Helge's Treue

[152] König Helge fiel im heißen Streit

Und mit ihm fiel die geliebte Maid,

Sie fiel, was mochte sie leben?

König Helge, der Held, und die Maid Sigrun,

Sie mußten zu zwei im Hügel ruhn,

Sein Hengst, der ruhte daneben.


Allvater saß auf Idas Feld:

»Es kommt fürwahr ein gewaltiger Held

Noch heut von der Erde herüber,

Es heult mein Wolf und frißt nicht mehr,

Und Gjallars Brücke donnert sehr,

Als ritt' ich selber darüber.«


König Helge trat in Odin's Palast

In schwarzem Stahl, ein finsterer Gast,

Durch die Helden schritt er stumm.

Er schritt hindurch ohne Gruß und Dank

Und setzte sich auf die letzte Bank

Und sah sich gar nicht um.


Aufsprangen die Helden zu Spiel und Kampf,

Ha Schildeskrachen und Hufgestampf,

Wie wogt es stählern und dicht!

König Helge saß, ihm scholl kein Horn,

Ihm sauste kein Speer, ihm klirrte kein Sporn,

König Helge, der focht nicht.


»Wohl ist er hehr, Allvater's Saal,

Der Boden von Gold, das Dach von Stahl,

Und silbern fließt die Luft;

Doch wäre der Himmel noch einmal so licht,

Den ganzen Himmel möcht' ich nicht

Für Sigruns enge Gruft!«


Her trat mit Augen veilchenblau

Die schwanenbusigste Schildjungfrau,

Wie leuchtet ihr Gesicht![153]

Sie hielt das Horn, sie trank ihm zu:

»Mein schlanker Held, nun trinke Du!«

König Helge, der trank nicht.


»Und liebten mich hundert Jungfrau'n heiß,

Wie die Hirschkuh schlank, wie das Schneehuhn weiß,

Ich höbe mein Auge kaum.

Du nimm Dein Horn und laß mich mir,

Bist nicht halb so schön als Sigrunur,

Bei Sigrun ist mein Traum!«


So sitzt er da und trotzt und schweigt,

Bis die Mitternacht niederblickt schwarzgeäugt,

Dann ist frei der Geister Tun.

Dann flammt sein Aug' und rauscht sein Schwert,

Dann gürtet er sein goldrot' Pferd;

Dann geht es zu Sigrun.


Wie wild der Reiter, wie wild der Ritt,

Wie klangvoll hämmert des Hengstes Tritt,

Es geht ja zu Sigrun!

Die Luft zerrinnt, und die Erde birst,

Wenn niederreitet der Nordlandsfürst,

Um bei Sigrun zu ruhn.


Wenn der Morgenwind kühlt des Rosses Schweiß,

Dann reitet er heim, er reitet's nicht heiß,

Sein Ritt, wie traurig und sacht!

Er reitet schweigend durch Wallhalls Tor

Und setzt sich nieder wie zuvor

Und harrt auf Mitternacht.

Quelle:
Moritz von Strachwitz: Sämtliche Lieder und Balladen, Berlin 1912, S. 152-154.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Neue Gedichte
Neue Gedichte

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon