[908] Antium. Ein öffentlicher Platz. Aufidius tritt auf mit Begleitern.
AUFIDIUS.
Geht, sagt den Senatoren, ich sei hier,
Gebt ihnen dies Papier, und wenn sie's lasen,
Heißt sie zum Marktplatz kommen, wo ich selbst
Vor ihrem und des ganzen Volkes Ohr
Bekräft'ge, was hier steht. Der Angeklagte
Zog eben in die Stadt, und ist gewillt,
Sich vor das Volk zu stellen, in der Hoffnung,
Durch Worte sich zu rein'gen. Geht!
Die Begleiter gehn ab, Drei oder vier Verschworne treten auf.
Willkommen!
ERSTER VERSCHWORNER.
Wie steht's mit unserm Feldherrn?
AUFIDIUS.
Grade so,
Wie dem, der durch sein Wohltun wird vergiftet,
Den sein Erbarmen mordet.
ZWEITER VERSCHWORNER.
Edler Herr,
Wenn bei derselben Absicht Ihr verharrt,
Zu der Ihr unsern Beitritt wünscht, erretten
Wir Euch von der Gefahr.
AUFIDIUS.
Ich weiß noch nicht.
Wir müssen handeln nach des Volkes Stimmung.
DRITTER VERSCHWORNER.
Das Volk bleibt ungewiß, solang' es noch
Kann wählen zwischen euch. Der Fall des einen
Macht, daß der andre alles erbt.[908]
AUFIDIUS.
Ich weiß es.
Auch wird der Vorwand, ihm eins beizubringen,
Beschönigt. Ich erhob ihn, gab mein Wort
Für seine Treu'. Er, so emporgestiegen,
Begoß mit Schmeicheltau die neuen Pflanzen,
Die Freunde mir verführend; zu dem Zweck
Bog er sein Wesen, das man nur vorher
Als rauh, unlenksam und freimütig kannte.
DRITTER VERSCHWORNER.
Jawohl, sein Starrsinn, als er einst die Würde
Des Konsuls suchte, die er nur verlor,
Weil er nicht nachgab –
AUFIDIUS.
Davon wollt' ich reden:
Deshalb verbannt, kam er an meinen Herd,
Bot seinen Hals dem Dolch. Ich nahm ihn auf,
Macht' ihn zu meinesgleichen, gab ihm Raum
Nach seinem eignen Wunsch, ja, ließ ihn wählen
Aus meinem Heer, zu seines Plans Gelingen,
Die besten, kühnsten Leute. Selbst auch dient' ich
Für seinen Plan, half ernten Ruhm und Ehre,
Die er ganz nahm als eigen. Selbst mir Unrecht
Zu tun, war ich fast stolz. Bis ich am Ende
Sein Söldner schien, nicht Mitregent, den er
Mit Gunst bezahlt und Beifall; als wär' ich
Für Lohn in seinem Dienste.
ERSTER VERSCHWORNER.
Ja, das tat er:
Das Heer erstaunte drob. Und dann zuletzt,
Als Rom sein war, und wir nicht wen'ger Ruhm
Als Beut' erwarten –
AUFIDIUS.
Dieses ist der Punkt,
Wo meine ganze Kraft ihm widerstrebt.
Für wen'ge Tropfen Weibertränen, wohlfeil
Wie Lügen, könnt' er Schweiß und Blutverkaufen
Der großen Unternehmung. Darum sterb' er,
Und ich ersteh' in seinem Fall. – Doch, horcht! –
Trommeln und Trompeten, Freudengeschrei des Volks.
ERSTER VERSCHWORNER.
Ihr kamt zur Vaterstadt, gleich einem Boten,
Und wurdet nicht begrüßt; bei seiner Rückkehr
Zerreißt ihr Schrei'n die Luft.[909]
ZWEITER VERSCHWORNER.
Ihr blöden Toren!
Die Kinder schlug er euch: ihr sprengt die Kehlen,
Ihm Glück zu wünschen.
DRITTER VERSCHWORNER.
Drum zu Euerm Vorteil,
Eh' er noch sprechen kann, das Volk zu stimmen
Durch seine Rede, fühl' er Euer Schwert:
Wir unterstützen Euch, daß, wenn er liegt,
Auf Eure Art sein Wort gedeutet wird,
Mit ihm sein Recht begraben.
AUFIDIUS.
Sprich nicht mehr:
Hier kommt schon der Senat.
Die Senatoren treten auf.
DIE SENATOREN.
Ihr seid daheim willkommen!
AUFIDIUS.
Das hab' ich nicht verdient; doch, würd'ge Herrn,
Last ihr bedächtig durch, was ich euch schrieb?
DIE SENATOREN.
Wir taten's.
ERSTER SENATOR.
Und mit Kummer, dies zu hören.
Was früher er gefehlt, das, glaub' ich, war
Nur leichter Strafe wert; doch da zu enden,
Wo er beginnen sollte, wegzuschenken
Den Vorteil unsers Kriegs, uns zu bezahlen
Mit unsern Kosten, und Vergleich zu schließen,
Statt der Erob'rung, – das ist unverzeihlich.
AUFIDIUS.
Er naht, ihr sollt ihn hören.
Coriolanus tritt ein mit Trommeln und Fahnen, Bürger mit ihm.
CORIOLANUS.
Heil, edle Herrn! Heim kehr' ich, euer Krieger,
Unangesteckt von Vaterlandsgefühlen,
So wie ich auszog. Euerm hohen Willen
Bleib' ich stets untertan. – Nun sollt ihr wissen,
Daß uns der herrlichste Erfolg gekrönt:
Auf blut'gem Pfade führt' ich euern Krieg
Bis vor die Tore Roms. Wir bringen Beute,
Die mehr als um ein Dritteil überwiegt
Die Kosten dieses Kriegs. Wir machten Frieden,
Mit minderm Ruhm nicht für die Antiaten
Als Schmach für Rom, und überliefern hier,[910]
Von Konsuln und Patriziern unterschrieben,
Und mit dem Siegel des Senats versehn,
Euch den Vergleich.
AUFIDIUS.
Lest ihn nicht, edle Herrn!
Sagt dem Verräter, daß er eure Macht
Im höchsten Grad gemißbraucht
CORIOLANUS.
Was? Verräter?
AUFIDIUS.
Ja, du Verräter, Marcius!
CORIOLANUS.
Marcius?
AUFIDIUS.
Ja, Marcius, Cajus Marcius! Denkst du etwa,
Daß ich mit deinem Raub dich schmücke, deinem
Gestohlnen Namen Coriolan?
Ihr Herrn und Häupter dieses Staats, meineidig
Verriet er eure Sach', und schenkte weg,
Für ein'ge salz'ge Tropfen euer Rom,
Ja, eure Stadt, an seine Frau und Mutter,
Den heil'gen Eid zerreißend, wie den Faden
Verfaulter Seide, niemals Kriegesrat
Berufend. Nein, bei seiner Amme Tränen
Weint' er und heulte euern Sieg hinweg,
Daß Pagen sein sich schämten und Soldaten
Sich staunend angesehn.
CORIOLANUS.
Hörst du das, Mars?
AUFIDIUS.
Oh! nenne nicht den Gott, du Knabe der Tränen!
CORIOLANUS.
Ha!
AUFIDIUS.
Nichts mehr!
CORIOLANUS.
Du grenzenloser Lügner! zu groß machst du
Mein Herz für seinen Inhalt. »Knab'«? O Sklave!
Verzeiht mir, Herrn, das ist das erste Mal,
Daß man mich zwingt, zu schimpfen. – Ihr Verehrten,
Straft Lügen diesen Hund; sein eignes Wissen
(Denn meine Striemen sind ihm eingedrückt,
Und diese Zeichen nimmt er mit ins Grab)
Schleudr' ihm zugleich die Lüg' in seinen Hals!
ERSTER SENATOR.
Still, beid', und hört mich an!
CORIOLANUS.
Reißt mich in Stück', ihr Volsker! Männer, Kinder,
Taucht euern Stahl in mich! – »Knab'«? – Falscher Hund,[911]
Wenn eure Chronik Wahrheit spricht, – da steht's,
Daß, wie im Taubenhaus der Adler, ich
Gescheucht die Volsker in Corioli.
Allein – ich – tat es. »Knabe!«
AUFIDIUS.
Edle Herrn,
So laßt ihr an sein blindes Glück euch mahnen,
Und eure Schmach, durch diesen frechen Prahler
Vor euren eignen Augen?
DIE VERSCHWORNEN.
Dafür sterb' er!
DIE BÜRGER durcheinander. Reißt ihn in Stücke, tut es gleich! – Er tötete meinen Sohn – meine Tochter! – Er tötete meinen Vetter Marcus! – Er tötete meinen Vater!
ZWEITER SENATOR.
Still! keine blinde Wut! Seid ruhig! Still!
Der Mann ist edel, und sein Ruhm umschließt
Den weiten Erdkreis. Sein Vergehn an uns
Sei vor Gericht gezogen: Halt, Aufidius!
Und stör' den Frieden nicht!
CORIOLANUS.
Oh! hätt' ich ihn!
Und sechs Aufidius, mehr noch, seinen Stamm,
Mein treues Schwert zu prüfen!
AUFIDIUS.
Frecher Bube!
DIE VERSCHWORNEN.
Durchbohrt! durchbohrt! durchbohrt ihn!
Aufidius und die Verschwornen ziehen und erstechen Coriolanus. Aufidius stellt sich auf ihn.
DIE SENATOREN.
Halt, halt' ein!
AUFIDIUS.
Ihr edlen Herrn! Oh, hört mich an!
ERSTER SENATOR.
O Tullus!
ZWEITER SENATOR.
Du hast getan, was Tugend muß beweinen.
DRITTER SENATOR.
Tritt nicht auf ihn! Seid ruhig, all ihr Männer,
Steckt eure Schwerter ein!
AUFIDIUS.
Ihr Herrn, erkennt ihr (wie in dieser Wut,
Von ihm erregt, nicht möglich) die Gefahren,
Die euch sein Leben droht', erfreut ihr euch,
Daß er so weggeräumt. Beruft mich, Edle,
Gleich in den Rat, so zeig' ich, daß ich bin[912]
Eu'r treuster Diener, oder ich erdulde
Die schwerste Strafe.
ERSTER SENATOR.
Tragt die Leiche fort,
Und trauert über ihn! Er sei geehrt,
Wie je ein edler Leichnam, dem der Herold
Zum Grab gefolgt!
ZWEITER SENATOR.
Sein eigner Ungestüm
Nimmt von Aufidius einen Teil der Schuld:
So kehrt's zum Besten.
AUFIDIUS.
Meine Wut ist hin,
Mein Herz durchbohrt der Gram. So nehmt ihn auf,
Helft, drei der ersten Krieger, ich der vierte!
Die Trommel rührt, und laßt sie traurig tönen,
Schleppt nach die Speer'! Obwohl in dieser Stadt
Er manche Gatten kinderlos gemacht,
Und nie zu sühnend Leid auf uns gebracht,
So sei doch seiner ehrenvoll gedacht!
Helft mir!
Sie tragen die Leiche Coriolans fort. Trauermarsch.[913]
Ausgewählte Ausgaben von
Coriolanus
|
Buchempfehlung
»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.
162 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro