Zweite Szene

[569] Schloß des Herzogs von Albanien.


Es treten auf Goneril und Edmund, von der andern Seite der Haushofmeister.


GONERIL.

Willkomm'n, Mylord! mich wundert, daß mein sanfter Mann

Uns nicht entgegen kam. – Wo ist dein Herr?[569]

HAUSHOFMEISTER.

Drin, gnäd'ge Frau; doch ganz und gar verändert

Ich sagt' ihm von dem Heer, das jüngst gelandet,

Da lächelt' er; ich sagt' ihm, daß Ihr kämt;

Er rief: »So schlimmer!« Als ich drauf berichtet

Von Glosters Hochverrat und seines Sohnes

Getreuem Dienst, da schalt er mich 'nen Dummkopf,

Und sprach, daß ich verkehrt die Sache nähme,

Was ihm mißfallen sollte, scheint ihm lieb,

Was ihm gefallen, leid.

GONERIL zu Edmund.

Dann geht nicht weiter;

's ist die verzagte Feigheit seines Geists,

Die nichts zu unternehmen wagt: kein Unrecht rührt ihn,

Soll er die Spitze bieten. Unser Wunsch

Von unterwegs kann in Erfüllung gehn;

Eilt denn zurück zu meinem Bruder, Edmund,

Beschleunigt seine Rüstung, führt sein Heer:

Ich muß die Waffen wechseln und die Kunkel

Dem Manne geben. Dieser treue Diener

Soll unser Bote sein; bald hört Ihr wohl,

Wenn Ihr zu Eurem Vorteil wagen wollt,

Was Eure Dame wünscht. Tragt dies; kein Wort! –

Neigt Euer Haupt: der Kuß, dürft' er nur reden,

Erhöbe dir den Mut in alle Lüfte: –

Versteh' mich und leb wohl!

EDMUND.

Dein in den Reih'n des Tods!


Er geht ab.


GONERIL.

Mein teurer Gloster! –

O welch ein Abstand zwischen Mann und Mann! –

Ja, dir gebührt des Weibes Gunst; mein Narr

Besitzt mich wider Recht.

HAUSHOFMEISTER.

Der Herzog, gnäd'ge Frau!


Haushofmeister geht ab.


Albanien tritt auf.

GONERIL.

Sonst war ich doch des Pfeifens wert! –

ALBANIEN.

O Goneril,

Du bist des Staubs nicht wert, den dir der Wind

Ins Antlitz weht. Ich fürchte dein Gemüt: –

Ein Wesen, das verachtet seinen Stamm,[570]

Kann nimmer fest begrenzt sein in sich selbst.

Sie, die vom mütterlichen Baum sich löst

Und selber abzweigt, muß durchaus verwelken

Und Todeswerkzeug sein.

GONERIL.

Nicht mehr: der Text ist albern.

ALBANIEN.

Weisheit und Tugend scheint dem Schlechten schlecht;

Schmutz riecht sich selber nur. Was tatet ihr?

Tiger, nicht Töchter, was habt ihr verübt! –

Ein Vater und ein gnadenreicher Greis,

Den wohl der zott'ge Bär in Ehrfurcht leckte –

O Schmach! O Schandtat! fiel durch euch in Wahnsinn!

Und litt mein edler Bruder solche Tat,

Ein Mann, ein Fürst, der ihm so viel verdankt? –

Schickt nicht der Himmel sichtbar seine Geister

Alsbald herab, zu zügeln diese Greu'l,

Muß Menschheit an sich selbst zum Raubtier werden,

Wie Ungeheu'r der Tiefe.

GONERIL.

Milchherz'ger Mann!

Der Wangen hat für Schläg', ein Haupt für Schimpf,

Dem nicht ein Auge ward, zu unterscheiden,

Was Ehre sei, was Kränkung; der nicht weiß,

Daß Toren nur den Schuft bedauern, der

Bestraft ward, eh' er fehlt'! – Was schweigt die Trommel?

Frankreichs Panier weht hier im stillen Land;

Mit stolzem Helmbusch droht dein Mörder schon,

Und du, ein Tugendnarr, bleibst still und stöhnst:

»Ach, warum tut er das?«

ALBANIEN.

Schau' auf dich, Teufel;

Die eigne Häßlichkeit ist nicht am Satan

So grau'nvoll, als am Weibe.

GONERIL.

Blöder Tor!

ALBANIEN.

Schmach dir, entstellt, verwandelt Wesen, mach'

Dein Antlitz nicht zum Scheusal! Ziemte mir's,

Daß diese Hand gehorchte meinem Blut,

Sie möchte leicht zerreißen dir und trennen

Fleisch und Gebein! Wie sehr du Teufel bist,

Die Weibsgestalt beschützt dich.[571]

GONERIL.

Ei, welche Mannheit nun! –


Ein Bote tritt auf.


ALBANIEN.

Was bringst du Neues?

BOTE.

O gnäd'ger Herr, tot ist der Herzog Cornwall;

Ihn schlug sein Knecht, als er ausreißen wollte

Graf Glosters zweites Auge.

ALBANIEN.

Glosters Augen?

BOTE.

Ein Knecht, den er erzog, gereizt von Mitleid,

Die Tat zu hindern, zückte seinen Degen

Auf seinen großen Herrn – der, drob ergrimmt,

Ihn rasch mit andrer Hülfe niederstieß –

Doch traf ihn schon der Todesstreich, der jetzt

Ihn nachgeholt.

ALBANIEN.

Das zeigt, ihr waltet droben,

Ihr Richter, die so schnell der Erde Freveln

Die Rache senden. Doch, o armer Gloster,

Verlor er beide Augen?

BOTE.

Beide, Herr!

Der Brief, Mylady, fordert schnelle Antwort,

Er kommt von Eurer Schwester.

GONERIL beiseit.

Halb gefällt's mir;

Doch, da sie Witwe, und bei ihr mein Gloster,

Könnt' all der luft'ge Bau zusammenstürzen

Auf mein verhaßtes Leben. Andrerseits

Mundet die Nachricht wenig. Ich will lesen,

Und Antwort senden.


Sie geht ab.


ALBANIEN.

Wo war sein Sohn, als sie ihn blendeten?

BOTE.

Er kam mit Eurer Gattin.

ALBANIEN.

Er ist nicht hier.

BOTE.

Mein gnäd'ger Herr, ich traf ihn auf dem Rückweg.

ALBANIEN.

Weiß er die Greueltat?

BOTE.

Ja, gnäd'ger Herr! Er war's, der ihn verriet,

Und den Palast vorsätzlich mied, der Strafe

So freiern Lauf zu lassen.

ALBANIEN.

Ich lebe, Gloster,

Die Treu', die du dem König zeigst, zu lohnen,

Und dein Gesicht zu rächen! – Folg' mir, Freund,

Und sag mir, was du sonst noch weißt.


Sie gehn ab.[572]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 569-573.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
König Lear
König Lear
King Lear / König Lear [Zweisprachig]
König Lear /Macbeth /Timon von Athen
König Lear: Zweisprachige Ausgabe
König Lear / Macbeth: Dramen (Fischer Klassik)

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon