[91] (Athen; ein Zimmer im Gefängniß.)
Der Doctor, Kerkermeister und Freier (wie Palämon gekleidet) treten auf.
DOCTOR.
Hat ihr der Rath geholfen, den ich gab?
FREIER.
Bedeutend, denn sie glaubt es den Mädchen,
Die um sie sind, daß ich Palämon sei.
Vor einer halben Stunde fragte sie
Mich lächelnd, was ich heute essen wollte,
Und ob ich sie nicht küssen würde? Ich
War gleich bereit und küßte zweimal sie.
DOCTOR.
Ei, zwanzigmal wär' besser noch gewesen.
Das ist die beste Cur!
FREIER.
Dann sagte sie,
Sie wolle mit mir wachen heute Nacht,
Sie wüßte schon, wann's mich zu packen pflege.
DOCTOR.
I seht einmal! Nun, wenn es Euch dann packt,
So packt sie ordentlich nur, daß sie es merkt.
FREIER.
Dann sollt' ich ihr was singen.
DOCTOR.
Thatet Ihr's?
FREIER.
Ach nein!
DOCTOR.
Das war nicht recht von Euch! Ihr müßt
Thun, was sie will.
FREIER.
Ich habe keine Stimme.
DOCTOR.
Das schadet nichts, so viel kann jeder singen.
In allem müßt Ihr zu Willen sein,
Und wenn sie sich mit Euch zu Bett wollt' legen.
KERKERMEISTER.
Oho, Herr Doctor!
DOCTOR.
Ja, so will's die Cur.
KERKERMEISTER.
Wohl möglich, aber nicht die Ehrbarkeit!
DOCTOR.
Ach, Possen! Opfert nicht der Ehrbarkeit!
Das eigne Kind. Erst heilt sie, will sie dann
Noch ehrbar sein, so hat sie Zeit genug.
KERKERMEISTER.
Ich danke schön!
DOCTOR.
Jetzt geht und holt sie her,
Damit ich sie mir anseh'.
KERKERMEISTER.
Gut, ich gehe
Und sag' ihr, daß Palämon sie erwartet.
Herr Doctor, aber darin habt Ihr unrecht.
(Ab.)[91]
DOCTOR.
Ja geht nur. Wie die Väter närrisch sind!
Was Ehrbarkeit! Der müßt' man eh'r was geben,
Damit sie –
FREIER.
Haltet Ihr sie nicht für ehrbar?
DOCTOR.
Wie alt ist sie?
FREIER.
Kaum achtzehn.
DOCTOR.
Dann ist's möglich,
Daß sie's noch ist, doch darauf kommt's nicht an.
Ihr Vater mag nun sagen, was er will,
Wenn Ihr bemerkt, daß sie danach verlangt,
Wovon ich sprach, videlicet nach Fleisch,
So gebt es Ihr –
FREIER.
Ganz wohl –
DOCTOR.
Und macht sie satt;
Das heilt sie, und vergehen werden ihr
Alsbald die melancholischen Humore.
(Der Kerkermeister kehrt mit seiner Tochter und ihrem Mädchen zurück.)
KERKERMEISTER.
Komm, liebes Kind! Palämon stehet dort,
Schon eine Stunde wartet er auf dich.
TOCHTER.
Schön Dank für so viel gütige Geduld,
Er ist ein lieber Herr, ich schuld' ihm viel.
Sahst du den Zelter, den er mir geschenkt?
KERKERMEISTER.
Ja wohl!
TOCHTER.
Gefiel er dir?
KERKERMEISTER.
Ein prächtig Thier!
TOCHTER.
Sahst du ihn tanzen?
KERKERMEISTER.
Nein!
TOCHTER.
Das sollt'st du sehen!
Er tanzt die Gigue unvergleichlich schön,
Mit langem und mit kurzgestutztem Schwanz,
Und dreht sich wie ein Kreisel.
KERKERMEISTER.
Unbegreiflich!
TOCHTER.
Auf Maurisch tanzt er zwanzig Meil' die Stunde,
Was ihm das beste Steckenpferd im Kirchspiel,
Soviel ich mich darauf versteh' nicht nachmacht;
Und galoppirt zum Liede »Lieb' mein Lieb'«. –
Was meinst du zu dem Pferd?
KERKERMEISTER.
Wenn's so geschickt ist,
So könnte man ja Federball ihm lehren.
TOCHTER.
O, das wär nichts![92]
KERKERMEISTER.
Versteht er auch zu lesen,
Vielleicht sogar zu schreiben?
TOCHTER.
Ganz vortrefflich.
Die Rechnung über seinen Proviant
Führt er allein. Den Stallknecht wollt' ich sehn,
Der ihn beschuppen kann. Die braune Stute
Des Herzogs kennst du doch?
KERKERMEISTER.
O ja, sehr gut!
TOCHTER.
Das arme Vieh ist ganz verliebt in ihn,
Doch er ist kalt und spröde wie sein Herr.
KERKERMEISTER.
Was hat sie denn als Mitgift?
TOCHTER.
Ei, sie hat
Zweihundert Bündel Heu und zwanzig Maß
Vom besten Hafer, doch er will sie nicht.
Ach, wenn er wiehert, wie er dabei lispelt –
Das könnte einen Müllergaul bezaubern,
Es wird ihr Tod noch sein!
DOCTOR.
Was sie für Unsinn
Zu Tage bringt!
KERKERMEISTER.
Da kommt dein Liebster, grüß' ihn!
FREIER.
Wie geht es dir, mein Herz? Wie schön du bist,
Und welch ein Knicks!
TOCHTER.
Ganz Euch zu Diensten, Herr,
In aller Ehrbarkeit! Sagt, liebe Freunde,
Wie weit noch ist es, bis ans End' der Welt?
DOCTOR.
Das kann wohl eine Tagereise sein.
TOCHTER.
Was meint Ihr, wollt' Ihr mit mir gehn?
FREIER.
Was sollen
Wir denn dort machen?
TOCHTER.
Fußballspielen, ei,
Was sonst?
FREIER.
Mir ist es recht, ich gehe mit,
Vorausgesetzt, daß wir dort Hochzeit halten.
TOCHTER.
Ja, das ist wahr! Dort finden wir gewiß
'nen blinden Priester, der uns trauen wird.
Denn hier zu Lande sind sie gar zu mäklig,
Und außerdem wird auch mein Vater morgen
Gehängt, – das paßte doch nicht gut zusammen.
Du bist Palämon?
FREIER.
Kennst du mich denn nicht?
TOCHTER.
O ja, doch kümmerst du dich nicht um mich.[93]
Ich hab' auch nichts als dieses Eine Kleid
Und nur zwei Hemden noch.
FREIER.
Das macht nichts aus,
Ich will dich einmal haben.
TOCHTER.
Willst du wirklich?
So lass' zu Bett' uns gehn!
FREIER.
Wann dir's gefällt!
(Er küßt sie.)
TOCHTER.
Du naschest gar zu gern!
FREIER.
Was wischest du
Dir meine Küsse ab?
TOCHTER.
Sie sind so heiß
Und räuchern vor der Hochzeit schon mich ein.
Ist das Arcites nicht, Eu'r Vetter?
DOCTOR.
Ja!
Der überaus zufrieden, daß Palämon
Solch eine gute Wahl getroffen hat.
TOCHTER.
So meint Ihr auch, er wird zur Frau mich nehmen?
DOCTOR.
Gewiß!
TOCHTER.
Ist das auch Eure Meinung?
KERKERMEISTER.
Ja!
TOCHTER.
Wir werden wohl recht viele Kinder haben.
Mein Gott, wie feist Ihr wurdet! Hoffentlich
Macht's Euch Palämon nach; nun ist er frei,
Die schlechte Wohnung und die schmale Kost,
Sie haben ganz vom Fleische ihn gebracht,
Ich werd' ihn aber schon zurecht mir küssen!
(Ein Bote tritt auf.)
BOTE.
Was hockt ihr hier und geht des schönsten Anblicks
Verlustig, der euch je geboten ward?!
KERKERMEISTER.
So sind sie schon dabei?
BOTE.
I, freilich, freilich!
Und Ihr habt dort ein Amt.
KERKERMEISTER.
Gleich will ich ihn,
Darum lebt wohl!
DOCTOR.
Wir werden Euch begleiten,
So was muß ich mir ansehn.
KERKERMEISTER.
Nun, was meint Ihr
Zu ihrer Krankheit?
DOCTOR.
Habt nur guten Muth,[94]
In ein paar Tagen ist sie ganz gesund.
Fahrt nur so fort und laßt sie nicht allein.
FREIER.
Gewiß nicht.
DOCTOR.
Führt sie fort!
FREIER.
Jetzt komm zum Essen,
Mein liebes Herz, nach Tische spielen wir
Mit Karten.
TOCHTER.
Aber küssen wir uns auch?
FREIER.
Ei freilich, hundertmal.
TOCHTER.
Und zwanzigmal.
FREIER.
Und zwanzigmal.
TOCHTER.
Und gehn zusammen schlafen.
DOCTOR.
Nehmt es nur an.
FREIER.
Und gehn zusammen schlafen.
TOCHTER.
Ihr dürft mir aber nichts zu Leide thun.
FREIER.
Nein, Herzchen, nein.
TOCHTER.
Sonst fang' ich an zu schrein.
(Alle ab.)
Ausgewählte Ausgaben von
Die beiden edlen Vettern
|
Buchempfehlung
In ihrem ersten Roman ergreift die Autorin das Wort für die jüdische Emanzipation und setzt sich mit dem Thema arrangierter Vernunftehen auseinander. Eine damals weit verbreitete Praxis, der Fanny Lewald selber nur knapp entgehen konnte.
82 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro