Vierter Gesang.

Auf den Uhren war schon der Mittag vorüber, aber in den Häusern der Großen brach er erst mit festlichem Pomp aus der Küche hervor – Hekatomben rauchten ihm – denn die mittägliche Sonne hat noch nicht ihre Anbeter verloren – Mit mehrerm Eifer als wohl jemals ein ägyptischer Priester gehabt, feiern sie täglich ihr Fest, mit sonnenrothen Gesichtern, bis das wohlthätige Licht den[143] Kreis verläßt, und nun die stille Venus vom nächtlichen Himmel herabblinkt. Da erhub der gesättigte Pfarrherr seine gestiefelten Beine, und trat mit zerstreuten Gedanken seinen bestimmten zwei Meilen langen Weg an. Die alles vermögende Liebe hatt' jetzt den gelehrten Magister zu einem gemeinen Botenläufer erniedrigt, und er mußte, welche sonderbare Bedingung – als sein eigner Hochzeitbitter, noch ein zweites Jawort erbetteln, ehe sie ihn glücklich zu machen versprach. Der hochbeschneite Weg ermüdete sein Knie, und die duftende Kälte kandirte seinen schwarzen Bart, und bracht' ihm Zahnweh. Aber noch ein größeres Uebel, als Zahnweh und Müdigkeit, lauerte in dem nahen Walde auf ihn. Welcher boshafte Genius war es, der in Gestalt eines Holzhackers dem Priester entgegen kam? Ein unschuldiges, unbekümmertes Gesicht, die Larve der Heuchelei, betrogen den heiligen Wanderer. »Guter Freund,« redete er ihn vertraulich an, »sagt mir doch, ist dieses die rechte Straße nach Rennsdorf, dem Rittersitze des alten Grafen von Nimmer?« Ehrerbietig nahm jetzt der Boshafte vor dem Pastor den Hut ab und sagte: »Wer Sie auch sind – ehrwürdiger lieber Herr, so beklage ich Sie doch herzlich; denn dieser falsche Holzweg, auf welchem Sie wandeln, wird Sie weit von Rennsdorf ablocken; und wenn endlich sich die Schrecknisse der Nacht über diese Heide verbreiten, so müssen Sie Ihren ermüdeten Körper einer abgelegenen Schenke – einer Spitzbubenherberge vertrauen.« Da schlug der erschrockene Magister seine haarichten Fäuste zusammen. Lieber würd' er auf einem Ameisenhaufen geschlafen, oder wie ein Zigeuner, den Anbruch seines Hochzeitsfestes in einer hohlen Weide erwartet haben, als daß er einer Schenke das Vorrecht gegönnt hätte, seine geweiheten Glieder zu bedecken. »O mein Freund,« rief er, »den mir noch zu rechter Zeit ein guter Engel entgegen schickt, ach entfernt mich doch eilig von diesem Fußsteige, der meine Gebeine umsonst ermüdet, und zeigt mir den richtigen Weg, und nehmt im voraus für eure Bemühung ein dankbares Trinkgeld an.« Hier zog er – gleich einer alchymistischen Phiole, einen langen Beutel heraus, der in der Farbe der Hoffnung künstlich gestrickt war. Ein billiger Zwischenraum scheidete dreißig[144] Ephraimiten von einer güldenen Madonna. Ihres innern Werthes gewiß, erwartete sie ruhig ihr verzögerndes Schicksal, da sich indeß der jüdische Haufe mit Geräusche bis an die Mündung des Beutels drängte, um bald erlöset zu werden, und in einem ungewissen Kurse betrügerisch zu wuchern. Doch – indem noch der Pastor die großmüthige Belohnung und das Verdienst eines Wegweisers berechnet, so verschwindet Barschaft – Tagelöhner und Beutel, und der Gott der Kaufleute und Diebe verbirgt den Raub und den hurtigen Räuber in den Finsternissen des Waldes. Nun erfüllte eine lange unharmonische Klage des armen Magisters die Lüfte: »O du treuloser Verräther,« so schrie er, »wenn du auch – der du einen Priester beraubet, dem Dreiangel des Galgens, der Kühhaut und den glühenden Zangen entfliehst – so wird dich doch dein böses Gewissen und mein Fluch verfolgen, daß, wenn das eiskalte Fieber deine Glieder zerrüttet, dir keine bittere Essenz und kein Kirchengebet helfen soll, wenn du es auch mit einem Gulden bezahltest. Ohne Ernst und Andacht und in dem gleichgültigen Tone gesprochen, in dem wir oft für den Römischen Kaiser und alle weltliche Obrigkeiten beten, wird es in der Atmosphäre der Kanzel zerflattern.« – So schrie er und erholte sich langsam unter einer überhangenden Eiche. Ungewiß durch die Lügen des Räubers, ob dieß der rechte Weg sey, überließ er sich mit nagender Furcht seinem Verhängniß: doch die tröstende Liebe leitete seine zweifelhaften Füße durch die finstere Nacht glücklich in das labyrinthische Schloß des Grafen. Der zeitige Schlaf, und ein süßer Traum von einem Kapaune mit Austern, beherrscht schon den alten Gerichtsherrn, und es schliefen auch schon seine alten Bedienten, ob es gleich erst Neune geschlagen. Des ankommenden Fremdlings ehrwürdige Krause flößte dem Wächter des Hofs die schuldige Achtung ein, daß er ihn, nachdem er sein Verlangen erforscht, bis an die Stube der jungen Gräfin begleitete. Mit ihrer vertrauten Zofe, Sibylle genannt, saß die muntere Komtesse, den einen ihrer niedlichen Arme auf ihre verschobene Toilette gelehnt, und hielt in der andern einen vergoldeten zärtlichen Brief, den sie erst jetzt an den Hofmarschall, ihren Geliebten, geschrieben. Sie las ihn mit gedämpfter[145] Stimme ihrer kritischen Freundin vor, die aufmerksam zuzuhören schien, und unmerklich nur gähnte. Aber wer kann das Schrecken beschreiben, das diese zwei weiblichen Seelen ergriff, als der gekrümmte Zeigefinger des verspäteten Pastors an die Stubenthüre donnerte. Sie glaubten gewiß, ein prophetischer Verdacht habe die zänkische Gouvernante erweckt, die wie ein Polizeiverwalter alles Unrecht entdeckte, und dem alten Grafen verrieth. Mit angenommener Freimüthigkeit gebot die betroffene Komtesse ihrer Zofe, die verschlossene Kammerthüre hurtig zu öffnen: doch ihr furchtsamer Wink widersprach ihrem Befehle – Die kluge Sibylle verstand ihn, ging langsam zu Werke, klapperte scheinbar an der Thüre, und schmählte entsetzlich auf das strenge verrostete Schloß, da indeß ihre Gebieterin die nöthige Zeit gewann, mit Eau de Levante ihre Hände zu waschen, die hier und da von der verrätherischen Dinte noch glänzten, und auch den anklagenden Brief aus dem Wege zu schaffen. Mit gegenwärtigem Geiste, o wie liebenswürdig! ergriff sie ihn, zerquetschte seinen durchsichtigen Kavalier und das Posthorn,1 und warf ihn klein gedrückt, hurtig unter das Bette; aber wie dauerte sie nicht der wohlgeschriebene Brief, als nur der nachbarliche Herr Pastor zur Kammerthüre hereintrat. Einen solchen Wechsel von heftigem Schrecken und stiller Betrübniß empfand einst der freigeistige Desbarraux, als er sich zur Fastenzeit einen Eierkuchen erlaubte. Schon hatte sein erzkatholischer Diener, blaß wie der Tod, das verbotene Gericht auf die einsame Tafel gesetzt, als ein geschwindes Gewitter am Himmel heraufzog, ein schrecklicher Schlag die näschichte Seele betäubte, und ihm den ersten Bissen im Munde zu Galle verwandelte. Was das für ein Lärmen um einen Eierkuchen ist! schrie er halb unwillig, halb furchtsam; ergriff das rauchende Essen, und warf es im Eifer auf die beregnete Gasse; aber wie dauerte ihn nicht das verlorne gute Gericht, als das Gewitter vorüber ging! Beschämt warf er sich seine zaghafte Eilfertigkeit vor, und quälte aufs neue den abergläubischen Koch, ihm ein andres zu backen.[146]

Kaum hatte der kriechende Pfarrherr seine ermüdeten Füße von dem niedrigen Armstuhle gestreckt, und mit gnädiger Erlaubniß die beklemmende Weste geöffnet, so verrichtete er seinen Antrag mit der unnöthigen Vorsicht eines Pedanten. Er lispelte heimlich der Gräfin und ihrer Vertrauten dieß anbefohlne Geheimniß ins Ohr: Der gnädige Herr Hofmarschall werde dabei seyn – und keine, nein keine, als die gegenwärtigen Seelen konnten diese mystischen Worte vernehmen.

Welch ein Tiefsinn bedeckt' jetzt mit den Fittigen der Mitternacht das Kabinet der schönen Klarisse! Ihre erfindungsreiche Liebe stritt immer mit der schwerfälligen Einsicht des Magisters: doch beide mußten sich der Erfahrung eines grauen Kammermädchens unterwerfen. Anschläge wurden gefaßt, untersucht, und durch neue verdrängt! Lange ging das wichtige Projekt wie ein Würfel im Kreislaufe herum, ehe die ältliche Zofe mit der verschmitzten hohen Miene eines versuchten Ministers, ihre Gedanken in folgenden klugen Worten entdeckte: »Jetzt, ehrwürdiger Herr, da sich Ihre Augen nach Ruhe sehnen, so hören Sie kürzlich meinen unmaßgeblichen Vorschlag: meine willige Stimme soll jetzt dem Wächter des Hofes befehlen, daß sein sicheres Geleite Sie, den Windhunden vorbei, in die Stube führe, die unser Haushofmeister bewohnet. Dieser wird gern eine Nacht sein Bette mit Ihnen theilen, und morgen meldet er Sie bei dem gnädigen Grafen. Dann gehen Sie nur unerschrocken zu dem alten Papa; er wird Sie gewiß Ihrer Bitte gewähren; denn er liebet Sie von Herzen, und Ihre klagenden Jahrgänge haben seine hypochondrische Brust mit Ehrfurcht für Sie, Herr Pastor, erfüllet. Also schlafen Sie sanft! bis die Morgenröthe Ihre gestärkten Glieder zum fröhlichen Hochzeitfeste erweckt!« Ein gütiger Lobspruch aus dem rosenfarbenen Munde der Gräfin belohnte die Einsicht der Zofe – auch der Magister wollte ihr gern seinen Beifall darüber bezeigen, aber seine Worte verwandelten sich in gähnenden Mißlaut, daß er zu Hilfe ein beredtes Kopfnicken rief. In wenig Minuten war jeder wichtige Umstand nach Sibyllens Sinne geendet. Der Haushofmeister beherbergte den schnarchenden Magister, und die dunkelbraune Nacht[147] verbarg seine heimliche Ankunft unter ihrem Schleier vor der mißtrauischen Gouvernante und vor dem murrenden Hofhunde.

Der volle Morgen hatte den hochgebornen Gerichtsherrn erweckt. Jetzt überdenkt er noch im Bette den Zustand seines Magens und fordert mit schwelgerischer Neugier den frühen Küchenzettel – Da tritt der Haushofmeister herein, und meldet ihm die Beherbergung des verspäteten Pfarrherrn, und wie er jetzt voller Verlangen Ihro Gräfliche Gnaden zu sprechen, vor der Kammerthüre lauschte. »Je, willkommen, werther Herr Pastor, willkommen!« schrie der Graf dem Verliebten entgegen. Bückend trat dieser vor das Vorhangbette des Grafen, und sein schwerer Athem blies sogleich die hochzeitliche Bitte hervor, die er mit einer Menge von Wünschen beschloß, wozu ihm der Wechsel der Zeit die beste Gelegenheit darbot. Bei starkem ungeduldigem Herzklopfen wartete er nun, bis der Morgenhusten des stotternden Grafen sich legte – als er auf einmal diese deutliche Antwort vernahm: »O sehr gern will ich meiner Tochter das Vergnügen erlauben, an Ihrem Ehrentage, lieber Herr Pastor, im schönsten Putze zu glänzen. Der priesterlichen Aufsicht überlassen, ist ihre Tugend sicherer, als unter meinem eignen Dache. Ja, mein Freund, verlassen Sie Sich darauf, sie soll Nachmittags mit sechs rüstigen Pferden vor Ihrer Hausthüre erscheinen, und das Hochzeitgeschenk will ich selber besorgen. Damit aber auch Sie, mein Lieber, Sich nicht vor Ihrer nahen Hochzeit ermüden, oder wieder beraubt werden, und sich im Walde verirren, so soll meine geschwinde Jagdchaise Sie jetzt Ihren erwartenden Geschäften zurück führen, und meine aufrichtigen Wünsche sollen Ihnen folgen.« Da ergriff der entzückte Magister die schwere Hand des Grafen von Nimmer, küßte sie hundertmal, und benetzte sie mit Thränen der Freude, die über seinen stachlichten Bart herunter rollten, wie ein plötzlicher Sommerregen über die glänzenden Stoppeln der Felder. Wie rechtmäßig war diese Freude; denn nach diesem Orakelspruche endigte sich alle sein Leiden. Halb war nun schon die Bedingung des Hofmarschalls erfüllt, und für die andere Hälfte wird die schöne Klarisse schon sorgen. Mit einem segnenden Komplimente verließ er[148] die Stube des Grafen. An der Treppe lauerte die verschmitzte Sibylle auf ihn, und erforschte den Ausgang der Sache. Mit zwei kurzen Worten entdeckt' er ihr die gnädige Erlaubniß seines Patrons; und indem er sich in die Chaise warf, flog die erfreute Zofe zu ihrer Gebieterin. Nun beschäftigte die Wahl eines reizenden Putzes den ganzen Vormittag beide weibliche Herzen, und alles lag schon in der schönsten Ordnung, ehe der langsame Alte seiner Tochter die Bitte des Bräutigams, und seine eigene väterliche Erlaubniß anzukündigen glaubte. Sie hörte ihn an, als ob sie von nichts wüßte, und bedankte sich gleichgültig für die vergönnte Spazierfahrt – und leichtfertig erkundigte sie sich nach den übrigen Gästen der priesterlichen Hochzeit: doch der gute Alte wußte ihr keine Nachricht zu geben. »Wer wird dabei seyn,« sprach er, »als seine Confraters vom Lande.« Indessen klopfte das Herz der jungen Gräfin ungeduldig nach ihrem lieben Hofmarschalle, bis der geschäftige Putz die langen Minuten vertrieb, und ein sanfter Wagen die freundliche Göttin, nebst ihrer vielfarbigen Iris aufnahm, und zu dem Hofe des traurigen Schlosses hinaus flog.

Fußnoten

1 Welches die Zeichen des sogenannten Kavalier-oder Postpapiers sind.


Quelle:
Moritz August von Thümmel: Werke, 4 Bände, Band 1, Stuttgart 1880.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Wilhelmine
Wilhelmine: oder Der verliebte Pedant

Buchempfehlung

Holz, Arno

Papa Hamlet

Papa Hamlet

1889 erscheint unter dem Pseudonym Bjarne F. Holmsen diese erste gemeinsame Arbeit der beiden Freunde Arno Holz und Johannes Schlaf, die 1888 gemeinsame Wohnung bezogen hatten. Der Titelerzählung sind die kürzeren Texte »Der erste Schultag«, der den Schrecken eines Schulanfängers vor seinem gewalttätigen Lehrer beschreibt, und »Ein Tod«, der die letze Nacht eines Duellanten schildert, vorangestellt. »Papa Hamlet«, die mit Abstand wirkungsmächtigste Erzählung, beschreibt das Schiksal eines tobsüchtigen Schmierenschauspielers, der sein Kind tötet während er volltrunken in Hamletzitaten seine Jämmerlichkeit beklagt. Die Erzählung gilt als bahnbrechendes Paradebeispiel naturalistischer Dichtung.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon