Fünfte Szene

[872] Sicinius, Brutus und ein Ädil treten auf.


SICINIUS.

Schickt sie nach Hause, er ist fort. Nicht weiter!

Geschwächt sind die Patrizier, die, wir sehen's,

In seinem Handel sich beseitigt.

BRUTUS.

Zeigten

Wir unsre Macht, laßt uns demüt'ger scheinen,

Nun es geschehn, als da's im Werden!

SICINIUS.

Schickt sie heim!

Sagt ihnen, fort sei nun ihr großer Feind,

Und neu befestigt ihre Macht.[872]

BRUTUS.

Entlaßt sie!

Hier kommt die Mutter.


Volumnia, Virgilia und Menenius treten auf.


SICINIUS.

Laßt uns fort!

BRUTUS.

Weshalb?

SICINIUS.

Man sagt, sie sei verrückt.

BRUTUS.

Sie sah uns schon.

Weicht ihr nicht aus!

VOLUMNIA.

Ha, wohlgetroffen!

Der Götter aufgehäufte Strafen lohnen

Euch eure Liebe!

MERENIUS.

Still, seid nicht so laut!

VOLUMNIA.

Könnt' ich vor Tränen nur, ihr solltet hören –

Doch sollt ihr etwas hören. Wollt Ihr gehn?

VIRGILIA.

Auch Ihr sollt bleiben. Hätt' ich doch die Macht,

Das meinem Mann zu sagen!

SICINIUS.

Seid Ihr männisch?

VOLUMNIA.

Ja, Narr. Ist das 'ne Schande? Seht den Narren!

War nicht ein Mann ihr Vater? Warst du fuchsisch,

Zu bannen ihn, der Wunden schlug für Rom,

Mehr als du Worte sprachst?

SICINIUS.

O güt'ger Himmel!

VOLUMNIA.

Mehr edle Wunden als du kluge Worte,

Und zu Roms Heil. Eins sag' ich dir – doch geh!

Nein, bleiben sollst du! Wäre nur mein Sohn,

Sein gutes Schwert in Händen, in Arabien,

Und dort vor ihm dein Stamm!

SICINIUS.

Was dann?

VIRGILIA.

Was dann?

Er würde dort dein ganz Geschlecht vertilgen.

VOLUMNIA.

Bastard' und alles.

O Wackrer! du trägst Wunden viel für Rom.

MENENIUS.

Kommt, kommt! Seid ruhig!

SICINIUS.

Ich wollt', er wär' dem Vaterland geblieben,

Was er ihm war, statt selbst den edlen Knoten

Zu lösen, den er schlang.[873]

BRUTUS.

So wünscht' ich auch.

VOLUMNIA.

»So wünscht' ich auch?« Ihr hetztet auf den Pöbel,

Katzen, die seinen Wert begreifen können,

Wie die Mysterien ich, die nicht der Himmel

Der Erd' enthüllen will.

BRUTUS.

Kommt, laßt uns gehn!

VOLUMNIA.

Nun ja, ich bitt' euch! geht!

Ihr tatet wackre Tat. – Hört dies noch erst:

So weit das Kapitol hoch überragt

Das kleinste Haus in Rom, so weit mein Sohn,

Der Gatte dieser Frau, hier dieser, seht ihr?

Den ihr verbanntet, überragt euch alle.

BRUTUS.

Genug. Wir gehn.

SICINIUS.

Was bleiben wir, gehetzt

Von einer, der die Sinne fehlen?

VOLUMNIA.

Nehmt

Noch mein Gebet mit euch!


Die Tribunen gehn ab.


Oh! hätten doch die Götter nichts zu tun,

Als meine Flüch' erfüllen! Träf ich sie

Nur einmal tags, erleichtern würd's mein Herz

Von schwerer Last.

MENENIUS.

Ihr gabt es ihnen derb,

Und habt auch Grund. Speist Ihr mit mir zu Nacht?

VOLUMNIA.

Zorn ist mein Nachtmahl; so mich selbst verzehrend,

Verschmacht' ich an der Nahrung. Laßt uns gehn!

Laßt dieses schwache Wimmern, klagt wie ich,

Der Juno gleich im Zorn! – Kommt, kommt!

MENENIUS.

Pfui, pfui!


Sie gehn ab.[874]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 872-875.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Coriolanus
Shakespeare, William: Shakespeare's dramatische Werke / Die Comödie der Irrungen. - Die beiden Veroneser. - Coriolanus. Liebes Leid und Lust
Coriolanus. Tragödie.
Julius Cäsar /Antonius und Cleopatra /Coriolanus
Coriolan / The Tragedy of Coriolanus (Gesamtausgabe, Band 31)
Shakespeare's Dramatische Werke: Einleitungen. Viel Lärmen Um Nichts. Die Comödie Der Irrungen. Die Beiden Veroneser. Coriolanus / Uebersetzt Von Dorothea Tieck. Liebes Leid Und Lust (German Edition)

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon