Erste Szene

[590] Feldlager bei Dover.


Es treten auf mit Trommeln und Fahnen Edmund, Regan, Edelleute und Soldaten.


EDMUND.

Den Herzog fragt: ob's bleibt beim letzten Wort,

Oder seitdem ihn was bewog, den Plan

Zu ändern: denn er ist voll Widerspruch

Und schwankend: meld' uns seinen festen Willen!


Hauptmann ab.


REGAN.

Der Schwester Boten traf gewiß ein Unfall.

EDMUND.

Ich fürcht' es, gnäd'ge Frau!

REGAN.

Nun, lieber Graf,

Ihr wißt, was ich Euch Gutes zugedacht –

Sagt mir – doch redlich, sagt die lautre Wahrheit –

Liebt Ihr nicht meine Schwester? –

EDMUND.

Ganz in Ehren.

REGAN.

Doch fandet Ihr nie meines Bruders Weg

Zu der verbotnen Stätte? –

EDMUND.

Falscher Argwohn!

REGAN.

Ich fürcht', Ihr seid mit ihr schon längst vereint

Aufs innigste, so viel es möglich ist.

EDMUND.

Nein, gnäd'ge Frau, auf Ehre!

REGAN.

Sie ist mir unerträglich; teurer Lord,

Seid nicht vertraut mit ihr!

EDMUND.

Das fürchtet nicht!

Sie und der Herzog, ihr Gemahl –


Albanien, Goneril und Soldaten treten auf.[590]


GONERIL beiseit.

Eh' daß mir diese Schwester ihn entfremdet,

Möcht' ich die Schlacht verlieren.

ALBANIEN.

Verehrte Schwester, seid uns sehr willkommen! –

Man sagt, der König kam zu seiner Tochter

Mit andern, so die Strenge unsrer Herrschaft

Zur Klage zwang. Ich war noch niemals tapfer,

Wo ich nicht ehrlich konnte sein: wir fechten,

Weil Frankreich unser Land hier überzog,

Nicht, weil's dem König hilft und jenen, welche,

Aus trift'gem Grunde, fürcht' ich, mit ihm halten.

EDMUND.

Ihr sprecht sehr tugendlich.

REGAN.

Wozu dies Klügeln?

GONERIL.

Dem Feind entgegen steht vereint zusammen!

Für diesen häuslichen besondern Zwist

Ist jetzt nicht Zeit.

ALBANIEN.

So laßt uns denn den Ratschluß

Mit Kriegserfahrnen fassen, was zu tun.

EDMUND.

Gleich werd' ich bei Euch sein in Eurem Zelt.

REGAN.

Ihr geht doch mit uns, Schwester?

GONERIL.

Nein.

REGAN.

Der Wohlstand fordert's, bitt' Euch, geht mit uns!

GONERIL beiseit.

Oho, ich weiß das Rätsel. Ich will gehn.


Da sie gehn wollen, kommt Edgar verkleidet.


EDGAR.

Sprach Euer Gnaden je so armen Mann,

Gönnt mir ein Wort!

ALBANIEN.

Ich will euch folgen; redet! –


Edmund, Regan, Goneril und Gefolge gehen ab.


EDGAR.

Eh' Ihr die Schlacht beginnt, lest diesen Brief!

Wird Euch der Sieg, laßt die Trompete laden

Den, welcher ihn gebracht; so arm ich scheine,

Kann ich 'nen Kämpfer stellen, zu bewähren,

Was hier behauptet wird. Doch wenn Ihr fallt,

Dann hat Eu'r Tun auf dieser Welt ein Ende,

Und alle Ränke schweigen. Glück mit Euch!

ALBANIEN.

Wart' noch, bis ich ihn las![591]

EDGAR.

Das darf ich nicht.

Wenn's an der Zeit, laßt nur den Herold rufen,

Und ich erscheine wieder.


Er geht ab.


ALBANIEN.

Nun, fahre wohl: ich will den Brief mir ansehn.


Edmund kommt zurück.


EDMUND.

Der Feind ist nah: zieht Eure Macht zusammen!

Hier ist die Schätzung seiner Stärk' und Macht

Nach der genausten Kundschaft; doch Eu'r Eilen

Tut dringend not.

ALBANIEN.

So folgen wir der Zeit.


Geht ab.


EDMUND.

Den beiden Schwestern schwur ich meine Liebe,

Und beide hassen sich, wie der Gestochne

Die Natter. Welche soll ich nehmen? Beide?

Ein' oder keine? – Keiner werd' ich froh,

Wenn beide leben. Mir die Witwe nehmen,

Bringt Goneril von Sinnen, macht sie rasend,

Und schwerlich komm' ich je zu meinem Ziel,

Solang' ihr Gatte lebt. Gut, nutzen wir

Sein Ansehn in der Schlacht; ist die vorüber,

Mag sie, die gern ihn los wär', weiter sinnen,

Ihn schnell hinwegzuräumen. Die Begnad'gung,

Die er für Lear im Sinn hat und Cordelia –

Wenn wir gesiegt und sie in unsrer Macht,

Vereitl' ich solch Verzeih'n. Nicht müß'ger Rat

Ziemt meiner Stellung, nein, entschloßne Tat.


Geht ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 590-592.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
König Lear
König Lear
King Lear / König Lear [Zweisprachig]
König Lear /Macbeth /Timon von Athen
König Lear: Zweisprachige Ausgabe
König Lear / Macbeth: Dramen (Fischer Klassik)

Buchempfehlung

Tschechow, Anton Pawlowitsch

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon