92. Die geistliche Schmiedekunst

[533] Mel.: Psalm 24. Lobw.


1.

Mein Herz, ein Eisen grob und alt,

So hart, so kalt, so ungestalt,

Der Hausherr kann mich so nicht brauchen.

Die Liebe soll mein Feuer sein,

Durchs Beten komm' ich da hinein,

Ich halte still und laß es rauchen.


2.

Bläst dann der sanfte Liebeswind,

So wird das Herz in Lieb' entzünd't;

Ich halte still und lass' es glühen.

Des Eisens Schwärze muß vergehn,

Es wird allmählich weich und schön;

So glühend man's heraus mag ziehen.


3.

Der Sterbens- und Verleugnungsweg

Der Amboß ist, drauf ich mich leg',

Da fängt der Meister an zu schlagen;[533]

Des Meisters Arm gibt Schlag auf Schlag,

Das weiche Eisen giebet nach,

Es läßt sich wenden, krümmen, plagen.


4.

Es will sich doch nicht geben recht,

Drum ruft der Meister einem Knecht,

Der vorschlägt mit dem groben Hammer;

Der gute Freund und Helfersmann

Gibt tapfre Schläg', so gut er kann;

Schlag zu, so komm ich aus dem Jammer!


5.

Des Meisters Hand lenkt's alles wohl,

Daß jener schlägt da, wo er soll,

Und wie es zur Gestaltung nütze;

Bald legt er's wieder in die Glut,

Bald geht das Schmieden wieder gut,

Die Schläge folgen auf die Hitze.


6.

Im Feuer schien das Eisen schön,

Da dacht ich: Nun ist's bald geschehn.

Indem ward Feu'r und Glanz entzogen.

Da war mein Eisen schwarz und kalt,

Noch gar zu roh in der Gestalt;

Da sah mein Hoffen sich betrogen.


7.

Am Feilbrett innrer Not und Pein

Man schraubte mich so kalt hinein,

Man klemmte mich, um nicht zu weichen,

Man strich mit scharfer Feile kühn,[534]

Da flogen tausend Späne hin;

Drauf mußte man's ins Feine streichen.


8.

Mein Meister, du verstehst die Kunst,

Regier mich so, polier mich sonst,

Werd' ich nur endlich dir anständig!

Doch hilft kein feinpolierter Glanz,

Nicht über-, nein, durchgoldet ganz

Sei Herz und all's und feu'rbeständig!


Quelle:
Gerhard Tersteegen: Geistliches Blumengärtlein. Stuttgart 1956, S. 533-535.
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