Vierte Scene

[26] (Eine Ebene vor Theben.)


Trompetenstöße. Schlacht. Rückzug. Theseus als Sieger tritt auf. Ein Herold. Gefolge. Die drei Königinnen gehen Theseus entgegen und fallen vor ihm nieder.


ERSTE KÖNIGIN.

Dir leuchten alle Sterne!

ZWEITE KÖNIGIN.

Erd' und Himmel

Sei'n günstig dir!

DRITTE KÖNIGIN.

Der Götter Segen träufle

Auf dich hernieder, Amen, ruf' ich, Amen!

THESEUS.

Vom hohen Himmel schaun gerechte Götter

Auf Sterbliche herab, sehn, wie sie irren,

Und strafen, wenn es Zeit. Nun geht und sucht[26]

Nach den Gebeinen Eurer todten Gatten,

Bestattet sie mit feierlichen Ehren.

Daß nichts dazu Euch fehle, sorgen wir

Und geben Auftrag, daß man Euch sofort

In Eure Würd' einsetze und vollende,

Was unsre Eile unvollendet läßt.

So lebet wohl, der Himmel schütze Euch!


(Die drei Königinnen ab.)


(Man bringt Palämon und Arcites auf einer Tragbahre herein.)


Sag', wer sind diese?

HEROLD.

Nach der Kleidung Leute

Von hohem Stande. Wie theban'sche Männer

Uns sagten, wäre sie des Königs Neffen,

Die Söhne seiner Schwestern.

THESEUS.

Bei Mars' Helm,

Ich sah die beide in der Schlacht, wie Löwen

Vom Blut des Wildes triefend, ihren Weg

Durch der erschreckten Krieger Reih'n sich bahnen.

Unausgesetzt behielt ich sie im Auge,

Es war ein Schauspiel, eines Gottes würdig!

Wie nannte der Gefangne sie, den ich

Nach ihrem Namen fragte?

HEROLD.

Hört' ich recht,

So nannt' er sie Palämon und Arcites.

THESEUS.

Ganz recht, es sind dieselben. Sind sie todt?

HEROLD.

Nicht todt und nicht lebendig. Hätt' man sie,

Als sie verwundet wurden, gleich gefangen,

So wären sie vielleicht davongekommen;

Doch athmen sie und sehn wie Männer aus!

THESEUS.

Und auch wie Männer soll man sie behandelt.

Die Hefe solcher gilt unendlich mehr

Als Millionen andrer bester Wein.

Ruft alle unsre Aerzte für sie her,

Spart nicht den Balsam, sei er noch so kostbar,

Für ihre Heilung, denn ihr Leben gilt

Mir mehr als Theben. – Lieber als in Freiheit

Und kräftig, wie sie heute Morgen waren,

Säh' ich sie todt, doch hunderttausendmal

Noch lieber so gefangen hier, als todt.

Die frische Luft möcht' ihnen schädlich sein,

Tragt sie hinein. Was Menschenhülfe nur[27]

Kann leisten, leistet es um unsertwillen.

Ich weiß, wie Schrecken, Wuth, der Freunde Drängen,

Reizung der Liebe, Eifer, Müh' um Frau'n,

Wie Sehnsucht nach der Freiheit, Fieber, Wahnsinn

Uns solche Ziele setzen, daß Natur

Sie ohne großen Zwang nicht kann erreichen,

Wobei dann Kraft des Willens und Vernunft

Leicht Schiffbruch leiden. Darum thut für mich

Und um Apollo's Gnade, was Ihr könnt

Und pflegt sie gut. Jetzt führt mich in die Stadt,

Von wo ich, wenn ich alles dort geordnet,

Fort eile nach Athen, dem Heer voraus.


(Trompetenstöße. Alle ab.)


Quelle:
Die englische Bühne zu Shakespeare's Zeit. Zwölf Dramen seiner Zeitgenossen. Leipzig: Brockhaus, 1890, S. 26-28.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die beiden edlen Vettern
Die beiden edlen Vettern: The two noble Kinsmen

Buchempfehlung

Anonym

Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen

Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen

Das kanonische Liederbuch der Chinesen entstand in seiner heutigen Textfassung in der Zeit zwischen dem 10. und dem 7. Jahrhundert v. Chr. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Victor von Strauß.

298 Seiten, 15.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon