Dritter Gesang.

[140] In einer prächtigen Wintertracht war heute die Sonne dem Erdball erschienen; ihr Einfluß hatte die lebenden Geschöpfe der Welt schon alle aus dem Schlafe geweckt, wenn ich in Savoyen die Murmeltiere, und in Deutschland die Mädchen ausnehme, welche die Mode erzieht; sogar die berühmten Schläfer der Residenz, alle Hofjunker und Staatsräthe waren erwacht, hatten nun ausgegähnt und fingen an ihren erhabenen Trieb nach Geschäften zu fühlen; denn einige verschluckten schon levantischen Kaffee und blätterten im Herrn und Diener,1 oder bezeichneten, um nach vollbrachtem Tage weiter zu lesen, dankbar die rührende Stelle, bei der ihnen den Abend vorher – die Gedanken in Schlaf übergingen. Mit edlem Eifer übten sich andere im Stillen die Zahlen der Würfel zu lenken, oder durch geschwinde Volten (ein mystisches Wort) sich über allen Wechsel des Glücks zu erheben. Die von flüchtigerm Geblüte flatterten schon über das Pflaster, um die blassen Fräulein an der Toilette zu besuchen, und ihnen durch mächtige Scherze rothe Wangen zu schaffen. Aber noch immer schnarchte der müde Magister; ja! er würde gewiß den Endzweck[140] seiner Reise, den so wichtigen Besuch bei dem Hofmarschall, verschlafen haben, hätte ihn nicht die käufische Stimme eines bärtigen Juden erschreckt, der dreimal schon vergebens an die Stubenthüre klopfte.

Haben Sie etwas zu schachern? schrie der Ebräer gewaltig hinein, daß die Fenster erklangen, und der betäubte Magister in die Höhe fuhr. Der Ungläubige floh – erschrocken sah der schläfrige Christ nach seiner tombacknen Uhr, erstaunte, daß es so spät war, und warf sich schleunig in seinen bepuderten Schwarzrock. Halb träumend lief er über die Gassen, und ohne Vorbereitung den Komplimenten des Hofmarschalls entgegen. Aber welche Muse beschreibt mir den Einzug des frommen Pedanten in das vergoldete Zimmer des glänzenden Weltmanns? In einem Schlafrock von Stoffe empfing er den Pastor mit offener Stirne und satyrischer Miene, die sein schlauer Diener verstand, der hinter dem Rücken des armen Magisters die galante Falschheit widerlächelnd bewunderte. Mit Husten und Scharrfüßen suchte der Supplikant den Eingang zur Rede; aber als Ceremonienmeister trat der bellende Melampus ihm entgegen – nöthigte ihn stille zu stehen, und zerstreuete die hervorquellenden Worte, daß sie ungehört vom Hofmarschall sich an den Spiegeln zerstießen, und ihr Widerhall den betenden Pfarrherrn in Angst und Schrecken versetzte. Endlich legte des Hofmanns mächtige Stimme dem ergrimmten Cerberus Stillschweigen auf – Gehorsam kroch er zu den Füßen seines Herrn, und leckte schmeichelnd den saffianen Pantoffel. Darauf wandte sich die Rede zu dem immer sich bückenden Verliebten: »Ich weiß schon Ihr Anbringen, lieber Herr Pastor, ist es nicht wahr? Sie wollen uns unsere Wilhelmine entziehen? das schönste und ehrlichste Mädchen in diesem ganzen Gebiete! Habe ich es nicht errathen, Herr Pastor? Schon gestern hat sie mir selbst Ihre Lieb' eröffnet, und mit verschämtem Gesichte um den glücklichen Abschied gebeten. Wohlan! Ich werde kein Hinderniß Ihrer Neigung und bescheidenen Bitte in den Weg legen, wenn Sie mir anders eine kleine Bedingung versprechen – werden Sie nicht unruhig, Herr Pastor! Es hat mich unsre Wilhelmine gebeten, morgen[141] selbst bei Ihrer Hochzeit zu erscheinen – Mit Vergnügen will ich auch kommen, und will selbst eine Gesellschaft versammeln, die Ihren Ehrentag glänzender machen wird, als eine Kirchmeß – eine Gesellschaft, die meinem Stande gemäß ist – wenn Sie – denn dies sey die Bedingung – wenn Sie die Tochter des alten Grafen von Nimmer vermögen, dieses Fest zu beleben. Er – der Ihr Nachbar ist, und oft vor Ihrer Kanzel erscheinet, wird sich nicht weigern, seine holde Klarisse auf die Hochzeit eines erbaulichen Predigers fahren zu lassen. – Der Komtesse aber sagen Sie heimlich: Ich würde dabei seyn. Auf meinen Befehl, der über die fürstliche Küche gebietet, sollen alsdann hundert fette Gerichte Ihre hochzeitliche Tafel schmücken, und Madera – Rheinwein – Champagner und ächte Heremitage sollen in solchem Ueberfluß fließen, wie an dem Hofe eines geistlichen Fürsten.«

Wie vergnügt hörte nicht der Verliebte diese freundlichen Reden – Gern und ohne Anstand versprach er, diesen leichten Befehlen zu folgen, um sich der hohen Ehre und Gnade würdig zu machen. Darauf nahm er Abschied und schnappte nach dem Zipfel des Schlafrocks: aber mit höflichen geübten Händen schlug der Hofmarschall beide Theile zurück, strich mit dem Fuße aus, und empfahl sich dem Pastor Sebaldus. Bald nach ihm trat Wilhelmine herein, und brachte ihrem gnädigen Gönner Chokolade mit perlendem Schaume; da gab ihr der Marschall das Dokument ihrer Tugend, den ehrlichsten Abschied, sauber auf Pergament geschrieben, und siehe da! welche großmüthige Gnade! Er umarmte sie mit gefälligen Händen, und küßte sie zärtlich. Eine ganz sapphische Empfindung strömte durch ihr dankbares Herz, und trieb ihren wallenden Busen empor, daß der blaßrothe Atlas zu knistern anfing, der ihn weit unter der Hälfte umspannte. Ach welch ein reizender Busen! o scherzhafte Muse beschreib ihn! Auf seiner linken Erhöhung lag ein mondförmiges Schönfleckchen aufgeheftet durch Gummi, von dem ein kleiner Liebesgott immer mit drolligsten Reverenzen die Blicke der Grafen und Läufer – Laquaien und Freiherren auf sich zog. Aber jetzt erhob sich dreimal die warme bebende Brust, und trennte die gedörrte Musche vom Gummi. Der[142] kleine Liebesgott – mit sammt seinem Gerüste, fiel – zwischen der Schnürbrust – unaufhaltsam hinunter, daß die Schöne schrie, und der ernsthafte Hofmarschall wirklich zu lachen anfing. So fällt ein prahlender Zahnarzt unter die morschen Trümmer seines Theaters, indem er mit stampfender Beredsamkeit dem Pöbel winkt, sein Rattenpulver zu kaufen. Sein erbärmlich Geschrei und das laute Lachen des Volkes betäuben den Jahrmarkt, wenn ihn nun aus dem theuern Schutte sein buntscheckiger Diener hervorzieht.

Mit einer bedeutenden Röthe rauschte bald die schöne Verlobte in die Versammlung der übrigen Zofen des Hofs, die schon ihre glühenden Wangen beneiden, aber Wilhelmine vollendet ihrer aller Verzweiflung, als sie ihnen den papiernen Triumph zeigt, den sie jetzt vom Hofmarschall erhalten. Aeußerlich klagen sie zwar ihre verkaufte Gespielin: »Ach du armes verblendetes Mädchen! So willst du denn fern von deinem verbrämten Amanten, in der Einöde des Landes dein junges Leben verseufzen – und nur von Bauern bewundert, den stolzen Busen erheben? So willst du denn in einer dunkeln geistlichen Hütte als Frau Magisterin wirthschaften? Ach du armes verblendetes Mädchen!«

So klagten alle die Zofen den Abschied der erweichten Wilhelmine, aber heimlich wünschte sich jede, bald auch so beweint zu werden, und in den sichern Armen des weiblichen Schutzgottes, des Hymen, den Wechsel des falschen Hofes zu verlachen.

Fußnoten

1 Eine bekannte Schrift des Herrn von Moser.


Quelle:
Moritz August von Thümmel: Werke, 4 Bände, Band 1, Stuttgart 1880.
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