Fünfundzwanzigstes Capitel.

[281] Und darin hatte der gute Doctor freilich recht: noch viel mehr recht, als er wußte oder wissen konnte.

Es war nicht nur, daß ich ohne ausreichende Erfahrung mir meinen Weg durch ein ungeheures, von uns Deutschen damals kaum betretenes Industriegebiet gewissermaßen suchen mußte. Ich theilte dies Schicksal mit meinen sämmtlichen Concurrenten, die Alle, mochten sie in anderen Branchen auch auf noch so reiche Erfahrungen zurückblicken können, in dem Bau von Locomotiven gerade solche Neulinge waren, wie ich. Und was sie etwa wirklich an reicherem Wissen vor mir voraus hatten, das ließ sich vielleicht meinerseits durch Fleiß ersetzen. In der That hatte ich nach dieser Seite hin einiges Vertrauen zu mir, ja, ich war mir bewußt, daß ich, trotzdem die Last, welche bereits auf mir ruhte, nicht zu den leichten gehörte, ein gut Theil mehr auf meine Schultern nehmen dürfe. Aber ein Mann, der eine schwere Last trägt, muß mindestens den Weg, den er gehen soll, deutlich sehen, oder seine Kraft und seine Ausdauer können ihn nicht vor dem Straucheln, vielleicht vor dem Fallen bewahren. So war es hier. Ich wurde in allen meinen Plänen verwirrt, in allen meinen Dispositionen gehemmt, in allen meinen Entschließungen gelähmt, weil ich mich hier und überall immer erst nach Dem umzusehen hatte, der hinter mir stand, der hinter mir stehen, auf den ich mich ganz verlassen mußte, und der oft gerade in den kritischsten Momenten nicht zu finden war.[281]

Nicht zu finden, in des Wortes eigentlichster Bedeutung.

Der Commerzienrath war von jeher ein ruheloser Mann gewesen, wie das bei seinen zahllosen, bald hier, bald dort angeknüpften Geschäften und bei seiner Maxime, daß persönlich alle Geschäfte am besten abgemacht würden, kaum anders möglich war. Ich bin, pflegte er in vertraulichen Momenten hinter der Flasche zu sagen, wie der Cäsar, oder wie der Kerl geheißen haben mag, bei welchem Kommen, Sehen und Siegen eins waren. Ich habe noch keine Reisekosten gehabt; ich nicht! Kommen, sehen, siegen – das muß man nur verstehen!

Nun, er kam und ging jetzt mehr als je; heute in Uselin, morgen in St.; dann wieder hier, um am andern Tage spornstreichs nach Zehrendorf zu reisen, wo ihn schon mein nächster Brief nicht mehr traf, weil ihn seine Ruhelosigkeit unterdessen bereits wieder nach St., oder der Himmel weiß wohin getrieben hatte. Das war jetzt durchaus die Regel; und dabei machte ich die böse Entdeckung, daß man ihn gerade dann am schwersten finden konnte, er gerade dann am sorgfältigsten alle Spuren hinter sich auslöschte, wenn man ihn am nothwendigsten brauchte. War es das alte Tintenfisch-Manöver, dessen er sich in geschäftlichen Unterredungen so gern bediente, auf den praktischen Verkehr angewandt, war es mehr?

Ja, der Commerzienrath kam und ging genug, aber mit dem Sehen und dem Siegen hatte es wohl seine eigene Bewandtniß. Seine Augen waren jetzt gar zu oft in einen trüben, wässrigen Dunst gehüllt, und, wie prahlerisch er auch noch immer zu reden wußte, seine Miene war durchaus nicht die eines Siegers. Der Eindruck, den ich gleich bei dem ersten Wiedersehen in Zehrendorf gehabt hatte, daß der Commerzienrath ein alter Mann geworden sei, wurde jetzt bei jeder neuen Zusammenkunft auf die peinlichste Weise verstärkt; und nicht bei mir allein! Auch seinen Geschäftsfreunden mußte die Veränderung, die mit ihm vorging, auffallen.

»Ihr Herr Schwiegervater ist in letzter Zeit sonderbar irritabel,« sagte der Banquier Zieler; – »der Herr Commerzienrath sollte sich mehr Ruhe gönnen,« bemerkte gelegentlich der Eisenbahndirector Schwelle; – »mein verehrter Gönner, der Herr Commerzienrath, sind heute in sehr übler Laune,« raunte mir der Wirth des Hotels, in welchem er zu verkehren pflegte – er stieg nie bei uns ab – in die Ohren; und[282] selbst die Kellner zuckten heimlich die Achseln, wenn der alte Mann hinter der Flasche wegen irgend eines möglichen oder unmöglichen Versehens wie ein Besessener auf sie einschalt.

Nein; der alte Mann mit den wässrigen, zwinkernden Augen und dem fahrigen, für einen Mann in seinen Jahren doppelt auffälligen und unschönen Benehmen, sah nicht aus wie ein Sieger; sah nicht so aus, – und war auch keiner!

Er hatte, so lange unser intimes Verhältniß nun bestand, so viel ich wußte, keine Triumphe zu verzeichnen gehabt. Es war gewiß kein Triumph für den Krösus von Uselin, daß er sich in dieser Zeit entschlossen hatte, hatte entschließen müssen, sein weltberühmtes Korngeschäft zu liquidieren; und es war auch wohl kein Triumph, daß selbst nach diesem wohlgeordneten Rückzuge, wie er es nannte, durchaus keine Ordnung in unsere finanziellen Verhältnisse kommen wollte. Im Gegentheil! Es fehlte an baaren Mitteln mehr als je, fehlte so sehr, daß ich aus einer Verlegenheit in die andere gerieth, und manchmal wirklich nahe daran war, zu verzweifeln. Und nicht nur, daß ich durch die ewige Ungewißheit, in welcher mich mein Schwiegervater erhielt, in meinen Fabrikoperationen auf die unverantwortlichste Weise gehemmt wurde, so hatte ich das für mich mindestens eben so drückende Gefühl, auch nicht eine einzige jener Verbesserungen in der Lage meiner Arbeiter einführen zu können, über welchen der Doctor, Klaus und ich in vergangenen, hoffnungsfreudigen Tagen so oft die Köpfe beim Grogglase zusammengesteckt hatten. Ein Chef, der nicht weiß, wie er selbst am nächsten Tage seinen Verpflichtungen nachkommen soll, ist nicht im Stande, seinen Arbeitern Concessionen zu machen, zu welchen er nicht verpflichtet ist, an welche ihn wenigstens kein Buchstabe des Contractes, sondern nur die Stimme mahnt, die in seinem eigenen Herzen spricht für den gemeinen Mann, an dem der Fluch des Paradieses bis auf den heutigen Tag buchstäbliche Wahrheit geworden ist. Ja, es kamen Augenblicke – und ich denke derselben, wie man sich an besonders schauderhafte Träume erinnert, – wo ich fühlte, daß sich mein Herz gegen einen Nothschrei, gegen eine schüchterngemurmelte Klage zuschließen wollte; wo mir das Beispiel meiner Concurrenten, welche den Tagelohn um einen Groschen herabgedrückt hatten, nachahmungswürdig schien. Ich erinnere mich, daß mir dann immer war, als wäre ein grauer Schleier über die ganze Welt gefallen, daß mir nicht[283] Speise, nicht Trank schmecken wollte, daß ich mich schlaflos auf dem Lager wälzte, als hätte ich einen Mord auf dem Gewissen, daß ich die einsamsten Wege suchte, und wenn ich auf der Straße von weitem einen Bekannten sah, den Hut in das Gesicht zog und auf die andere Seite ging.

Einmal, als der Druck auf meinem Herzen ganz unerträglich war, eilte ich zu dem Freunde, wie ein von Zahnschmerzen Gefolterter zu dem Arzte eilt, und schüttete in seinen treuen Busen mein übervolles Herz aus. Er hörte den Ungestümen, fast Verzweifelten gütig an und sagte:

»Ich habe das kommen sehen, lieber Georg; es ist also nichts, was außerhalb menschlicher Berechnung läge, und worüber Menschen also auch nicht zu verzweifeln brauchen, weil sich der Fehler bei der nöthigen Geduld und Ausdauer wohl wieder herausrechnen läßt. Wer sich die Freiheit seiner Entschließungen bewahren will, darf nicht an jeden beliebigen Punkt anknüpfen, bis zu welchem Andere ihr unreines und unredliches Gespinnst gebracht haben, wo dann freilich die Verwickelungen und Verknotigungen nicht ausbleiben. Ein Vermögen, welches, wie das Ihres Schwiegervaters, mit ganz unreinen Händen gewonnen ist, kann nicht mit ganz reinen Händen bewahrt werden. Wer in dem Proceß Amboß contra Hammer unbefangen bleiben will – unbetheiligt kann so wie so Niemand bleiben –, der darf sich nicht entschieden auf eine Seite stellen. Sie haben es in gewissem Sinne gethan. Ihr Schwiegervater ist ein Ritter vom Hammer, und Sie – Sie sind sein Schwiegersohn, das heißt: der erste in seinem Gefolge, mögen Sie sich gegen diese traurige Wahrheit sträuben, wie Sie wollen. Und, mein Freund, ich sehe, wie die Sachen liegen, keine Rettung aus diesem Irrsal, als nur die eine, daß der Proceß so schnell als möglich vor jene höhere Instanz der großen ökonomischen Gesetze kommt, und in jener Instanz schnell und endgültig entschieden wird, damit Sie wieder der freie Mann werden, der Sie vorher gewesen sind. Es klingt das vielleicht sehr hart, sehr grausam; aber, lieber Freund, Sie können es einem Schüler des Hippokrates nicht übelnehmen, wenn er an dem Satze seines Meisters festhält.«

Die höhere Instanz, an welche mich der Doctor gewiesen, sollte sich für Anwendung der hippokratischen Feuer-Methode auf meinen Fall schneller entscheiden, als der Doctor wohl selbst erwartete.[284]

Ich hatte den Commerzienrath, wenn er mir wieder und wieder klagte, wie schwer es halte, gerade jetzt die allerdings bedeutenden Mittel aufzubringen, welche ich für die Fabrik brauchte, wiederholt auf das Dringendste gebeten, mit dem Verkauf von Zehrendorf endlich Ernst zu machen. Gott weiß, wie schwer es mir wurde, so zu bitten! Zehrendorf war mir an's Herz gewachsen, mehr, als ich sagen konnte. Da war kaum eine Scholle, auf die mein Fuß nicht getreten, da war kein Baum, kein Strauch, den ich nicht früher oder später liebgewonnen hatte. Die Aussicht, einen Tag in Zehrendorf zubringen zu können, machte mir jede Arbeit leicht, trug mich über manche Sorge hinweg; die Hoffnung, dermaleinst meine alten Tage auf der Stelle, wo ich zum ersten und zum letzten Mal in meinem Leben wirklich jung gewesen war, verbringen zu können, war mir theuer, wie kaum eine andere. Und Hermine, wußte ich, dachte nicht anders. Hatte doch auch sie den Traum ihrer Liebe dort geträumt, dort den Traum ihrer Liebe verwirklicht gesehen! Hatte sie doch damals, als mich ihr Vater geflissentlich bei ihr in den Verdacht brachte, der Haupturheber des Verkaufs-Projectes zu sein, mir auf das allerernstlichste gezürnt! Hatte ich doch hoch aufgeathmet, und sie laut aufgejauchzt, als die plötzliche Erkrankung des alten Fürsten Prora die Unterhandlungen in der Mitte abschnitt, und jetzt, jetzt sollte ich wirklich der sein, der sie und mich um unser Kleinod brachte? Nicht ich, die Verhältnisse, die stärker waren, als ich; die Verhältnisse, die ich nicht geschaffen, die ich nicht zu verantworten hatte, aber die ich nicht bestehen lassen durfte, wenn mich die Verantwortung dafür nicht wirklich treffen sollte. Ich war mir dessen vollkommen bewußt, und so war ich denn wieder und wieder in meinen Schwiegervater gedrungen.

Merkwürdigerweise hatte er sich auf das hartnäckigste geweigert, meinem Drängen nachzugeben, als wäre der Plan nicht ursprünglich in seinem eigenen Kopfe entsprungen. Fürchtete er die allerdings nicht besonders günstige Conjunctur? Glaubte er, das Gut halten zu können? Scheute er den Lästermund der Leute, denen er, als er sein Korngeschäft liquidirte, eingeredet, er habe das Treiben satt, und wolle sich für seine alten Tage auf seinen Landsitz zurückziehen? War es einfach despotischer Trotz und greisenhafter Eigensinn – ich wußte es damals nicht, und wüßte es auch noch jetzt nicht mit voller[285] Bestimmtheit zu sagen. Vielleicht geht der Kelch an uns vorüber, tröstete ich mich dann; seine Angelegenheiten stehen am Ende doch besser, als du glaubst; vielleicht ist er auf seine alten Tagen zum Geizhals geworden und verscharrt die aufgespeicherten Schätze, denn es ist ja doch ganz unmöglich, daß es ihm so an Geld fehlt, wie er sich anstellt; wo sollte er denn damit geblieben sein?

»Ihr Herr Schwiegervater hat heute keinen glücklichen Tag gehabt,« sagte der Banquier Zieler zu mir, als er, von der Börse kommend, mir auf der Straße begegnete.

»Wie das, Herr Geheimrath?«

»Nun, er hat heute nur die Differenz von fünfzigtausend Thalern in Spiritus auszugleichen, wo er auf Hausse speculirt, allerdings ein sonderbarer Rechnenfehler bei einem so gewiegten alten Praktiker.«

Fünfzigtausend Thaler in einem Augenblick, wo ich um tausend in Verlegenheit war! und in einem Geschäft, von dem er mir nie gesprochen, das ganz außerhalb des Bereiches seiner sonstigen Unternehmungen lag! Es war mir wohl nicht möglich gewesen, den Schrecken, den mir die Nachricht einflößte, ganz in meinen Mienen zu unterdrücken, und der Geheime Commerzienrath mußte es bemerkt haben, denn er sagte lächelnd:

»Nun, nun, Ihr Herr Schwiegervater kann sich dergleichen kleine Scherze erlauben. Habe die Ehre, mich Ihnen ganz gehorsamst zu empfehlen.«

Ich war nun nicht der Ansicht, und ich schrieb sofort nach Uselin und bat dringend, mich wissen zu lassen, ob die soeben erhaltene Nachricht, die allerdings aus der besten Quelle kam, wirklich wahr sei, woran ich dann die Aufforderung knüpfte, mir endlich einmal einen klaren Einblick in die Verhältnisse zu gewähren, in denen ich als ein Mann von Ehre nicht länger so hinleben könne.

Die Antwort war ein langer Brief, angefüllt mit Klagen über meinen Mangel an Vertrauen, über das Schicksal eines alten Mannes, der von seinen Kindern verlassen werde, voll ruhmredigen Pochens auf seine bald fünfzigjährige Geschäftspraxis, auf sein bewährtes Glück; woran sich unmittelbar die Aufforderung knüpfte, auf jeden Fall an den Fürsten zu schreiben und ihn zu fragen, ob er wirklich noch auf Zehrendorf reflectire oder nicht.[286]

Ich ließ den andern Inhalt des Schreibens gut sein und hielt mich an den einzigen bestimmten Punkt. Ich schrieb sofort an den jungen Fürsten, der noch immer in Prora bei seinem kranken Vater verweilte, und erhielt umgehend von seiner eigenen Hand die Antwort, daß er so schon die Absicht gehabt habe, nach der Residenz zu kommen, und diese Absicht unverzüglich ausführen wolle. Er werde am Freitag Abend vier Uhr eintreffen und würde sich außerordentlich freuen, mich eine Stunde später in seinem Palais zu empfangen, wo wir ja dann über unsere Angelegenheit ausführlich sprechen könnten.

So sollte es also wirklich sein! Das Herz wollte mir schwer werden, aber ich unterdrückte die wehmüthige Regung und sagte mit dem Doctor: Was die Medicamente und was das Eisen nicht hat heilen wollen, muß eben das Feuer heilen.

In dieser halb wehmüthigen, halb entschlossenen Stimmung begab ich mich an dem gedachten Tage zu der festgesetzten Stunde in das Palais des Fürsten.

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Sämtliche Werke. Band 2, Leipzig 1874, S. 281-287.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Hammer und Amboß
Hammer Und Amboss; Roman. Aus Hans Wachenhusen's Hausfreund, XII (1869 ) (Paperback)(English / German) - Common
Friedrich Spielhagen's sämtliche Werke: Band X. Hammer und Amboss, Teil 2
Hammer Und Amboss; Roman in 5 Banden Von Friedrich Spielhagen
Hammer Und Amboss: Roman... Volume 2
Hammer & Amboss (German Edition)

Buchempfehlung

Platen, August von

Gedichte. Ausgabe 1834

Gedichte. Ausgabe 1834

Die letzte zu Lebzeiten des Autors, der 1835 starb, erschienene Lyriksammlung.

242 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon