Karneval

[687] Väter, hört mich, Mütter, hört die Mahnung,

Jetzt kommt wieder jene Zeit – versteht! –,

Wo so manche Tugend ohne Ahnung

Der Besitzerin abhanden geht.


Beutesuchend schleicht umher das Laster;

Wer ist sicher, daß ihm nichts geschieht,

Wenn man jetzt der Busen Alabaster

Und beim Hofball auch die Nabel sieht?


Von den Blicken kommt es zur Berührung,

Irgendwo zu einem Druck der Hand,

Und so manches Mittel der Verführung

Sei aus Scham hier lieber nicht genannt!


Wenn an hochgewölbte Männerbrüste

Sich das zarte Fleisch der Mädchen drängt,

Regen sich von selbst die bösen Lüste

Und was sonst damit zusammenhängt.


Darum Eltern, wenn die Geigen klingen

Und die Klarinette schrillend pfeift,

Hütet eure Tochter vor den Dingen,

Die sie hoffentlich noch nicht begreift!

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 6, München 1968, S. 687-688.
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