Achte Szene

[768] London. Ein Zimmer im Palast.


König Heinrich, Warwick, Clarence, Montague, Exeter und Oxford treten auf.


WARWICK.

Lords, was zu tun? Aus Belgien hat Eduard

Mit hast'gen Deutschen, plumpen Niederländern

In Sicherheit den schmalen Sund durchschifft

Und zieht mit Heeresmacht auf London zu,

Und viel betörtes Volk schart sich zu ihm.[768]

OXFORD.

Man werbe Mannschaft, ihn zurückzuschlagen.

CLARENCE.

Leicht wird ein kleines Feuer ausgetreten,

Das, erst geduldet, Flüsse nicht mehr löschen.

WARWICK.

In Warwickshire hab' ich ergebne Freunde,

Im Frieden ruhig, aber kühn im Krieg,

Die ich versammeln will; und du, Sohn Clarence,

Bemühst dich in Suffolk, Norfolk und in Kent,

Die Edelleut' und Ritter aufzubieten;

Du, Bruder Montague, wirst Leute finden

In Buckingham, Northampton, Leicestershire,

Was du befiehlst, zu hören wohl geneigt;

Du, tapfrer Oxford, wunderbar beliebt,

Sollst deine Freund' in Oxfordshire versammeln.

Mein Fürst soll in der treuen Bürger Mitte,

Wie dieses Eiland, von der See umgürtet,

Wie in der Nymphen Kreis die keusche Göttin,

In London bleiben, bis wir zu ihm kommen.

Nehmt Abschied, Lords, erwidert weiter nicht. –

Lebt wohl, mein Fürst!

KÖNIG HEINRICH.

Leb wohl, mein Hektor! Meines Troja Hoffnung!

CLARENCE.

Zum Pfand der Treu' küss' ich Eu'r Hoheit Hand.

KÖNIG HEINRICH.

Mein wohlgesinnter Clarence, sei beglückt!

MONTAGUE.

Getrost, mein Fürst! Und somit nehm' ich Abschied.

OXFORD indem er Heinrichs Hand küßt.

Und so versiegl' ich meine Treu' und scheide.

KÖNIG HEINRICH.

Geliebter Oxford, bester Montague

Und all' ihr andern, nochmals lebet wohl!

WARWICK.

Auf, Lords! Wir treffen uns zu Coventry.


Warwick, Clarence, Oxford und Montague ab.


KÖNIG HEINRICH.

Hier im Palast will ich ein wenig ruhn.

Vetter von Exeter, was denket Ihr?

Mich dünkt, das Heer, das Eduard aufgebracht,

Muß meinem nicht die Spitze bieten können.

EXETER.

Ja, wenn er nur die andern nicht verführt.

KÖNIG HEINRICH.

Das fürcht' ich nicht, mir schaffte Ruhm mein Tun.[769]

Ich stopfte ihren Bitten nicht mein Ohr,

Schob die Gesuche nicht bei Seit' mit Zögern;

Mein Mitleid war ein Balsam ihren Wunden,

Des vollen Jammers Lind'rung meine Milde,

Mit Gnade trocknet' ich die Tränenströme.

Ich habe ihren Reichtum nicht begehrt

Noch sie mit großen Steuern schwer geschatzt,

Nicht schnell zur Rache, wie sie auch geirrt.

Warum denn sollten sie mir Eduard vorziehn?

Nein, Exeter, Gunst heischet diese Gunst,

Und wenn dem Lamm der Löwe liebekost,

So hört das Lamm nie auf, ihm nachzugehn.


Draußen Geschrei: »Lancaster hoch!«


EXETER.

Hört, hört, mein Fürst! Welch ein Geschrei ist das?

König Eduard, Gloster und Soldaten treten auf.


KÖNIG EDUARD.

Ergreift den blöden Heinrich, führt ihn fort

Und ruft mich wieder aus zum König Englands! –

Ihr seid der Quell, der kleine Bäche nährt;

Ich hemm' ihn, meine See soll auf sie saugen

Und durch ihr Ebben um so höher schwellen. –

Fort mit ihm in den Turm, laßt ihn nicht reden!


Einige ab mit König Heinrich.


Und, Lords, wir wenden uns nach Coventry,

Wo der gebieterische Warwick steht.

Jetzt scheint die Sonne heiß: wenn wir vertagen,

Wird Frost uns die gehoffte Ernte nagen.

GLOSTER.

Bei Zeiten fort, eh' sich sein Heer vereint,

Fangt unversehns den großgewachsnen Frevler.

Auf, wackre Krieger! Frisch nach Coventry!


Alle ab.[770]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 768-771.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon