Die Gesponß Jesu beklaget sich daß sie nimmer ruhen könne

[24] 1.

Die Lieb/ ohn Wehr vnd Waffen

Mich hat genommen ein:

Gibt jmmer mir zu schaffen/

Mag nie zu frieden sein.

Doch nur mir kombt von oben/

Von JESV solcher streit/

Hab weit von mir geschoben

Die Weltlich üppigkeit.


2.

Nur JESV Lieb mich zehret;

Nur JESVS kräncket mich:

Waß qual mir widerfähret/

Von JESV reget sich.

Von ihm waß pein ich leide/

Waß fewr/ vnd hertzen-brandt/

Ich niemand recht bescheide/

Wers nit hat selbst erkandt.
[24]

3.

Wan früh vor hellen tagen

Die Morgenröth auffgaht/

Vnd kaum jhr pferd/ vnd wagen

Mit Rosen kleidet hat:

Dan auch in vollen stralen/

Wan Sonnenliecht besteht/

In lauter pein/ vnd qualen

Ichs treib zum abend späth.


4.

Ja solt ich je noch hoffen

Als dan auch rast/ vnd ruh/

Wan müd/ vnd matt geloffen/

Der tag sich riglet zu:

Wan lieblich vbergossen

Die thier mit süssem schlaff/

Wan arbeit all beschlossen/

Wan feyret alle straff.


5.

Da wolt ich leyd/ vnd klagen

Fast halber legen ab/

Noch sols mich also plagen

Waß nun zu tragen hab.

Nun ist eß ja vergebens

Ich nimmer kom zu rast;

Die tag ich meines lebens

Verzehr in stätem last.
[25]

6.

So vngestümb nichts finde/

Daß nicht eins höre auff:

Man merckets an dem winde/

Wie er so offt verschnauff:

Wan er ein weil geflogen/

Die schläg er schüttlet auß/

Helt sich drauff eingezogen;

Ohn ruh nit scheidt von hauß.


7.

Daß Meer wans wüht ohn massen/

Mags doch nit lang bestahn:

Pflegt bald sich niderlassen/

Nimbt ruh begierlich ahn:

Ich newlich merckets toben/

Wehrt etlich stunden kaum;

Da war all macht zerstoben/

Zerschmoltzen aller schaum.


8.

Der wandersman ermattet

Auff starck- vnd stäter reiß;

Beym grünen bäumlein schattet/

Streicht ab den sawren schweiß/

Ja frey/ sols anders gelten/

All arbeit in gemein/

Mit ruh/ nit also selten/

Pflegt vnderbrochen sein.
[26]

9.

Warumb thut mich dan plagen

Die lieb ohn vnderlaß?

Daß nie kein punct mag sagen/

Wan ich ohn schmertzen waß.

Ohn vnderlaß ich klage/

Für stätem hertzen-leyd:

Bey nacht/ vnd auch bey tage/

Scheint mir nur sawre zeit.


10.

Die lieb mich setzt in leiden/

O JESV liebster mein!

Wer wil von dir gescheiden

Nit stäts in qualen sein?

Der feynd mich kombt vmringen/

Er meiner lacht/ vnd spott/

Fragt hönisch auch mit singen/

Wo sey mein schöner Gott?


11.

Drumb stätig naß von zähren/

Die seufftzer steigen auff:

Sie stündtlich sich vermehren/

Vnzahlbar wird der hauff.

Die thränen mich ernehren/

Seind meine speiß/ vnd tranck/

Von zähren muß ich zehren/

Weil bin von liebe kranck.
[27]

12.

Ach wan doch wird erscheinen

Der schön vnd weiße tag?

Wan eins nach stätem weinen/

Ich stät/ vnd sicher lach?

Wan schmertzen/ Krieg/ Alarmen

Wird sein in fried verzehrt/

Wan JESV dich mit armen

Ich frölich binden werd?


13.

O wan/ vnd wan wird scheinen

Daß rein/ vnd liechtes liecht/

Daß alle klag/ vnd peinen

In mir zumahl vernicht?

O Gott nun laß eß scheinen/

Laß scheinen vberal/

Daß wir nit ewig weinen

In diesem zähren thal.

Quelle:
Friedrich Spee: Trutznachtigall, Halle a.d.S. 1936, S. 24-28.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Trutznachtigall
Sämtliche Schriften: Trutz-Nachtigall: Bd 1

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon