[519] Ein äußeres Zimmer des Gefängnisses, Paulina tritt auf mit mehreren Dienern.
PALINA.
Der Kerkermeister – ruft sogleich ihn her;
Und sagt ihm, wer ich bin. –
Ein Diener geht ab.
Du edle Frau![519]
Kein Hof Europas ist zu gut für dich:
Was machst du denn im Kerker?
Ein Diener kommt mit dem Kerkermeister.
Nun, mein Freund?
Ihr kennt mich doch?
KERKERMEISTER.
Als eine würd'ge Frau,
Die ich verehre.
PAULINA.
Nun, so bitt' ich dich,
Führ' mich zur Königin!
KERKERMEISTER.
Ich darf nicht, gnäd'ge Frau; das Gegenteil
Ward streng mir eingeschärft.
PAULINA.
Das ist ein Lärm,
Um zu verschließen Ehr' und Redlichkeit
Vor guter Freunde Zuspruch! – Ist's erlaubt,
Sagt, ihre Kammerfrau zu sehn? nur eine?
Emilia?
KERKERMEISTER.
Seid so gütig, gnäd'ge Frau,
Und schickt die Diener fort, so führ' ich Euch
Emilia her.
PAULINA.
Ich bitte, geh und ruf sie!
Entfernt Euch!
Die Diener gehn ab.
KERKERMEISTER.
Doch ich muß zugegen sein,
Wenn Ihr sie sprecht.
PAULINA.
Gut, geh nur, mag's so sein.
Kerkermeister geht ab.
Man müht sich hier, die Reinheit zu beflecken,
So schwarz man immer kann.
Der Kerkermeister kommt mit Emilia.
Nun, liebe Frau, wie geht's der gnäd'gen Fürstin?
EMILIA.
So gut, wie so viel Größ' und so viel Unglück
Vereint gestatten mag; durch Schreck und Kummer,
Der eine zarte Frau nie härter traf,
Ist sie entbunden, etwas vor der Zeit.
PAULINA.
Ein Knab'?[520]
EMILIA.
Ein Mädchen, und ein schönes Kind,
Kräftig und lebensvoll. Sein Anblick tröstet
Die Kön'gin: »mein gefangnes, armes Kind«,
Sagt sie, »ich bin so unschuldig, so wie du.«
PAULINA.
Das will ich schwören: –
Verdammt des Königs heillos blinder Wahnsinn!
Er muß es hören, und er soll; dies Amt
Ziemt einer Frau zumeist, ich übernehm' es;
Ist süß mein Mund, mag meine Zunge schwären,
Und nie mehr meines rot erglüh'nden Zorns
Trompete sein! – Ich bitte dich, Emilia,
Empfiehl der Kön'gin meinen treuen Dienst;
Und will sie mir ihr kleines Kind vertrauen,
Trag' ich's dem König hin und übernehm' es,
Ihr lauter Anwalt dort zu sein. Wer weiß,
Wie ihn des Kindes Anblick mag besänft'gen:
Oft spricht beredt der reinen Unschuld Schweigen,
Wo Worte nichts gewinnen.
EMILIA.
Würd'ge Frau,
So offen zeigt sich Eure Ehr' und Güte,
Daß Euerm kühnen Schritt ein günst'ger Ausgang
Nicht fehlen kann. Kein Weib ist so geschaffen
Für diesen großen Auftrag; habt die Gnade
Und geht ins nächste Zimmer, daß ich gleich
Der Kön'gin Euern edlen Antrag melde;
Noch heut erst übersann sie solchen Plan,
Nicht wagend, einen Mann von Rang zu bitten,
Aus Furcht, er schlüg' es ab.
PAULINA.
Sag ihr, Emilia,
Die Zunge, die ich habe, will ich brauchen;
Entströmt ihr Geist, wie Kühnheit meiner Brust,
So richt' ich ganz gewiß was aus.
EMILIA.
Gott lohn' Euch!
Ich geh' zur Kön'gin; bitte, tretet näher!
KERKERMEISTER.
Gefällt's der Königin, das Kind zu schicken: –
Ich weiß nicht, was ich wage, lass' ich's durch;
Denn keine Vollmacht hab' ich.[521]
PAULINA.
Fürchte nichts:
Gefangen war das Kind im Mutterleib,
Und ist, nach Recht und Fortgang der Natur,
Daraus erlöst und frei, hat keinen Teil
Am Zorn des Königes, und keine Schuld,
Wenn's eine gäbe, an der Kön'gin Fehltritt.
KERKERMEISTER.
Das glaub' ich wohl.
PAULINA.
Drum fürchte nichts: auf Ehre;
Ich trete zwischen dich und die Gefahr.
Alle ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Das Wintermärchen
|
Buchempfehlung
Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.
62 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro