[33] Die Vorigen. Myrrha.
MENESTO sich tief verneigend.
Kränze legten
Wir achtsam um des Hauses Heiligtum.
Der Hochsitz steht in Blumen. Was gebietet
Die Herrentochter?
MYRRHA.
Freuen wollt' ich mich
Mit euch – Kranzopfer bringen, wie ihr tut,
Und mit des Liedes Wechselsang den Tag,
Des Feier alle Seelen hebt, verschönen.
Doch schau' ich um mich, find' ich halb nur froh
Die Blicke, und die Stirnen halb umwölkt.
Die Hände streck' ich aus, doch jähes Schweigen
Sagt mir voll Argwohn, daß ich draußen stehe.
Was ist's? Was bergt ihr mir?
MENESTO.
O Herrentochter,
Wer sonnumstrahlt den jungen Morgen grüßt
Wie du, der hüte sich, zu viel zu wissen.
Denn alte Sorgen sind wie alte Hände –[33]
Schwach scheinen sie und überflüssig –; doch
Umspannen sie die Welt. Nur Kindersinn,
Der ihre Macht nicht kennt, kann sie verlachen.
MYRRHA.
Jüngst hört' ich zu, wie meine Mutter sagte,
Ein neu Geschlecht erbaue sich von neuem
Die Welt. Das Wort verstand ich nicht. Nun wird
Es mir wohl klarer, doch wenn eure Sorgen
Und unsere sich nicht die Hände reichen,
Wo nehmen wir dann eine Zuflucht her?
MENESTO.
Sprich nicht von Zuflucht, nicht von Sorge. Du nicht.
Wacht nicht die Mutter liebreich über dir?
Hält nicht der Mann, den du als Vater preisest,
Das Zepter dieser Stadt? Blüht nicht in Prangen
Ein Bruder dir? Beschützt ihn nicht als Freund
Artemidor? Und wenn mich nicht zuweilen
Mein altes Auge täuscht, so will jetzt Eros
Den schärfsten Pfeil aus seinem Köcher nehmen
Und –
MYRRHA.
Still doch, Liebste! Peitsche nicht mit Ruten
Die wunde Seele, die sich schon genug
Bestraft.
MENESTO.
Bestraft? Wofür?
MYRRHA.
Ich weiß nicht. Weiß
Nur eines, daß –
Erschrocken.
Er kommt![34]
MENESTO sich nach hinten wendend, wo die Sklavinnen sich an den Bildsäulen zu schaffen machen, indem sie sie beklopfen und behorchen.
Was treibt ihr da,
Ihr Mägde?
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