Zweite Scene

[77] (Athen; ein Zimmer im Palast.)


Emilia, zwei Gemälde in der Hand tragend, tritt auf.


EMILIA.

Wie ich auch diese Wunden möcht' verbinden,

Aufspringen würden sie und sich verbluten,

Um meinetwillen! Darum muß ich wählen[77]

Und enden diesen Streit, denn nimmer sollen

Zwei schöne, edle Jünglinge wie sie

Für mich ihr Leben lassen. Ihre Mütter,

Der Todtenasche ihrer Söhne folgend,

Sie würden meine Grausamkeit verfluchen! –

O, welch ein lieblich Antlitz hat Arcites!

Ja, wahrlich, wär' Natur, die weise selbst,

Begabt mit allen Reizen, aller Schönheit,

Womit sie edle Menschenleiber schmückt,

Ein sterblich Weib und fühlte sie dabei

Der jungen Mädchen scheues Widerstreben,

In diesen Mann verliebte sie sich sicher!

Wie feurig blitzt, wie zärtlich strahlt sein Auge,

Die Liebe selbst nahm ihren Sitz darin!

Mit solchem Auge setzte Ganymed

In Flammen Zeus und zwang den hehren Gott,

Daß er den schönen Knaben neben sich

Als glänzend Sternbild an den Himmel setzte.

Wie groß ist seine Stirn, wie majestätisch

Gewölbt, gleich Juno's, nur um vieles milder,

Und sanft wie Pelop's Schulter. Ja, von ihr,

So will mir dünken, müssen Ruhm und Ehre

Wie von der Höhe eines Vorgebirgs

Die Schwingen regen und der niedern Welt

Der Götter und Heroen Liebesthaten

Und Kämpfe singen. – Eine Folie nur

Ist ihm Palämon, mehr nicht als sein Schatten.

Schwarzbraun und mager, mit so düstrem Blick,

Als wäre seine Mutter ihm gestorben;

Ein Träumer, keine Heiterkeit in ihm,

Und nichts, was ihn erregt und recht belebte,

Von Witz und Geistesschärfe keine Spur.

Was Mangel nur zu nennen ist, besitzt er.

Doch auch Narcissus war ein ernster Jüngling,

Und dennoch himmlisch schön. Wer kann bestimmen,

Wohin des Weibes Phantasie sich lenkt?

Ja, eine Närrin bin ich, – unverständig,

Und habe keine Wahl; so schmählich log' ich,

Daß alle Frauen mich verachten müßten.

Palämon, ach, verzeih' mir, du allein

Bist reizend! Deine Augen sind die Leuchter[78]

Der Schönheit, welche Liebe von uns fordern.

Wo ist die Maid, die ihnen widersteht?

Wie ernst, wie kühn und doch wie liebeheischend

Ist nicht dein männlich braunes Angesicht!

Von nun an, Liebe! ist das meine Farbe.

Mit seiner herrlichen Gestalt verglichen,

Bist du, Arcit, doch nur ein Wechselbalg.

Ich bin verwirrt, – der Jungfrau Selbstgefühl

Hat mich verlassen. Wenn mein Bruder jetzt

Gefragt mich hätte, wen ich liebt' von beiden?

Arcit hätt' ich gesagt; und fragte dann

Mich meine Schwester, sagte ich: Palämon.

Jetzt tretet beide her! Nun frage, Bruder.

»Ich weiß es nicht!« Jetzt Schwester, frage du:

»Ich muß sie mir noch einmal recht besehn!«

O, welch ein Kind ist doch die Phantasie,

Die unter zweien Dingen – beide herrlich –

Nicht wählen kann und so nach beiden schreit.


(Ein Hofherr tritt auf.)


Was bringt Ihr mir?

HOFHERR.

Vom Herzog, Eurem Bruder,

Die Meldung, daß die Prinzen angekommen.

EMILIA.

Den Streit zu enden?

HOFHERR.

Ja!

EMILIA.

O, wär' ich todt!

Keusche Diana, was hab' ich verbrochen,

Daß Fürstenblut die Reinheit meiner Jugend

Beflecken muß, daß meine Jungfrauschaft

Der Altar sein soll, wo zwei Liebende,

So schön und edel, wie noch keine Mutter

Sie je beglückt, als Opfer fallen müssen!


(Theseus, Hippolyta, Pirithous nebst Gefolge treten auf.)


THESEUS.

Führt schneller sie hierher und zögert nicht!

Begierig bin ich, sie zu sehen. Schwester,

Die beiden Freier sind jetzt wieder da

Zum Kampf um dich, mit seinen Rittern jeder.

Nun mußt du einen lieben!

EMILIA.

Besser wär's,

Wenn ihrer keiner um mich sterben müßte![79]

THESEUS.

Hat jemand sie gesehn?

PIRITHOUS.

Ich, Herr!

HOFHERR.

Und ich.


(Ein Bote tritt auf.)

THESEUS.

Wo kommst du her?

BOTE.

Ich komme von den Rittern.

THESEUS.

So sprich! Du sahst sie, was für Leute sind's?

BOTE.

Die Wahrheit sag' ich Euch: sechs bess're Männer

Dem Aussehn nach, als diese Prinzen brachten,

Sah ich noch nie, und las von solchen nie.

Der Vornehmste von dem Gefolg' Arcit's

Ist stark gebaut, sein Antlitz eines Fürsten,

Die Farbe des Gesichts mehr braun als schwarz;

Voll Ernst und Würde schaut er um sich her,

Furchtlos und kühn, verachtend die Gefahr.

Aus seinen Augen sprüht der Seele Feuer,

So gleichet einem zorn'gen Löwen er.

Sein langes Haar hängt dunkelschwarz und glänzend

Auf breite Schultern ihm wie Rabenfitt'che.

Vom Scheitel bis zum Fuß ist er gewaffnet,

Und auf der Hüft', an seltsam reichem Gurt,

Trägt er ein Schwert, um seinem Willen Nachdruck

Zu leihen, wenn er zürnt. So wahr ich lebe,

Bessern Gefährten kann kein Krieger haben!

THESEUS.

Du hast ihn gut geschildert.

PIRITHOUS.

Doch mich dünkt

Palämon's Erster übertrifft ihn noch!

THESEUS.

Ich bitte, Freund, berichte.

PIRITHOUS.

Er nicht minder

Scheint mir ein Fürst zu sein, vielleicht ein größ'rer,

Denn er trägt an sich aller Ehren Schmuck.

Ein wenig dicker ist er als der andre,

Doch sein Gesicht, das eine Farbe hat

Wie reife Trauben, scheint mir angenehmer.

Man sieht's ihm an, er liebt, wofür er ficht,

Des Freundes Sache gilt ihm als die seine.

In seinen Mienen spiegelt sich Vertrau'n

Auf glücklichen Erfolg. Ist er erzürnt,

Durchströmt ihn eine ruh'ge Tapferkeit,

Von Uebertreibung fern, indeß sein Arm

Zu kräft'ger That sich spannt. Furcht kennt er nicht,[80]

So schwache Regung ist ihm gänzlich fremd.

Sein Haar ist blond und hart und krausgelockt,

Wie dichtverschlungner Epheu, den kein Sturm

So leicht verwirrt. Auf seinen Wangen trägt

Er blendend Roth und Weiß, der Schlachtenjungfrau'n

Livrey, denn noch fehlt ihm des Mannes Bart.

In seinen roll'nden Augen thront der Sieg,

Als wollt' er seinen Liebling nie verlassen.

Der Schwung der Nase zeigt den Mann von Ehre,

Und seiner Lippen Roth ist wohl geschickt,

Nach Kampf und Schlacht um Frauengunst zu buhlen.

EMILIA.

Und diese wären auch dem Tod geweiht!

PIRITHOUS.

Hörst du ihn sprechen, schallt's aus seiner Brust

Wie Kriegsdrommete; jedes seiner Glieder

Ist stark und kräftig, wie es nur ein Mann

Sich wünschen kann. In seinen Händen schwingt er

Ein gutgestähltes Beil mit gold'nem Stiel.

Sein Alter, – etwa fünfundzwanzig Jahr.

BOTE.

Da ist ein andrer noch, ein kleiner Mann,

Doch voller Muth und Kraft, wie irgendeiner,

Der größer ist. Gewiß, er leistet mehr,

Als man's von solchem Knirps erwarten sollte.

PIRITHOUS.

Du meinst den mit den Sommersprossen?

BOTE.

Ja!

's sind alles tücht'ge Leute.

PIRITHOUS.

Meine Ansicht!

BOTE.

So wenige sie sind, da ist nicht einer,

Dess' Art und Haltung nicht zu loben wäre.

Der, den ich nannte, hat hellblondes Haar,

Nicht milchweiß etwa, männlichere Farbe,

Ins Braune spielend, ist gelenk und mager,

Was schließen läßt aufrege Thätigkeit;

Hat Arme, muskelreich mit starken Sehnen,

Anschwellend mehr nach oben, was bezeugt,

Daß er vor keiner Anstrengung sich scheut

Und dem Gewicht der Waffen nicht erliegt.

Sonst ruhig, springt er wie ein Tiger auf,

Wenn man ihn reizt. Nach seinen grauen Augen

Zu schließen, hat er Mitleid mit Besiegten,

Versteht es, seinen Vortheil zu erspähn,

Und ist allzeit bereit ihn auszunutzen.[81]

Er thut kein Unrecht und erduldet keins.

Sein glatt Gesicht läßt, lächelnd, den Verliebten,

Wenn er's in Falten zieht, den Krieger sehn.

Auf seinem Helm trägt er ein Siegeszeichen,

Zunebst den Farben seiner Herzensdame.

Von Alter mag er fünfunddreißig sein,

Und in den Händen hält er eine Lanze

Mit Silber eingelegt.

THESEUS.

Sind all' ihm ähnlich?

PIRITHOUS.

Sie alle sind der Ehre wahre Söhne.

THESEUS.

O, kaum erwarten kann ich ihren Anblick!

Nun Liebste, sollst du sehn, wie Männer fechten.

HIPPOLYTA.

Gern säh' ich es, wär' es um andres nur,

Zum Beispiel um zwei mächt'ge Königreiche.

O, daß doch Liebe so tyrannisch ist!

Was meinst du, liebe Schwester, zarte Seele?

Nein, weine nicht, eh' sie noch Blut geweint.

Es muß ja sein!

THESEUS.

Mit deiner Schönheit stählest

Du sie! Pirithous, dir überlass' ich

Das Kampffeld, ordne alles so dort an,

Wie es sich ziemt für die, die kämpfen werden.

PIRITHOUS.

Seid überzeugt –

THESEUS.

Und nun, schnell auf den Weg,

Mich duldet's länger nicht, bis ich sie sehe.

Mach's fürstlich, Freund!

PIRITHOUS.

Es soll gewiß nichts fehlen.

EMILIA.

Du aber weine! Denn wer auch gewinnt,

Den Vetter tödtet er! – Ich armes Kind!


Quelle:
Die englische Bühne zu Shakespeare's Zeit. Zwölf Dramen seiner Zeitgenossen. Leipzig: Brockhaus, 1890, S. 77-82.
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