[872] Sicinius, Brutus und ein Ädil treten auf.
SICINIUS.
Schickt sie nach Hause, er ist fort. Nicht weiter!
Geschwächt sind die Patrizier, die, wir sehen's,
In seinem Handel sich beseitigt.
BRUTUS.
Zeigten
Wir unsre Macht, laßt uns demüt'ger scheinen,
Nun es geschehn, als da's im Werden!
SICINIUS.
Schickt sie heim!
Sagt ihnen, fort sei nun ihr großer Feind,
Und neu befestigt ihre Macht.[872]
BRUTUS.
Entlaßt sie!
Hier kommt die Mutter.
Volumnia, Virgilia und Menenius treten auf.
SICINIUS.
Laßt uns fort!
BRUTUS.
Weshalb?
SICINIUS.
Man sagt, sie sei verrückt.
BRUTUS.
Sie sah uns schon.
Weicht ihr nicht aus!
VOLUMNIA.
Ha, wohlgetroffen!
Der Götter aufgehäufte Strafen lohnen
Euch eure Liebe!
MERENIUS.
Still, seid nicht so laut!
VOLUMNIA.
Könnt' ich vor Tränen nur, ihr solltet hören –
Doch sollt ihr etwas hören. Wollt Ihr gehn?
VIRGILIA.
Auch Ihr sollt bleiben. Hätt' ich doch die Macht,
Das meinem Mann zu sagen!
SICINIUS.
Seid Ihr männisch?
VOLUMNIA.
Ja, Narr. Ist das 'ne Schande? Seht den Narren!
War nicht ein Mann ihr Vater? Warst du fuchsisch,
Zu bannen ihn, der Wunden schlug für Rom,
Mehr als du Worte sprachst?
SICINIUS.
O güt'ger Himmel!
VOLUMNIA.
Mehr edle Wunden als du kluge Worte,
Und zu Roms Heil. Eins sag' ich dir – doch geh!
Nein, bleiben sollst du! Wäre nur mein Sohn,
Sein gutes Schwert in Händen, in Arabien,
Und dort vor ihm dein Stamm!
SICINIUS.
Was dann?
VIRGILIA.
Was dann?
Er würde dort dein ganz Geschlecht vertilgen.
VOLUMNIA.
Bastard' und alles.
O Wackrer! du trägst Wunden viel für Rom.
MENENIUS.
Kommt, kommt! Seid ruhig!
SICINIUS.
Ich wollt', er wär' dem Vaterland geblieben,
Was er ihm war, statt selbst den edlen Knoten
Zu lösen, den er schlang.[873]
BRUTUS.
So wünscht' ich auch.
VOLUMNIA.
»So wünscht' ich auch?« Ihr hetztet auf den Pöbel,
Katzen, die seinen Wert begreifen können,
Wie die Mysterien ich, die nicht der Himmel
Der Erd' enthüllen will.
BRUTUS.
Kommt, laßt uns gehn!
VOLUMNIA.
Nun ja, ich bitt' euch! geht!
Ihr tatet wackre Tat. – Hört dies noch erst:
So weit das Kapitol hoch überragt
Das kleinste Haus in Rom, so weit mein Sohn,
Der Gatte dieser Frau, hier dieser, seht ihr?
Den ihr verbanntet, überragt euch alle.
BRUTUS.
Genug. Wir gehn.
SICINIUS.
Was bleiben wir, gehetzt
Von einer, der die Sinne fehlen?
VOLUMNIA.
Nehmt
Noch mein Gebet mit euch!
Die Tribunen gehn ab.
Oh! hätten doch die Götter nichts zu tun,
Als meine Flüch' erfüllen! Träf ich sie
Nur einmal tags, erleichtern würd's mein Herz
Von schwerer Last.
MENENIUS.
Ihr gabt es ihnen derb,
Und habt auch Grund. Speist Ihr mit mir zu Nacht?
VOLUMNIA.
Zorn ist mein Nachtmahl; so mich selbst verzehrend,
Verschmacht' ich an der Nahrung. Laßt uns gehn!
Laßt dieses schwache Wimmern, klagt wie ich,
Der Juno gleich im Zorn! – Kommt, kommt!
MENENIUS.
Pfui, pfui!
Sie gehn ab.[874]
Ausgewählte Ausgaben von
Coriolanus
|
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro