Zehnte Szene

[749] Cäsars Lager in Ägypten.


Es treten auf Cäsar, Dolabella, Thyreus und andre.


CÄSAR.

Der trete vor, der vom Antonius kommt; –

Kennst du ihn?

DOLABELLA.

's ist der Lehrer seiner Kinder:[749]

Das zeigt, wie kahl er ist, entsandt' er uns

Aus seinem Flügel solche dürft'ge Feder,

Er, der vor wenig Monden Könige könnt'

Als Boten schicken.


Euphronius tritt auf.


CÄSAR.

Komm heran und sprich!

EUPHRONIUS.

So wie ich bin, komm' ich vom Marc Anton:

Ich war noch jüngst so klein für seine Zwecke,

Wie auf dem Myrtenblatt der Morgentau

Dem Meer verglichen.

CÄSAR.

Sei's! Sag deinen Auftrag!

EUPHRONIUS.

Er grüßt dich, seines Schicksals Herrn, und wünscht

Zu leben in Ägypten. Schlägst du's ab,

So mäßigt er die Ford'rung, und ersucht dich,

Gönn' ihm zu atmen zwischen Erd' und Himmel

Als Bürger in Athen. So viel von ihm.

Dann: Cleopatra huldigt deiner Macht,

Beugt sich vor deiner Größ', und fleht von dir

Der Ptolemäer Reif für ihre Söhne,

Als Willkür deiner Gnade.

CÄSAR.

Für Anton

Bin ich der Ford'rung taub. Der Königin

Wird nicht Gehör noch Zugeständnis fehlen,

Treibt sie hinweg den schmachentstellten Buhlen,

Oder erschlägt ihn hier: vollbringt sie dies,

Sei ihr Gesuch gewährt. So viel für beide. –

EUPHRONIUS.

Das Glück geleite dich!

CÄSAR.

Führt ihn durchs Heer!


Euphronius ab.


Zum Thyreus.


Nun zeige deine Rednerkunst; enteile,

Gewinn' Cleopatra ihm ab: versprich

In unserm Namen, was sie heischt, und beut

Nach eignem Sinn weit mehr: Stark sind die Weiber

Im höchsten Glück nicht: Mangel lockt zum Meineid

Selbst der Vestalin Tugend; deine List versuche:

Den Preis der Müh' bestimme selber dir,

Uns sei Gesetz dein Wort![750]

THYREUS.

Cäsar, ich gehe.

CÄSAR.

Betrachte, wie Anton den Riß erträgt,

Und was sein ganz Benehmen dir verkündet

In jeder äußern Regung!

THYREUS.

Zähl' auf mich!


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 749-751.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Antonius und Cleopatra
Antonius und Cleopatra.
Antony and Cleopatra/ Antonius und Cleopatra [Zweisprachig]
Antonius und Cleopatra (Theatralische Werke in 21 Einzelbänden, Bd.10)
Julius Cäsar /Antonius und Cleopatra /Coriolanus
Antony and Cleopatra / Antonius und Kleopatra: Englisch-deutsche Studienausgabe (Engl. / Dt.) Englischer Originaltext und deutsche Prosaübersetzung

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon