|
[96] Bei Menelaos hielten, dem braunumlockten, in Sparta
Jungfrau'n, blühenden Schmuck hyakinthenen Kranzes im Haare,
Froh vor der Kammer, der neu in Farben erglänzenden, Rundtanz,
Zwölfe, die Ersten der Stadt und die Blume lakonischer Jugend,
Als heimführte die Schwester der Tyndarossöhne, die holde
Helena, sich zur Genossin des Atreus jüngerer Sprößling.
Laut aufsangen sie all' ein gemeinsam Lied, mit verschlung'nen
Füßen abstampfend den Takt, und vom Brautlied hallte die Wohnung:
»Schon so gar frühzeitig, o Bräutigam, sankst du in Schlummer?
Sind dir die Kniee vielleicht bleischwer? machst gerne den Nicker?
Trankest du etwa zu viel, daß dich es geworfen aufs Lager?
Trieb's dich so frühe zum Schlaf, dann mußtest du für dich allein gehn,
Lassend das Kind mit den Kindern annoch bei der zärtlichen Mutter
Spielen bis hoch in den Tag, denn übermorgen wie morgen
Und von Jahr zu Jahr ist dein, Menelaos, die Braut da.
Glücklicher Bräutigam, dir hat Wunsches Gewährung ein Guter,
Als gleich anderen Fürsten du kamst nach Sparta, genieset!
Du nur von den Heroen hast Zeus den Kroniden zum Schwäher!
Unter demselbigen Teppich gesellt sich die Tochter des Zeus dir,
Der gleich nirgends ein Weib den achaiischen Boden bewandelt.
Großes gebieret sie einst, wenn gleicht das Gebor'ne der Mutter!
Alle gesamt sind wir gleichalt'rige; einerlei Laufbahn
Laufend am Bad des Eurotas, nach Weise der Männer gesalbet,
Viermal sechzig der Mädchen, die Blüte der weiblichen Jugend:[97]
Doch ist untadelig keine, wenn Helena ihr sich vergleichet.
Eos, am Himmel erhöht, strahlt vor mit reizendem Antlitz,
Herrliches schafft weißschimmernd der Lenz nach Winters Hinabgang:
Also unter uns strahlet der goldenen Helena Schönheit.
Fruchtbarem Ackergefilde zum Schmuck prunkt hochauf die Saatflur
Und die Kypresse im Garten, das Thessaler-Roß an dem Wagen:
So Lakedämon zum Schmuck ist der Helena rosiges Prangen.
Also lieblich entwindet dem Körbchen nicht eine die Arbeit;
Dichter Geweb' hat keine am kunstvoll bildenden Webbaum,
Fest mit dem Kamme gewirkt, von der ragenden Spule geschnitten;
Keine verstehet es also die liebliche Laute zu rühren,
Singend der Artemis Lied und der Männin im Busen, Athene,
Wie es die Helena thut, all' was da hold ist im Blicke.
Liebliches Mädchen, o schönes, bereits bist du Hausfrau geworden,
Wir doch werden zur Bahn und den grünenden Kräutern der Wiese
Langsam wandeln, uns Kränze zu pflücken von duftigem Aushauch,
Vielfach deiner gedenkend, o Helena! so wie die Lämmchen,
Wenn sie noch unentwöhnt zur säugenden Mutter sich sehnen.
Dir ja zuerst den Kranz, aus niedrigem Lotos gewunden,
Müssen empor wir hängen an schattenumwogter Platane,
Dir auch zuerst nun müssen, entnehmend aus silberner Flasche,
Balsams Feuchte wir träufeln an schattenumwogter Platane.
Schrift auch werde gekerbt in die Rinde, und wer ihr vorbeigeht,
Lese: Nach dorischer Art gieb Ehr' mir, der Helena Baume.
Heil dir, Braut! Heil dir, Eidam des gewaltigen Schwähers!
Leto geb' euch, Leto, die Jugendernährerin, gebe
Fülle der Kinder! und Kypris, die göttliche Kypris, der Liebe
Gleichheit! Zeus der Kronid', Zeus geb' nie schwindenden Reichtum,
Daß er aus edlem Geschlechte zu edlem Geschlechte vererbe!
Schlaft, in den Busen einander euch Sehnsucht hauchend und Liebe;
Doch auch munter zu werden im Schimmer des Morgens vergeßt nicht!
Wir auch kehren zurück mit der Früh', wenn ihr erster Verkünder
Hell aus dem Nest aufkräht, hoch hebend den buschigen Nacken.
Hymen, o Hymenäos, erfreu' dich dieser Vermählung!«
N.
Buchempfehlung
Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.
546 Seiten, 18.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro