Dritte Scene

[95] (Ein Theil des Waldes bei Athen, nahe dem für den Kampf bestimmten Platz.)


Trompetenstöße. Theseus, Hippolyta, Emilia, Pirithous nebst Gefolge treten auf.


EMILIA.

Ich bleibe hier.

PIRITHOUS.

Wollt Ihr es nicht mit ansehn?

EMILIA.

Nein, lieber wollt' ich sehn, wie ein Rothkehlchen

Die Mücke spießt, als diesem Kampf beiwohnen;

Denn jeder Schlag bedroht ein edles Leben,

Seufzt, wenn er niederfallen muß und klingt

Wie Leichenglocke mehr als Schwerterschlag.

Ich bleibe hier, genug schon, daß mein Ohr

Mit dem, was dort geschieht, bestraft soll werden,

Daß ich's nicht stopfen kann, – mein Auge aber

Kann ich verschließen vor dem Schreckensanblick.

PIRITHOUS.

Herr, Eure Schwester will nicht weiter gehn.

THESEUS.

Sie muß, dort wird sie Heldenthaten sehn,

Verherrlicht wohl von Pinsel und von Meißel,[95]

Doch hier vollbracht in ihrer Gegenwart,

Daß Ohr und Auge davon zeugen können.

Du darfst nicht fehlen, denn des Siegers Lohn

Und Preis und Krone bist du, wie du ja

Des Kampfes Anlaß warst.

EMILIA.

Verzeih' mir, Bruder,

Wär' ich dabei, ich schlösse doch die Augen.

THESEUS.

Du mußt dabei sein. Dieser Zweikampf ist

Wie eine Nacht und du der einz'ge Stern,

Der sie erhellt.

EMILIA.

Laß mich erloschen sein!

Unselig ist dies Licht, es zeigt den einen

Dem andern nur, so daß sich beide finden.

O Finsterniß, des Schreckens Mutter du,

Die Millionen Sterbliche verwünschen,

Wirf deinen schwarzen Mantel über sie,

Daß keiner seinen Gegner sehen möge.

So bess're deinen Namen und thu' Buße

Für manche Greuelthat, die du begingst.

HIPPOLYTA.

Komm mit uns, Schwester!

EMILIA.

Nein, ich bleibe hier.

THESEUS.

Dein Auge soll der Ritter Muth entflammen.

Du bist des Kampfes Kleinod, darfst nicht fehlen,

Du mußt den Preis ertheilen!

EMILIA.

Laß mich, Bruder!

Wer König ist, der schöpft aus sich sein Recht.

THESEUS.

Nun, wie du willst. Doch die gezwungen sind

Mit dir zu bleiben, werden ihren Dienst

Gewiß verwünschen.

HIPPOLYTA.

Schwester, lebe wohl!

Mich freut es nur, daß ich auf diese Weise

Doch etwas früher deinen Gatten soll

Erfahren als du selber. Mögen nun

Die Götter von den beiden dir den besten

Bescheren, darum bitt' ich sie inbrünstig.


(Alle ab, außer Emilia und einige ihres Gefolges.)


EMILIA.

Ein würdevolles Antlitz hat Arcites!

Doch ist sein Auge wie ein schwer Geschütz,

Das nicht gerichtet ward und niemand droht,

Wie eine scharfe Waffe in der Scheide.

Auf seinem Angesicht sind Mannesmuth[96]

Und Milde Bettgenossen. Krieg'rischer

Sieht wohl Palämon aus. Ihm ist die Stirn

Gefurcht, und wenn er sie zusammenzieht,

Begräbt er eine ganze Welt darin.

Doch ist's nicht immer so, es ändert sich

Nach den Gedanken, die ihn grad' beherrschen.

Lang' weilt sein Aug' auf einem Gegenstand;

Ihm stehet Schwermuth gut, Arciten Frohsinn,

Doch ist Palämon's Traurigkeit nichts weiter

Als eine Art von Frohsinn, so gemischt,

Als mach' ihn Frohsinn traurig, Schwermuth fröhlich.

Der finstre Ernst, der andern häßlich steht,

Zeigt sich bei ihm in einer schönen Form.


(Hörnerklang. Dann Trompetenstöße, wie zum Angriff.)


Horch, wie es jetzt zum Kampf die Fürsten ruft.

Wird mich Arcit gewinnen? Wird Palämon

Arciten so verwunden, daß er ihm

Des Leibes Schönheit raubt? O, nur zu sehr

Ist dies zu fürchten! Wäre ich dabei,

Nur Schaden brächt' es. Ihre Augen würden

Auf mich gerichtet sein; so könnt' es kommen,

Daß sie versäumten sich zu rechter Zeit

Zu schützen oder vorzugehn zum Angriff.

Nein, besser ist es, daß ich ferne bin.

O, lieber nicht geboren sein, als solchem

Unsel'gen Spiel als Zeuge beizuwohnen.


(Hörnerklang und Rufe hinter der Scene. Man hört »Hoch Palämon!« schreien.)


Was für ein Lärm!

DIENERIN.

Sie rufen: »Hoch Palämon!«

EMILIA.

So siegte er? Ich hab' es gleich gedacht.

Auf seinem schönen Antlitz lag der Sieg;

Der Männer erster ist er zweifellos.

Ich bitte dich, lauf' hin und bring' mir Nachricht,

Wie es dort steht!


(Lärm. Hörnerklang. Erneuerte Rufe: »Hoch Palämon!«)


DIENERIN.

Noch immer: »Hoch Palämon!«

EMILIA.

Lauf hin und frage.


(Dienerin ab.)


Ach, mein armer Ritter,

Du unterlagst! Auf meiner rechten Brust

Trag' ich dein Bild, Palämon's auf der linken.

Warum? Ich weiß es nicht, der Zufall that's,[97]

Es war nicht Absicht. Auf der linken Seite

Da liegt das Herz, die beste Stelle hatte

Palämon.


(Wiederholtes Geschrei, Hörnerschall und Rufen.)


Dieser Stimmen lautes Toben

Bedeutet, daß der Kampf zu Ende ist.


(Die Dienerin kehrt zurück.)


DIENERIN.

Man sagte mir, Palämon hätt' Arciten

Schon fingerbreit der Säule nah gedrängt,

Sodaß man »Hoch Palämon« hätt' gerufen;

Da hätten seine Kampfgefährten ihn

Durch ihren Beistand schnell befreit und nun

Sei'n beide Kämpfer handgemein geworden.

EMILIA.

O, daß in Einen sie verwandelt würden!

Was sag' ich? Gäb' es auf der Welt ein Weib,

Das solchen Doppelmannes würdig wäre?

Was jedem den besonderen Werth verleiht,

Und einen von dem andern unterscheidet,

Ist schon viel mehr, als eine Frau verdient.


(Hörnerschall. Rufe hinter der Scene: »Arcit, Arcit!«)


Noch immer, wie? Palämon?

DIENERIN.

Nein, sie rufen

»Arcit« jetzt.

EMILIA.

Horch mit beiden Ohren hin,

Ich bitte dich, daß du auch recht verstehst.


(Hörnerschall. Lärm. Geschrei: »Sieg, Sieg, Arcit!«)


DIENERIN.

Sie rufen: »Sieg, Arcit!« Horcht: »Sieg, Arcit!«

Der Hörner Schall zeigt an des Kampfes Ende.

EMILIA.

Mit halbem Blicke konnt' es jeder sehn,

Kein Schwächling sei Arcit. Aus seinem Auge

Brach mächtig seines Geistes Kraft hervor,

Wie man im Flachs nicht Feuer kann verstecken,

Und niedres Ufer nicht der Wasser Schwall,

Wenn er von wildem Sturm getrieben wird,

Abwehren kann. Vermuthet hab' ich's gleich,

Palämon würde unterliegen müssen,

Nur weiß ich nicht, warum ich es vermuthet!?

Vernünft'ge Gründe pflegen nicht Propheten

Zu sein, viel öfter Einbildungen. Sieh,

Da kommen sie.


(Hörnerschall.)


Palämon thut mir leid.


[98] (Theseus, Hippolyta, Pirithous, Arcit als Sieger nebst Gefolge treten auf.)


THESEUS.

In Furcht und Zagen harret unsre Schwester

Des Ausgangs hier. Vernimm, Emilia,

Kraft himmlischer Entscheidung gaben dir

Die Götter diesen Ritter zum Gemahl,

Ein besserer schlug nie den Feind aufs Haupt.

Reicht Euch die Hände, nimm sie hin – du ihn,

Und solche Lieb' vereine segnend euch,

Die immer wächst, je mehr ihr selbst vergeht.

ARCITES.

Emilia, – dich zu gewinnen gab ich

Das Köstlichste dahin (dich ausgenommen),

Was ich besaß, doch dünket mich der Preis,

Um den ich solchen Schatz erwarb, gering.

THESEUS.

Er redet von dem besten Ritter, Schwester,

Der je ein edles Roß bestiegen hat;

Ihn lassen unvermählt die Götter sterben,

Daß sein Geschlecht nicht ihnen vor der Welt

Zu ähnlich werde. Denn mit ihm verglichen

Scheint der Alcide nur ein Klumpen Blei,

So hat er mich entzückt. Doch wie ich immer

Sein Lob auch singen mag, darum verliert

Arcit nicht das Geringste, – denn der Große

Fand seinen Größern noch. –

Das Ohr der Nacht

Hört' ich wetteifernd einst zwei Nachtigallen

Mit wechselseitigem Gesang bestürmen;

Bald lauter diese, jene bald, dann wieder

Die erste ihre Schwester überbietend,

Sodaß das Ohr zu keinem Urtheil kam.

Nichts anders war es lang' bei diesen Vettern,

Bis einer siegte durch des Himmels Schluß.

Mit Stolz und Freude trage deinen Kranz,

Doch den Besiegten sei Gerechtigkeit

Nun schnell von uns gewährt. Ich weiß, ihr Leben

Ist ihnen nur zur Qual. Hier laßt es sein,

Für uns ist das kein Anblick, gehn wir also,

Im Herzen fröhlich, doch nicht ohne Trauer.

Umarme deinen Preis; ich weiß, um nichts

In aller Welt gäbst du ihn wieder her.

Hippolyta, in deinem schönen Auge

Blinkt eine Thräne?![99]

EMILIA.

Ach, heißt das gewinnen?

O Himmelsmächte, ist das eure Gnade?

Sprächt ihr gebietend nicht: »So soll es sein,

Nun tröste du den armen, freundeslosen,

Den unglückhaften Fürsten, der ein Leben

Geopfert hat, mehr werth als alle Frau'n« –

Ich würde lieber sterben!

HIPPOLYTA.

Ach, wie traurig,

Daß sich vier Augen wandten auf die eine

Und zwei nun brechen müssen!

THESEUS.

Ja, so ist's!


(Alle ab.)


Quelle:
Die englische Bühne zu Shakespeare's Zeit. Zwölf Dramen seiner Zeitgenossen. Leipzig: Brockhaus, 1890, S. 95-100.
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