Zweite Scene

[20] (Theben. Der Hof vor dem königlichen Palaste.)


Palämon und Arcites treten auf.


ARCITES.

Geliebter Vetter, theurer mir durch Neigung

Als durch Verwandtschaft noch, der du dich rein

Von Lastern hast erhalten, laß uns fliehn

Vor den Versuchungen, die hier in Theben

Uns rings umlauern, daß wir nicht zuletzt

Der jungen Seelen Unschuld noch verlieren!

Wir schämen uns, der Ausschweifung zu fröhnen

Und ebenso Enthaltsamkeit zu üben!

Nicht mit dem Strome schwimmen, heißet hier

So viel, als in dem Strome untergehn!

Es wäre mindestens verlorne Müh',

Und folgten wir dem Strom, so trieb' er uns

Zu solchen Wirbeln, wo wir wenden oder

Ertrinken müßten; kämen wir hindurch,

Wär' der Gewinn ein Leben der Erschöpfung.

PALÄMON.

Die Weisheit deines Rathes zeigt ein Beispiel:

Wenn wir durch Theben wandern, auf wie viele

Ruinen stoßen wir, die alle erst

Es wurden seit den Zeiten unsrer Kindheit!

Auf wie viel ärmliche Gewänder, Narben,

Dem einzigen Gewinne Kriegeslust'ger,

Die wohl von Haufen Golds und Ehren träumten

Doch nie erlangten, allem Sieg zum Trotz,[20]

Getäuscht vom Frieden, den sie uns erkämpften.

Wer opferte da noch an Mars' Altar?

Begegn' ich solchen, blutet mir das Herz;

Dann wünsch' ich, daß der Juno Eifersucht

Den Kriegern Arbeit gäb' durch Friedensbruch

Und Streit und Krieg.

ARCITES.

Doch das ist Eines nur:

Sahst du sonst nichts, dein Mitleid zu erregen,

Als unversorgte Krieger?

PALÄMON.

O, noch manches,

Denn alles, was zu Grunde geht, beklag' ich,

Am meisten aber jene, deren Schweiß

Ehrlicher Arbeit man mit Eis bezahlt,

Sie abzukühlen!

ARCITES.

Davon sprach ich nicht,

Das ist nun einmal so Thebaner Art.

Ich wollt' nur sagen, wie gefährlich es

Für unsre Tugend sei, wenn wir noch länger

In Theben bleiben, wo man alles Böse

So schön zu färben weiß und alles Gute

Als Maske für das Böse nur gebraucht,

Wo jeder, der nicht mit den Wölfen heult,

Als Fremder und Barbar geachtet wird.

PALÄMON.

Es steht in unsrer Macht – wir hielten denn

Affen für gute Muster – unsre Sitte

Uns selbst zu machen. Hab' ich Selbstvertraun,

Was werd' ich eines andern Gangesart

Nachahmen, oder einer andern Weise

Zu sprechen mich befleißen, da man meine,

Die ich zu reden pflege, ja versteht?

Was sollte mich vermögen, dem zu folgen,

Der seinem Schneider folgt, bis dieser ihn

Zuguterletzt verfolgt? Ich möcht' doch wissen,

Warum mein Bartscher schlechter sollte sein,

Und ebenso mein Kinn, weil es nicht just

Nach eines Gecken Spiegel ward geschoren!

Gibt's eine Regel, die von mir verlangt,

Daß ich statt an der Hülfe, in der Hand

Den Degen trage, auf den Spitzen gehe,

Obgleich die Wege rein? Entweder will ich

Das Leitpferd sein im Zuge, oder gar nicht[21]

Mit andern gehn! Doch kümmert alles das

Mich wahrlich äußerst wenig; was mich grämt

Und tief betrübt, ist –

ARCITES.

Kreon, unser Oheim!

PALÄMON.

Ja er, der ungezügelte Tyrann,

Der macht, daß man den Himmel nicht mehr fürchtet,

Daß Niedertracht auf ihre Stärke trotzt,

Auf Gunst vertraut und blindem Zufall huldigt;

Der alles das, was andre für ihn thun,

Sich selber zumißt, ihre Dienste fordert

Und dabei Ruhm und Beute an sich reißt;

Der furchtlos Böses thut, doch Gutes nie

Zu thun sich untersteht. O, könnten Egel

Dies Blut, das mich mit ihm versippt, aussaugen,

Bis sie, der Fäulniß voll, vom Leib mir fielen!

ARCITES.

Mein guter Vetter, laß den Hof uns fliehn,

Damit uns diese Schmach nicht auch ergreife

Und unsre Milch nach schlechter Weide schmecke.

Entweder Schurken oder Widersacher,

Das ist für uns, die wir mit ihm durch Blut,

Nicht durch Gesinnung nah verwandt, die Wahl!

PALÄMON.

Nur allzu wahr! Das Echo seiner Frevel

Hat, wie ich glaube, taub gemacht das Ohr

Der himmlischen Gerechtigkeit. Das Schrei'n

Der Witwen dringt nicht zu der Götter Thron,

Kehrt ungehört zurück. Valerius!

(Valerius tritt auf.)


VALERIUS.

Der König schickt nach euch, doch eilet nicht,

Bis sich erst seine Wuth gelegt. Als Phöbus

Den Peitschenstiel auf seinen Sonnenrossen

Zerbrach und aufschrie, war's ein Lispeln nur,

Verglichen mit dem Aufschrei seiner Wuth!

PALÄMON.

Der kleinste Hauch bläst ihn zur Flamme auf;

Doch was war jetzt der Grund?

VALERIUS.

Tödliche Fehde

Entbot ihm Theseus, dessen Drohn allein

Schon Schrecken ist. Vernichten will er Theben,

Und naht sich, seinen Vorsatz auszuführen!

ARCITES.

Er möge kommen, fürchteten wir nicht

In ihm die Götter, sollt' er uns nicht schrecken,

Obgleich er stärker ist als unsrer Drei.[22]

Doch wer kann sich auf seine Kraft verlassen,

Wenn, was er sonst mit Ueberzeugung thäte,

Für Böses nur gethan wird?

PALÄMON.

Laß das jetzt,

Um Theben handelt's sich und nicht um Kreon!

Beiseit' zu stehn erlaubt uns Ehre nicht,

Und gegen ihn zu streiten wär' Verrath –

So müssen wir mit ihm bis an das Ende

Sein Schicksal theilen.

ARCITES.

Ja, das müssen wir!

Hat schon der Krieg begonnen, oder wird

Noch unterhandelt?

VALERIUS.

Er hat schon begonnen!

Zu gleicher Zeit mit unserm Boten traf

Die Kriegserklärung ein.

ARCITES.

Zum König komm'!

Wär' nur ein Viertheil von der Ehre sein,

Die seinem Feind gebührt, so wagten wir

Gesunden Aderlaß, und unser Blut

Wär' nicht verschwendet, nein, gut angelegt.

Doch so, da wir mit unsern Händen nur,

Nicht mit den Herzen kämpfen, bringt's nicht Heil,

Wie auch die Schläge fallen.

PALÄMON.

Das verkündet

Der Richter, der nie irret, der Erfolg,

Uns, wenn wir's selber wissen. Laßt uns jetzt

Der Stimme unsres Schicksals folgen. Kommt!


(Alle ab.)


Quelle:
Die englische Bühne zu Shakespeare's Zeit. Zwölf Dramen seiner Zeitgenossen. Leipzig: Brockhaus, 1890, S. 20-23.
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