haben muß, und der Physikus erhielt den Befehl, mit aller Sorgfalt das herrliche Geschenk zu nehmen und es vorsichtig zu versenken ins Meer, wo es am tiefsten ist. So sind denn weiter keine Untersuchungen damit gemacht worden; ob es gleich auch hier Ärzte gab, die für sich überzeugt waren, daß es wohl ohne Gefahr hätte geschehen können.
Jedermann ist hier noch voll Enthusiasmus von[832] dem Gefechte des dritten Aprils und weiß irgend einen Zug der Tapferkeit und Großmut zur Ehre der Nation zu erzählen, und der britische Dreizack erfuhr in der Tat an diesem Tage, daß er doch noch nicht so allmächtig ist, als er in seinem Wahn wohl träumt. Wenn die russische und schwedische Flotte zu gleicher Zeit hätte eintreffen können, so möchte das Wagstück dem Triton Nelson doch übel bekommen sein. Aber freilich hatte er das Klima weislich eingerechnet. Es ist wohl selten eine so schöne tätige Übereinstimmung zum allgemeinen Widerstand gewesen als hier in dieser Krise. Alles gab damals willig seine ganze Kraft dem Staate, und der Tag ist sicher einer der schönsten in den Annalen der Nation. Junge Leute ohne Namen bewiesen sich als Helden, und gemeine unerfahrene Leute als geübte Krieger; dieses ist jederzeit die Folge, wenn man eine Nation als Nation antastet und sie für Haus und Herd vor Haus und Herd zu schlagen zwingt. Der Tag hat aber auch gezeigt, woran es der Stadt noch zur Verteidigung fehlt. Von der Landseite ist Kopenhagen eine der beträchtlichsten Festungen, die ich gesehen habe, der größte Fehler ist ihre Größe, der manchen andern unvermeidlich machte. Von der Wasserseite hat sich die Gefahr gezeigt, und wenn auch eine Landung mit Gefahr verbunden und nicht so wahrscheinlich ist, so konnte es doch bisher in ziemlich enger Blockade gehalten werden. Diesem wird jetzt durch Erbauung von zwei Batterien ziemlich tief im Wasser abgeholfen. Die eine, die sogenannte große Batterie nach dem Sund hinauf, ist nun ziemlich fertig und ist wirklich ein riesenhaftes Werk. Sie liegt ungefähr einen Kernschuß der Kanone vom Lande, gerade dem Zollhause und Hafen gegenüber, und kann alle Bedürfnisse zu einer langen Belagerung halten, wenn sie auch nicht immer aus der Stadt versehen[833] werden könnte. Wenn sie recht gebraucht wird, kann sie eher eine Flotte zerstören, als daß sie durch die Flotte zugrunde gerichtet wird, der Feind müßte denn die Ufer besetzt haben. Ihre Solidität muß nur noch gegen das Element selbst gewinnen. Auf der Stelle der andern Batterie, rechts herauf an der Spitze von Amager, liegen jetzt nur noch drei alte zusammengestoßene Linienschiffe, die mit ihrem Wracke auf dem Grunde stehen. Ihr Bau soll erst unternommen werden, und ihr Name Provesteen heißen, wenn ich nicht irre nach dem Namen des wackern Kapitäns, der in dieser Gegend mit seinem Schiffe den Feind nachdrücklich aufhielt und zuerst in der Schlacht fiel. Das heißt schön handeln, schön sterben und schön belohnt werden. Wenn diese beiden Batterien fertig sind, möchte es wohl ziemlich schwer werden, Kopenhagen durch eine Blokade zu schaden, wenn es nur einigermaßen durch seine Flotte unterstützt wird. Aber der Bau und die Vollendung und Unterhaltung dieser beiden Werke ist auch billig die erste Unternehmung, woran der Staat denken muß, wenn die Hauptstadt sicher so fortgedeihen soll.
Kopenhagen liegt zwar nicht so schön und romantisch wie Stockholm, aber es hat eine Menge sehr angenehmer freundlicher Partien, und wenn man an einem schönen Abend in einem Boote auf der Reede über die große Batterie hinausfährt, hat man rundumher einen Anblick, den man wahrscheinlich in der ganzen Ostsee nicht mehr hat. Auf einiger Höhe sieht man das schöne Ufer von Seeland bis an den Sund und die schwedische Küste bis fast hinauf nach Malmö. Selbst Neapel hat nur den Vorzug der üppigen Natur und der klassischen Umgebungen, Kultur des Landes und Humanität stehen hier im allgemeinen unstreitig höher.[834]
Friedrichsberg ist wohl die beste Partie und auch zu Fuß ein schöner Spaziergang, und wenn man sich die Mühe nehmen will, unten links durch die Dörfchen und am Meere wieder hereinzulaufen, hat man vollen Genuß für verdorbene Augen und holt sich Würze zur Mahlzeit. Der Kaiser von Rußland würde wohl noch einige Millionen darum geben, wenn er nur die Vegetation von Kopenhagen in Peterhof haben könnte. Welsche Nüsse wachsen in dem Garten von Friedrichsberg schon mit großer Üppigkeit, und das Obst hat schon einen ziemlichen Grad von Güte.
Münter habe ich zweimal gesucht und nicht gefunden. Hätte ich gewußt, was ich erst nachher auf der See erfuhr, wäre ich wohl noch zweimal zu ihm gegangen. Er hatte nämlich kurz vorher Briefe von Landolina bekommen, der von ungefähr zur Zeit des letzten Erdbebens in Neapel gewesen war und die ganze furchtbare Katastrophe seinem nordischen Freunde sehr genau beschreibt. Schon etwas von dem Syrakuser zu hören und zu sehen, würde mir höchst angenehm gewesen sein. Vielleicht sehe ich ihn selbst noch einmal wieder an der Arethuse und dem Anapus zum Traubenfeste, und er teilt mir dabei alle seine Belehrungen über die Gärten des Alcinous mit.
Bei Scheel oder Schuhmacher, ich weiß nicht gewiß mehr, bei welchem von beiden, sah ich von einem Engländer, Herrn Hunter, vermutlich Anverwandten des alten berühmten Arztes, ein Buch über die Fieber unter den Laskarn, das in Kalkutta gedruckt war. Der Druck war so schön wie man ihn in Deutschland nur selten findet und gab selbst den englischen schönen Typographien wenig nach.
Die Insel Amager, welche mit der Stadt durch eine Brücke der Festungswerke zusammenhängt, ist der Kohlgarten der Hauptstadt, und die holländische reiche[835] Kultur derselben gibt dem Auge eine sehr angenehme Abwechslung. Es war nachmittags einigemal meine Erholung, die Artillerie dort Bomben werfen zu sehen; ich kann ihren Übungen aber nicht durchaus das beste Zeugnis geben, denn so oft ich dort war, trafen sie nur selten nahe an das Ziel; das Ziel selbst sah ich nie treffen.
Ich bin nur in schlechter Proviantmeister; es war mir also eine wahre Wohltat, daß unser Landsmann, Herr Fiedler, mir zur Überfahre den Speisekorb reichlich mitbesorgen ließ. Neptun und Aeolus sind selten meine günstigen Patrone. Auch jetzt bliesen die Winde ziemlich stark aus der Gegend von Kiel, wohin wir wollten, so daß wir fünf ganze Tage über eine Reise brauchten, die man sonst zuweilen in vierundzwanzig Stunden mache. Das beste war, daß ich nicht große Eile hatte, daß gute Gesellschaft war, und daß wir alle reichlich mit gutem Proviant versehen waren. Einer meiner Freunde in Kopenhagen hatte mir befohlen, ruhig zu sein, er wolle mit dem Schiffer wegen der Überfahre schon alles in Richtigkeit bringen, daß ich Kajüte und Bete bekäme. Ich war also ruhig gewesen und hatte mich um nichts bekümmere. Aber es ging nicht so gut wie mit dem Proviant; ich mußte für mein Zutrauen, in seine Vorsicht, ohne Bete auf dem ersten besten Kasten schlafen, welches auf alle Weise ebenso schlimm war als ehemals die Pökelei auf den englischen Transportschiffen nach Amerika in den Kolonialkrieg. Ich zog mich die zweite Nacht von dem Kasten unter den Tisch, wo ich mich dann wiegen ließ, so viel der Sturm wollte. So quareierte ich mich denn von dem Kasten unter den Tisch, und von da auf den Kasten. Den letzten Abend gab mir ein Hamburger Arzt, halb aus Ärger, wie er sagte, weil seine Korpulenz in seinem Bettkasten wie eingestopft war, seinen[836] Bettplatz; die Gutmütigkeit des wackern Mannes mochte wohl den größten Anteil an der Abtretung haben. Die Fahrt ist bekannt und ging schlecht genug, was das Schiffen anlangt, und lustig genug, was die Gesellschaft betrifft. Wir hatten eine gute Ladung Damen mit in der Kajüte, die alle bis zur letzten Instanz gehörig seekrank wurden, und zwar wiederholt, je nachdem der Sturm brauste und schwieg. Da bin ich denn doch in meiner Grämlichkeit einigemal ganz artig gewesen und habe hinauf und heruntergeführt und führen helfen, wo es fehlte. Sonst war meine Galanterie billig nur negativ, daß ich schnell wegging, wo ich zuviel war.
Der männliche Schiffsklub bestand aus einem dänischen Offizier, einem dänischen Zivilisten, dem erwähnten Hamburger Aeskulap, einem Herrn Pontoppidan, Vetter des berühmten Mannes dieses Namens, dem Naturhistoriker Lenz, einem stummen Engländer, meinem Landsmanne Schmidt aus Grimma und meiner eigenen Wenigkeit. An Schnack fehlte es nicht; denn wenn er in der Kajüte ausging, wurden wir von dem Verdeck damit versehen. Es wurde viel gesungen, und sogar ich mußte mein eigenes letztes altes Soldatenstückchen »Ich ging Egidi sind's drei Jahr« zu Weißens und Hillers Ehre ableiern, welches ich denn auch noch mit ziemlich leidlicher Miene tat.
Der dänischen Schiffspolizei kann ich wegen der Anordnung des Paketboots kein großes Lob geben. Die Kajüte war nur so eben leidlich und hätte weit besser sein können und sollen. Auch finde ich es nicht gut, daß man nicht mit Essen versehen wird. Wenn die Reederei unter Festsetzung der Regierung mit liberalem Vorteil eine gewisse Summe bestimmte, die man für Überfahrt und Kost zugleich zahlte, würde das für die Reisenden große Wohltat sein, und die gute Ordnung[837] würde gewinnen. Wer mit der gewöhnlichen guten Kost der Kajüte nicht zufrieden wäre, könnte sich extra etwas mitnehmen, wenn er Geld und Platz hat. Den Vorrat könnte sodann der Kapitän in seinem Raume in Verschluß haben. Jetzt machen die Proviantkörbe aller Passagiere eine sehr unangenehme Rummelei, und es kann doch zu keiner festen Ordnung in der Diät kommen. Jetzt gibt man vier Taler für die Überfahrt ohne alle Kost. Wenn man nun mit der Kost zehn gäbe, wäre alles in gehöriger guter Ordnung, wenn man nämlich Ordnung hielte. Auch sollen nicht alle Kapitäne höfliche und freundliche Leute sein; wir hatten einen sehr humanen Mann. Vor einiger Zeit setzte ein Werbeoffizier mit vielen Rekruten von Kiel über; die Fahrt ging langsam und schlecht, der Proviant fehlte, und der Schiffskapitän wollte den Soldaten durchaus nichts zu essen zukommen lassen. Das ist Schlaffheit und Unordnung, und bei einem solchen Vorfall wird eine gute Einrichtung am empfindlichsten vermißt. Sehr inhuman werden die Leute auf dem Verdecke behandelt, gewissenlos hart. Es war September; die Luft ist um diese Zeit schon rauh und kalt, zumal in dieser Gegend, zumal auf der See. Es waren ungefähr achtzehn gemeinere Leute auf dem Verdeck. Diese waren die ganze Zeit über dem kalten Regen und dem einschlagenden Seewasser ausgesetzt. Eine solche Überfahrt ist soviel als ein Feldzug; kein Dach, keine Decke, kein Stückchen Segeltuch! Unten in, Raum waren Kaufmannswaren. Wir hörten Heulen und Zähneklappern unter den Leuten, und überall war Fieberschauer. Wenn der Kronprinz, von dessen Güte und Freundlichkeit alle mit Enthusiasmus sprechen, so etwas sähe, würde er gewiß Sorge tragen, daß es abgestellt würde. Auch diese Leute könnten gehalten werden, etwas mehr zu bezahlen, und würden es gern[838] tun, wenn sie gegen Sturm und Wetter einen gedeckten Schlafplatz bekämen. Die Menschlichkeit fordert es; es sind vierzig Meilen, und auf einem solchen Wege ist man zur See schon vielen Zufällen ausgesetzt. Ein Obdach gesteht man doch sonst dem letzten Bettler zu. Die beste Einrichtung von Überfahrt findet man vielleicht auf den königlichen Paketbooten von Neapel nach Palermo.
Wir konnten die Inseln gar nicht loswerden: Moen und Langeland und Falster, und wie die Nester alle heißen, waren uns ewig im Gesichte; und wir glaubten alle Stunden links hinüber nach dem Mecklenburgischen geworfen zu werden. Endlich leierten wir uns doch bis auf einige Entfernung von der Kieler Festung Friedrichsort herein; aber es ging unerträglich langsam. Da kam ein Fischerboot, das einige von der Gesellschaft aufnehmen und einbringen wollte; aber man konnte, weiß der Himmel warum, lange nicht einig werden. Ich hatte zum ganzen Handel noch keine Silbe gesagt, weil ich Resignation spielte und niemand den Platz im Boote nehmen wollte. »Wieviel kann denn das Boot halten?« fragte ich endlich. »Wohl sechzehn«, war die Antwort. Kaum war die Antwort gefallen, so hatte ich auch schon Hut und Stock, war hinaus, über Bord, und saß im Boote. »Wer mit will, mache eilig«, rief ich, »sonst zahle und fahre ich allein.« Denn Du mußt wissen, wenn meine Kasse in der tiefsten Ebbe ist, hat mein Mut immer die höchste Flut. Sogleich hatte man sich gesammelt. Es blieb niemand zurück als der einsilbige Brite, und wir fuhren, was die Arme der Fischer vermochten, herein in die Stadt. Die keilförmige Bucht von Kiel, von welcher wahrscheinlich die Stadt den Namen hat, macht bei der Einfahrt einen schönen Anblick. Rechts die Festung und der Kanal und der Wald, und links einige[839] schöne Dörfer mit schön gruppierten Bergschluchten. Ich hatte nicht geglaubt, daß hier ein so starker Schiffbau wäre, als ich fand. Der Hafen hält bis an die Stadt sehr große Fahrzeuge.
In Kiel traf ich einige alte Bekanntschaften und machte einige neue. Unter den letzten waren auch die Herren Weber, Vater und Sohn, die Dir als Gelehrte hinlänglich bekannt sind. Der Sohn war vor kurzem auch in Schweden gewesen, und es freute mich, daß es ihm dort auch gefallen hatte. Für ihn als Botaniker mag Schweden allerdings sehr reiche Ausbeute geben. Heinrich von Breslau, der, wie Du weißt, hier Professor ist, scheint sich hier unten an der Ostsee weit besser zu befinden als oben an der Oder. Wenn den guten Mann hier nur nicht auch die Polypragmosyne verfolgt, die ihm dort nicht eben viel Ruhe ließ. In Kiel gefällt mir's nicht sonderlich, aber bei Kiel desto besser. Die Gegend ist äußerst freundlich und lieblich, und man könnte wohl sagen malerisch, wenn man darunter das versteht, was die Seele durch das Auge in angenehme Bewegung setzt. Ich weiß nicht, welcher Kritiker, ich glaube es ist Ramdohr, soll die hiesigen Umgebungen etwas bitter mitgenommen haben, und die guten Kilonier sind billig darüber etwas unzufrieden. Einige begründete Kunstbemerkungen mögen wohl darunter gewesen sein, und diese hat man benutzt. Es ist hier allerdings keineswegs die hohe Schönheit der Alpen und die furchtbare Größe ihrer Gipfel und Schluchten, sondern es ist die gefällige Wellenlinie, die die Seele in Ruhe und Betrachtung zieht. Es wird hier kein Tell den Bund zum großen patriotischen Trauerspiel schwören; aber Voß kann seine Idyllen singen. Ramdohr hat der Gegend wohl zuviel getan, wenn er sie nicht für schön gelten läßt. Doch Meinungen stimmen selten überein; seine Venus[840] Urania wäre auch nicht ganz meine Urania. Für den Landschaftsmaler ist freilich nichts Ausgezeichnetes hier, aber sehr viel reiner Genuß für den unverdorbenen Sohn der Natur. Wenn man die Partien mit dem Gaurus und dem Ciminus und dem Rigi mißt, verlieren sie freilich; aber das bekanntere Deutschland hat vielleicht nicht noch zwanzig so freundlich Gegenden aufzuweisen, als die Kieler ist, und dann kann man in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes schon sagen, sie sei schön.
Ein Morgenspaziergang durch Düsterbrook nach der Mündung des Kanals, und von diesem hinauf bis Knop, ist ein Genuß, den zehn Seestädte nicht gewähren. Ich möchte wohl an dem ganzen Kanal hinauf bis an die Nordsee gehen, die Schönheiten müssen zahlreich und mannigfaltig sein. Von der Mündung bis nach Knop, kaum eine Stunde Weges, begegneten uns eine Menge Schiffe, und ihre Durchfahrt durch die Schleusen gibt Unterhaltung, wenn man es auch schon sehr oft gesehen hat. Das Gut und der Garten des Grafen Baudissen sind zwar auch nicht in dem Stil der hohen Schönheit – das würde die Gegend kaum erlauben – aber es ist in beiden viel Mannigfaltigkeit, und das Nützliche und Angenehme in freundlicher Verbindung. Selten habe ich eine fröhlichere Mahlzeit gehalten als das Frühstück dort am Kanal im Wirtshause. Fast wurde, was nur sehr selten geschieht, die Stimmung meiner Seele idyllisch, und wenn ich zufällig länger in Holstein geblieben wäre, so hättest Du Gefahr gelaufen, wieder etwas Theokritisches von mir zu bekommen, die Hexe oder die Ernte, wie Dich meine abgelaufenen Stiefelsohlen in Palermo mit dem Cyklops beglückseligten.
Zwei meiner Bekannten brachten mich mit vieler Artigkeit bis Prez, wo der Wirt von unserm ganzen[841] lieben Vaterlande vorzüglich die Schätze von Pillnitz pries. Ich Laie mußte mich erst besinnen, daß Botaniker sprachen, und es muß Dir lieb sein zu hören, in welchem guten Kredit die mannigfaltige Gelehrsamkeit unseres Kurfürsten steht. Das ist billig, aber ich sähe ihn doch noch lieber auch dann und wann die Landstraßen besehen und die Leute besuchen. Die Pflanzen werden wohl wachsen und die Sterne wohl gehen, aber auf den Straßen und unter den Leuten steht es nicht immer, wie er wohl selbst wollte. Der Fürst ist gut und gerecht und wird gewiß geschätzt und geliebt; ich würde meinen Kopf zum Pfande setzen, er könnte an der Hand jedes einzelnen Bürgers sicher und willkommen durch sein ganzes Land gehen; wehe also den Menschen, die ihm Argwohn gegen sein Volk beibringen! Ich fürchte und erwarte nichts von Fürsten, kann also mit Anstand und ganz freimütig sprechen.
In Ploen besuchte ich auf dem Schlosse ein Stündchen den Herrn von Hennings und bedauerte, daß ich nicht länger konnte. Das Städtchen ist nett genug, aber der See ist eine etwas wilde Schönheit. Die hinter dem Larten liegende Halbinsel ist romantisch, aber die Ufer umher sind zu wenig bebaut und zu tot. Nur das Leben spricht zum Menschen. Das Auge sucht Gegenstände, wo es sich Menschen denkt, die mannigfaltig ihr Wesen treiben; und wo es diese nicht findet, klagt es seine youngschen Nachtgedanken ab und eilt der Stimmung loszuwerden. So ging es mir mit dem Wasser hier und mit dem Wasser bei Eutin. Die Partien sind recht schön auf einige Minuten, und wenn Menschengewimmel dort wäre, würden sie es sein auf viele Tage.
In Eutin war ich von ungefähr in einem Wirtshause wo der öffentliche Klub war; das heißt, man spielte,[842] sprach vom Kriege und aß. Die Gesellschaft war ziemlich zahlreich; ich war allerdings nicht sehr zierlich gekleidet, war draußen am Wasser einige Stunden herumgelaufen, und meine Taciturnität hielt sich den ganzen Abend, ohne weiter ein Wort zu sprechen, als daß ich von dem Markör Wein und Selterswasser forderte. Man ging auf und ab, belugte mich von allen Richtungen, schien mich anreden zu wollen, aber zu zweifeln, ob es der Mühe lohne, und bei dem Zweifel blieb es, wobei ich mich denn ziemlich wohl befand. Meine Seele war bei dem Eutiner, der nicht mehr hier war, und ich suchte ihn im Geist an der Saale und am Rhein auf. Zu verraten gab es hier nichts, und ich habe den ganzen Abend keine einzige politische und philosophische Ketzerei gehört, von kirchlichen Dingen wurde billig gar nicht gesprochen. Übrigens ging es dabei her, wie in jeder andern guten Gesellschaft.
Heute kam ich zeitig nach Lübeck, habe einige Gänge durch die Stadt und um die Stadt gemacht und Dir geschrieben und gehe morgen nach Hamburg.
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