Das Mädchen

[201] Für Wilhelm von Scholz


Der dumpfen Nächte fieberwaches Schauen

wob sie dem Teppich ein mit heißen Händen

und sang und spann bis spät ins Abendgrauen.


Nun hing er hingespannt von steilen Wänden

mit breiten Borden silbergrünen Säumen

und Sternen weiß und wirr gleich Opferbränden


goldadrig funkelnd über schwarzen Räumen.

Und Nächte fielen. Und mit heißen Wangen

stand sie und sah mit Augen wie aus Träumen


wie sich in stummem Tanz die Fäden schlangen

seltsam verwirkt zu fließenden Geweben

und jäh und rot vom Fackellicht umfangen.


Und wie aus Brunnen sprang entzaubert Leben.

Und schauernd sah sie aus verrankten Schlingen

im Zwielicht geisternd hohe Schatten schweben


und Spiegelschein von fremden großen Dingen.

Und als im Grund der goldne Flaum verglühte

und Schmelz und Farben welk und blaß zergingen


sank sie und losch wie eine Märzenblüte.

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 2, Hamburg o.J. [1954], S. 201-202.
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