[54] Ein Zimmer im kaiserlichen Palast.
Von der einen Seite treten auf Aaron, Chiron und Demetrius; von der andern der junge Lucius und ein Knabe, der ein Bündel Waffen trägt, um welches Verse geschrieben stehn.
CHIRON.
Demetrius, hier ist des Lucius Sohn,
Der eine Botschaft uns bestellen soll.
AARON.
'ne tolle Botschaft wohl vom tollen Alten!
KNABE.
Ihr Herrn, mit aller schuld'gen Demut meld' ich
Titus Andronicus' ergebnen Gruß; –
Beiseit.
Und fleh' die Götter Roms, euch zu verderben.
DEMETRIUS.
Hab' Dank, mein art'ges Kind! Was Neues gibt's?
KNABE beiseit:
Daß wir euch beid' entlarvt, das Neue gibt's,
Als räuberische Schurken. –
Laut.
Edle Herrn,
Mit Vorbedacht schickt mein Großvater euch
Die schönsten Klingen seines Waffensaals
Als eurer würd'gen Jugend Lust und Schmuck,
Der Hoffnung Roms: denn also sagt' er's mir,
Und so bestell' ich's jetzt, und liefr' euch ab
Sein Gastgeschenk: daß, wenn ihr's einst bedürft,
Ihr stattlich seid gerüstet und bewehrt. –
Und somit lass' ich euch,
beiseit
als blut'ge Schurken.
Ab.
DEMETRIUS.
Nun, was ist dies? Ein Blatt, rundum beschrieben?
Laßt sehn:
Integer vitae, scelerisque purus,
Non eget Mauri jaculis, neque arcu.
CHIRON.
Der Vers steht im Horaz, ich kenn' ihn wohl;
Ich las ihn in der Schul' als Knabe schon.
AARON.
Jawohl, das schreibt Horaz, Ihr traft es gut.
Beiseit.
Nun sieht man doch, ein Esel hat kein Arg!
Dies ist kein Scherz; der Alte hat's entdeckt,
Und schickt mit solcher Aufschrift sein Geschoß,
Die, ohne daß sie's ahnen, trifft ins Herz.
Wär' unsre witz'ge Kaiserin wohlauf,
Sie klatschte Beifall Titus' spitzem Wort:
Doch mag sie ruhn, unruhig wie sie ist. –
[54] Laut.
Nun, junge Herrn, war's nicht ein gut Gestirn,
Das uns als Fremde hergeführt nach Rom,
Ja als Gefangne, zu so hohem Glück?
Es tat mir wohl, als ich am Burgtor trotzte
Im Beisein seines Bruders dem Tribun.
DEMETRIUS.
Und mich ergötzt noch mehr, daß solch ein Held
Uns fröhnt in Demut und Geschenke beut.
AARON.
Hatt' er's nicht Ursach', Prinz Demetrius?
Gingt ihr nicht freundlich mit der Tochter um?
DEMETRIUS.
Ich wollt', wir hätten tausend röm'sche Frau'n,
Auf gleichen Kauf uns wechselnd zu erfreun.
CHIRON.
Ein liebevoller Wunsch! Ein fromm Gebet!
AARON.
Wär' eure Mutter hier, sie spräche Amen.
CHIRON.
Das täte sie für zwanzigtausend mehr.
DEMETRIUS.
Kommt, gehn wir; und zu allen Göttern fleht
Für unsre Mutter, die in Wehen liegt.
AARON beiseit.
Zu Teufeln fleht; kein Gott will von uns wissen.
Man hört Trompeten im Palast.
DEMETRIUS.
Was blasen die Trompeten im Palast?
CHIRON.
Vielleicht erfreut den Kaiser jetzt ein Sohn.
DEMETRIUS.
Still da! Wer kommt? –
Eine Wärterin kommt mit einem schwarzen Kinde.
WÄRTERIN.
Gott grüß' euch, liebe Herrn!
O sagt mir an, wo Aaron ist, der Mohr?
AARON.
Aaron ist hier; was soll's mit Aaron sein?
WÄRTERIN.
O lieber Aaron! Alles ist vorbei! –
Nun hilf, sonst komme Fluch auf dich hinab!
AARON.
Was gibt's? Was soll der Zeter, das Geschrei?
Was wickelst und verhüllst du in dein Tuch?
WÄRTERIN.
Oh, was ich vor der Sonne gern versteckt',
Der Kais'rin Schmach, des großen Roms Entehrung!
Sie ist entbunden, Herrn, sie ist entbunden.
AARON.
Von welchem Eid?
WÄRTERIN.
Sie kam ins Wochenbett.
AARON.
Nun denn, der Himmel
Geb' ihr 'ne gute Nacht! Was schickt' er ihr?[55]
WÄRTERIN.
Einen Teufel.
AARON.
Eines Teufels Mutter? Welch erwünschter Sproß!
WÄRTERIN.
Verwünschter, schnöder, schwarzer, wüster Sproß!
Hier ist das Kind, so widrig wie ein Molch
Bei weißen Kreaturen unsres Lands.
Dein Siegel, deinen Abdruck schickt sie dir,
Und mit des Dolches Spitze tauf' ihn jetzt!
AARON.
Geh mir, du Hur'! Ist Schwarz so schlimme Farbe?
Du Dickkopf bist 'ne schöne Blüte, gelt?
DEMETRIUS.
Schurk', was hast du gemacht?
AARON.
Gemacht, was du
Nicht kannst zunichte machen.
CHIRON.
Unsre Mutter
Hast du vernichtet!
AARON.
Nein, verpflichtet, Schurke!
DEMETRIUS.
Und eben dadurch, Höllenhund; vernichtet! –
Fluch dieser Tat! Fluch ihrer ekeln Wahl!
Verflucht der Sprößling solches schnöden Teufels! –
CHIRON.
Er soll nicht leben!
AARON.
Sterben soll er nicht.
WÄRTERIN.
Aaron, er muß, und seine Mutter will's.
AARON.
Was muß er? Nun, so soll kein Mann als ich
An meinem Fleisch und Blut den Spruch vollziehn.
DEMETRIUS.
Auf meinen Degen spieß' ich gleich den Molch:
Gib mir ihn her, so ist es abgetan.
AARON.
Eh' wühlt dies Schwert in Euern Eingeweiden! –
Halt, Mörder! Euern Bruder schont ihr nicht?
Nun bei dem Sternenglanz des Firmaments,
Der lustig schien, als ich den Schelm gezeugt, –
Der stirbt durch meines Säbels scharfen Stahl,
Der meinem ältsten Sohn und Erben naht.
Ich sag' euch, Burschen, nicht Enceladus
Mit seiner droh'nden Schar aus Typhons Brut,
Noch Herkules, noch selbst der Gott des Kriegs,
Raubt diese Beut' aus seines Vaters Hand.
Was? Ihr blutdürst'gen Buben, schalen Geistes,
Weißkalk'ge Wände, bunte Bierhauszeichen:
Kohlschwarz gilt mehr als jede andre Farbe;[56]
Denn alle Wasserflut im weiten Meer
Wäscht nicht des Schwanes schwarze Füße weiß,
Obschon er stündlich sie im Meere spült. –
Sag du der Kais'rin, ich sei alt genug,
Was mein, zu schützen; trag' sie's, wie sie mag! –
DEMETRIUS.
So willst du deine Herrin frech verraten?
AARON.
Herrin ist meine Herrin; dies ich selbst,
Das Mark und Abbild meiner Jugendkraft;
Dies ist mir teurer als die ganze Welt,
Dies will ich retten trotz der ganzen Welt,
Sonst glaubt noch mancher dran von euch in Rom.
DEMETRIUS.
Dies bringt auf unsre Mutter ew'gen Schimpf!
CHIRON.
Rom wird sie schmähn um diese Mißgeburt! –
WÄRTERIN.
Des Kaisers Wut wird sie dem Tode weihn!
CHIRON.
Ich muß erröten, denk' ich diese Schmach! –
CHIRON.
Da seht das Vorrecht, das euch Schönheit bringt!
Pfui, feiges Weiß, das durch Erröten meldet,
Was in geheim das Herz beschließt und fühlt! –
Hier ist ein Bursch, geprägt aus anderm Ton:
Seht, wie der schwarze Schelm anlacht den Vater,
Als wollt' er sagen: »Alter, ich bin dein!«
Der ist eu'r Bruder, Prinzen: frisch genährt
Vom selben Blut, das euch das Leben gab;
Aus jenem Schoß, wo ihr gefangen wart,
Ist er entfesselt und ans Licht gebracht:
Eu'r Bruder von der sichern Seite, traun,
Obgleich sein Antlitz meinen Stempel trägt.
WÄRTERIN.
Aaron, was meld' ich nun der Kaiserin?
DEMETRIUS.
Bedenk' dich, Aaron, wie zu helfen sei,
Und wir sind alle deinem Rat geneigt:
Rette das Kind, wenn du uns all' errett'st!
AARON.
Setzen wir uns, und überlegt mit mir!
Mein Sohn und ich, wir sind hier außerm Schuß,
Bleibt dort; nun, wie's euch gut dünkt, sprecht von Rettung!
Sie setzen sich auf die Erde nieder.
DEMETRIUS.
Wie viele Frauen sahn dies Kind von ihm?
AARON.
Seht, liebe Herrn, wenn wir uns einig sind,[57]
Bin ich ein Lamm: doch bietet Trotz dem Mohren,
Und Aaron stürmt, wie das empörte Meer,
Wie Eber wild und Löwen im Gebirg'. –
Nun sag noch einmal, wie viel Frauen sahn's?
WÄRTERIN.
Cornelia, die Hebamme, und ich selbst;
Sonst kein' als die entbundne Kaiserin.
AARON.
Die Kais'rin, – die Hebamme, – und du selbst?
Zwei schweigen wohl, ist nur die Dritte fort:
Geh hin zur Kais'rin, sprich, dies sagt' ich dir! –
Er ersticht sie.
Quiek, quiek! So schreit das Ferkel, das man spießt.
DEMETRIUS.
Was meinst du, Aaron? Warum tatst du dies?
AARON.
Nun, meiner Treu, aus weiser Politik;
Ließ' ich sie gehn, verriet' sie unser Spiel,
Die schwatzende Gevatt'rin! Nein, ihr Herrn;
Und nun erfahrt den Plan, den ich ersann:
Mein Landsmann Muliteus lebt nah von hier,
Des Weib erst gestern in die Wochen kam;
Der gleicht das Kind und ist so weiß wie ihr.
Geht, kartet's ab und gebt der Mutter Gold,
Und beiden sagt den Hergang recht genau,
Und wie ihr Kind hiedurch zu Ehren kommt,
Und als des Kaisers Erbe gelten wird,
Und an die Stelle tritt des meinigen,
Den Sturm zu sänft'gen, der am Hofe droht;
Der Kaiser mög' es herzen dann als seins.
Hört nun: Ihr seht, ich gab ihr Arzenei,
Und ihr müßt jetzt ihr Totengräber sein.
Das Feld ist nah, ihr seid ein rüstig Paar;
Dies wohl besorgt, verliert mir keine Zeit,
Schickt die Hebamme mir im Augenblick:
Hebamm' und Wärterin beiseit geschafft,
Dann laßt die Weiber schwatzen, wie's beliebt!
CHIRON.
Aaron, ich merke, nicht einmal der Luft
Vertraust du.
DEMETRIUS.
Daß du so der Mutter schonst,
Muß sie, wie ihre Söhne, herzlich danken.
Chiron und Demetrius gehn ab.[58]
AARON.
Nun zu den Goten schnell wie Schwalbenflug!
Dort bring' ich diesen Schatz in Sicherheit
Und grüß' der Kais'rin Freunde insgeheim. –
Komm, du breitmäul'ger Schelm, ich trag' dich fort,
Denn du hast uns in all die Not gebracht.
Mit Wurzeln füttr' ich dich und wilden Beeren,
Mit Rahm und Molken; Ziegen sollst du saugen,
In Höhlen wohnen; so zieh' ich dich auf
Zum tapfern Kriegesmann und General.
Ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Titus Andronicus
|
Buchempfehlung
Der Teufel kommt auf die Erde weil die Hölle geputzt wird, er kauft junge Frauen, stiftet junge Männer zum Mord an und fällt auf eine mit Kondomen als Köder gefüllte Falle rein. Grabbes von ihm selbst als Gegenstück zu seinem nihilistischen Herzog von Gothland empfundenes Lustspiel widersetzt sich jeder konventionellen Schemeneinteilung. Es ist rüpelhafte Groteske, drastische Satire und komischer Scherz gleichermaßen.
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro