[410] Schlafzimmer, in einer Ecke steht die Kiste.
Imogen im Bett, lesend, eine Kammerfrau.
IMOGEN.
Ist jemand da? Wie, Helena?
KAMMERFRAU.
Hier bin ich.
IMOGEN.
Was ist die Uhr?
KAMMERFRAU.
Fast Mitternacht, Prinzessin.
IMOGEN.
Drei Stunden las ich denn; mein Aug' ist matt –
Schlag' hier das Blatt ein, wo ich blieb; zu Bett!
Nimm nicht die Kerze weg – nein, laß sie brennen;
Und könntest du um vier Uhr munter werden,
So, bitte, weck' mich! Schlaf umfängt mich ganz.
Die Kammerfrau geht ab.
Ihr Götter, eurem Schutz befehl' ich mich!
Vor Elfen und den nächtlichen Versuchern
Schirmt mich, ich flehe!
Sie schläft ein. Jachimo steigt aus der Kiste.
JACHIMO.
Die Heimchen schrill'n, der Mensch, von Arbeit matt,
Gewinnt sich Kraft im Ruh'n; so leis' auf Binsen
Schlich einst Tarquin, eh' er die Keuschheit weckte,
Die er verwundete. – O Cytherea,
Wie hold schmückst du dein Bett! Du frische Lilie!
Und weißer als das Linnen! Dürft' ich rühren!
Nur küssen; einen Kuß! – Rubinen, himmlisch,
Wie zart sie schließen! – Ihre Atemzüge[410]
Durchwürzen so den Raum. Das Licht der Kerze
Beugt sich ihr zu und möchte lauschen unter
Das Augenlid, zu sehn verhüllte Sterne,
Jetzt von den Fenstergattern zugedeckt:
Weiß und Azur umsäumt mit Himmelsdunkel.
Allein mein Vorsatz?
Das Zimmer merken – alles schreib' ich nieder; –
Gemälde, die und die – das Fenster dort –
Des Bettes Umhang so; – Teppich, Figuren
Sind so: – dies der Geschichte Stoff; – doch oh!
Nur ein natürlich Merkmal ihres Leibes,
Mehr als zehntausend niedre Dinge würd' es
Bezeugen, mein Verzeichnis zu bekräft'gen.
Schlaf, Todesaffe, liege schwer auf ihr!
Und ihr Gefühl sei wie ein steinern Bild,
Das in der Kirche ruht! – Komm, komm herab,
Er nimmt ihr das Armband ab.
So schlüpfrig, wie der gord'sche Knoten fest!
Mein ist's, und ist nunmehr ein äußrer Zeuge,
So kräftig, wie Bewußtsein innerlich,
Zur Raserei den Mann zu treiben. Auf
Der linken Brust ein Mal, fünfsprenklig, wie
Die roten Tropfen in dem Schoß der Primel:
Beweis, hier gült'ger als Gerichtsausspruch:
Dies Zeichen zwingt ihn, daß er glaubt, ich löste
Das Schloß und raubte ihrer Ehre Schatz.
Genug. – Was soll's?
Wozu noch schreiben, was geschmiedet mir,
Geschroben ins Gedächtnis? Sie las eben
Vom Tereus noch; das Blatt ist eingelegt,
Wo Philomele sich ergab; – genug!
Zurück zum Schrein, die Feder springe zu!
Schnell, Drachenzug der Nacht, – daß Dämm'rung öffne
Des Raben Auge! Furcht umschließt die Stelle;
Ruht hier ein Engel gleich, ist dies doch Hölle.
Die Uhr schlägt.
Eins, zwei, drei. – Nun ist es Zeit!
Er geht wieder in die Kiste.[411]
Ausgewählte Ausgaben von
Cymbeline
|
Buchempfehlung
Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.
98 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro