Der Gewitterabend

[183] Dem Freunde des Guten und Schönen, Herrn Grafen von Solms zu Rödelheim geweiht


Der Donner rollet dumpf noch in der Ferne,

In düst're Nacht verhüllet sich die Flur;

Von heil'ger Ahnung, wie am Schöpfungsmorgen

Durchschauert, harret ängstlich die Natur!


Die schwüle Luft umschwimmet Blumenleichen,

Sie welkt der jungen Sprossen zartes Grün,

Nach Regen dürsten die gesengten Fluren,

Die Bäume, die verschmachtet kaum noch blüh'n!


Die Wolkenberge schwellen furchtbar höher,

Und schweben langsam feierlich daher!

Ihr schwarzer Schooss eröffnet sich durch Blitze;

Der Aether wird ein weites Feuermeer!


Des Waldes Sänger fliehen, sich zu retten

Zum hohlen Baum, zur dunkeln Felsenkluft,

Das bange Wild im öden Forste zittert,

Stumm ist der Hain, gleich einer Todtengruft!
[184]

Die Heerde blüllt in dumpfen Schreckenstönen,

Das scheue Ross flieht schnaubend durch das Thal,

Am Strand des Meeres schwirren ängstlich Möven

Um öder Felsen Klippen bleich und kahl!


Der Regen strömt – verheerend saust der Hagel,

Der Donner kracht; der Horizont in Glut

Droht rettungsloss den Erdball zu entzünden,

Die Elemente kreissen sich voll Wuth!


Der wilde Strom entreisst sich Aeols Höhle;

Ihn bändiget nun keine Fessel mehr,

Schon stürzt er sie, die tausendjähr'ge Eiche,

Und Wetterwolken peitscht er vor sich her!


Wie schäumen sie, die hochgeschwellten Fluthen

Des Waldstroms dort den Felsensturz herab,

Kein Damm vermag, die Allmacht ihm zu hemmen,

Was er berührt, versinkt durch ihn in's Grab!


Doch ferner nun und leiser rollt der Donner,

Und matter leuchtet schon des Blitzes Stral,

Besänftigt ist das Toben der Orkane-

Ein Nebelschleier senket sich in's Thal!


Ein neues Tempe sinkt vom Himmel nieder,

Wie ein Altar raucht die verjüngte Flur;

Berauscht von süssem Nektar lispeln Bäume

Dir ihren Dank, erquickende Natur!
[185]

An jedem Tropfen spiegelt Iris Bogen

Auf Blumen sich, die lieblicher nun blüh'n;

Ein rein'rer Aether lächelt auf uns nieder,

Der Abendröthe Purpurwolken glüh'n!


Ein Zephyrschwarm umgaukelt schmeichelnd wieder

Der Blüthenzweige dufterfüllten Kranz;

Es jagen sich der Felder blaue Wellen,

Sanft angehaucht, im leichten Nymphentanz!


Jetzt hebt sich Luna dort aus dunkeln Fluten,

Und magisch wird die Szene nun erhellt;

Der Wehmuth süsse Thräne glänzt im Strale,

Der auf Zypressenkränze niederfällt!


Und majestätisch sinkt in heil'ger Stille

Sie nun herab, die schönste Sommernacht,

Es schmücket sie von Millionen Sternen

Ein Diadem, in wundervoller Pracht!


Mein nasses Auge hebt sich wonnetrunken

Vom Staub empor zu jenen lichten Höh'n;

Und höher klopft mein Herz in froher Ahnung,

Den Schöpfer einst des grossen Alls zu sehn!


Schon fühl' ich mich entrückt der Erde Fesseln;

Schon hört mein Ohr der Sphären Harmonie –

Der Sel'gen Hymnus jauchzet durch die Himmel,

Mein Lied vermählt sich ihrer Melodie!

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 183-186.
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