Betörung

[116] Nun bist du, Seele, wieder deinem Traum

Und deiner Sehnsucht selig hingegeben.

In holdem Feuer glühend fühlst du kaum,

Daß Schatten alle Bilder sind, die um dich leben.


Denn nächtelang war deine Kammer leer.

Nun grüßen dich, wie über Nacht die Zeichen

Des jungen Frühlings durch die Fenster her,

Die neuen Schauer, die durch deine Seele streichen.


Und weißt doch: niemals wird Erfüllung sein

Den Schwachen, die ihr Blut dem Traum verpfänden,

Und höhnend schlägt das Schicksal Krug und Wein

Den ewig Dürstenden aus hochgehobnen Händen.

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 1, Hamburg o.J. [1954], S. 116-117.
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