Siebenter Auftritt.

[248] Woldemar, Julie und Dalton.


WOLDEMAR. Ich höre mit Schrecken, daß man Ihnen noch immer übel begegnet, Julie. Ich begreife das nicht; wie kann man einen Vorwand zu dieser Grausamkeit finden? wenigstens bin ich es nicht mehr, Theureste, der Ihre Thränen auf sein Gewissen sammlet – o wenn ich Ihnen doch nie eine ausgepreßt hätte.

JULIE. Sie sind ein großmüthiger Mann – Es hat mich alles verlassen – keine Hülfe, so weit der Gedanke reicht, aber Sie können mich retten, Woldemar.

WOLDEMAR. Mit meinem Leben –[248]

JULIE. Versprechen Sie mir –

WOLDEMAR. Reden Sie Julie – ich weiß daß die Vernunft Ihre Handlungen leitet –

JULIE. Ich will aus diesem Hause weg.

WOLDEMAR. Was? – Sie setzen mich in Erstaunen.

JULIE. Und Sie sollen mich begleiten.

WOLDEMAR. Ich –?

JULIE. Sie – ach Sie wollen nicht, ich sehe es Ihnen an – Sie wollen nicht – Sie haben Recht, Woldemar – Warum sollten Sie an dem Schicksal eines Mägdchens Theil nehmen, das alles mit Ihrem Unglück verdirbt?

WOLDEMAR. Ich will, Julie – ich will – reden Sie –

JULIE. Verrathen Sie mich wenigstens nicht – liebster Woldemar, o verrathen Sie mich nicht –

WOLDEMAR. Ich Sie verrathen? Aber ich begreife Sie nicht,[249] Julie – warum wollen Sie fort? wo wollen Sie hin?

JULIE. Wissen Sie die Strenge nicht, mit der mir mein Vater begegnet? Wissen Sie denn nicht, daß ich eingesperret bin, wie eine Uebelthäterin – daß mein Oncle mein Kerkermeister, mein Peiniger ist, daß er mit mir umgegangen ist, als wenn ich den Tod verdient hätte – o ich muß weg von Ihnen, Woldemar – und dann ist noch ein Beweggrund – ich muß fort – oder ich bin verlohren.

DALTON. Allerliebste Fräulein! –

JULIE. Stille Dalton, du sollst auch mit – du mußt mich auch begleiten.

DALTON. Aber wohin? ums Himmelswillen!

JULIE. Wohin –? Ja wohin Dalton? – daran habe ich nicht gedacht – das weiß ich nicht – wo soll ich hin? – giebt es nicht noch Menschen, Dalton, die das Elend ihrer Nebenmenschen rührt? die sich über ein ganz verlassenes, mitten in das Unglück hineingeschleudertes Mägdchen erbarmen? Das sagt man, ist Tugend, giebt es so keine Tugend nicht? – Haben[250] Sie keine Verwandte, Woldemar? Sie haben keinen Vater mehr –

WOLDEMAR. Aber eine Mutter, Julie.

JULIE. Ach ja, bey Ihrer Mutter. O ist Sie eine gute Mutter? Ach wenn meine Mutter noch lebte! oder wenn ich an Ihrer Seite schlief, so dürfte ich niemand zur Last fallen! Ihre Mutter – nein Woldemar, das Mägdchen, das meinen Sohn verwirft, wird Sie sagen – die Närrin – Nein Woldemar, das geht nicht an.

WOLDEMAR. Fassen Sie Muth, Julie, Sie kennen diese Mutter nicht, wenn Sie es wüßte, wie ich Sie mit meiner Liebe verfolgt habe. Sie würde Ihre Thränen mit den meinigen mischen, um es Ihnen abzubitten – kommen Sie Julie, Sie wird stolz auf ihre neue Tochter seyn.

JULIE. Wie schön ist das, Dalton, hörst du das? Ich bin kein Wayse mehr, und ich habe nun auch einen Bruder – Aber bald, liebster Woldemar, denn jeder künftige Augenblick hängt über mir, wie ein Gewitter.[251]

WOLDEMAR. Wenn es geschehen soll, so muß es heute und zwar in dieser Stunde gestehen. Sie sind ausgegangen, und wir sind allein. Ich gehe um Anstalten zu machen, wir haben nur eine Stunde Zeit, Julie.


Geht ab.


Quelle:
Peter Helfrich Sturz: Schriften. Band 1, Leipzig 1779–1782, S. 248-252.
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