Prolog

[147] Ha Nordlandsluft und Nordlandswind!

O Lust verwehter Tage!

Wie hab' ich dich einst so heiß geminnt,

Vollbusige Nordlandsage.

Du rittest mit mir auf Odins Tier,

Acht Hufe hatte der Renner,

Du saßest in Walhall' neben mir

Und schenktest den Meth der Männer.


Ich hört' als Fey mit dem Wasserfall

Dich tote Helden bejammern,

Und sah dich als Alf in des Berges Hall'

Am glühenden Golde hammern.

Du fuhrest mit mir über'n Mâālstrom,

Es dampften des Strudels Mäuler,

Du webtest in Trondhiems schwarzem Dom

Als Dämmerung um die Pfeiler.


Ich sah dich über die schlafende See

Als Schwanenjungfrau schwimmen,

Und sah dich über den Gletscherschnee

Als Nordlicht zackig glimmen.

Ich sah dich über die Heide der Schlacht

Als Adler schweigend schweben,

Und sah dich in dem Auge der Nacht

Als Witwenträne beben.


Du botest mir deine Wange rot,

Du Schlanke, Hohe, Frische,

Und brachest mir dann das Haferbrot

An des Normanns rauhem Tische.

Ich sah dich den Busen der Nordlandsdirn'

Als Freias Schmuck umkreisen,

Du klangest um jede Normannsstirn

Als Helm aus Wielands Eisen.
[147]

Ich sende dir diesen Kuß nach Nord,

Er brennt wie Islands Feuer,

Aufjauchzend springt dies Lied an Bord

Und wendet zu dir sein Steuer.

Mag sich's mit dir auf Nordlands Riff

Als klagende Tanne wiegen,

Und mag's mit dir als Geisterschiff

Durch Nordlands Meere fliegen!

Quelle:
Moritz von Strachwitz: Sämtliche Lieder und Balladen, Berlin 1912, S. 147-148.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Neue Gedichte
Neue Gedichte