Erste Scene

[72] (Athen; ein Zimmer im Gefängniß.)


Kerkermeister mit einem Freunde tritt auf.


KERKERMEISTER.

Was hörtet Ihr? War keine Rede sonst

Von mir und von Palämon's Flucht? Denkt nach!

FREUND.

Ich hörte nichts, doch mußt' ich bald nach Haus,

Eh' alles noch zu Ende war; so viel

Nur schien mir sicher, daß den beiden Kämpfern

Verziehen werden würde. Denn es flehten

Hippolyta und Theseus' schöne Schwester

Auf ihren Knien so leiblich um ihr Leben,

Daß, wie man sah, der Herzog wankend ward,

Wem er sollt' folgen, seinem raschen Schwur

Oder dem Drängen dieser beiden Frau'n.

Da nun zuletzt auch noch der edle Prinz

Pirithous, des Herzogs andre Hälfte,

Mit ihnen sich verband, so zweifl' ich nicht,

Daß alles gut wird enden. Euer Name

Ward nicht genannt, noch auch der Flucht erwähnt.

KERKERMEISTER.

Der Himmel gebe, daß Ihr recht gesehn!


(Ein zweiter Freund tritt auf.)


ZWEITER FREUND.

Seid guten Muths, ich bringe Nachricht Euch,

Und zwar vortreffliche.[72]

KERKERMEISTER.

Sie sei willkommen!

ZWEITER FREUND.

Palämon spricht von jeder Schuld Euch frei,

Sodaß Euch keine Strafe droht. Die Flucht

Hat Eure Tochter ganz allein vermittelt,

Doch ward auch ihr vom Herzog schon verziehn.

Und daß sich der Befreite dankbar zeige,

Hat er als Mitgift eine Summe Geldes

Ihr ausgesetzt, die sehr ansehnlich ist!

KERKERMEISTER.

Ihr seid doch wirklich eine treue Seele,

Die stets nur Gutes bringt!

ERSTER FREUND.

Wie kam's zuletzt?

ZWEITER FREUND.

Wie's kommen mußte. Sie, die nie umsonst

Zu bitten pflegen, kriegten, was sie baten,

Und den Gefangnen schenkte er das Leben.

ERSTER FREUND.

Ich wußte gleich, daß es so enden würde!

ZWEITER FREUND.

Doch stellt' er ihnen noch Bedingungen,

Von denen ich nachher Euch sprechen werde.

KERKERMEISTER.

Sind sie annehmbar?

ZWEITER FREUND.

Wenigstens vertragen

Sie sich mit ihrer Ehre. Daß sie milde,

Kann ich nicht sagen!

ERSTER FREUND.

Nun, das wird sich zeigen.


(Der Freier tritt auf.)


FREIER.

Sagt, wo ist Eure Tochter?

KERKERMEISTER.

Weshalb fragt Ihr?

FREIER.

Wann saht Ihr sie zuletzt?

ZWEITER FREUND.

Wie er verstört!

KERKERMEISTER.

Heut Morgen!

FREIER.

War sie wohl, sagt, war sie wohl?

Wann schlief sie?

ERSTER FREUND.

Was für sonderbare Fragen!

KERKERMEISTER.

So recht gesund schien sie mir nicht zu sein!

Jetzt denk' ich dran, – ich fragte sie etwas,

Und sie gab solche quere Antwort mir,

Betrug sich überhaupt so ungewöhnlich,

So kindisch und so albern, daß man wirklich

Hätt' glauben können, sie sei halb gestört.

Ich ward ganz ärgerlich. Was ist mit ihr?

FREIER.

Ach nichts, als daß ich herzlich Euch bedaure;[73]

Doch besser ist es, daß von mir Ihr's hört,

Als einem andern, der sie nicht so liebt!

KERKERMEISTER.

Was meint Ihr?

ERSTER FREUND.

Ist sie krank?

ZWEITER FREUND.

Was fehlt ihr?

FREIER.

Ach,

Die Wahrheit zu gestehn, sie ist verrückt!

ERSTER FREUND.

Unmöglich!

FREIER.

Glaubt mir!

KERKERMEISTER.

Was Ihr mir da sagt,

Hab' ich gefürchtet. Helf' der Himmel ihr!

Entweder ihre Liebe zu Palämon,

Oder die Furcht, daß seine Flucht mir schade,

Vielleicht auch beides, trägt die Schuld daran.

FREIER.

Sehr möglich!

KERKERMEISTER.

Doch was seid Ihr so in Hast?

FREIER.

Vernehmt! Ganz unlängst saß ich an dem Teich,

Dort hinter dem Palaste, dessen Ufer

Mit Schilf und Binsen dicht bewachsen sind,

Und angelte. Vertieft in mein Geschäft,

Hört' ich auf einmal eine schrille Stimme,

Dem Klange nach mußt' sie (so schien es mir)

Die eines Knaben oder Mädchens sein.

Ich steckte meine Angel in den Grund

Und näherte der Stelle mich, von wo

Die Stimme kam, doch konnte nichts erspähn,

Da Schilf und Rohr am Sehn mich hinderten.

Ich legt' mich also auf den Boden hin,

Die Worte des Gesanges zu erlauschen,

Und sah dabei durch eine kleine Oeffnung,

Daß jene Säng'rin Eure Tochter war!

KERKERMEISTER.

Ich bitte, fahret fort!

FREIER.

Sie sang und sang,

Doch alles ohne Sinn, nur hört' ich oft

Sie wiederholen: »Mein Palämon ging

Früh in den Wald, um Beeren sich zu pflücken,

Erst morgen kehrt er wieder!«

ERSTER FREUND.

Arme Seele! –

FREIER.

»Verrathen werden seine Fesseln ihn,

Man wird ihn fangen. Was beginn' ich dann?

Will eine Schar schwarzäug'ger Mädchen sammeln,[74]

Verliebte so wie ich, mit Purpurlippen

Und Rosenwangen, die von Daffodillen

Auf ihrem Haupte schöne Kränze tragen.

Dann tanzen wir dem Herzog etwas vor

Und betteln um sein Leben.« – Darauf sprach sie

Von Euch und daß Ihr morgen Euren Kopf

Verlieren würdet, und daß zum Begräbniß

Sie Blumen sammeln müßt' und danach sehn,

Daß alles hübsch in Ordnung sei zu Hause.

Dann sang sie Weide, Weide, immer Weide,

Dazwischen nur Palämon, mein Palämon

Und: »Ja Palämon war ein schöner Jüngling!«

Auf tiefer Stelle saß sie, halb im Wasser,

Um ihre Locken einen Binsenkranz

Gewunden und mit tausend Wasserblumen

In allen Farben ihr Gewand geschmückt,

Sodaß man meint', des Seees schöne Nymphe

Zu sehen oder Iris, Juno's Botin,

Wie sie vom Himmel hoch herabgestiegen.

Aus Binsen, die sie abriß, dreht' sie Ringe

Und sprach mit ihnen, zierlich, anmuthsvoll:

»Nun ist für unsre Treulieb' rechte Zeit,

Den hier darfst du verlieren, nur nicht mich!«

Und mehr der Art. Dann wieder weinte sie

Und sang und seufzte laut und lächelte

Zum andernmal und küßte ihre Hand.

ZWEITER FREUND.

O, welch ein Jammer!

FREIER.

Als ich zu ihr eilte

Und sie mich kommen sah, sprang sie ins Wasser,

Ich sprang ihr nach und brachte sie ans Land.

Doch dort entfloh sie mir mit lautem Schrei

Und lief den Weg zur Stadt mit solcher Eile,

Daß ihr zu folgen mir unmöglich war.

Von weitem sah ich nur, daß mehre Leute,

Darunter Euer Bruder, zu ihr rannten;

Und da sie hinfiel und nicht wieder aufstand,

Ließ ich mit jenen sie und kam hierher,

Den Umstand Euch zu melden. Doch da sind sie!


(Bruder und Tochter des Kerkermeisters nebst andern treten auf.)


TOCHTER (singt).

»Soll nie kein Licht dir leuchten mehr! la, la.«

Ein schönes Lied, nicht wahr?[75]

BRUDER.

Ein trefflich Lied!

TOCHTER.

Ich kann noch zwanzig andre.

BRUDER.

Kannst du wirklich?

TOCHTER.

Vom zierlichen Rothkehlchen und vom Ginster.

Sag' bist du nicht ein Schneider?

BRUDER.

Freilich, freilich!

TOCHTER.

Wo ist mein Hochzeitskleid?

BRUDER.

Ich bring' dir's morgen!

TOCHTER.

Doch halte Wort, sonst bin ich nicht zu Haus.

Die Schwestern muß ich laden und die Sänger

Bestellen, denn beim ersten Hahnenschrei

Ist es um meine Jungfernschaft geschehn!


(Singt.)


»O, Lieb, mein Lieb.«

BRUDER.

Ertrag's geduldig, Bruder!

TOCHTER.

Gott grüß' euch, gute Leute. Habt ihr jemals

Von einem, der Palämon heißt, gehört?

KERKERMEISTER.

Gewiß, wir kennen alle ihn!

TOCHTER.

Nicht wahr,

Das ist ein feiner Herr?

KERKERMEISTER.

Das ist er, Liebe!

BRUDER.

Gebt ihr nur immer recht, sonst wird sie wild

Und ist dann schwer zu bändigen!

ERSTER FREUND.

Ei ja,

Ein feiner Herr!

TOCHTER.

Nicht wahr? Hast du 'ne Schwester?

ERSTER FREUND.

Ja wohl!

TOCHTER.

Die wird ihn aber nicht bekommen,

Das sag' ihr nur, – ich hab' ein Zaubermittel.

Am besten ist's, wenn sie ihn gar nicht sieht;

Denn sieht sie ihn, so ist sie gleich verloren

Im selben Augenblick. Die jungen Mädchen

Hier in der Stadt sind all in ihn verliebt.

Doch lach' ich nur darüber, – laß sie lieben!

Ist das nicht klug von mir?

ERSTER FREUND.

Das Allerbeste!

TOCHTER.

Zweihundert wenigstens sind von ihm schwanger

Und viere ganz gewiß. Doch ich bin stumm

Wie eine Muschel. Alles werden Knaben,

Das weiß er so zu machen. Sind sie dann

Zehn Jahre alt, so werden's Musikanten

Und singen Theseus' Kriege.[76]

ZWEITER FREUND.

Wunderbar!

TOCHTER.

So was ist nicht erhört, doch sag' nur nichts.

Von allen Seiten strömen sie ihm zu.

In letzter Nacht hatt' er nicht weniger

Als ihrer zwanzig, aber in zwei Stunden

Ist er damit zu Ende, wenn er anfängt.

KERKERMEISTER.

Sie ist von Sinnen, keine Hoffnung mehr!

BRUDER.

Verhüten es die Götter!

TOCHTER.

Du, komm her!

Du bist ein kluger Mann!

ERSTER FREUND.

Erkennt sie ihn?

ZWEITER FREUND.

Daß es so wäre!

TOCHTER.

Bist ein Schiffer? Nicht?

Wo hast du deinen Kompaß?

KERKERMEISTER.

Hier!

TOCHTER.

So dreh' ihn

Nach Norden jetzt und nimm den Curs zum Wald,

Wo mein Palämon nach mir seufzt. Das andre

Ist meine Sache. Hebt die Anker auf!

ALLE.

Hio, hio, hio! Der Wind ist günstig,

Die Raaen loppt – die Segel aufgespannt,

Die Pfeife, Meister!

BRUDER.

Lasset schneller uns

Hinein sie bringen!

KERKERMEISTER.

Auf die Masten, Jungens!

BRUDER.

Ruft den Pilot!

ERSTER FREUND.

Hier, hier!

TOCHTER.

Kennst du die Gegend?

ZWEITER FREUND.

Ihr meint den großen Wald?

TOCHTER.

Da steure hin!

Nun frisch!


(Singt.)


»Als Cynthia mit erborgtem Licht.«


(Man führt sie fort. Alle ab.)


Quelle:
Die englische Bühne zu Shakespeare's Zeit. Zwölf Dramen seiner Zeitgenossen. Leipzig: Brockhaus, 1890, S. 72-77.
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