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[49] Straße.
Der Kaufmann und Angelo treten auf.
ANGELO.
Es tut mir leid, daß ich Euch aufgehalten,
Doch auf mein Ehrenwort, die Kett' empfing er,
Obgleich er mir's recht schändlich abgeleugnet.
KAUFMANN.
Was hat der Mann für Ruf an diesem Ort?
ANGELO.
Den besten, Herr; von unbescholtnem Leumund;
Unendlich sein Kredit; er selbst beliebt,
Und gilt als erster Bürger dieser Stadt;
Ein Wort von ihm wiegt mehr als all mein Gut.
KAUFMANN.
Sprecht leise: denn mich dünkt, ich seh' ihn kommen.
Antipholus von Syrakus und Dromio von Syrakus kommen.
ANGELO.
Er ist's, und trägt dieselbe Kett' am Hals,
Die er vorhin so unerhört verschwur.
Kommt näher, lieber Herr, – ich red' ihn an! –
– Signor Antipholus, mich wundert sehr,
Daß Ihr den Schimpf mir und die Unruh' macht
Und (nicht ohn' ein'gen Makel für Euch selbst)
Umständlich und auf Euren Eid verleugnet
Die Kette, die Ihr jetzt so offen tragt.
Denn, abgesehn von Klage, Schimpf und Haft,
Bringt Ihr in Schaden meinen würd'gen Freund,
Der, hätt' ihn unser Streit nicht aufgehalten,
Auf seinem Schiff jetzt unter Segel wär'.
Von mir habt Ihr die Kette; könnt Ihr's leugnen?
ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.
Mich dünkt, von Euch; noch hab' ich's nie geleugnet.[49]
KAUFMANN.
O ja, Ihr tatet's, Herr, und schwurt sogar!
ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.
Wer hörte mich das leugnen und verschwören?
KAUFMANN.
Mit diesen Ohren, weißt du, hört' ich's selbst.
Schäm' dich, Elender! daß du lebst und wandelst,
Wo Männer dir von Ehre je begegnen!
ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.
Du bist ein Schurke, klagst du so mich an;
Ich will dir meine Ehr' und Redlichkeit
Sogleich beweisen, wagst du's, mir zu stehn.
KAUFMANN.
Ich wag's und fodre dich als einen Schurken.
Sie ziehen.
Adriana, Luciana, die Kurtisane und Diener kommen.
ADRIANA.
Halt! Tut ihm nichts! Um Gott, er ist verrückt;
Führt ihn von hier, nehmt ihm den Degen weg;
Auch Dromio bindet; bringt sie in mein Haus!
DROMIO VON SYRAKUS.
Lauft, Herr, um Gottes willen! Sucht ein Haus;
Hier ist ein Kloster; fort! Sonst fängt man uns.
Antipholus und Dromio flüchten sich in die Abtei.
Die Äbtissin tritt auf.
ÄBTISSIN.
Seid ruhig, Leute; welch Gedräng' ist hier?
ADRIANA.
Ich will zu meinem armen tollen Mann;
Laßt uns hinein, damit wir fest ihn binden
Und führen ihn nach Haus, daß er genese.
ANGELO.
Ich dacht' es gleich, er sei nicht recht bei Sinnen!
KAUFMANN.
Nun tut's mir leid, daß ich den Degen zog.
ÄBTISSIN.
Seit wann befiel der Wahnsinn diesen Mann?
ADRIANA.
Die letzte Woche war er trüb und still
Und finster, ganz ein andrer Mann wie sonst;
Doch erst heut nachmittag ist seine Krankheit
Zu diesem höchsten Grad von Wut gesteigert.
ÄBTISSIN.
Verlor er große Güter auf der See?
Begrub er einen Freund? Hat wohl sein Auge
Sein Herz betört zu unerlaubter Liebe?
Der Sünde sind viel junge Männer schuldig,
Die ihrem Blick zu große Freiheit lassen.
An welcher dieser Sorgen liegt er krank? –[50]
ADRIANA.
An keiner, wenn es nicht die letzte ist;
Ein Liebchen wohl hat ihm sein Haus verleidet.
ÄBTISSIN.
Das hättet Ihr ihm dann verweisen sollen.
ADRIANA.
Das tat ich auch.
ÄBTISSIN.
Doch wohl nicht scharf genug.
ADRIANA.
So scharf, als mir's Bescheidenheit erlaubte.
ÄBTISSIN.
Vielleicht geheim nur?
ADRIANA.
In Gesellschaft auch.
ÄBTISSIN.
Ja, doch nicht oft genug?
ADRIANA.
Es war der Inhalt jeglichen Gesprächs.
Im Bette schlief er nicht vor meinem Mahnen;
Am Tische aß er nicht vor meinem Mahnen;
Allein wählt' ich's zum Text für meine Rede,
Und in Gesellschaft spielt' ich darauf an;
Stets sagt' ich ihm, es sei gemein und schändlich.
ÄBTISSIN.
Und deshalb fiel der Mann in Wahnsinn endlich.
Das gift'ge Schrei'n der eifersücht'gen Frau
Wirkt tödlicher als tollen Hundes Zahn.
Es scheint, dein Zanken hindert' ihn am Schlaf,
Und daher kam's, daß ihm der Sinn verdüstert.
Du sagst, sein Mahl ward ihm durch Schmähn verwürzt:
Unruhig Essen gibt ein schlecht Verdaun,
Daher entstand des Fiebers heiße Glut;
Und was ist Fieber, als ein Wahnsinnschauer?
Du sagst, dein Toben störte seine Lust:
Wo süß Erholen mangelt, was kann folgen,
Als trübe Schwermut und Melancholie,
Der grimmigen Verzweiflung nah verwandt?
Und hintendrein zahllos ein siecher Schwarm
Von bleichen Übeln und des Lebens Mördern?
Das Mahl, den Scherz, den süßen Schlummer wehren,
Verwirrt den Geist und muß den Sinn zerstören;
Und hieraus folgt: durch deine Eifersucht
Ward dein Gemahl von Tollheit heimgesucht. –
LUCIANA.
Wenn sie ihn schalt, so war es mild und freundlich,
Doch er erwies sich heftig, rauh und feindlich.
Hörst du den Tadel ruhig an und schweigst?[51]
ADRIANA.
Sie weckt mir des Gewissens eigne Stimme!
Jetzt, Freunde, geht hinein, legt Hand an ihn!
ÄBTISSIN.
Nein, keine Seele darf mein Haus betreten.
ADRIANA.
So schickt durch Diener meinen Mann heraus!
ÄBTISSIN.
Er suchte Schutz in diesem Heiligtum,
Und schirmen soll es ihn vor euern Händen,
Bis ich ihn wieder zur Vernunft gebracht,
Wenn nicht vergeblich alle Mühe bleibt.
ADRIANA.
Ich pflege meinen Mann und steh' ihm bei
Als Krankenwärterin, das ist mein Amt;
Und keinen Anwalt duld' ich, als mich selbst,
Und deshalb soll er mir nach Hause folgen.
ÄBTISSIN.
Gib dich zur Ruh', denn ich entlass' ihn nicht,
Bis ich versucht die oft erprobten Mittel,
Heilkräft'gen Balsam, Tränke, fromm Gebet,
Zur Manneswürd' ihn wieder herzustellen.
Es ist ein Tun, das mein Gelübde heischt,
Ein Liebeswerk, das meines Ordens Pflicht.
Drum geh nur heim und laß ihn hier zurück!
ADRIANA.
Ich will nicht fort und meinen Mann Euch lassen,
Und wenig ziemt sich's Eurer Heiligkeit,
Den Gatten so von seiner Frau zu trennen.
ÄBTISSIN.
Sei still und geh von hier; ich geb' ihn nicht.
Äbtissin geht ab.
LUCIANA.
Dem Herzog klage, wie man hier dich kränkt!
ADRIANA.
Komm mit, ich will mich ihm zu Füßen werfen
Und nicht aufstehn, bis ich mit Flehn und Tränen
Den Herzog rühre, daß er selber komme
Und der Äbtissin meinen Mann entreiße.
KAUFMANN.
Der Zeiger, denk' ich, weist jetzt grad' auf fünf;
Und sicher kommt der Fürst alsbald hieher,
Den Weg zu jenem melanchol'schen Tal,
Dem Platz des Tods und ernsten Hochgerichts,
Der hinter dieses Klosters Gräben liegt.
ANGELO.
Und weshalb kommt er?
KAUFMANN.
Um einen würd'gen Syrakuser Kaufmann,[52]
Der wider dieser Stadt Gesetz und Recht
Zu seinem Unglück in den Hafen lief,
Vor allem Volk enthaupten hier zu sehn.
ANGELO.
O still, sie kommen; schaun wir seinen Tod!
LUCIANA.
Knie vor dem Herzog, eh' er weiter geht! –
Der Herzog tritt auf; ihm folgen Ägeon mit bloßem Haupte, der Scharfrichter und Gerichtsdiener.
HERZOG.
Noch einmal macht es öffentlich bekannt:
Wenn hier ein Freund die Summe zahlen will,
So sterb' er nicht; mehr können wir nicht tun.
ADRIANA.
Gerechtigkeit,
Erhabner Herzog, gegen die Äbtissin!
HERZOG.
Sie ist 'ne würd'ge, tugendhafte Dame,
Unmöglich hat sie je dein Recht gekränkt. –
ADRIANA.
Erlaubt, o Herr, Antipholus, mein Gatte,
Gebieter über mich und all mein Gut
(Nach Eurem Brief und Siegel), ward heut krank
(O Tag des Wehs!) an höchst unbänd'gem Wahnsinn;
So, daß er rasend durch die Straßen lief,
Mit ihm sein Diener, wie er selbst verrückt,
Und viele Bürger dieser Stadt verletzte,
In ihre Häuser dringend, Gold und Ringe,
Und was nur seiner Wut gefiel, sich raubend.
Schon einmal sandt' ich ihn gebunden heim
Und ging umher, den Schaden zu vergüten,
Den hier und dort sein Wahnsinn angerichtet.
Drauf – Gott mag wissen, wer ihm half zur Flucht –
Entsprang er denen, die ihn hüteten.
Die beiden nun, er und sein toller Knecht,
Im stärksten Anfall und mit bloßem Schwert
Begegnen uns aufs neu'; wir müssen weichen
Vor ihrer Tobsucht, bis wir Hülfe finden,
Sie abermals zu fesseln; hierauf fliehn sie
In dieses Kloster, und wir folgen nach; –
Und nun schließt die Äbtissin uns die Pforte
Und will uns nicht gestatten, ihn zu holen,
Noch selbst ihn senden, um ihn heim zu schaffen.[53]
Deshalb, o edler Herzog, gib Befehl,
Ihn auszuliefern, daß ihm Hülfe werde!
HERZOG.
Schon lange diente mir dein Mann im Krieg,
Und ich versprach dir auf mein fürstlich Wort,
Als du zu deines Bettes Herrn ihn wähltest,
Ihm alle Huld und Liebe zu erweisen.
Geh wer von euch, klopf' an das Klostertor
Und ruf' die Frau Äbtissin zu mir her;
Ich will die Sach' entscheiden, eh' ich gehe.
Ein Diener kommt.
DIENER.
Ach, gnäd'ge Frau, eilt fort und rettet Euch!
Denn Herr und Knecht sind wieder losgebrochen;
Die Mägde alle nach der Reih' geprügelt,
Der Doktor festgebunden, und sein Bart
Mit Feuerbränden schmählich abgesengt;
So oft erflammte, gossen sie aus Eimern'
Schlammwasser drüber hin, das Haar zu löschen.
Jetzt predigt ihm mein Herr Geduld, indes
Der Bursch wie einem Narr'n den Kopf ihm schert;
Und wahrlich, schickt Ihr Hülfe nicht sogleich,
Die beiden bringen Euch den Zaubrer um.
ADRIANA.
Schweig', Narr, dein Herr so wie sein Bursch sind hier,
Und alles ist erlogen, was du sprichst.
DIENER.
Bei meinem Leben, Frau, ich rede wahr;
Ich habe kaum geatmet, seit ich's sah!
Er ruft nach Euch und schwört, wenn er Euch greift,
Er seng' Euch das Gesicht und zeichn' es schlimm.
Lärm hinter der Szene.
Horcht! Horcht! Ich hör' ihn, Frau; entflieht nur schnell!
HERZOG.
Kommt her, seid furchtlos; stellt euch, Hellebarden!
ADRIANA.
O Gott! es ist mein Mann! Ihr alle zeugt,
Er ist unsichtbar durch die Luft geführt;
Noch eben hielt das Kloster ihn verwahrt,
Nun ist er hier, und kein Verstand begreift's.
Antipholus von Ephesus und Dromio von Ephesus treten auf.[54]
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Gerechtigkeit! –
Mein gnäd'ger Herzog, o Gerechtigkeit!
Um jenen Dienst, den ich dir vormals tat,
Als in der Schlacht ich über dich mich stellte
Und tiefe Wunden deinethalb empfing, –
Des Blutes halb, das ich für dich vergoß,
Gewähre jetzo mir Gerechtigkeit!
ÄGEON.
Wenn Todesfurcht mich nicht betört, sind dies
Mein Sohn Antipholus und Dromio!
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Gerechtigkeit,
Mein teuer Fürst, hier gegen dieses Weib,
Die du mir selbst gegeben hast zur Frau,
Sie hat mir Schmach erzeigt und Spott und Haß,
Bis zu der Kränkung höchstem Übermaß;
Ja, allen Glauben übersteigt der Schimpf,
Den sie mir heut so schamlos angetan.
HERZOG.
Entdeck' ihn mir: du sollst gerecht mich finden.
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Heut, großer Fürst, schloß sie das Haus mir zu,
Indes sie mit Gesindel drinnen schmauste.
HERZOG.
Ein schwer Vergehn! Frau, hast du das getan?
ADRIANA.
Nein, edler Herr! Ich, er und meine Schwester,
Wir aßen heut zusammen; ich will sterben,
Wenn das nicht falsch ist, wes er mich beschuldigt.
LUCIANA.
Nie will ich sehn den Tag, noch ruhn die Nacht,
Sagt sie Euch schlichte Wahrheit nicht, mein Fürst.
ANGELO.
O falsche Weiber! Beide schwören Meineid,
Denn hierin klagt der Tolle ganz mit Recht.
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Mein Fürst, ich weiß genau, was ich Euch sage;
Nicht bin ich durch des Weines Glut verstört,
Noch wild im Kopf, durch heft'gen Zorn gereizt,
Obgleich so großer Schimpf auch Weisre törte.
Dies Weib da schloß mich aus vom Mittagsmahl;
Der Goldschmied, ständ' er nicht mit ihr im Bund,
Könnt' es bezeugen, denn er war dabei
Und ging dann, eine Kette mir zu holen,
Wo Balthasar und ich zusammen aßen.[55]
Als wir gespeist und er nicht wieder kam,
Sucht' ich ihn auf; ich traf ihn auf der Straße
Und in Gesellschaft jenes andern Herrn.
Hier schwur der tück'sche Goldschmied hoch und teuer,
Daß ich indes die Kette schon empfangen,
Die ich, Gott weiß? noch nie gesehn; deshalb
Ließ er durch einen Häscher mich verhaften.
Ich schwieg und sandte meinen Burschen heim
Nach barem Geld; allein er brachte nichts.
Drauf redet' ich dem Häscher freundlich zu,
Mich selber zu begleiten in mein Haus;
Da traf ich unterwegs
Mein Weib, die Schwester und ein ganzes Pack
Von mitverschwornem Volk! Mit diesem war
Ein Meister Zwick, ein blasser Hungerleider,
Ein wahres Beingeripp', ein Scharlatan,
Ein Taschenspieler, schäb'ger Glücksprophet,
Hohläug'ger Schlucker mit gespenst'gem Blick
Wie ein lebendig Toter; dieser Unhold,
Er denkt doch! spielte den Beschwörer nun:
Sah mir ins Auge, fühlte mir den Puls,
Rief geisterbleich, ich sei von Geistern selbst
Und bösem Spuk besessen; – darauf fiel
Der Schwarm mich an, band mich und riß mich fort,
Und in ein finstres, dumpfes Loch des Hauses
Warf man uns beide, mich und ihn, gebunden,
Bis ich, das Band zernagend mit den Zähnen,
In Freiheit kam und augenblicks hieher
Zu Eurer Hoheit lief. Nun fleh' ich Euch,
Mir völlige Vergeltung zu gewähren
Für diese Kränkung und unwürd'ge Schmach.
ANGELO.
Mein Fürst, fürwahr, so weit bezeug' ich's ihm,
Er speiste nicht zu Haus, man sperrt' ihn aus.
HERZOG.
Doch, gabst du ihm die Kette, oder nicht?
ANGELO.
Ich gab sie ihm; und als er hier hinein lief,
Sah'n alle noch die Kett' an seinem Hals.
KAUFMANN.
Zudem versichr' ich: hier mit eignen Ohren
Hört' ich Euch eingestehn der Kett' Empfang,[56]
Nachdem Ihr's auf dem Markt erst abgeleugnet,
Und deshalb zog ich gegen Euch den Degen.
Darauf verbargt Ihr Euch in der Abtei,
Aus der Ihr, scheint mir's, durch ein Wunder kamt.
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Niemals betrat ich diesen Klosterhof,
Noch zogst du je den Degen gegen mich.
Die Kette sah ich nie, so helf' mir Gott!
Und falsch ist alles, des ihr mich beschuldigt.
HERZOG.
Ei, was ist dies für ein verwirrter Handel!
Ich glaub', ihr alle trankt aus Circes Becher.
Verschloßt ihr ihn im Kloster, wär' er drin;
Wär' er verrückt, er spräche nicht so ruhig;
Ihr sagt, er aß daheim; der Goldschmied hier
Spricht dem entgegen: – Bursche, was sagst du?
DROMIO VON EPHESUS.
Mein Fürst, er aß mit der im Stachelschwein.
KURTISANE.
Er tat's und riß vom Finger mir den Ring.
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
's ist wahr, mein Fürst, ich hab' den Ring von ihr.
HERZOG.
Sahst du's mit an, wie er ins Kloster ging?
KURTISANE.
Ja, Herr, so wahr ich Eure Hoheit sehe.
HERZOG.
Nun, das ist seltsam! Ruft mir die Äbtissin;
Ihr alle seid verwirrt, wo nicht verrückt.
Einer von des Herzogs Gefolge geht in die Abtei.
ÄGEON.
Erhabner Herzog, gönnt mir jetzt ein Wort!
Ich fand zum Glück den Freund, der mich erlöst
Und zahlt die Summe, die mir Freiheit schafft.
HERZOG.
Sprich offen, Syrakuser, was du willst.
ÄGEON.
Herr, ist Eu'r Name nicht Antipholus?
Heißt dieser Sklav', an Euern Dienst gebunden,
Nicht Dromio?
DROMIO VON EPHESUS.
Ja, gewiß, ich war gebunden:
Allein Gott Lob! er biß das Band entzwei;
Nun bin ich Dromio, sein entbundner Diener.
ÄGEON.
Ich weiß, ihr beid' erinnert euch noch mein!
DROMIO VON EPHESUS.
An uns sind wir durch Euch erinnert, Herr,[57]
Denn jüngst noch waren wir gleich Euch gebunden.
Hat Zwick Euch in der Kur? Ich will nicht hoffen.
ÄGEON.
Was tut Ihr denn so fremd? Ihr kennt mich wohl!
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Ich sah Euch nie im Leben, Herr, bis jetzt.
ÄGEON.
Oh! Gram hat mich gewelkt, seit Ihr mich saht,
Und Sorg' und die entstell'nde Hand der Zeit
Schrieb fremde Furchen in mein Angesicht.
Doch sag mir, kennst du meine Stimme nicht?
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Auch diese nicht.
ÄGEON.
Du auch nicht, Dromio?
DROMIO VON EPHESUS.
Nein, in der Tat nicht, Herr.
ÄGEON.
Ich weiß, du kennst sie.
DROMIO VON EPHESUS.
Ich, Herr? Ich weiß gewiß, ich kenne
Euch nicht. Und was jemand auch immer leugnen mag,
Ihr seid jetzt verbunden, ihm zu glauben.
ÄGEON.
Auch nicht die Stimm'? O Allgewalt der Zeit!
Lähmst und entnervst du so die arme Zunge
In sieben kurzen Jahren, daß mein Sohn
Nicht meines Grams verstimmten Laut mehr kennt?
Ward gleich mein runzlig Angesicht umhüllt
Vom flock'gen Schnee des saftverzehr'nden Winters;
Erstarrten gleich die Adern meines Bluts,
Doch hat die Nacht des Lebens noch Gedächtnis,
Mein fast erloschnes Licht noch matten Schein,
Mein halbbetäubtes Ohr vernimmt noch Töne,
Und all die alten Zeugen trügen nicht
Und nennen dich mein Kind Antipholus!
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Nie sah ich meinen Vater, seit ich lebe!
ÄGEON.
Du weißt doch, Sohn, es sind jetzt sieben Jahr
Seit du wegzogst von Syrakus; vielleicht
Schämst du dich, mich im Elend zu erkennen?
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Der Herzog, und wer in der Stadt mich kennt,
Kann mir bestät'gen, daß es so nicht ist;
Nie sah ich Syrakus in meinem Leben.
HERZOG.
Ich sag' dir, Syrakuser, zwanzig Jahr[58]
Lebt' unter meinem Schutz Antipholus
Und war seitdem noch nie in Syrakus;
Dich macht Gefahr und Alter, scheint mir, kindisch.
Die Äbtissin kommt mit Antipholus von Syrakus und Dromio von Syrakus.
ÄBTISSIN.
Mein Fürst, viel Unrecht tat man diesem Mann.
Alle drängen sich, ihn zu sehen.
ADRIANA.
Zwei Gatten seh' ich, täuscht mich nicht mein Auge!
HERZOG.
Der eine ist des andern Genius;
Doch nun, wer ist von beiden echter Mensch
Und wer Erscheinung? Wer entziffert sie?
DROMIO VON SYRAKUS.
Ich, Herr, bin Dromio; heißt mir diesen gehn!
DROMIO VON EPHESUS.
Ich, Herr, bin Dromio; bitt' Euch, laßt mich stehn!
ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.
Seh' ich Ägeon? oder seinen Geist?
DROMIO VON SYRAKUS.
Mein alter Herr? Wer hat Euch hier gebunden?
ÄBTISSIN.
Wer ihn auch band, die Bande lös' ich jetzt,
Und seine Freiheit schafft mir einen Gatten.
Sprich, Greis Ägeon, wenn du's selber bist,
War nicht Ämilie deine Gattin einst,
Die dir ein schönes Zwillingspaar geschenkt?
Oh, wenn du der Ägeon bist, so sprich,
Und sprich zu ihr, der nämlichen Ämilia!
ÄGEON.
Wenn alles dies kein Traum, bist du Ämilia;
Und wenn du's bist, so sprich: wo ist der Sohn,
Der mit dir schwamm auf jenem leid'gen Floß?
ÄBTISSIN.
Von Epidamnern wurden er und ich
Mit samt dem Zwilling Dromio aufgefangen;
Dann kamen rohe Fischer aus Korinth,
Die meinen Sohn und Dromio mir entführt
Und mich den Epidamner Schiffern ließen. –
Was drauf aus ihnen wurde, weiß ich nicht;
Mir fiel das Los, in dem Ihr jetzt mich seht.
HERZOG.
Das paßt ja zu der Mär von heute morgen![59]
Die zwei Antipholus, so täuschend gleich,
Und die zwei Dromio, eins dem Ansehn nach;
Dazu der Schiffbruch, dessen sie gedenkt! –
Dies sind die Eltern dieser beiden Söhne,
Die sich durch Zufall endlich wiederfinden.
Antipholus', du kamst ja von Korinth?
ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.
Nein, Herr, ich nicht; ich kam von Syrakus.
HERZOG.
Tritt auf die Seit', ich unterscheid' euch nicht.
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Ich war's, der von Korinth kam, gnäd'ger Herr.
DROMIO VON EPHESUS.
Und ich mit ihm.
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Hieher geführt vom Herzog Menaphon,
Dem tapfern Helden, Euerm würd'gen Ohm.
ADRIANA.
Wer von euch beiden speiste heut bei mir?
ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.
Ich, werte Frau.
ADRIANA.
Und seid Ihr nicht mein Mann?
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Nicht doch! Da tu' ich Einspruch.
ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.
Das tu' ich auch, obgleich Ihr so mich nanntet,
Und dieses schöne Fräulein, Eure Schwester,
Mich Bruder hieß. Was ich Euch da gesagt,
Das hoff' ich alles bald noch gut zu machen,
Wenn nur kein Traum ist, was ich jetzt erlebt.
ANGELO.
Das ist die Kette, Herr, die ich Euch gab!
ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.
Ich will's Euch glauben, Herr, ich leugn' es nicht.
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Und Ihr, Herr, nahmt mich fest um diese Kette.
ANGELO.
Ich glaub', ich tat es, Herr, ich leugn' es nicht.
ADRIANA.
Ich hatt' Euch Gold geschickt, Euch loszukaufen,
Durch Dromio; doch ich glaub', er bracht' es nicht.
DROMIO VON EPHESUS.
Nein, nichts durch mich.
ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.
Die Börse mit Dukaten kam an mich,
Und Dromio, mein Diener, gab sie mir;
Ich seh', wir trafen stets des andern Diener,[60]
Und mich hielt man für ihn, wie ihn für mich;
Daraus entstanden diese Irrungen.
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Mit diesem Gold erlös' ich meinen Vater.
HERZOG.
Es tut nicht not; dein Vater bleibt am Leben.
KURTISANE.
Herr, meinen Diamant gebt mir zurück!
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Nehmt ihn, und vielen Dank für Eure Mahlzeit!
ÄBTISSIN.
Erhabner Fürst, geruht Euch zu bemühn,
Mit uns in die Abtei hineinzugehn
Und unser ganzes Schicksal zu vernehmen.
Und alle, die ihr hier versammelt seid
Und littet durch die vielverschlungne Irrung
Des einen Tags, Gesellschaft leistet uns,
Und wir versprechen, euch genug zu tun.
Ja, fünfundzwanzig Jahr lag ich in Weh'n
Mit euch, ihr Söhn', und erst in dieser Stunde
Genas ich froh von meiner schweren Bürde. –
Der Fürst, mein Gatte, meine beiden Kinder,
Ihr, die Kalender ihrem Wiegenfeste,
Kommt mit hinein, wir feiern's heut aufs beste;
So eilt nach langem Gram zum Wiegenfeste!
HERZOG.
Gern will ich als Gevatter euch begleiten.
Alle gehn ab; es bleiben die beiden Antipholus und die beiden Dromio.
DROMIO VON SYRAKUS.
Herr, hol' ich Eure Waren aus dem Schiff?
ANTIPHOLUS VON EPHESUS.
Ei, Dromio, was für Waren hab' ich dort?
DROMIO VON SYRAKUS.
Das Gut, das im Zentauren war gelagert!
ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.
Er spricht zu mir; ich, Dromio, bin dein Herr.
Komm, geh mit uns, das wird hernach besorgt;
Umarm' den Bruder jetzt und freu' dich sein!
Die beiden Antipholus gehn ab.
DROMIO VON SYRAKUS.
Die dicke Schönheit dort bei deinem Herrn,
Die heute mich am Küchentisch verpflegt,
Wird meine Schwester nun, nicht meine Frau? –[61]
DROMIO VON EPHESUS.
Mich dünkt, du bist mein Spiegel, nicht mein Bruder.
Ich seh' an dir, ich bin ein hübscher Bursch.
Sag, kommst du mit hinein zum Patenschmaus?
DROMIO VON SYRAKUS.
Ich nicht; du bist der Ältste.
DROMIO VON EPHESUS.
Das fragt sich noch; wie führst du den Beweis?
DROMIO VON SYRAKUS.
Wir wollen Halme ziehn ums Seniorat;
Bis dahin geh voran!
DROMIO VON EPHESUS.
Nein; sei's denn so:
Als Bruder und Bruder sah man uns ein in das Leben wandern,
Drum laß uns Hand in Hand auch gehn, nicht einer nach dem andern.
Sie gehn ab.[62]
Ausgewählte Ausgaben von
Die Komödie der Irrungen
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
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