Ludwig Tieck

Dichterleben

Zweiter Teil

(Der Dichter und sein Freund)


An einem warmen und heitern Sommertage stand der Wirt zur Krone in Oxford in der Tür seines großen Hauses, um die Kühlung zu genießen. Die Studierenden wandelten in ihren Mänteln im Schatten der Häuser, um sich vor der Stadt zu ergötzen. Ein großer lebhafter Mann, in der schwarzen Tracht des Gelehrten, kam mit eiligen Schritten die Straße herunter und blieb vor dem alten ehrsamen Bürger stehn, indem er sagte: »Euer Haus ist wieder leer, guter Mann, und es reisen nur wenige Menschen jetzt.«

»Nicht immer kann alles gleich sein«, erwiderte der Wirt, »eine große Feierlichkeit der Universität, eine Reise unsrer Königin Elisabeth, ein Fest in der Nähe, bringt dann einmal wieder alles doppelt und dreifach ein.«

»Man sagt«, erwiderte der Gelehrte, »es soll wieder eine Krankheit, eine ansteckende, und ein großes Sterben in London ausgebrochen sein, da werden sich wohl viele vom Adel und der reichen Bürgerschaft auf das Land hinausbegeben, und Eurer Krone wird es nicht an Gästen fehlen.«

»Ihr sprecht aber gar nicht mehr bei uns ein, verehrter Herr Cuffe«, antwortete der Gastwirt: »sonst versammeltet Ihr Euch so oft bei mir mit andern gelehrten Herren, und nebenher, daß ich schöne Kronen verdiente, erhört ich noch so manches gelehrte Wort bei der Aufwartung, so manchen Gedanken über Kirche und Staat, vielfältige Nachricht vom Zustand der Dinge in Europa, daß diese Abende zu den frohesten meines Lebens gehören. Auch könnt Ihr mir nicht nachsagen, daß ich mich aufgedrängt hätte, wenn ich merkte, Ihr wolltet allein sein, und noch weniger, daß ich an andere dumme Menschen das verschwatzt, was ich von Euch lernte.«

Der Gelehrte, welcher das Ansehn eines Mannes von einigen dreißig Jahren hatte, schien plötzlich verdrüßlich zu werden, denn er grüßte einen Professor, der soeben vorüberging, kaum, und sagte dann mit finstrer Miene: »Seht, Freund, seit ich auch Professor geworden bin, ist meine Jugend und mit ihr mein Frohsinn verschwunden. Wie vielen Verdruß ich schon[423] überstanden habe, daß ich nicht sein kann wie meine ältern und jüngern Kollegen, wißt Ihr selbst. Ist man einmal verhaßt oder beneidet, so weiß der lauernde Argwohn aus den gleichgültigsten Dingen etwas Verdächtiges herauszulesen; jeder Einfall, jeder Scherz wird dann wiedererzählt, durch Zusätze entstellt, den Vorgesetzten und Protektoren mit höhnischen Bemerkungen mitgeteilt, und man ist gefährlich, gottlos, Verleumder, bittrer Satiriker – und, was weiß ich, alles – bloß, weil man so ganz natürlich sich hat gehn lassen, und seiner augenblicklichen Laune ohne Berechnung nachgegeben. Gehe ich mit den älteren Herren wie mit meinesgleichen um, so nennen sie mich anmaßend: tu ich dasselbe mit den jüngern, oder gar den Studierenden, so will ich mir eine Partei machen, so will ich sie wohl gar gegen diesen und jenen aufwiegeln.«

»Die Erhöhung des Standes«, sagte der Wirt bedächtig, »die Autorität erfordert freilich Zwang und Einschränkung, und wie ich mich dazumal verheiratete und Bürger hier in Oxford wurde, habe ich auch erfahren, wie schwer es mir in den ersten Monaten wurde, mich mit einer gewissen Würde zu betragen, denn es ist wie ein Spiel, das man lernen muß, diesen Schein, diese Äußerlichkeit sich zu eigen zu machen. Hat man das Ding erst weg, so muß man sich nur hüten, nicht des Guten zu viel zu tun, und darinnen zu schwelgen, denn es ist doch nichts so anmutig und bequem, als sich vor den Leuten ein rechtes Ansehn zu geben, daß sie sich gleichsam fürchten, und Gedanken, Einsicht und treffliches Wissen in so einem armen Kopf, wie der meinige ist, vermuten, bloß weil er vorn im Gesicht ein Aushängeschild von Weisheit und Tugend mit großen Buchstaben schweben läßt.«

»Hübsch und wahr«, sagte der Professor; »doch werde ich mir niemals ein solches Bierzeichen malen lassen. Schade um die Wand, die dadurch entstellt wird. – Doch gebt uns, Freund, heut abend das große Zimmer, denn ich denke mit einigen frohen Leuten mir einmal wieder eine gute Stunde zu machen.«

Der Professor entfernte sich und der Wirt schmunzelte und sagte für sich: »Vielleicht ist denn diese Herablassung auch nur eine andere Art des gelehrten Hochmutes. Ohne Eitelkeit und Hoffart lebt denn doch fast kein Mensch, wie das die tägliche Erfahrung gibt, und zu wissen, wo die Eitelkeit dieses und jenes liegt, ob in der Autorität, oder in der Gelehrsamkeit, oder in der Schönheit und im Reichtum, heißt den Menschen schon großenteils erkannt haben.«[424]

Ein klepperndes Pferd, dessen Gang Müdigkeit ankündigte, ließ sich vernehmen. Bald ward der Reiter sichtbar, der sich bemühte, seinem Pferde neuen Mut einzuspornen, doch konnte er es nicht möglich machen, anders, als in einem Trab, der fast ein lahmer Paß war, vor dem Gasthof anzulangen. Er hielt; ein Aufwärter half ihm vom Roß, das der Diener sogleich in den Stall führte.

Der Fremde war vom Reiten erhitzt, er schien ein Mann von ohngefähr dreißig Jahren, war von mittlerer Größe, schlank gebaut und von freundlichem Wesen. Als der Wirt ihn begrüßte und der Gast den Hut abnahm, zeigte sich eine freie, heitre Stirn, von schlichten, dunkelbraunen Haaren umlegt. Im Verhältnis zum wohlgebauten Körper erschienen die Beine fast um etwas zu dünn; auch war der Tritt und Gang nicht so kräftig, als man dem sonst rüstigen Manne zutraute.

»Es macht heiß«, sagte der Wirt, »und nach dem Roß zu urteilen, habt Ihr, geehrter Herr, heut schon eine weite Tagereise gemacht.«

»Das Roß«, erwiderte jener, »ist nicht von den stärksten und schnellsten, aber freilich hat es arbeiten müssen, denn ich habe vorgestern um Mittag erst London verlassen. Räumet mir, wenn Ihr könnt, zwei Zimmer ein, denn ein Freund von mir wird heut noch eintreffen, und laßt meinen Mantelsack auf meine Stube bringen.«

Der Wirt verbeugte sich, und trat schnell in das Haus, um den Auftrag auszurichten. Der Fremde stand noch lange und betrachtete sinnend die Gebäude und die Stadt, dann ging er wie tiefdenkend vor dem Hause auf und ab, und schritt endlich langsam die Treppe hinauf, um sein Gemach aufzusuchen.

»Nun?« – sagte der Wirt im untern Zimmer zu einem magern, hochgewachsenen alten Mann, dessen Antlitz blaß und eingefallen war, die Lippen waren ihm so schmal, daß sie sich kaum zeigen konnten, und die kleinen Augen, von denen das rechte etwas schielte, funkelten mit blitzendem Feuer aus der blassen Maske des Gesichtes – »nun? alter Baptista, wie Ihr Euch am liebsten nennen hört, guter Freund und großer Philosoph, der Ihr alle Menschen aus dem Äußern, Gesicht, Händen, Haltung, Gang und Mienen erkennen wollt: – was urteilt Ihr von unserm soeben eingekehrten Fremden, den wir beide so genau beobachtet haben?«

Die hagre Gestalt stemmte den Ellbogen auf, und legte das eingefallene Gesicht in die Hand, indem er lange die Decke[425] des Zimmers anstarrte. Der alte Wirt und dessen Frau waren in Erwartung, welche Aufschlüsse diesem langen Nachsinnen folgen würden; doch jener Physiognomiker, der es seinen Freunden angewöhnt hatte, ihn, nach seinem berühmten Zeitgenossen Baptista della Porta, Baptista zu nennen, sagte endlich feierlich und mit gemessener Stimme: »Liebe, wißbegierige Menschen und Freunde, daß ich nach dem herrlichen Buch des Porta keine unnützen Studien gemacht habe, könnt ihr mir bezeugen, da euch meine Urteile mehrmals überrascht, und meine Entdeckungen zuweilen erschreckt haben, denn die Wissenschaft kann nicht trügen. Aber dieser nicht große und nicht kleine, nicht dünne und nicht dicke Mann gibt mir zu schaffen und macht mich zwar nicht irre, aber doch sehr nachdenklich. Es gibt nun ein doppeltes Erkennen: ein verneinendes und ein bejahendes; und wenn das letzte auch nur das eigentliche ist, so darf man das erste, welches bestimmt aussagt, was ein Mensch nach seiner Gestaltung nicht ist und nicht sein kann, schon eine Vorrede, Einleitung, oder Vorbereitung zum bejahenden nennen. Dieser Mann also, in dem einfachen schwarzen Anzuge, der ohne alle Bedienung reiset, ist gewiß kein vornehmer Graf, oder Lord, denn alle seine Bewegungen sind bescheiden, und seine behende Wendung und Gangweise zeugt eher von angewöhnter Unterwürfigkeit. Er ist aber auch kein Schneider, denn seine Kleider sitzen etwas nachlässig, er sah auch den Schnitt des Rockes von zwei Vorübergehenden nicht an. Ein Mann, der Vieh einkauft, ist er ebenfalls nicht, noch ein Seefahrer, denn er ist zu tiefsinnig und nicht gleichgültig gelaunt, wodurch sich diese Leute immerdar auszeichnen.«

»Er ist auch kein Gastwirt«, unterbrach ihn der Wirt, »denn er sah nicht einmal nach dem Stall, wie der beschaffen ist; er ist auch kein Weinhändler, denn – –«

»Still!« rief Baptista, »Ihr fahrt mir ohne Not zwischen meine Betrachtungen, denn so ist es nicht gemeint, sonst könnte ich auch hinzufügen, er sei kein Koch, oder kein Bäcker, noch weniger ein Kärrner oder Müller. Ich will ja mit meiner Rede nur andeuten, daß dieser Mann nichts Gewöhnliches, allgemein Herkömmliches sei, sondern irgendeinen Beruf erfülle, den die Gesellschaft zu den seltenen rechne. – Habt ihr denn wohl, ihr Freunde, als er seinen Reithandschuh auszog, seine feingeformte, weiße, liebliche Hand gesehn? Ach! was kann der Menschenbeobachter aus den Händen alles lesen, ahnden, fühlen und fürchten! Ihr spracht vorher mit unserm[426] verehrten Herrn Cuffe, Professor der griechischen Sprache im Merton-Collegium allhier; dieser noch junge Mann, dem so viele ältere Gelehrte wegen seines großen Wissens aufsässig sind, hat die schönste Hand, die ich in meinem Leben gesehn habe, so weiße, wie längliche Säulen gedrechselte Finger, die Knöchel bei jeder Bewegung wie Helfenbein hervorglänzend – ich könnte diese Hand immerdar in Liebe küssen, und schaudre doch vor dieser Schönheit zurück.«

»Wieso, Herr Philosoph?« fragte die Frau in Angst.

»Immer«, fuhr Baptista fort, »glänzen mich in diesen Knöcheln Totenschädel und die gebleichten Gebeine von Leichnamen an; mir ist immer zumut, als müsse der, der so wundersame Hand ausstreckt, eines gewaltsamen und frühen Todes sterben; auch deutet darauf seine Lebenslinie hin, die nur sehr kurz ist, und schon mitten in der Hand seltsam abbricht.«

»Laßt den jachzornigen, heftigen Mann nur nichts von Euren Grillen merken«, sagte der Wirt.

»Ei was!« erwiderte der Philosoph, »sein Schicksal, dem er die leuchtenden Hände entgegenreicht, wird ihn schon ohne mein Zutun ereilen. Aber, wieder auf unsern Fremden zu kommen: ich vermute: er ist etwa ein Rechnungsführer, oder Haushofmeister bei einer alten, reichen und vornehmen Dame. Sein Charakter ist mir aber völlig unverständlich, weil er eben so ganz wie ein Mensch aussieht.«

»Wie ein Mensch!« sagte der Wirt und lachte so heftig, daß er sich schüttelte. »Da habt Ihr in der Tat ein großes Geheimnis herausgebracht, daß er aussieht, wie wir alle. Und Rechnungsführer, Haushofmeister ist auch kein so absonderliches oder höchst seltnes Gewerbe.«

»Meinethalben«, antwortete Baptista empfindlich, »ich sprach dies nur obenhin, aber jenes erste Wort habt Ihr völlig mißverstanden, und lacht ganz ohne Ursache. Das Buch meines verehrten Freundes Baptista della Porta ruht großenteils auf jenen Beobachtungen, von denen ich Euch schon sonst erzählte, wie die Gestaltungen der Tierköpfe sich in der Physiognomie des Menschen wiederholen, veredeln, oft parodieren und über sich selbst spotten: oder auch das Tragische im Ausdrucke des Tieres im Angesichte des Menschen klar und bestimmt aussprechen. Wie mancher Löwe, Tiger, Adler grinzt, blickt und brüllt uns aus wohlbekannten edlen oder verworfenen Menschen an! So seh ich völlig einem abgemergelten, durch Hunger gezähmten Habicht ähnlich. Betrachtet mich[427] genauer und Ihr müßt Euch davon überzeugen. Ihr, Freund Leopold, habt ganz das unverkenntliche Ansehn eines Hundes, und zwar eines Bullenbeißers: seht in den Spiegel und stellt Euren Hofhund neben Euch, und Ihr findet dieselben Runzelfalten auf der Stirn, dieselben hängenden Wammen von den Wangen zum Hals hinunter, im finstern Blick der zusammengezogenen Augen dieselbe Gutmütigkeit und Treue. Eure gute Frau da ist völlig wie eine transmigrierte Gans, bloß sind die ausgedehnten Schnabelfutterale etwas mehr zu sogenannten Lippen zusammengezogen.«

»Ei was!« sagte die Frau sehr verdrüßlich: »laßt uns sein, wie uns Gott geschaffen hat, dessen Sache ist es, wenn er seine Allmacht beschränkt, und in das menschliche Wesen hinein die Wiederholung und Nachahmung seiner andern Kreaturen schreibt.«

»Die Philosophie«, sagte Baptista, »ist nicht dazu da, um unsern Sinnen oder der Eigenliebe zu schmeicheln. Wer hoch steigen will, darf die Treppen nicht scheuen. Wir selbst lügen uns schon hinreichend einander vor, die unsterbliche Wissenschaft muß sich nicht eben auch also erniedrigen. – Aber, auf unser Thema zurückzukommen – wie es so viele, vielleicht alle Tierbildungen sind, die sich im Menschen wieder abspiegeln, so muß sich doch auch das edelste Tier, der Mensch selbst, als solcher im Menschen wiederfinden. Und diese eigentümliche, diese wahre Menschheits-Linie richtig zu erkennen, ist für den Beobachter wohl die allerschwerste Aufgabe. Denn er muß die feine geistige Schrift lesen können, die Geheimschrift dem Ungeweihten ist und bleibt. Wenn Diogenes mit der Laterne am hellen Tage einen Menschen suchte, so kann im Gegenteil oft ein ganzes Chor von Chaldäern und Magiern den Menschen, der vor ihnen steht, nicht entziffern oder erkennen. Die Kanzleischrift jener Eselskinnbacken und Mohrenstirnen, der Kamel-Nasen und Affenblicke, der Hammel-Dumpfheit und Katzen-Lauersamkeit wird noch wohl zusammenbuchstabiert und mitunter vom Blatte schnell weggelesen; – aber die echte Form des wahren, natürlichen, einfachen und ungefälschten Menschen, dem nicht, wie die Farce in der Pastete, Tiergemengsel eingerührt und angeheftet ist, diese Schädel, Blicke, Wangen und Lippen, diese höchste Formation wird nur zu oft von den Menschen unbedeutend, gleichgültig, nichtssagend, mittelmäßig und wie noch genannt und gescholten, weil es die gelindeste Figur ist, die zarte Linie, die sich dem Menschenkenner offenbart.[428] Und ein solcher ist unser Fremder. Er wird im Marktgewühl des Lebens weder als schön noch edel auffallen, und dennoch ist er nach meiner Einsicht beides. Fragt sich nun, wenn ich hierin recht habe, wie es denn keinen Zweifel leidet, ob diese Menschen-Linie, wie ich sie nenne, nur eine und dieselbe sei, ob es verschiedene, und wie viele Formationen es gibt, und dies zu entdecken und zu unterscheiden, ist gerade noch im Geheimnis der geheimnisvollste Punkt.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte der Gastwirt, dessen Frau sich schon während der letzten Rede entfernt hatte. Baptista fuhr, wie sich selbst belehrend, fort: »Sehe ich nun in unserm Gast Harmonie im Antlitz, Geist und Güte im Auge, den Adel in der Bildung des Hauptes, in den Lippen Scharfsinn, in Brust und Körper Verstand, Menschlichkeit, Kraft und Tugend – so – o weh! so stören die zu dünnen, zu beweglichen, ganz matten Beine diesen schönen Eindruck der Übereinstimmung und Vollendung. Und so wird es im menschlichen Leben immerdar sein. Irgendwo wird das edle Gleichgewicht aufgehoben, durch welches der Mensch in der Reihe der Geister obenan steht; und so wird auch dieser Fremde neben seinen Vortrefflichkeiten seine Schwächen und Fehler haben, die sein Gutes stören, vielleicht zuzeiten vernichten. Er mag auch wohl ein zu großer Freund der Weiber sein, denn seine schwankenden Beine verraten mir wenigstens, daß er jetzt in einer heftigen, wohl unmännlichen Verliebtheit befangen ist.«

»Wie?« sagte der Gastwirt, und setzte sich dicht an den Redenden, indem er ihm starr in die Augen sah, »an den Beinen erkennt Ihr das, tiefsinniger Forscher?«

»Ohne Zweifel«, antwortete Baptista ganz ruhig; »und am sichersten nur an den Beinen. Das Auge, die Stirne, Wange und Mund wird wohl auch von andern Affekten, von Bewunderung, großen Gedanken, oder Freuden an der Natur so in Bewegung gesetzt, daß der Unwissende den Liebenden erkennen möchte, von Seufzern, gen Himmel blicken, an die Brust schlagen und dergleichen mehr, gar nicht zu sprechen, die selbst durch Schulden, dringende Gläubiger und Furcht vor dem Gefängnisse erzeugt werden können. Wer aber recht leidenschaftlich verliebt ist, der bekommt, ohne es selbst zu wissen, einen ganz eigentümlichen Gang. Indem Kopf und Herz ganz mit dem angebeteten Bilde angefüllt sind, die Hände arbeiten, schreiben, oder in der Nähe der Hauptwache oben sich mit anständigen, ruhigen Gebärden bemühen, treibt die Leidenschaft[429] und Schwärmerei, ohne Aufsicht gelassen, unten in den Beinen so recht dreist und vergnüglich ihr Wesen. Der Gang ist, wie auf einer feuchten, den Fuß hebenden Wiese, ein gewisser schwebender Rhythmus drückt sich in ihm aus, man möchte es Gesangesweise nennen: ginge der Liebende, wie die Alten, mit nacktem Fuß, so würden wir in jedem gekrümmten, zitternden, oder spielenden Zehen den Ausdruck der Leidenschaft im kleinen noch merklicher erkennen.«

Sowie der Alte die Rede schloß, hörte man von fern wieder ein Pferd, das aber im schnellsten Galopp über das Pflaster klirrte, und heran sprengte ein Jüngling von so wundersamer Schönheit, daß beide Männer ihn und sich mit Erstaunen ansahen. Ihm folgte ein zierlicher Diener, und indem der Reitende diesem sein Pferd, das sich noch mutig bäumte, gab, ließ er sich vom Aufwärter zu dem Zimmer des Fremden führen, nach welchem er sich sogleich mit dem ersten Worte erkundigt hatte.

»Seht Ihr«, rief der Physiognomiker: »wie richtig habe ich alles ergründet und gewahrsagt! da kommt unserm verliebten Fremden schon das allerschönste Mädchen des Landes nachgesprengt, die er aus einem vornehmen Hause entführt hat; gewiß die Tochter jener reichen hochadligen Witwe, deren Vermögen der Gast dort oben verwaltete und nun auf diese Weise mit ihr Abrechnung und Schluß gemacht hat. Ihr werdet sehn, daß wir in diesen Tagen noch etwas recht Seltsames erleben, denn gewiß wird die Mutter sowie die Verwandten die Flüchtige aufsuchen lassen und wieder zurückbringen wollen.«

»Ihr seid ein scharfsinniger Mann«, sagte der Wirt, »wie Ihr das alles so auf den ersten Blick erkennt. Aber hier in Oxford gibt es keinen einzigen Priester, der sie so schnell gegen den Willen ihrer Familie trauen wird. Die Verantwortung ist gar zu groß, wenn sie von vornehmem Geschlechte ist.«

»Das findet sich alles«, erwiderte der Philosoph, »denn es gibt immer verwegne Menschen. Ich wette, wenn sie sich diesem Professor Cuffe anvertrauen wollen, der ist tollkühn genug, irgendeinen armen Geistlichen zu bereden und herbeizuschaffen. Aber seht, seht«, schrie der Alte mit Enthusiasmus: »wer da noch herbeigeritten kommt!«

»Ei! ei!« rief der Wirt lebhaft, »unser allverehrter Herr Camden, der gewiß von seiner Reise aus Wallis zurückgekommen ist.«[430]

»Das ist ein großer Mann!« fuhr Baptista fort, »er ist kaum vierzig Jahr alt, und hat schon so vieles geleistet. In Sprachen, Geographie, Geschichte, Kenntnis des Landes.«

»Dem muß ich selber den Steigbügel halten!« sagte der Wirt, indem er eilig hinauslief, und dem neu angekommenen Gaste mit großer Ehrfurcht vom Pferde half. Baptista machte sich auch herbei, um dem Gelehrten seine Verehrung zu bezeigen, den er schon seit länger kannte. »Ei!« sagte der Wirt, »wie wird sich der gelehrte Herr Cuffe freuen, wenn er hört, daß Ihr die Universität wieder durch Eure Gegenwart beglückt. Ihr erlaubt mir doch, gleich zu ihm zu senden, denn er hat immer von Euch gesprochen, seitdem Ihr im Frühjahr bei dem ungesunden Wetter nach Wallis hineinreisetet.«

»Ist mein junger Freund wohl?« fragte Camden.

»Ja wohl«, erwiderte der Gastwirt: »wie immer, ein recht erfreulicher Mann.« Camden gab dem alten Baptista, der sich sehr um ihn bemühte, die Hand, und alle traten in das Haus.

Als es Abend geworden, kam der joviale Cuffe nach dem Gasthofe, um seinen ältern Freund Camden, den er so sehr hochschätzte, zu begrüßen. Er brachte zwei junge Leute mit sich, die nach Italien reisen wollten, um das Land und die Menschen kennenzulernen. Der ältere, Smith, war ein Verehrer der italienischen Dichtkunst, und der jüngere, Wilton, hatte sich mit Glück in lateinischen Versen versucht. Als Camden und Cuffe hörten, daß noch zwei Fremde im Hause wohnten, die von London zu Pferde gekommen wären, so schickten sie den Wirt zu diesen, um sie einzuladen, am gemeinsamen Gastmahl teilzunehmen. Während der Abwesenheit des Wirtes erzählte Baptista von dem entführten vornehmen Mädchen, und wie der verdächtige Fremde schon im voraus ein Zimmer neben dem seinigen bestellt habe. Ehe man die Sache noch weiter erörtert hatte, kam der Wirt zurück und meldete mit schalkhaftem Lächeln, die beiden Fremden würden mit Dank die Einladung annehmen und sich sehr geehrt fühlen, einer so ausgewählten Gesellschaft beiwohnen zu dürfen, wenn es ihnen erlaubt sei, Stand und Namen zu verschweigen. Man bewilligte diesen Wunsch, und selbst der ältere Camden glaubte jetzt, daß an der Erzählung des schwärmerischen Baptista etwas Wahres sein müsse. Alle sahen den beiden mit gespannter Erwartung entgegen, und als diese eintraten, wurden sie von den Anwesenden scharf geprüft und Stellung, Ton und Gestalt nach der Voraussetzung gemustert. Alle erstaunten über die Schönheit des[431] Jünglings, den sie für ein flüchtiges, entführtes Mädchen hielten, und der lebhafte Cuffe beneidete dem Fremden den Besitz dieser wunderbaren Jungfrau, die sogleich bei ihrem ersten Erscheinen aller Herzen gewonnen hatte.

»Wie mögt Ihr nur«, hub Cuffe bei Tische an, »teurer Wilton, Euch so abquälen, so vortreffliche lateinische Verse zu machen? Ich weiß wohl, daß Euch diese Geschicklichkeit bei hundert und wohl mehrern hundert Pedanten nicht nur in England, sondern in ganz Europa, mehr Ansehn verschafft, als wenn Ihr Ariost und Tasso in Eurer Person vereinigtet. Kann Euch an solchem Ruhm etwas liegen, und was habt Ihr selbst im eignen Gemüt für Genuß von dieser Geschicklichkeit? Wahrer Poet kann niemand in fremder, toter Sprache werden, er singt und dichtet nur für Gelehrte, die selbst halb oder ganz tot in ihren engen Stuben und unter den bestäubten Büchern sitzen. Ihr nehmt auch nur mit mehr oder minder Geschick und Glück die schon fertigen Reden und Wendungen aus dem Gedächtnis auf, statt aus der Phantasie, und das ganze Bestreben läuft auf eine Anstrengung, wie das Schauspiel, oder dem etwa Ähnliches, hinaus.«

»Gelehrter Freund«, antwortete Camden bedächtig, »Eure unruhige Unzufriedenheit spricht da gegen alle gelehrte, ja vielleicht menschliche Tätigkeit. Ist denn eben jede Poesie viel etwas anders? die Worte sind in der Sprache da, und Ihr könnt auch nur Gedanken mit diesen bekleiden: daß diese Gedanken aber groß und edel sind, mit Energie und Kürze, wohllautend und so ausgedrückt werden, daß sie sich leicht dem Gedächtnis einprägen, ist Euch, wenn Ihr Talent dazu habt, in jeder Sprache unbenommen, und vorzüglich in der römischen, deren vornehmer Anstand, ihr voller Ton, ihre gebildete Kürze und Virgilianische Süßigkeit oder leichte philosophische Geschwätzigkeit des Horaz in jedem von uns, der die Universitäten sah, schon von selbst die Erinnerung an alles Würdige weckt, so daß dem Poeten hier zumeist die Stimmung des Lesers schon entgegenkommt.«

»So ist es«, rief der unbekannte Jüngling hinüber, »wir selbst sind schon die halben Dichter, indem wir uns unsrer Erziehung und aller jener Eindrücke erinnern, die uns auf dem Wege der Verehrung und heiliger Dunkelheit die aufgeschlagenen Klassiker zuführten. Das aber ist es gerade, was ich mit jenem geistreichen Herrn Cuffe am meisten tadeln möchte. Die Sprache selbst ist der Poet und eigentlich Neues kann in ihr wohl nicht[432] gesagt werden. Wie anders, wer sich in der lebendigen, sich fortbewegenden Muttersprache kann vernehmen lassen. Eine neue Beziehung, die angeklungen, eine geistige Unterscheidung und Nebenbedeutung, welche angehaucht wird, können ein altes Wort zu einem neuen umschaffen: es bleibt unbenommen, aus dem gemeinen Leben das Bedeutsame in die Schriftsprache überzutragen, und Worte so zu veredeln, oder neu zu schaffen. So wächst die Rede, und mit ihr wird das, was in unserer Phantasie oder im Gefühl dunkel schwebt, deutlicher, der Poet ist selbst begeistert und begeistert auch seine Zuhörer, und so muß denn nach meiner Einsicht die wahre Dichtkunst etwas ganz andres sein und werden, als jene Tapetenwirkerei, die uns der verehrte Herr Camden für solche unterschieben wollte. Vergebt mir, werte Herren, daß ich als der Jüngste am Tische, mich mit meiner Meinung vielleicht zu voreilig hervorgedrängt habe.«

Die übrigen sahen sich erstaunt an und der alte Baptista rieb sich froh lächelnd die Hände. Der aufwartende Gastwirt sah den Jüngling mit dem größten Erstaunen an, daß ein Mädchen so gelehrt und noch dreister und zuversichtlicher als gelehrt sein könne. Camden erwiderte nach einer Pause mit einem bedeutenden Blicke zum Sprecher hinüber: »So anmutige Jugend hat immerdar recht, wenigstens ist es schwer, die rechten Argumente ihr gegenüber zu finden, die sie widerlegen könnten.«

»Nein«, sagte Cuffe sehr lebhaft, »so, Teuerster, müßt Ihr den jungen Mann nicht abweisen wollen, der sich in seinen Worten gleich als meinen Freund erwiesen und mein Herz für sich gewonnen hat. Denn eben darum handelt es sich ja, ob es eine ursprüngliche neulebendige Poesie in unsern Tagen geben könne, oder ob wir nur jenen Mustern des Altertums nachlallen dürfen, wie das Kind der Amme. Daß Italien große, wahrhafte Gesänge erzeugte, die jeden, der Ohr und Sinn hat, begeistern, wissen und glauben wir alle, nur daran zweifeln die meisten, und unter diesen vorzüglich die Gebildeteren, ob es uns Engländern noch einmal gelingen wird, die Muse herbeizurufen, daß sie sich in unsern einheimischen Tönen vernehmen lasse. Von wem, wie, bei welcher Veranlassung soll dies Wunderwerk hervorgebracht werden? Aus welcher Gegend unsers unfruchtbaren Bodens soll dieser neu belebende Quell entspringen? Wir haben manches versucht, aber in allem klingt und schmeckt hart oder fade der Ton und die Würze vor, die wir schon als verdorben von jenen Lateinern empfangen haben.«[433]

»Wie anders«, setzte Smith jetzt das Gespräch fort, »ist es mit meinen geliebten Italienern. Wie schwimmt in diesem Strom des Wohllauts der dichtende Schwan und spielt im klaren Gewässer, in diesen lautern Sprachwellen, die schon seit Petrarka so süß und berauschend rieseln. Die Nation versteht und bedarf diesen Gesang, jedes Herz kommt ihm mit ganz andrer Sehnsucht entgegen, als der Gelehrte den lateinischen Versen meines Freundes. – Vergleiche ich mit Ariost und Tasso, was unser Spenser versucht hat, so finde ich bei allem Bestreben nach Licht und Zartheit nur Dunkel und ein schweres, ich möchte fast sagen, schläfriges Wort. Vom Sidney und dessen weitschweifiger Nüchternheit möchte ich lieber gar nicht sprechen, wenn ich jene glänzenden Geister des Südens nenne. Und soll eine wahre Poesie zugleich allgemein gültig und doch national sein, so begreife ich ebensowenig, wie Herr Cuffe, von woher sie bei uns, wenigstens in diesen Tagen, ihren Ursprung nehmen soll.«

»Habt Ihr«, sagte der schöne Jüngling, »in London nicht Romeo und Julia gesehn?«

»Ich war lange nicht dort«, antwortete jener.

»Und ich ebensowenig«, sagte Cuffe, »aber ich kenne das langweilige erzählende Gedicht wohl, das in schlechter Sprache der Novelle eines Italieners nachgebildet ist; wie wir denn alles den Italienern nachahmen, ohne sie zu verstehen, noch weniger zu erreichen.«

»Was ich meine«, erwiderte der Jüngling, »ist eine Tragödie, die den Beifall besserer Kenner, als ich bin, davongetragen hat. Und dies Werk, wie einiges von unserm zu früh verstorbenen Greene und des besseren Marlowe verkündigen durch Glanz und Wärme einen schönen poetischen Frühling, der vielleicht bald anbricht.«

»Vom Theater«, sagte Cuffe, »erwartet Ihr, junger Herr, etwas Großes? Von dieser Anstalt, die bei uns so roh sich gebildet hat, die, wie die Bärenhetze, nur das gaffende müßige Volk herbeiziehen soll?«

»Und warum nicht?« fuhr der Jüngling lebhaft fort: »es ist schon viel geschehen und noch Größeres kann sich erfüllen. Ihr alle, meine Herren, scheint Euch um diese theatralischen Belustigungen, die Euch vielleicht nur für den Pöbel eingerichtet dünken, wenig oder gar nicht bekümmert zu haben. Euch schweben, auch dunkel vielleicht nur, die großen Gebilde der griechischen Bühne vor, oder gar die frostigen der Italiener,[434] die sich eine so vornehme Miene geben und wahrlich das Volk niemals berührt haben. Und so begeht Ihr, Herr Cuffe, nach meiner Einsicht doch einen ähnlichen Fehler, wie jene, die nur die lateinischen Verse für Gedichte halten wollen, und welchen Irrtum Ihr ebenso scharf rügtet, denn Ihr entzieht Euch ebenfalls der Kenntnis einer herrlichen Erscheinung, die Ihr verschmäht, weil sie so unmittelbar, ohne mit Gelehrsamkeit zu prunken, aus dem Volke aufwächst, ein nahes, immer wiederkehrendes Bedürfnis befriedigt und sich ohne Schutz der Großen, oder Anempfehlung der Gelehrten ausbildet.«

»Ihr mögt nicht unrecht haben«, antwortete Cuffe, »denn ich bin in dieser Gegend unsrer Poesie, wenn Ihr die Sache so zu nennen beliebt, völlig unwissend. Was ich vor Jahren sah, schien mir unbedeutend und ganz verwerflich, im Druck ist von diesen Dingen fast nichts erschienen; und was so ein Gorboduk, ein steifgezimmertes Wesen, das die Universitäten preisen, Großes bedeuten kann, vermag ich nicht einzusehn.«

»Willy!« rief der schöne Jüngling zu jenem Fremden, der bisher nicht mitgesprochen hatte, hinüber; »du sagst nichts?«

»Ich höre und lerne«, sagte dieser bescheiden; »wenn die Poesie, wie man sagt, göttlicher Abkunft ist, so erwählt sie vielleicht unbekannte Gegend und unscheinbare Geburt, um ohne Störung und zu frühen Widerspruch in ihrer prophetischen Kraft aufzutreten. So stand die Wiege Homers an einem Ort, den die Menschen nie wieder haben auffinden können, und Thespis wußte selbst nicht, was er aus den fröhlichen Dörfern nach Athen brachte, weil aus schlichtem Spaß und Gesang bald die Tragödie erwuchs. Der geehrte Herr Camden durchstreift mit Beschwer und Aufopferung die Provinzen, untersucht die alten Denkmale, sammelt Inschriften, bemüht sich um zerbrochene Steine – diese edle Bemühung ist ebenso patriotisch, als sie mir poetisch erscheint, denn es ist ein Bestreben, unser oft geschmähtes Land zu kennen und zu verherrlichen, uns die Vergangenheit und verdunkelte Zeiten zur Gegenwart zu erheben; – vielleicht mißlicher, aber nicht ganz zu verwerfen, möchte das Bestreben eines Aufmerksamen sein, aus den Anfängen, die uns unsre Poeten gegeben, und aus den Versuchen, die uns neuerdings unser Theater gezeigt hat, unsre künftige Dichtkunst und ihr eigentliches Wesen im voraus zu lesen oder zu ahnden.«

Camden nickte beifällig und sagte: »Gut gesprochen! der Gedanke hat meinen Beifall. Wir haben alle immer so wenig[435] Zeit, das zu beachten, was häufig vor unsern Füßen liegt; und so verliert man denn auch wohl den Sinn, um zu sehn und zu verstehen, was nicht schon von selbst zu den Begriffen paßt, an die wir uns seit lange gewöhnt, oder zu jenen Gedanken, die wir erlernt haben. Wüchse alle Wissenschaft nicht und veränderte sie sich nicht, so wäre sie eben nicht Wissenschaft: und doch kämpfen wir nur gar zu gern und voreilig, die wir im Besitz derselben zu sein glauben, gegen jede Erneuerung, oder jeden Widerspruch, weil wir sie ohne Untersuchung für Angriff halten, der uns um unser Eigentum bringen will.«

»Es ist auch vielleicht recht gut«, sagte der bescheidene Fremde, »wenn man diesem aufkeimenden Frühling Stille und Ruhe gewährt. Die Pflanzen und Blumen müssen sich erst fest im Boden gründen; mit Zweifeln sie angreifen und erschüttern, die Wurzeln entblößen, um nachzusehn, ob sie auch wachsen können, hieße gewiß ihren Wachstum stören. Die Großen beschützen nicht leicht, ohne auch an Wissen und Kunst ihre bestimmten Anforderungen zu machen, die Gelehrten unterstützen selten in anderer Absicht, als ihre Meinungen und Erwartungen, die oft spitzfindig sind, oder ganz außerhalb der Sache liegen, in den Poesieen wiederzufinden, die sie befördern wollen.«

»Wieder sehr verständig gesprochen«, sagte Camden lächelnd: »nach Eurer Meinung sollten die Herren Dichter sich vor den Gelehrten, Philosophen, Grammatikern, Philologen, und wie sie alle heißen mögen, eher zu hüten haben, als daß sie Ursach hätten, den Umgang und die Freundschaft mit ihnen aufzusuchen. Es brauchen freilich nicht immer wilde Soldaten zu sein, die die künstlichen Kreise des Archimedes stören.«

»Wenn der Gelehrte«, fuhr der Fremde fort, »der die Griechen und Römer kennt und auch wohl ein Freund der neuen Poesie zu sein glaubt, nach jenen Mustern der Alten jetzt für unser Theater schreiben wollte, das schon durch den Beifall des Volkes einen bestimmten Charakter angenommen hat, so könnte er schwerlich gefallen, wollte er aber, mit noch so guter Meinung, raten und tadeln, so könnte er nur irremachen.«

»Sehr wahr«, antwortete Camden, »der Widerspruch eines Aristophanes wird erst erfreulich, wenn auf der fest gegründeten Bühne der verehrte und geliebte Euripides über den Gegner und dessen Späße lachen kann, wie das erfreute Volk. Hätte ein so scharfer Geist ebenso gegen den Anfang des Äschylus gewütet und Partei gemacht, so konnte er die athenische Bühne,[436] wenn nicht vernichten, so doch ihr eine andre, wohl nicht so großartige Richtung geben.«

»Wie oft«, fiel Cuffe ein, »mag etwas Ähnliches schon im Verlauf der Zeiten geschehen sein. Hat dagegen Kunst oder Poesie erst Wurzel gefaßt und kommt die Zeit dem Schmuck der Welt mit Liebe entgegen, so kann schon viel Verkehrtes, Törichtes und Irremachendes geschehn, ohne daß die dichten Bäume, die sich gegenseitig schützen, an Blüte und Frucht sonderlichen Schaden litten. Mit den Begebenheiten der Geschichte ist es nicht anders beschaffen. Wir sehn oft eine große Veränderung, eine Umwälzung der Dinge sich erst schwach, und immer stärker und stärker ankündigen, bis endlich der Geist der Begebenheit sich ganz und vollständig gekräftigt hat; nun beherrscht und zerstört er, indem er alle die Mächte an sich zieht, die sich in der Stille ihm entgegengebildet haben. Darum keine größere Kurzsichtigkeit der Mächtigen und Regenten, als wenn sie eine Tat oder einen Mann verlachen, die sie für diesen Augenblick bezwungen haben. Derselbe Geist kehrt doch einmal in der gottgewirkten Rüstung des Achilles wieder, und erschlägt nicht bloß Krieger des Heeres, sondern Hektorn selbst, Trojas Hoffnung und stärksten Pfeiler. Wiklef mußte fallen, Huß ward verbrannt, aber Luther siegte.«

»Ob so unbedingt zum Glück der Welt«, warf der schöne Jüngling keck ein, »ist eine Frage, die zu lösen bleibt.«

Camden sah verdrüßlich auf. »Nein, meine Freunde«, rief er, »laßt uns, und den lieben jungen Herrn bitte ich inständig darum, unserm Gespräch nicht eine solche Wendung geben, daß wir es alle bereuen und uns gegenseitig hassen müßten. Ob sich, wie Erasmus und andre gutmeinende edle Männer dachten, die alte Hierarchie verstockter Priester, der Druck der Gewissen, die Hemmung des freien Denkens und Entwickelns auf gelindere Weise lösen, und der unter Formeln eingeschnürte Geist entbinden ließe, ist eine bedenkliche Frage: bedenklich, schon indem sie nur aufgeworfen wird, denn es zeigt an, daß der Frager mit dem großen Gange des Schicksals selbst nicht einverstanden ist, welches dieses Zerhauen des Knotens, statt der Auflösung, zuließ. Wir Engländer aber, wollen wir gegen die gütige Vorsehung nicht undankbar sein, müssen den Bruch mit Rom segnen, und uns, nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, von jedem Zweifel, wie von einem Verrate, abwenden. Darum lassen wir keine Erörterung der Art zu, weil auch die kleinste einen Tadel unserer großen Königin enthält. Hofft Ihr[437] aber, liebes Kind, auf eine Entstehung und Blüte eigentümlicher vaterländischer Poesie, so kann sie gewiß nur auf dieser Reformation, auf der Freiheit begründet sein, sie muß diese großen Interessen unseres Staates und der Welt aussprechen und erklären, des Bürgers und Menschen edle Freiheit, die Kraft des Geistes, den Tiefsinn der Geschichte. Dann sehn wir auch vielleicht etwas anderes, als die Gleichgültigkeit eines Ariost, die alles Zufällige nur mit Phantasie willkürlich aufschmückt, oder als die geputzte Rechtgläubigkeit des Tasso. In lebendiger Kraft kämpfte Dante schon gegen der Priester Verfinsterung: großgeistig, aber doch nur als Ghibelline, aus seiner Partei. Neue Wissenschaft und Kunst muß freisinniger und von mehr Seiten her diese willkürlichen Beschränkungen des Geistes zurückschlagen.«

»Vortrefflich! geehrter, herrlicher Freund!« rief Cuffe aus: »gewiß können erst Staaten und Völker groß werden, wenn alles, in Verwaltung, Gesinnung, Bürgerleben und Wissenschaft, vom Gefühl für das allgemeine Wohl, von der Wahrheit durchdrungen ist. Ich mag es gerne glauben, daß unser Vaterland auf diesem Wege vorschreitet, und in diesem Glauben möchte ich denn jeden andern Stand beneiden, indem ich den meinigen beklage. Was soll ich hier, auf der Universität, als Erklärer und Ausleger der griechischen Autoren beginnen? Worte klaubend, Redensarten erklärend, Stellen bezweifelnd, frühere Meinungen über Kleinigkeiten widerlegend: ist dieses nicht ein Beruf, eigen dazu ersonnen, um die Kräfte, die dem Vaterland nützlich sein könnten, tot darnieder zu werfen? Bin ich nicht bestimmt, diese Schlafsucht, die meinen Geist erstarren macht, andern mitzuteilen, damit nur ja nicht zu viel Leben sich rege und durch die Adern des Staates verbreite? Seh ich, was unsre Seehelden schon ausgerichtet, was Burleigh, Howard, Raleigh, und wie viele andere für ihr Land getan haben, so zerknirsche ich meine Federn hinter meinem Schreibtisch, an mir selber verzweifelnd. Handlung und Wohlstand verbreitet und kräftigt sich, die Kirche streitet und siegt, das übermütige Spanien ist durch uns gedemütigt, und der arme verlassene Gelehrte mißt Silbenfüße, ängstigt sich um die Abstammung eines Wortes, und muß sich glücklich schätzen, wenn er den Schreibfehler eines stumpfsinnigen Kopisten berichtigen kann. Von der Poesie hoffen also einige unter uns, daß auch sie sich erheben und unsre Gegenwart verklären werde? Handeln, Einrichten, Streiten, mit den Regierenden fortgehen,[438] ihnen dienen oder sie hemmen, in der Nähe des Thrones schaffen und wirken, das ist die wahre, die höchste Poesie, hier erschließt sich das Verständnis des Lebens, und wenn ich mir die Möglichkeit denke, einmal so zu wirken und nützen zu können, so erblaßt mir vor diesem Glanz alles andere Leben und Handeln.«

»Es stünde schlimm um uns«, erwiderte Camden sehr ernsthaft, »wenn es in der Wissenschaft und Gelehrsamkeit so ganz öde Steppen geben könnte, die sich nicht zum Heil der Welt befruchten ließen. Es muß eben nicht alles auf eine und dieselbe Weise nützen, der Staat mit seinen vielen Adern und Zweigen, das Menschengeschlecht mit seinen unzähligen geistigen Bedürfnissen findet schon den Nutzen und die Anwendung, die der Wackere ihm, bei oft gering scheinenden Dingen, vorgearbeitet hat, und trägt die einfache Nahrung bis zum Herzen hin. Jeder Beruf ist ein heiliger, und ihm treu bleiben ist die echte Tugend des Mannes.«

»So ist es!« rief plötzlich der alte Baptista aus, der indessen fleißig getrunken hatte: »nichts in der Welt steht höher, als der Beruf! Somit trinke ich denn dieses Glas auf die Gesundheit des erlauchten Brautpaars, obgleich das Bräutchen etwas von einer Amazone hat.«

Er verneigte sich gegen den Jüngling, der ihn mit Erstaunen betrachtete. Baptista schlürfte mit Wohlbehagen den Wein und setzte nachher das Glas, schalkhaft lächelnd und auch den Fremden zunickend, auf den Tisch.

»Meine Freunde, Smith und Wilton«, fing Cuffe nach einer Pause wieder an, »ihr werdet aber sehr vorsichtig sein müssen, daß ihr in Italien, vorzüglich wenn ihr nach Rom kommt, nicht als Ketzer verfolgt werdet. Es ist besser, wenn ihr verschweigen könnt, daß ihr Engländer seid. Kommt ihr nach einiger Zeit zurück, so habt ihr im Vaterlande selbst vielleicht noch mehr Not, daß man euch nicht für Emissare und Spione der Jesuiten hält. Dieser Kampf der ausländischen Katholiken und Priester, ihre Verbindungen mit den Mißvergnügten in England, die Absicht, die neu eingerichtete Kirche und mit ihr die Regierung, die Königin wieder zu stürzen, war die Geschichte, die seit unsrer frühen Jugend sich immerdar vor unsern Augen wiederholt hat. Glücklich, daß wir nun endlich die schlimmste Zeit des Mißtrauens und der Verfolgung, die eine unermüdliche Verschwörung notwendig machte, hinter uns haben. Seit die schlimmsten Hemmungen, die größten Gefahren überwunden[439] sind, die uns alle von dieser Seite bedrohten, ist dem Staate, den Regierenden, dem Bürger und der Wissenschaft erst möglich, sich recht frei und nach allen Seiten hin zu entwickeln. Es scheint aber, daß, wenn der Mensch keine Feinde hat, er sich selber welche mache, um nur nicht in Untätigkeit zu versinken. Die Katholiken sind kaum und die Hierarchie ziemlich unschädlich gemacht, als unsre Kirche und viele Gelehrte wie Staatsmänner auch schon eine noch schärfere Verfolgung gegen die Puritaner unternimmt und predigt. Soll die neue protestantische Kirche aber sich aufrecht erhalten und fest begründen, so bedarf sie selbst dieser Reiniger und strengeren Christen, um nicht zu erschlaffen und sich in Zukunft in ein Nichts zu zerstreuen, da wir niemals eine echte, unerschütterliche Hierarchie, wie die Papisten, aufbauen können. Es ist also gut, wenn diese beiden Richtungen sich, die herrschende Kirche und die Gesinnung, die gegen diese kämpft, ausbilden und beide ihr Recht behaupten. Es hat mir wohlgefallen, daß auch Leicester schon dieses eingesehn hat, und daß er sich in den letzten Jahren seines Lebens der armen Verfolgten annahm, um, soviel er vermochte, der unterdrückten Sekte aufhelfend, ein Gleichgewicht in den religiösen Meinungen zu erschaffen. Und ist es denn zu leugnen, daß in dieser Gemeine, die man nur allzugern als Schwärmer und rohe Unzufriedne schildert, tugendhafte Männer, edle Patrioten, tiefsinnige Denker und starke Charaktere angetroffen worden? Wenn dem Heil des Landes, der Regierung selbst, der Sicherheit keine Gefahr droht, so halte ich es für verwerflich, daß der Protestant nun gegen seine christlichen Mitbrüder dieselbe Tyrannei ausüben will, der zu entgehn er mit so großer Anstrengung und vielen Opfern dem Papst den Gehorsam aufgekündigt hat.«

»Ihr scheint mir«, nahm der Fremde das Wort, »jetzt gegen Euch selbst zu sprechen und Eure vorigen Behauptungen, geehrter Herr, wieder umzustoßen. Die neu eingerichtete Kirche mit ihren religiösen, wie politischen Fundamenten ist auch als ein Kunstwerk, ein tiefsinniges Gebäude anzusehn, das noch lange nicht so vollendet ist, um jeder Erschütterung mit Sicherheit trotzen zu können. Denn es gilt hier mehr als Frage, Zweifel, oder Erörterung; keine Untersuchung, die wohl, wenn auch zu früh eintretend, der Sache förderlich sein könnte. Diese Schwärmer, wie ich sie nennen muß, wollen aber das Fundament der Kirche selbst zertrümmern: jede Satzung, Sitte, Form, Zeremonie ist ihnen ein Greuel und sie sehn Religion und[440] Christentum nur in jener rohen, unerfreulichen Gestalt, die Heiterkeit, Kunst und selbst Wissenschaft von dem Göttlichen ausschließt; noch mehr, alles dieses, was das Leben und den Menschen veredelt, als Weltliches, Schädliches, der Religion Feindseliges, verklagt und verfolgt. Hat ein Teil der Welt die zu drückenden Fesseln des Papstes zerbrochen, und hat das Schicksal selbst diesen Kampf begünstiget, so drohen uns von diesen gereinigten, wahren Christen, wie sie sich nur zu gern nennen, noch schlimmere Bande. Die römische Hierarchie kämpfte doch nur wegen weltlichen Besitzes und Vorteils, sie tyrannisierte die Gewissen aus Eigennutz und tiefer Verblendung der Leidenschaft; aber in der bessern Zeit wie in der schlimmen selbst wies sie nicht unbedingt Kunst und Wissenschaft als feindselige Wesen von sich; die Ketzer suchte sie zu zerstören, weil sie sonst selber untergehn mußte: doch dieser neue Judaismus der gereinigten Religion wirft nicht nur, wenn er siegen könnte, anders denkende Sekten zu Boden, sondern das Menschliche selbst, indem er ebenso keck als verwirrt behauptet, das Schöne könne niemals gut sein. Was eine so finstere Gesinnung aus einem Staate machen dürfte, hoffe ich nicht zu erleben. Ist das, was ich sagte, nur irgend wahr, so ist der Kampf gegen diese verblendeten und hochmütigen Sektierer nicht nur erlaubt, sondern wohl selbst eine Pflicht des Patrioten.«

»Ich muß dem verständigen Mann wiederum beipflichten«, sagte Camden. »Mein Freund Cuffe ist unruhig und unzufrieden, und möchte alles rechtfertigen und befördern, was nur das Gleichgewicht, sosehr er es preisen will, aufhebt und stört.«

»Euer Beifall ehrt mich«, sagte der Fremde, »erlaubt mir aber, noch einige Worte hinzuzufügen. Ein Staat, eine Zeit sind nur dann mit Recht glücklich zu preisen, wenn jenes wahre Gleichgewicht aller Kräfte sich zeigt. Bedroht der Feind das Land, gibt es dann eine höhere Erscheinung, als den Heldenmut, der, den Tod verachtend, die Gefahr zurückschlägt? Ist aber durch Kraft und Tugend das Land gerettet, und Friede und Sicherheit zurückgekehrt, so muß dieser Heroismus wieder zur Milde, Ordnung, Wachsamkeit werden; will er aber immerdar kämpfen und sich aufopfern, so zerstört er sich und andre, vielleicht, wenn es die Verhängnisse zulassen, das Vaterland, und Laster wird das, was erst als erhabne Tugend glänzte. Ein Staat, der ganz und gar nur den Künsten und der Poesie[441] leben wollte, indem die Begeisterung für diese allein obwaltete, würde zuletzt in das Lächerliche und Alberne verfallen müssen. Der Streit für Religion und Gewissen, das Festhalten an dieser Erhebung kann ebenfalls nicht als ein bestehender Zustand ein erwünschter sein. Die Opfer waren notwendig, die Entzündung der Gemüter eine große Erscheinung, aber da die Ruhe nicht hergestellt werden konnte, jenes unentbehrliche Gleichgewicht – welche Greuel hat dieser Meinungskampf im benachbarten Frankreich hervorgebracht? Und wieviel Blut wird dort noch fließen? England war so glücklich, daß sich nach einigen starken Erschütterungen diese Ruhe einstellte. Das Volk braucht darum nicht gottlos und unchristlich zu sein, wenn es so Kampf, wie Erbitterung, Grübeln und Enthusiasmus über und für das Unsichtbare und Unbegreifliche aufgibt, und sich, wie einer ebenso frommen als politischen Einrichtung, milde und demütig der Kirche fügt, und den Theologen selbst die Religion als Wissenschaft überläßt, daß diese sie philosophisch oder mystisch ausbauen mögen. Eben nur in diesem ruhigen Vertrauen kann es sich abwechselnd ihr, der Vaterlandsliebe, dem Handel, Gewerbe, Ackerbau, dem Denken, dem Wissen, den Künsten, dem Scherz und Theater, oder was es nun sei, überlassen. Jener eifernde Kampf, jenes Daransetzen aller Kräfte und des Leibes und Gutes ist nur die Periode der Entwicklung, und muß vorübergehend sein, wenn nicht unter dem Anschein und Vorwand, das Höchste und Edelste in uns auszubilden, wir zu Barbaren verwildern und statt der Fülle und Herrlichkeit das Leere und Nichtige ergreifen sollen. So mag der Gottesdienst, Glaube und alles, was mit diesem zusammenhängt, eine stille Gewohnheit, ein süßes Bedürfnis werden; wo ich aber aufgereizte Gemüter wahrnehme, zanksüchtige, bis zum Verfolgen gesteigerte, da dünkt mich das Heilige immer am meisten gefährdet. Man soll nie vergessen, daß auch in der ruhigen Beschäftigung, in der Arbeit des Feldes oder der Gewerke, im scheinbar Niedrigen und Unbedeutenden das Himmlische gegenwärtig sein kann.«

»Daß ein so verliebter Mensch so vernünftig und philosophisch sprechen kann!« rief der ganz trunkne Baptista. Der Fremde errötete: »Warum haltet Ihr mich für verliebt?« fragte er in Verlegenheit. – »Die Sache spricht ja für sich selbst«, antwortete jener, »und wahrlich, bei Euch wird der Ausspruch des Lateiners zur Lüge, daß es den Göttern selber nicht erlaubt und möglich sei, zu lieben und weise zu bleiben. Also[442] übertrefft Ihr, unbekannter Herr Liebender, selbst die unsterblichen Götter der alten Heidenwelt.«

Alle sahen den Fremden und den alten Schwätzer unruhig an, und der bedienende Wirt, der um seinen alten Freund besorgt war, hob ihn vom Tische auf und trat mit ihm in das Fenster, damit die Gesellschaft nicht verstimmt werden möchte. Da der Philosoph immer noch zu schwatzen fortfuhr, so führte er ihn endlich aus dem Zimmer, um ihn zu Bett zu bringen, oder ihn zu vermögen, daß er sich auf der Straße in kühler Nacht ergehn und seine Besonnenheit wiederfinden möge.

Die Gesellschaft setzte indessen heiter ihre Gespräche fort, und Cuffe, so spröde er sonst war, schien dem Fremden, dem alle ihre Hochachtung bezeigten, in seinen Behauptungen recht zu geben. Der junge Mensch nahm dies mit sichtlichem Wohlgefallen auf, und liebkosete dem Fremden so, daß alle endlich fast überzeugt waren, diese schöne Erscheinung sei die Geliebte und Braut des Unbekannten, obgleich sie doch damit das männliche Betragen, die Keckheit und selbst die Kenntnisse nicht zu vereinigen wußten, die dieses Wesen, das sie für ein Mädchen hielten, gezeigt hatte.

Jetzt aber wurden sie von einem Auftritt überrascht, der alle noch weit mehr in Verwunderung setzte. Mit Geräusch trat Baptista wieder in den Saal, und führte einen langgewachsenen dürren und ältlichen Mann, der ihn an Größe überragte, herein, indem er laut ausrief: »Hier ist der Priester, der die Brautleute trauen kann!« – Kaum hatte das scheinbare Mädchen den fremden Mann, der hochaufgerichtet in seinem schwarzen Kleide wie eine Säule gerade stand und seltsam lächelte, gesehn, als sie vom Tisch aufsprang, sich auf die Zehen stellte, den Dolch aus dem Gürtel zog, die fremde Erscheinung bei der Halskrause faßte, und mit heftigem männlichem Tone laut rief: »Die Schneide stoße ich dir in die Gurgel, alter Mann, wenn du ein einziges Wort von mir sprichst, oder mich nennst!«

Zitternd machte sich der Fremde los und sagte stotternd: »- Nichts – teurer, junger, verehrter Freund – Ihr wollet zumal gelieben, als ein Unbekannter der Tafel und Speisegesellschaft gegenwärtig zu verbleiben – bene – gut – et io – bin der Meinung, opinione – nur vergönnt mir, mich ebenfalls niederzulassen, seitemalen einen weiten Weg a cavallo, zu Pferde, wie man sagt, hierher gemacht.«

Die Gesellschaft hatte sich erhoben und setzte sich jetzt wieder[443] nieder, indem der Wirt noch einen Stuhl für den neu angekommenen seltsamen Gast neben Baptista einschob. Jeder betrachtete den Fremden, der langsam, aber mit vielem Appetite aß.

Als man wieder beruhigt war, bat der Jüngling wegen seiner Heftigkeit um Verzeihung. Die Sache erschien jetzt mehr lächerlich und der neu hinzugekommene Gast suchte im Wein seinen Schreck zu ertränken. Auch gewann er bald wieder so viel Stärke, daß er lebhaft an der Unterhaltung teilnahm, und so viel sprach, daß alle erstaunten, Baptista ihn aber verehrte und liebend bewunderte, indem er es unverhohlen aussprach, er habe bis jetzt noch niemals ein Gemüt gefunden, mit welchem er so unbedingt sympathisieren könne. »Geistlicher Herr«, sagte er endlich, »erlaubt mir, daß ich Euch umarme, und schenkt mir Eure Liebe, wenn Ihr auch ein Priester seid und ich nur ein Laie.«

»Sehr geehrter Mann«, erwiderte jener, »nichts weniger als dieses, daß ich ein Priester, Pfarrer, oder eigentlich Pfarre-Herr, sei, oder auch jemals gewesen wäre, denn im Gegenteil bin ich den weltlichen Dingen, Wissenschaften, Fabeln, Erkenntnissen und Erkenntnisweisen so in meinem ganzen Menschenwesen, con tutto il cuore, zugetan, daß mir noch wenige Gelegenheit, Zeit, tempo, und Lust übriggeblieben ist, etwas von geistlichen Sachen in meine Memoria aufzunehmen, weil ich jede Stunde, die ich meinen Italienern entziehen müssen, für einen Verlust mir angerechnet. Nein, mein Werter, ich bin jener Mann, der in London und England unter dem Namen Florio nicht unbekannt ist, der ein Verzeichnis der italienischen Wörter nach dem Alfabeta (wie wir uns angewöhnet zu sagen) herausgegeben, edieret, publizieret und nicht beifallsohne in das Licht, luce, des Tages gestellt hat: ein galant' uomo, ein Virtuoso, Poeta, Musis amicus, ingenioso Interprete aller bellezza, Schönheit, Anmut, Grazie etc.«

Der Fremde, der ihm gegenüber saß, betrachtete diesen Florio mit Erstaunen: »Noch niemals«, sagte er, »habe ich jemand gesehn, der sich so zierlich auszudrücken verstände, denn diese Manier dünkt mich noch anmutiger, als jene unsers Lilly, dem die Gebildeten nicht mehr, wie vor Jahren, so unbedingt ihren Beifall schenken wollen. Aber warum weicht Ihr, Geehrtester, in der Aussprache und in den Worten so auffallend vom Herkömmlichen ab?«

»Ich weiß«, antwortete Florio feierlich, ohne sich in seiner Mahlzeit unterbrechen zu lassen, »worauf Dero Redseligkeit[444] eben anzuspielen beliebet. Daß ich spreche Verlurst, und nicht Verlust, daß ich seitmalen statt sintemalen, wie einige Neueren es wollen, sage und ähnliches mehr. Wir sagen aber seitdem und nicht sintdem, weil sint veraltet, oder Dialekt der Provinz ist, wir sagen verlieren und nicht verliesen, folglich ist Verlust unrichtig und wir müssen als verstandbegabte Wesen Verlurst sprechen. So sagen die Menschlein noch jetzt: etwa, etwas: was ist denn dieses armselige Et? Ichtes spreche der Denkend, ichtes wanne wie unsre Vorfahren, wenn man eine unbestimmte Zeit bezeichnen will. Glaubet mir, meine Herren, experto Ruperto, der die Welt beobachtet hat vom Angang (denn so muß man sagen, nicht dumm, Anfang) bis jetzo zur Stund (nicht jetzund, oder gar ganz verächtlicherweise jetzt, noch niederträchtiger itzt); wir kommen dahin, daß wir wie die Schwalbe ein erbarmungswürdiges Zwitschern nur noch hinter den Zähnen erregen werden, eine so gemißhandelte Redeweise, die zugleich gegen die Logica wie Grammatica immerdar verstößt und endlich keine Regula mehr zulassen wird, so daß die Fremdlinge endlich, wenn sie einen Käfer werden brummend, oder einen Spatzen, Sperling, tsirpend, schirrend, zirrend, oder soll ich sprechen szirpend vernehmen, sagen werden: da läßt sich ein Engelländer hören!«

Cuffe und der junge Mann lachten laut, welches Camden dem erstern durch einen freundlichen Blick verwies; der Fremde, der sich für Florio zu interessieren schien, fragte ihn ernsthaft: »Ihr seid also auch, wie Ihr uns erst meldetet, ein Poet?«

»Es ist nicht ohne«, erwiderte Florio, »in müßigen Nebenstunden, wenn nichts Besseres oder Wichtigeres meinen ermüdeten Geist in Anspruch nimmt, vergönne ich es wohl denen Musen, mir auf ein halbes Stündlein einen Besuch abzustatten.«

»Arbeitet Ihr auch vielleicht für das Theater?« fragte der Fremde wieder.

Florio sah ihn von der Seite mit einem verachtenden Blicke an und erwiderte: »Nein, so tief bin ich dermalen noch nicht gesunken, auch ist mir keine minima pars meines Lebens bis dahero als so unbedeutend erschienen, oder so durchaus unnützlich, daß ich sie der Bänkelsängerei hätte zuwenden mögen. Was ist unser Theatrum? Eine Anstalt für Barbaren und Goten, für Müßiggänger und Ignoranten, wo ignote Autoren, verfinsterte Köpfe ohne alle Gelehrsamkeit Tragödie oder[445] Komödie fabrizieren, oder gar jene widersinnigen Chimären, Zwittergeburten, von denen keine kultivierte Nation bis zur Stunde etwas vernommen hat, die sie Historien, historische Schauspiele betituln. Glauben Sie mir, Verehrteste, die jetzo zur Stund mein Auditorium bilden, auf Veranlassung, ja möchte ich sagen, Bitte, einer vornehmen Dame, die noch heutzutage meine Scholarin, Schularin, ist, habe ich noch vor wenigen Wochen in drei ganz trübseligen Tagen und Vorstellungen den ganzen Bürgerkrieg der roten und weißen Rose so anschauen müssen, und zum Beschluß am vierten Nachmittage des Ausgang des Tyrannen, des dritten Richard. Was hätte ein Euripides, oder Sophokles, oder gar der erlauchte Seneca zu derlei Widersinnigkeit gesagt? Ein Raum der Zeit, der fast ein Säkulum, Jahrhundert umspannet, auf das Gerüst von Bretern zu bringen, welches sie eine Bühne nennen? Und alles obenein ohne Nutzanwendung, Allegorie, Metapher oder Signifikation, Bedeutung, Inhalt, Verständnis, nur für den Pöbel und dessen unfähige sinnlose Sinne, für unwitzigen Aberwitz, von den leersten Köpfen des Königreiches als eine wahre olla potrida (einen verfaulten Topf nennt der Spanier das Gericht, in welchen er Fleisch, Erbsen, Wurzeln, Gemüse, grünes Kraut, Schinken und was er ichtes noch hat, hineintut, wochenlang stehen läßt, und nun Wasser oder Brühe hinzufüllt), wohl, ein solcher elender, verfaulter und faulender Topf ist diese unsere engelländische Bühne. Ja, wer die Komödien des Ludovico Ariosto kennt, den Thorismund des Tasso, die Werke des Trissino, Machiavell, Bembo, Speron Sperone, dessen Trauerspiel Canace, Dolce, und wie sie alle heißen, jene hohen Genien des italienischen Parnassus, der hat seinen Gaumen und Magen für dergleichen Atreus-Thyestische Mahlzeiten verdorben und zu fein erzogen. Auch geht meine Bestrebung dahin, allen meinen Schülern (deren mir viele und edle sind, und hohen Geistern die Schönheit, bellezza, beltà des italischen, oder eigentlichen florentinischen, florenzischen, fiorentinischen Idioms beizubringen, die große hermosura, wie der Spanier sagen würde, und fermosura der älteren Kastilianer, oder die Kortesia, dieses ist meine, die meiste Zeit und Stunde mir nehmende Beschäftigung) dieselbe Gesinnung zu eröffnen und beizubringen.«

Baptista umarmte im Feuer wieder diesen seinen gelehrten Nachbar. »O Ihr kennt«, rief er aus, »Ihr würdigt auch gewiß so wie ich den großen Baptista della Porta?«[446]

»Wie sollte ich«, antwortete jener, »diesen ausgezeichneten edeln Mann nicht ebenfalls in meine Kenntnis aufgenommen haben? Doch sind seine Komödien, Bester, nicht im reinen fiorentinischen Stil geschrieben, er ist nachlässig und ergibt sich den Dialekten, wie auch der berüchtigte und von vielen göttlich genannte Peter Aretin. Sein Buch von der Physiognomik ist mir schwärmerisch erschienen, wird aber von vielen mit vielem und großem Preise beehrt.«

»Und mit Recht«, rief Baptista, »es ist eins der herrlichsten Werke, die nur jemals aus der Feder eines Sterblichen geflossen sind. Einzig diesem Buche habe ich alle meine Weisheit zu verdanken.«

»Wenn Ihr das Theater verschmäht«, begann der Fremde wieder, »welcher Dichtart hat sich Euer Genius am meisten ergeben?«

»Hauptsächlich dem Scharfsinn«, antwortete jener, »der agudeza, um welche sich zwar die Bessern unter uns fleißig genug bemühen, aber die echte Schärfe, Schneide, Feinheit immer noch nicht erwerben und sich anbilden mögen. Auf einem Spaziergange hatte sich eine vornehme junge Dame, donna, domina, einen Dorn in den Fuß getreten, auf welche Veranlassung ich alsobald folgendes Epigramma, oder sei es Madrigal, Canzone, Canzonette, oder wie man es betiteln will, sang, da mein freier Geist, oder mein Capriccio sich in diesem Augenblick von keiner Regul, Form, Zaum, wollte fesseln und hemmen lassen, sondern ungebunden schweifte in den weiten schrankenlosen Räumen der Phantasia, von jenem heiligen Wahnsinn, oder der echten Musa, begeistert und gegeißelt.


Es drang der Dorn

Zäh unzart in die zart unzähe Zehe;

Wie ward dem weißen Wendeglied ein Wehe,

Da durstig drin der Dorn

Trank Blut, das triefte, trennt' und macht' zu Tor'n

Die Adern an augblendendem Albaster all.

Der Wundarzt wird weit hergeholt zum Wiesental,

Da dringt derselbe drohnde Dorn

Tief in sein trauernd taumelnd Herz, treibt, daß zum Tor'n

Er weinend wird, weilt, heilt die Wunde, wehe!

Zäh zieht und zier gesund zur Stadt der Zehe,

Es heult der Heilende und hat im heißen Herzen,

Schwer, schwierig, schwellend, die er schwichtigte, die Schmerzen.
[447]

So wollte ich durch Feinheit, Laune und halbe Erklärung der Liebe, höchst galant und gelaunt der Alliteration, diesem Spiel mit Buchstaben, sinnig und vieldeutig gleichsam von weitem, durch Metapher, Allusion und Witz eine Art von Liebes-Andeutung oder Erklärung zu verstehen geben, denn ich war auch bei dem Verbande zugegen, und schob so witzigerweise, wie der Jäger ein Stellpferd, den Wundarzt vor, um den goldnen Pfeil meiner Rede mit so mehr Sicherheit abzudrücken. So war meine Absicht; vielleicht erreichte sie mein schwaches Ingenium nicht ganz.«

»Gewiß«, rief Cuffe, »so, wie es der verwegenste Dichter in seinen kühnsten Träumen nur wünschen kann. Ihr habt sehr recht, großer Mann, dergleichen fehlt unserm Jahrhundert noch, und doch kann die Phantasie in diesen Spielen am deutlichsten zeigen, ob sie einer göttlichen Begeisterung fähig sei.«

Camden, der ermüdet war und fürchtete, sein heitrer Freund würde den Poeten noch weiter in Gespräche verwickeln, gab einen Wink und Cuffe und die übrigen erhoben sich. Camden ging auf den Fremden zu und sagte: »Wollt Ihr mir auch jetzt nicht Euren Namen nennen?« »Teurer Mann«, sagte der reizende Jüngling rasch einfallend, »Ihr bleibt wie ich höre, einige Tage in Oxford bei Euren Freunden hier; binnen kurzem erfahrt Ihr, wer ich bin und mein Freund, denn wir werden es uns nicht entgehen lassen, eine so werte Bekanntschaft, wie Eure und die des Herrn Cuffe, fortzusetzen. Ihr könnt aber versichert sein, daß ich nicht die Braut dieses Mannes bin, den ich aber innigst liebe und verehre.«

Camden entfernte sich mit Cuffe und den andern beiden Freunden, worauf sich der Jüngling zu Florio wendete und sagte: »Morgen früh sprechen wir uns.« – Er ging, um sich dem Schlaf zu ergeben, und sein Freund begleitete ihn. Florio und Baptista blieben noch lange, traulich vereint, sitzen und schwatzten viel und mancherlei, indem der gute Wein ihre Zungen löste, doch hütete sich der furchtsame Florio zu entdecken, was zu tun Baptista ihn dringend aufforderte, wer der schöne Jüngling sei; vom Fremden, der die Aufmerksamkeit des Physiognomisten so sehr in Anspruch genommen hatte, mußte er gestehn, daß er ihn selbst nicht kenne und niemals gesehn habe.

Am andern Morgen war der Fremde schon früh weggeritten. Der junge schöne Mann ging auf das Zimmer, welches der Sprachmeister Florio bewohnte, den er noch im Schlummer[448] traf, und sagte zu ihm: »Jetzt will ich mit Euch sprechen, Alter, wenn Ihr nüchtern genug dazu seid. Es war mir gestern nicht gelegen, daß die Tischgesellschaft meinen Namen er fuhr, und ich wünsche auch noch nicht, daß Ihr mich in der Stadt hier nennt, bis ich wieder zurückkomme. Aber wo kommt Ihr her? Was wollt Ihr hier?«

»Gnädiger, verehrter Graf«, antwortete Florio, der sich im Bett aufrecht gesetzt hatte, »Eure liebe, bekümmerte Mutter sendete mich Euch nach. Man hatte in Erfahrung gebracht, daß Ihr plötzlich Eure Wohnung verlassen hättet; ein Bedienter hatte vernommen und herausgebracht, daß Ihr hierher nach Oxford gehen würdet; da wurde die hohe Frau, bei welcher ich zufällig zugegen war, tief betrübt und erschreckt, und indem sie, Aufsehn meiden wollend, niemand anders Euch nachsenden konnte, ersuchte sie mich, Euch still nachzureisen, und in Erfahrung zu bringen, ob Euch kein Unglück obwalten, oder Eure Person ergreifen möchte.«

»Ihr wißt ja«, antwortete der Graf, »daß wieder Krankheit und Sterben in London, wie so oft, eingebrochen ist. Ich bin es endlich satt, unter meiner Mutter, oder deiner, oder irgendeines Menschen Vormundschaft zu stehn, ließ mein Pferd satteln und ritt hierher, um einen Freund zu treffen. Ich werde mich auf ein paar Tage jetzt von hier entfernen. Willst du mich hier erwarten, gut, so reise ich vielleicht mit dir zu meiner Mutter auf ihren Landsitz: nur keine Hofmeisterei, denn ich bin jetzt achtzehn Jahr alt und weiß selbst, was mir frommt. Ihr habt Euch aber so angewöhnt, mich wie einen Knaben zu behandeln, daß Ihr Euch noch immer nicht dareinfinden wollt, wenn ich meine Freiheit behaupte. Und ehe meine Mutter mich nicht als einen selbstständigen Menschen ansehn kann, möchte ich sie lieber nicht sehn.«

»Nur Liebe«, erwiderte Florio, »ist diese Ängstlichkeit und Fürsorge, amor, fidelitas, oder charita –«

»Schweigt mit Euren Narrenpossen!« rief der junge Graf unwillig, indem er das Zimmer verließ.

Der Fremde war auf dem Wege nach Stratford vom Pferde gestiegen, und wandelte im Garten eines einsamen Hauses, das an der Straße lag. Hier erwartete er den jungen Freund, und viele Gedanken durchkreuzten seinen Kopf, vielfache Empfindungen bewegten sein Gemüt. Erquickte ihn die Schönheit der Landschaft und des Sommertages, war er sich seines Glückes bewußt und hob ihn die frohe Ahndung empor, daß sich sein[449] Leben ausweiten, seine Talente entfalten mußten, freute er sich an dem reichen Schatz seines Herzens, so ängstigte ihn auch der Wendepunkt des Lebens, an welchem er jetzt stand. Wiedersehn sollte er seine Familie, seine Eltern und Kinder, die ihm seit lange fremd geworden waren, und alle jene drückenden Verhältnisse seiner Kindheit und Jugend sollten wieder nahe auf ihn zutreten, und er fühlte schon im voraus, welche Schmerzen sich seiner bemeistern würden.

Im stillen Garten überließ er sich seinen Träumen, in einer blühenden Laube ruhend. Nach einer Stunde erschien sein junger Freund. »Nun, Willy«, rief der ihm entgegen, »unsre Pferde sind versorgt, das Mittagessen habe ich bestellt, hier sind wir nun ganz allein und ungestört; nun sprich, erzähle alles, was ich wissen will, und wozu wir in der unruhigen Stadt niemals haben kommen können. Wie ich dich liebe, weißt du, was du mir bist und bleiben sollst, kann ich nicht so schnell in Worten aussprechen. Sieh, mein Freund, ich bin noch nicht alt, aber seit ich mich besinnen kann, sehne ich mich, das in Rede und Poesie zu finden, was meine Brust bewegte, klarer in jene wunderlichen Träume hineinzublicken, die vor dem Auge meines Geistes rätselhaft gaukelten. War ich entzückt von diesem und jenem, wehte mich ein frischer Hauch des Frühlings aus den Alten oder den Dichtern unsrer Zeit an, so blieb mir doch ein Ungenüge zurück; meine Sinne waren nicht gesättigt, bis ich durch Zufall im Theater deine Schauspiele kennen lernte. Oh, teurer Willy, ich weiß, daß du mich liebst, aber ich weiß auch, daß du meinst, ich sei zu jung, zu heftig eingenommen für dich und deine Schriften, so daß du immer mein Lob, meine Bewunderung ablehnen willst; aber mein Genius sagt mir, du bist der Inhalt und der Stolz unsrer Zeit, wie der Zukunft. Jetzt will ich nun alles versuchen, dich bei deinem Vater wieder einzuführen, alle Irrungen auszugleichen und alles zu tun, was ich vermag, um dich zufriedenzustellen. Für das, was ich dir zu danken habe, was ich dir schuldig bin, geliebtester Mann, ist alles, was ich tun kann, immer noch zu wenig.«

»Wenn ich mein Leben überdenke«, antwortete der ältere Freund, »und ich sollte in Worten deutlich machen, wie mein Empfinden zu dir ist, liebster, teuerster Heinrich, so möchte ich sagen, ich habe vorher, ehe ich dich kannte, wie im Schlaf befangen gelegen. Es ist uns oft, als wenn verschiedene Geister in unserm Innern herrschten, und die verschiedensten Kräfte der Maschine unsers Leibes regierten. Wir tun dieses, jenes, mit[450] Eifer, mit Leidenschaft sogar, wir meinen, unser ganzes Leben geht in dieser und jener Bestrebung auf – und plötzlich ersteht in uns ein ganz neuer Wunsch, eine unbekannte Erfahrung, und mit dieser ein ganz verwandeltes Dasein, wir erkennen unsre so nah liegende Vergangenheit nicht mehr, in welcher wir uns gestern doch auch reich und glücklich dünkten. Als du mich aufsuchtest, als ich zu dir eingeführt wurde, ging unvermerkt und doch plötzlich diese Verwandlung in mir vor. Was ist diese liebende Freundschaft, diese Leidenschaft, daß ich nur von deinen Blicken leben möchte, diese Empfindung und dies Bedürfnis, das jetzt mein nächstes Leben ist, wovon ich früher gar keine Vorstellung hatte? – Hier in grüner Einsamkeit, fern von allen Menschen, wo keiner sich verwundert oder mich mißversteht, bin ich so kühn, ganz mit dir, Geliebtester, wie mit einem jungen Spielgenossen zu sprechen. In der Welt, unter Menschen ist es anders, und in der Zukunft, wenn der Staat dir Würden gibt, wenn du in allen Vorrechten deines Standes einhergehst, wird meine Liebe still zurücktreten müssen, schon befriedigt, wenn du mich nur nicht vergessen oder verachten magst.«

»Sprich nicht so, William«, antwortete mit Herzlichkeit der junge Graf. »Nach dem Sinne der Welt ist es etwas, wenn ein Vornehmer, wie ich es bin, dich schätzt und liebt; ehrt dich die Königin, wie sie gewiß wird, wenn sie deine Arbeiten kennenlernt, so ist dies noch größer und erfreulicher, und ich weiß, daß dein milder, bescheidener Sinn, sowenig du kriechend schmeicheln magst, dies mit dankbarer Rührung erkennen wird. Aber das unwandelbare hohe Glück, das in deinem Innern immerdar aufwächst, die großen Gedanken, die du hervorbringst, die Gefühle, die dich beseligen, die Trunkenheit und Begeisterung, die dich ganz durchweben und in dir singen, sind nichts Irdischem zu vergleichen. Und in diesen Momenten muß doch, so denk ich mir, Vorzeit und Zukunft in dir lebendig sein.«

Der Dichter sah mit glänzenden Blicken in die Augen seines jungen Freundes. Dieser Moment machte sie in gegenseitigem Vertrauen glücklich, und zog im ältern Freunde, im Gemüt des William Shakespeare, wie wohl durch den heitersten Himmel im klaren blauen Kristalle ein fast unsichtbares milchweißes Wölkchen zieht, sich im Azur verlierend, der Gedanke vorbei, daß doch alles im Leben Täuschung und vergänglich sein müsse, und daß dieser junge Heinrich, der Graf Southampton,[451] dieser schönen Stunde in Zukunft wohl einmal vergessen werde.

»Nun«, fing Graf Southampton nach einer kleinen Pause an, »die Bäume flüstern, Bienen summen, Blumen duften, ungestört bleiben wir gewiß; jetzt erzähle mir, wie du schon längst versprochen hast, die Geschichte deiner Jugend, und wie du zum Theater kamst, nebst allem dem, was mir wichtig ist. Denn wie dieser und jener wohl dem Virgil nachlaufen würde oder ein andrer dem Ariost, wenn sie noch lebten, und jedes kleine Wort aufhaschen, jeden Umstand ihres Lebens, so hat mich die Liebeskrankheit zu dir befallen, die viele verständige Menschen, wenn sie sie an mir beobachten könnten, einen Wahnsinn nennen würden. Nachwelt! Ruhm! Wer, was ist sie? Und wer hat diesen, den echten? Die Stimmungen und Stimmen wechseln, die Urteile widersprechen sich, der Tiefsinn übersieht nur zu oft das Nächste: nur die Liebe faßt alles im erhöhten Gemüte auf die rechte Art zusammen, und so, wenn ich ganz vom Zauber deiner Dichtung durchdrungen bin, fühle ich den unerschütterlichen Glauben, ich könne nicht irren, und Nachwelt und wahre Kritik und echter Ruhm sprächen aus den jugendlichen Worten meiner Bewunderung.«

»Denke ich zurück«, sagte Shakespeare, »was mir das Leben war, wie es mir wurde, verlorenging, und verklärt aus Leid und Schmerz wieder emporstieg, könnte ich dies in Gedichten oder Erzählungen aussprechen, so würde dies, so alltäglich und gering es sein mag, doch wie wundersame Märchen klingen. Jede Kindheit und Jugend fängt auf diese Weise an, wie die Geschichte und die heiligen Schriften. Die Menschen aus Leichtsinn, mißverstandenem Ernst, wegen späterer Geschäfte, oder auch durch die Not gequält, beachten nur den Frühlingstraum ihrer Jugend zu wenig. Möchte man doch sagen, Engel und selige Geister spielen immer noch mit der unbewußten Kindheit, oder Feen und Elfen necken und scherzen, oder ganz fabelhafte Zeiten senken sich hernieder und weben um das Kind, alles dem Auge des Erwachsenen unsichtbar.

Meine Geburt fiel in jene Zeit, als in England, nachdem unsre Königin vor acht Jahren den Thron bestiegen hatte, alle Meinungen, Verhältnisse, Parteien, Hoffnungen und Plane miteinander rangen und sich vielseitig bekämpften. Gewiß eine unglaubliche Gärung, die nur allgemach Ruhe und Sicherheit, ein heitres Dasein und die Freuden im Gefolge des Friedens auf den Boden des Vaterlandes absetzen konnte. Seit Heinrich der[452] Achte die Reformation begünstigt und sich vom Papst losgesagt hatte, nachher oft wieder zurücknahm, was er als Religion feststellte, war ein Schwanken hin und wider, das Eigennutz, Leidenschaft und List abwechselnd zu ihren Absichten gebrauchten. Die kurze Regierung Eduards konnte auch die Waage nicht ins Gleichgewicht stellen. Das Schiff trieb eigentlich ohne Steuer hin und her und nach allen Richtungen. Die katholische Marie war um so bestimmter in ihrer Überzeugung. Die Aufgabe ihres kurzen Lebens war, mit Gewalt und ohne Rücksicht auf die Gegenwart die früheren Zustände zurückzuführen. Wie viele Opfer sind diesem starren Eigensinne gefallen; die Lebenden lassen sich vernichten, aber mit ihnen nicht die Gesinnungen. – Ich weiß, wie sehr Euer verehrter Vater als Staatsmann auch dieses Glaubens war, und es sei fern von mir, Eure Überzeugung oder Liebe irren zu wollen. Die Wahrheit bricht in vielfachem Strahl, die Gemüter können nicht alle auf eine Weise sich befriedigen; aber wie die Jesuiten, der Papst und Spanien diese Spaltungen benutzten, war unserm Lande verderblich, und niemals haben die ruhigeren, patriotischen Katholiken an diesen Verschwörungen teilgenommen. Diese unglückselige Aufgabe aber, jenen Konspirationen, die sich alle mit dem Anschein der Religion verlarvten, die Stirn zu bieten, fand unsre große Königin zu lösen, als sie nach vielen Leiden den Thron ihres Vaters bestieg. Wie weise sie alle Stürme abgelenkt, wie ruhig und ohne Leidenschaft sie die Freiheit gegründet, und durch ihre Räte Unglück und Komplotte, Hierarchie und Bosheit zurückgewiesen und unschädlich gemacht hat, bewundert die Welt. Ihr Thron steht fest, wie oft er auch erschüttert wurde, auf der Liebe ihres Volkes.«

»Sprich von dir selbst«, sagte Southampton: »dieses Kapitel macht mich immer nachdenklich. Wie könnte ich das Glück unsers Landes und die Größe der Fürstin verkennen? Aber du weißt, mein Großvater wie mein Vater, so wie ich, der ich ihnen mich anschließe, waren dem katholischen Glauben zugetan. Der Kampf geht hinüber und herüber und ist gewiß auch für unser Land noch nicht beschlossen. Das Unglück scheint das zu sein, daß die neuere katholische Kirche, wenn sie wieder einmal siegen sollte, unendlich mehr fordern muß, als die der früheren Jahrhunderte, und die Völker müssen mehr Freiheit und Recht aufgeben, als selbst in den sogenannten finstern Zeiten. Wie kann aber eine Nation, die je das Glück der Geistesfreiheit genossen hat, wieder zurücktreten und sich bezwingen[453] lassen? Und genießen nicht hier, wie in allen Ländern, wo die Reformation sich Bahn gemacht hat, die Katholiken auch die Wohltaten mit, die sie mit dem Umsturz der neueren Kirche wieder einbüßen würden? So sorgen diese Verhältnisse selbst dafür, daß diese Spaltung, die heilsam sein mag, nicht wieder aufgehoben werden kann, und Fürsten und Regenten werden selbst gegen ihren Willen gezwungen, die neue Lehre aufrechtzuerhalten. Aber Kriege, Verfolgungen, Verirrungen der Völker mögen sich wohl erneuern.«

»In die Zeit dieser politischen und religiösen Kämpfe«, fing der Dichter wieder an, »fiel meine Geburt. Gerade damals war in uns nahen Grafschaften und in Warwickshire ein geistreicher und gelehrter Mann, der auf seinen Reisen viele Gemüter gewann und zur katholischen Kirche verlockte oder bekehrte, William Allen, der nachher Kardinal geworden ist. Er war heimlich auch in Stratford und hat in dieser kleinen Stadt und in meiner Familie viel Unruhe erregt. Er gewann das Herz meines Oheims, meines Vatersbruders, und selbst mein Vater war einige Zeit schwankend und in seinem Gewissen gequält. Letzterer ein finsterer Mann, war fast immer schwermütig, und durch dieses Haften an den religiösen Meinungen gab es vielen Streit mit Verwandten und Nachbarn. Dabei war es lebensgefährlich, sich mit den fremden Priestern einzulassen. Schadenfrohe Menschen oder diejenigen, die eifrige Protestanten waren, lauerten auf. Die ersten Eindrücke meiner Jugend waren finster. Die Mutter nahm sich meiner an, ihr Gemüt war heiter und sinnig, und ihr Gedächtnis hatte wunderbare Märchen, alte Sagen und Geschichten aufbehalten, die sie mir gern erzählte. Als die Nachricht von der furchtbaren Bartholomäusnacht nach England kam, wendeten sich viele Proselyten, oder die dem alten Glauben sich wenigstens zugeneigt hatten, wieder ab. Dieser Schlag, der alle Herzen erschütterte, brachte mehr Ruhe in die Familien, und die Sache der Protestanten gewann durch ihn.

Von jenem Schwank in Kenelworth, der kleinen Begebenbenheit, die sich mit mir dort zutrug, habe ich schon sonst einmal erzählt. Mein Vater blieb aber doch immer unzufrieden mit mir, denn meine Fortschritte in der Schule waren nur langsam. Diese Freischule in der Gildenhalle am Markte werde ich niemals vergessen. Wenn ich dort auf der alten Bank hinter den wurmzernagten eichenen Tischen saß, entging mir nur zu oft mit der Aufmerksamkeit aller Sinn und Verstand, und ich[454] fürchtete oft, ganz zu verdummen. Möchte man nicht oft auf die Meinung geraten, die Einrichtung dieser Schulen sei mit Scharfsinn so getroffen worden, um die Kinder von Klugheit, Witz und Gelehrsamkeit abzuhalten, damit zu viel Verstand der bürgerlichen Gesellschaft keinen Schaden brächte! Dieses ewige Einerlei, dieses unnütze Wiederholen von schon bekannten Gegenständen, wo nie auf den Rücksicht genommen wird, der schneller begreift, sondern nur auf den Stumpfsinnigen, brachte mich oft zur Verzweiflung. Eben dieses Wiederkehren derselben Gegenstände hinderte mich, sie im Gedächtnis festzuhalten, und ein Ekel gegen alles Lernen bemächtigte sich meiner so sehr, daß ich nur mit Grausen an diese Schule und ihre Lehrer dachte.

Mein armer Vater war in seinem Gewerbe zurückgekommen, und wünschte bald eine Hülfe in seinem Haushalt und der Rechnungsführung zu haben. Mir war es ganz recht, daß er mich ziemlich früh aus der Schule nahm und mir im Hause selbst einen Lehrer hielt, indem ich zugleich ihn in seinen Geschäften unterstützte. Es war natürlich, daß ich mit einigen Burschen meines Alters Bekanntschaft machte, die mich auch wohl auf die Dörfer hinaus, oder zu kleinen Festen mitnahmen. Mein Vater, der einen ganz sonderbaren Begriff von Tugend hatte, nannte dies in der Regel Bosheit und Sünde, und war nicht leicht dahin zu bringen, zu dergleichen Zerstreuungen seine Erlaubnis zu geben. In der Familie Hathaway brachte ich viele Zeit hin; der muntre, kräftige Bruder war ein sehr vergnüglicher Gesellschafter, und die Schwester Johanna ging mit mir wie mit einem jüngern Bruder um, denn sie war acht Jahr älter als ich. Diese Leute, sowie manche andre in meinem Geburtsort wie in der Nähe, waren gütig und freundlich mit mir, ich merkte aber doch, daß sie mich für einen Burschen hielten, der zu nichts zu brauchen sei und aus dem niemals etwas werden würde. Wenn man die Menschen recht genau kennt und täglich mit ihnen umgeht und sie stündlich, auch ohne es zu wollen, beobachtet, so ist in jedem, auch demjenigen, der nicht auffällt, etwas Wunderbares und Unbegreifliches. So war diese Johanna. Sie war schon längst ein reifes Mädchen, dessen Schönheit sich entwickelt hatte, als sich noch immer kein Freier für sie fand; oder vielmehr scheuchte sie durch Scherz, Munterkeit und sprödes Wesen alle Bewerber zurück, denn es fanden sich viele, da sie ein kleines Vermögen besaß. Freundlich war sie mit jedem, sie scherzte und lachte[455] gern, sie wurde aber mit niemand vertraut. Wenn der Bruder mit ihr darüber scherzte, daß sie keine Ehefrau werden wollte, so wies sie auf mich, den sie immer ihren Mann nannte, und der noch Knabe war. Im Hause meines Vaters war meine Lage so peinlich, daß ich es bei einem Rechtsgelehrten in der Nachbarschaft versuchte, dem ich schrieb und von ihm manches lernte. Bei ihm lernte ich einen jungen Mann kennen, der die italienischen Autoren liebte und las; er war willig genug, mir die Sprache zu lehren, welche alle kannten, die zu den feinern Menschen gehörten. Ich war fleißig, denn ich lernte mit Lust, Tag und Nacht studierte ich in den Dichtern, die mich bezauberten, aber mein alter Rechtsgelehrter führte laute Klagen und Beschwerden, so daß ich nach acht bis neun Monaten sein Haus wieder verließ.

Jetzt konnte ich freilich meinem Vater wieder etwas nützlicher werden, der mich auch gern wieder aufnahm, weil ich ihm einen andern Gehülfen ersparte. So hatte ich mein sechzehntes Jahr erreicht, als ich einmal in einem Geschäft mit einem Verwandten nach London kam. Die Reise dahin, der Anblick der großen Stadt, des Stromes, der Brücke, der Schiffe, der Handelstätigkeit, alles das erhitzte meine Phantasie und bezauberte mich. Ich war mit der Geschichte des Landes nicht unbekannt, denn mein Vater las selbst die Chroniken gern, die damals im Druck erschienen. Sooft ich mich von dem Verwandten losmachen konnte, durchstreifte ich die Stadt und betrachtete bald dieses, bald jenes, ging in die großen Schenkhäuser, in St. Pauls, suchte den Londoner Stein auf, und alle die Stellen, die durch irgendeine Begebenheit, die hier vorgefallen, merkwürdig sind; so auch den Tower, der mir höchst ehrwürdig erschien, den Palast der Königin, die Werfte, und auch Windsor und einige andre Lustschlösser, wie Non Such, hatte ich zu besuchen Gelegenheit. Wie war mein Geburtsort klein und un bedeutend, und wie sehr wünschte ich, in diesem großen London leben zu können.

Was mich aber am meisten anzog, waren einige Theater, die vor nicht gar langer Zeit erst waren gebaut und eröffnet worden. Was ich als Kind im Schloß Kenelworth gesehen, was ich als Dialog und Drama wohl bisher gelesen hatte, konnte sich meiner Imagination nicht bemächtigen. Es war auch nicht, daß ich hier etwas Vortreffliches sah und hörte, denn vieles, das Spaßhafte vorzüglich, war nicht aufgeschrieben, die Spielenden sagten es nur so aus dem Kopfe her, und gewisse Scherze[456] kamen in allen Stücken wieder vor. Ebenso vernahm man einige Verse, die pathetisch sein sollten, immer wieder, mochten sie zur Szene passen, oder nicht. Was mich anzog, war das eigentlich Dramatische, das sich in diesen rohen Versuchen offenbarte: denn eine sonderbare Geschichte, irgend etwas Seltsames wurde so vorgetragen, daß die Aufmerksamkeit gefesselt wurde. Freilich standen diese Schauspieler in keiner Achtung, sie zogen auch im Lande umher, wenn in London die Zuschauer ihre Künste oft genug gesehn hatten; von den Dichtern sprach man nicht, es schien die Sache so eingerichtet, daß fast jedermann dergleichen schreiben konnte, die Einnahme kam hauptsächlich dem Unternehmer zugut, der die Bühne gebaut hatte.

Als ich wieder in meinem kleinen Geburtsort, in meinen Geschäften und meiner Familie war, stand mir alles, was ich auf diesen Reisen gesehn, mit den lebhaftesten Farben vor Augen. Ich schwelgte in diesen Erinnerungen und konnte mich in meine Aufgaben und in mein Leben noch weniger finden. Ich dachte oft nach, welches denn wohl mein eigentlicher Beruf sein könne, und weinte manchmal bitterlich, daß ich, wegen der Armut meines Vaters, die Universität nicht besuchen könne. Sah ich die Bestimmung des Gelehrten an, so schien sie mir freilich auch nicht ohne Beschwer und Dornen, und ich fürchtete wieder, meine Fähigkeiten wären für solche Laufbahn zu geringe. Ich konnte es nicht unterlassen, ein Schauspiel in der Art zu entwerfen, wie ich die Spiele in der Stadt gesehen hatte. Ich erkundigte mich in der Nachbarschaft nach den Familien, von denen einige mit uns verwandt, und deren Söhne in London Schauspieler waren. Diese Verwandtschaft hatte mein strenger Vater bei jeder Veranlassung mit Heftigkeit abgeleugnet; er behandelte diese unglücklichen Menschen wie Bösewichter. Als er es daher erfuhr, daß ich diese Leute auf dem Dorfe aufgesucht, mit zweien dieser Spieler, die zum Besuch herübergekommen waren, Bekanntschaft gemacht, als er die Blätter fand, in denen ich selbst eine Komödie entworfen hatte, so stieg sein Zorn zu einer furchtbaren Höhe. Er drohte mir mit seinem Fluch, wenn ich diesen gottverhaßten Wegen nicht auf immerdar den Rücken kehrte. Ich versprach es, ohne es halten zu können, denn diese Bekanntschaft hatte ungesucht andre nach sich gezogen: einige junge Leute, denen meine Widerspenstigkeit gegen meine Familie gefiel, schlossen sich mir an, und führten mich zu ihren Belustigungen, wenn ich das Haus[457] nur irgend verlassen konnte. Kleine Wanderungen wurden unternommen, unschädliche Torheiten versucht, Lieder gesungen, deren ich selbst einige dichtete, Nachbarn geneckt und hübsche Mädchen mit Blumen, Kränzen und Ständchen beschenkt. Ich war der Jüngste dieser fahrenden Gesellschaft und ergab mich mit so heftiger Leidenschaft diesem Zeitvertreib, daß ich bald meinem Vater unnütz, und nur eine Last meiner Familie war, die sich indessen ansehnlich vermehrt hatte. Mein Vater, welcher sah, wie ich mit zunehmendem Alter nur unbrauchbarer würde, schien mir seine Liebe ganz zu entziehn und gleichgültig gegen mein Treiben zu werden; meine weichgestimmte Mutter fand ich oft in Tränen, deren Bitten und Ermahnungen mich rührten, mir aber doch die Kraft nicht gaben, mein Geschäft mit Ernst zu treiben, oder meine übermütigen Kameraden zu verlassen.

So hatte ich mein achtzehntes Jahr erreicht. Die Einwohner von Stratford, das sagte mir jede ihrer Mienen, auch hörte ich es wohl von meinen lustigen Freunden, betrachteten mich wie einen ungeratenen Sohn, der seinen Eltern nur Kummer machen könne; die älteren Bekannten entzogen sich meinem Umgang und die Lehrer auf der Schule, wenn sie mir begegneten, nahmen die Miene an, mich gar nicht zu kennen. Bedurfte aber in der Nachbarschaft ein Jüngling eines Liedchens, um es seiner Braut oder Geliebten vorzusingen, galt es, eine Lustbarkeit zu veranstalten und einzurichten, einen Aufzug oder eine Mummerei zu erfinden, so wendeten sich alle an mich.

Nur ein Wesen, das zu meiner frühern Bekanntschaft gehörte, hatte sich gegen mich auf keine Weise verändert. Jene Johanna Hathaway, die ältere Spielgenossin meiner Kindheit, die mich jetzt noch mit demselben Vertrauen, wie ehemals, aber freilich auch wie einen Knaben behandelte. Sosehr mir die schönen Mädchen der Landschaft gefielen, so viele Reize meine Phantasie auch entzündeten, so war ich doch durch meine Unerfahrenheit und Jugend zu blöde, mich ihnen vertrauend zu nähern, oder von meinen Empfindungen und ihrer Schönheit zu sprechen. Nur dieser Johanna, die damals schon fünfundzwanzig Jahr alt war, hatte ich den Mut, im Ernst und Scherz alles zu sagen, was mein Gemüt erregte. Ich habe oft bemerkt, daß den Jünglingen, die soeben die Schwelle der ersten Jugend verlassen, diese reifen weiblichen Schönheiten gefährlicher sind, als die erst aufblühenden, die dem ausgebildeteren oder älteren Manne so reizend erscheinen. Niemals aber war unter[458] uns von Leidenschaft oder Liebe die Rede, auch konnte es mir niemals einfallen, am wenigsten in meiner hülflosen Lage, irgendein Mädchen, am wenigsten Johanna, so in die Augen zu fassen, als ob sie meine Gattin werden könne. War ich doch auch noch so jung und unbedeutend, daß alle älteren Leute mich nur wie einen Burschen behandelten, man hätte mich verlacht, wenn ich um die Tochter einer Familie angehalten hätte. Und von Johanna, die alle Liebe und Zärtlichkeit verlachte, glaubte ich und jedermann, daß sie fest entschlossen sei, sich niemals zu verheiraten. Ihre Eltern und Verwandten hatten sich auch schon an diesen Gedanken gewöhnt, und verschonten sie mit neuen Vorschlägen und Freiern.

Es war wieder die Rede davon gewesen, da ich es in meiner Heimat fast mit allen Menschen verdorben und ihr Zutrauen verloren hatte, nach Coventry oder Bristol zu gehn, um dort unter einem tüchtigen Rechtsgelehrten zu arbeiten. Einige aus der Familie Hathaway, unter diesen Johanna, waren auf eine Hochzeit auf ein benachbartes Dorf hinaus geladen, die ein reicher Pächter feierte. Aus andern Ortschaften schlossen sich Mädchen, Jünglinge und Alte dem Zuge an, und ich, eigentlich nur von meiner Beschützerin Johanna eingeladen, wanderte mit ihnen. Wir tanzten, zechten, waren vergnügt, vorzüglich am letzten Tage des Festes und begaben uns gegen Abend singend und jubelnd auf den Rückweg, um den Ort, wo Johanna wohnte, noch vor der Nacht zu erreichen; von dort hatte ich nur noch eine halbe Stunde etwa nach Stratford. Über Hügel, durch kleine Wälder schritt die fröhliche, von Wein und Lachen begeisterte Gesellschaft hin, zu zwein und dreien, eine andre Gruppe von mehr Figuren zusammengesetzt. Fast aus heiterm Himmel überfiel uns plötzlich ein furchtbarer Orkan, Wirbelwind, Staub, Donner und Blitz und unmittelbar darauf Hagel und ein so stürzender Platzregen, als wenn die Wolken brächen. Alles floh, ohne daß einer vom andern wußte, oder ihn nur noch sehn konnte, die nach dem nahen Walde, jene rannten seitwärts und tauchten in einem Gebüsch unter, ich stürzte mich in eine offenstehende Scheune, unfern vom Wege, und Johanna, die mir folgte, mit mir. Keiner der übrigen folgte uns in der Finsternis.

Wir lagerten uns im duftenden Heu, indessen es draußen stürmte und donnerte. Die Wut der Elemente schien nicht ermüden zu können. So führt Virgil unter ähnlichen Umständen den Äneas und Dido in die sichere Höhle und bricht in[459] seinem Gesange ab, und so erlaubt mir, Geliebtester, auch in meiner Erzählung nicht weiter fortzufahren.

Wir kamen erst spät in der Nacht nach Hause. Ich konnte nicht zurückdenken und nicht fassen, wie mein Schicksal diese Wendung genommen hatte. Was mir noch gestern als das Unmöglichste erschienen wäre, hatte sich begeben, und ich konnte nichts ersinnen, was nun geschehn solle oder könne. Johanna kam in den nächsten Tagen nicht zu uns. Ich träumte nur so hin und verlor mich in finstern Gedanken und quälenden Empfindungen.

Nach einigen Wochen, als ich nach einem vollendeten Geschäft in unsre Wohnung trat, fand ich Johanna weinend und tief beschämt in den Armen meiner Mutter, der sie sich entdeckt hatte. Ich zog mich auf mein Zimmer zurück. Noch an demselben Abend ward der Vater zum Mitwisser des Geheimnisses gemacht und im Rat beschlossen, daß ich in wenigen Tagen mit Johanna verheiratet werden solle.

Können finstre Menschen, die sich immerdar von Zorn und Verdruß übereilen und ihr Leben stören lassen, es oft nicht über sich gewinnen, kleine Sachen leicht und schnell in Ordnung zu bringen, sind sie stets mit sich im Kampf und fürchten mit übertriebener Ängstlichkeit Aufsehn oder Nachrede, Spott und Verleumdung, so sind dieselben auch wohl, wenn Pflicht oder Notwendigkeit das Seltsame und Unerhörte gebieten, schneller beraten und besser gefaßt, als der Leichtsinnige und Heitre. Hätte man noch vor einigen Tagen von einer Frau für mich, auch einer reichen gesprochen, mein Vater würde den Vorschlag als einen aberwitzigen mit Zorn und Verachtung zurückgewiesen haben. Nun aber ließ er schnell alle andern Rücksichten fahren, gab seine Einwilligung, traf die nötigen Anstalten, und kündigte mir meine Bestimmung an, ohne auch nur ein zorniges Wort oder eine eindringliche Ermahnung hinzuzufügen. So wurde ich denn mit dem Wesen getraut, das ich seit meiner frühesten Kindheit gekannt hatte, und die mir in meinen Knabenjahren fast wie eine zweite Mutter erschienen war. In der Stadt und Umgegend war es nicht erhört, daß ein Jüngling meines Alters war vermählt worden, selbst die ältesten Greise konnten sich eines solchen Falles nicht erinnern, und gutgemeinter Scherz wurde so wenig wie bitterer Spott geschont, worüber ich und Johanna immerdar beschämt waren, worüber die Mutter weinte, das aber den festen Vater nicht anfocht.[460]

Die Nachforschenden, die bösen Zungen kamen so ziemlich auf die wahre Ursach, weshalb diese sonderbare und ungleiche Heirat so plötzlich war geschlossen worden. Ich bewohnte mit meiner Frau einige Zimmer unten im Hause meines Vaters. Mir schien meine Jugend, ja mein Leben völlig beschlossen. Mit der steifsten Ernsthaftigkeit widmete ich mich jetzt den Geschäften, die mir mein Vater auftrug, von allen meinen Bekanntschaften zog ich mich zurück, und indem ich nun alle meine Aufmerksamkeit den nächsten Pflichten widmete, entdeckte und fand ich so vieles anders, als ich es bis dahin betrachtet hatte. Mein Vater behandelte mich im schroffsten Gegensatze gegen sein früheres Benehmen ganz wie seinesgleichen, als wenn ich dieselben Kenntnisse wie er und dieselben Jahre hätte. Indem ich die ganze Verwickelung seiner Verhältnisse kennenlernte, glaubte ich nun auch einzusehn, daß er selbst großenteils seine zunehmende Armut verschuldet habe. Fast immer war er von einem Unternehmen, von einem Versuch zum andern gesprungen, hatte seine Freunde von sich gestoßen, seine Gläubiger ungeduldig gemacht, und durch Ängstlichkeit und Borgen bei geringeren und zweideutigen Menschen seinen Kredit geschwächt. So hatte er, indem seine Familie jährlich zunahm, im Verlauf der Zeit sein Vermögen, welches anfangs bedeutend genug war, geschwächt und seinen Handel nicht begründet. Als ich aber einmal und auf gelinde Weise ihm dieses zeigen und ihm raten wollte, behandelte er mich in seiner jähzornigen Art wie den gröbsten Verbrecher, ja wie einen Vatermörder, so daß ich gezwungen war, meinen Rat, auch wenn er mir der beste schien, zurückzuhalten. Meine Frau war zärtlich gegen mich, behielt aber immer jene Herablassung bei, jene angewöhnte Art, mich wie einen Geringeren und Einfältigeren zu behandeln. Ihre Brüder und Verwandten aber sprachen von mir, wie von einem leicht sinnigen, ja schlechten Menschen und vermieden mich ganz.

So wurde mir im folgenden Jahr, für die Spötter zu früh nach der Trauung, eine Tochter geboren. Mein Vater ließ eine gewisse Eitelkeit bemerken, daß er durch mich so früh zum Großvater geworden sei. Nur wurde unser gutes Verhältnis, das nur ein erzwungenes gewesen war, bald wieder gestört. Da ich die Verwirrung in den Sachen meines Vaters und seine ungeschickte Heftigkeit, durch die er niemals zum Ziel gelangen konnte, eingesehn hatte, hielt ich es für meine Pflicht, das mäßige Vermögen meiner Frau anderweitig sicherzustellen,[461] damit es nicht ebenfalls in übereilten Spekulationen verschwinde. Die Verwandten Johannens hatten mir, weil es ihr Vorteil war, hierin beigestanden. Mein Vater aber, der im stillen wohl auf die Summe gerechnet hatte, um seinen Angelegenheiten wiederaufzuhelfen, empfand dies sehr übel. Er deutete es sich als den Verrat eines ungeratenen, lieblosen Sohnes, der aus Bosheit dem Wohlsein des Vaters entgegenstrebe. Und, sonderbar genug, nach einiger Zeit ging Johanna in diese Vorstellungsweise ein, nicht schnell, aber nach und nach, ihr selbst fast unmerklich. Es ist wunderbar, welche Kraft in der Lüge steckt, die an sich doch das Wesenlose, Nichtige ist, daß sie mit jedem Tage mehr die lichte Wahrheit und das Leben so verschatten kann, daß bei leidenschaftlichen Menschen nach einiger Zeit kaum eine Gegend der Klarheit übrigbleibt. Diese traurige Erfahrung machte ich in meiner Familie, und nur meine zärtliche Mutter hielt sich von diesem Truge frei und sah, daß ich das Opfer der Zufälle und meines Leichtsinns geworden sei, die mich nun hinderten, irgendeine Bestimmung zu finden, die mir zukomme, und die ich erfüllen könne.

Da ich das Vermögen meiner Frau aus unsern Händen weggegeben hatte, so konnte ich auf eigne Gefahr nichts unternehmen, die Geschäfte meines Vaters, in denen ich helfen sollte, verwickelte er immer mehr, ohne von mir Rat anzunehmen. Bei neuen Unruhen und Gerüchten im Lande waren wir vielen Einwohnern der Stadt verdächtig, denen wir immer noch für Katholiken galten, und mehr als einmal meinte mein melancholischer Vater, ihm gehe alles hinderlich, weil er im Glauben nicht treu gewesen; so daß ich, wie ein Gefangener in Ketten, unfähig zu helfen, unfähig war etwas zu tun. Wie bereuete ich meine Freiheit, die mir eine einzige unbewachte, mir noch unbegreifliche Stunde geraubt hatte, denn wenn diese mich nicht überrascht hätte, konnte ich wenigstens als Abenteurer in alle Welt gehn, um irgendwo ein Glück aufzusuchen. Jetzt fesselte mich das große schöne Auge meines Töchterchens und dieser tiefsinnige Blick der Unschuld.

Ist nur der erste Schritt getan, daß man es über sich gewinnen kann, einen Menschen vorsätzlich zu verkennen, so geben sich die folgenden von selbst, und die Kunst, oder wie soll ich es nennen? ihn zu verachten, wächst schnell zu einer außerordentlichen Höhe an. Johanna, vielleicht um sich selbst höher zu stellen, gesellte sich wieder mehr zu ihrer Familie und hörte auf die leidenschaftlichen Einreden von Vettern und Brüdern, so[462] daß sie mich mit diesen als listigen, gewandten Verführer behandelte, ohne in Rechnung zu stellen, daß sie mir in Alter und Erfahrung um acht Jahre voraus sei. Unter erhitzten, leidenschaftlichen Menschen wird man selbst unvermerkt leidenschaftlich, und so begegnete es mir einigemal, die Märtyrer der Protestanten heftig gegen meinen Vater zu verteidigen, und auf den Papst, die gestorbene Maria und jene von Schottland in harten Worten zu schelten, wodurch mein Vater, der zu andern Zeiten wohl dieselbe Ansicht hatte, in Wut und Zorn geriet.

In diesem Elend, wie andre Verzweifelnde sich wohl dem Wein ergeben, nahm ich, um nur etwas Trost zu fassen und meine Umgebung zu vergessen, meine Zuflucht zu den Musen. Selig fühlte ich mich, wenn ich mich, unter dem Vorwande zu rechnen, auf ein Stübchen oben einschließen konnte, um zu dichten und mir eine Welt zu erschaffen, die um so mehr aus Licht und Freude zusammengewebt war, je mehr diese mir in meinem wirklichen Leben fehlten. Aber Johanna entdeckte diese schwachen, ungeschickten Versuche, die weit mehr dienten, mich zu zerstreuen, als daß sie sonst irgendeinen Wert gehabt hätten. Neuer Zank erhob sich, und, als wenn meine Kräfte nun erschöpft wären, ließ ich mich fallen. Da kein Mensch ohne Fehler und Schwächen ist, so kann sich jeder, wenn sein Herz erst abstirbt, die Überzeugung einreden lassen, und sich an sie gewöhnen, er sei schlecht, verderbt und nichtsnutzig. Las ich im Chaucer, so war ich auf dem Wege, wieder etwas Törichtes zu treiben; sah ich heiter aus, oder lächelte, so war es gefühlloser Leichtsinn, daß ich bei den Leiden der Familie gleichgültig sei; war ich ernst, so brütete ich auf neuen Streit oder unziemende Lehre und Ketzerei. Auch die Verwirrung und den schlechten Zustand des Handels schob man mir zu und bildete sich ein, daß es früher, als ich nicht am Geschäft teilgenommen, viel besser mit diesem gestanden habe. So zerrann die Zeit und mein Leben, alles Vertrauen zu mir erstarb, mein Sinn wurde nüchtern und matt, und absterbend in Langeweile und Verdruß erlebte ich die Trauer, daß nach achtzehn Monaten meine Frau mit Zwillingen, einem Sohn und einer Tochter niederkam. Brüder und Schwestern waren mir auch wieder geboren worden, und so umgaben uns Kinder, an deren Zukunft wir denken sollten, und durch den Verfall aller Verhältnisse mußte man mit Bangigkeit in die Ferne schauen, und entbehrte noch den Trost, der oft die Bettler aufrecht[463] hält, daß Liebe und Wohlwollen uns in Heiterkeit vereinigten.

Oftmals, wenn ich mich am Abend auf mein Lager streckte, wünschte ich, nicht wieder aufzuwachen. Es war nirgend eine Hoffnung mehr übrig, eine Aussicht, als auf den Tod, und mein Leben war verloren, bevor ich es nur begonnen hatte. Sah ich einen Hausierer vorübergehen, der mit seinem schweren Pack durch das Land zog, so verfolgte ich ihn mit Neid auf seinem Gange durch die Welt, und sah ihn in Gedanken mutig über die Hügel und durch die Wälder schreiten, und am Abend sich seines Gewinstes in der Herberge erfreuen. Wenn der Morgen dämmerte, graute mir, aufzustehn, denn kein Wesen war erfreut, mich wiederzusehn, und ich wußte schon, daß man meinen Kindern, sowie sie nur begreifen konnten, dieselbe Geringschätzung gegen mich beibringen würde. Meine ältern Bekannten waren mir alle empört, weil sie mich für schlecht und leichtsinnig hielten, die jüngern verspotteten mich, als einen Armseligen, der sich das Joch der Ehe und mit ihm alle Sklaverei so geduldig hatte überwerfen lassen.

Als Johanna wiederhergestellt war, als sie wieder ausging und sich munter und stark wie gewöhnlich zeigte, nahm ich mir vor, ernst und liebevoll mit ihr zu sprechen, daß sie wenigstens meine Lage lindern und mich nicht zur Verzweiflung bringen solle. Sie war zu ihren Eltern auf das Dorf hinausgegangen und ich ging ihr am Abend auf dem halben Weg entgegen. Sie war verstimmt, zornig und ihr Betragen gegen mich war noch abstoßender als sonst. Ich sagte ihr von meinen Beschwerden, erinnerte sie an die Vergangenheit und suchte ihr deutlich zu machen, wie wenig ich um sie diese Launen und Verachtung verdient habe. Diese Auseinandersetzung war aber ganz umsonst, um so mehr, da es jetzt schon das Bedürfnis, ja der Trost ihres Lebens geworden war, mich als den Feind, der sie unglücklich gemacht habe, anzusehn. Ich erfuhr nun auch die Ursach ihrer noch herbern Stimmung. Ein reicher Gutsbesitzer war unvermutet über See zurückgekommen. Er hatte eben die Hochzeit mit einem schönen und reichen Mädchen im Dorfe gefeiert. Alle hatten geglaubt, er würde draußen auf dem festen Lande bleiben, weil er Handel trieb; er war früher mit Johanna bekannt gewesen und sie hatte wohl im stillen auf ihn gerechnet. Sie warf mir geradezu vor, daß ich sie auf zeitlebens unglücklich und zum Gegenstande der Verachtung gemacht habe, indem die ganze Landschaft sie verspotte,[464] daß sie an einen unmündigen Burschen weggeworfen sei, der sich selbst nicht, viel weniger sie und ihre Kinder zu ernähren wisse. Es sei auch mit den Eltern, die den Unfug nicht länger dulden wollten, beschlossen worden, daß Johanna mit ihren drei Kindern zu ihnen ziehen solle, um nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, noch mehr unglückliche Waisen in die Welt zu setzen. Ich erwiderte nichts, weil mir die Sprache versagte. Ich fühlte, daß sie mich niemals geliebt, ja daß sie nie auch nur Zärtlichkeit für mich gefühlt habe. Am Abend, als sich wieder Streit erhob und der Vater den Entschluß der jungen Frau vernahm, hörte ich von diesem ebenfalls, daß ich der Überlästige, Verderbliche sei, daß ich mich schämen müsse, wenn ich andern auch nicht nützlich sein möchte, mir selbst wenigstens nicht helfen und für mich sorgen zu können.

In der Nacht stand ich auf, nahm mein ältestes Kind und küßte es herzlich. Das Mädchen wußte nicht, was mit ihm geschah, ward aber, schlaftrunken, bald wieder ruhig. So ging ich aus dem Hause, ohne von irgend jemand gehört zu werden. Durch die stille, einsame Gasse schallte mein Gang, aber niemand begegnete mir. Draußen stand ich noch einmal still, übersah in der Dämmerung die Stätte meiner Geburt und meiner Leiden und warf mich dann, in tiefe Wehmut aufgelöst, in das Gras, indem ein unversiegbarer Tränenstrom aus meinen Augen brach. Meine Kindheit mit ihren Leiden, meine trübe Jugend ging durch man Gedächtnis. Ich durchlebte noch einmal alle die Szenen des Jammers, und fühlte im tiefsten Herzen, wie mich alle, selbst meine Mutter, verkannt hatten, sie nur nicht vorsätzlich. Wie bereuete ich es, daß Johanna sich mir je genähert hatte, denn ich fühlte nun, wie aus den frühen Scherzen und heitern Worten sich die Hölle herausgebildet hatte, die mich nun seit Jahren folterte. Mitten in dieser Trostlosigkeit, diesem Schmerz der Verzweiflung erhob sich aber klar und unerschütterlich das Bewußtsein, ich sei ein anderer, als für den mich die Menschen, auch meine nächsten Befreundeten, hielten, und so stand ich auf, ein anderes Wesen, als meine Tränen versiegt waren. Keiner verlor an mir, wenn ich fort war, alle gewannen, wie sie so oft ausgesprochen hatten; ich hatte alles gelitten und getan, was nur möglich war, und es war meine Pflicht, mich aus diesem Elend zu retten. Freilich hatte ich, um meinem Vater meine unfruchtbare Hülfe zu widmen, meine Jugend verloren, doch blieb mir die Hoffnung, noch zu lernen,[465] und irgendwo eine Lücke zu finden, die ich mit meinem Leben ausfüllen könne.

In dieser Stimmung kam ich nach einigen Tagen in London an.« –

»Armer Freund!« unterbrach hier Southampton den erzählenden Dichter. »Wie schwer ist dir von doch gütigen Göttern das Jugendleben gemacht worden, um dich deinem Beruf und Ruhm, der Dichtkunst, entgegenzuführen. Es scheint nicht, daß Feen oder Musen an deiner Wiege gestanden haben. Und doch ist dein unerschöpfliches Reden und Dichten, daß ich heiraten und Kinder erzeugen soll, da ich gerade jetzt in dem Alter stehe, in welchem du vor zehn Jahren deine unglückselige Laufbahn als Ehemann begannest.«

»Welch ein Unterschied!« sagte der Dichter, »von Euch, Graf, der Ihr der einzige, nachgelassene Erbe eines großen Namens und Hauses und reicher Güter seid, von Euch wünscht die edle Mutter und alle, die es mit Euch gut meinen, daß Ihr Euch in der frühesten Jugend vermählen möchtet, damit Euer Name nicht erlischt und Eure Reichtümer nicht auf andre Familien übergehen. Und wieder muß ich, weil es meine Überzeugung ist, daran mahnen, daß Ihr es Eurer Schönheit, Euern Voreltern und der Zukunft schuldig seid, Euch eine Gattin zu suchen, die Eurer würdig ist.«

Das schöne Gesicht des Jünglings verzog sich in Verdruß, indem er sagte: »Laß das, lieber Willy, dieses Thema unsers fortwährenden Streites. Ich kann und mag dir hierin nicht Gehör geben. Keine Pflicht gegen meine Familie kann höher stehen, als die gegen mich selbst. Soll ich irgendein edles Wesen unglücklich machen, und mich, indem ich so ohne Beruf mich in eine Lebensbahn begebe, die mir nicht zusagt, eine Sache leichtsinnig wage, die mir geradezu verhaßt ist? Ich will noch meine Jugend und Freiheit genießen: nächst meinen Büchern und der Ungebundenheit kenne ich mir nichts Erfreulicheres als schöne Rosse und muntere Hunde, die Jagd im Walde, den frohen freien Umblick in lustiger Gegend. Ich bin gesund, heiter, die Welt gefällt mir, die Poesie entzückt mich – aber was die Liebe sei, die Hingebung an das Weib, jener Zauber, der von diesem ausgeht, kann ich in der Phantasie mir wohl vorbilden, aber mit dem Herzen nicht glauben. Daß viele Mädchen schön sind, sieht mein junges Auge; aber, wie ich eine begehren, wie ihr Besitz mich glücklich machen könnte, ist mir unfaßlich. Eher sind sie mir, wenn ich sie auf dergleichen Wünsche[466] ansehn mußte, zuwider, um nicht verhaßt zu sagen. Meine Mutter spricht immer, als wenn ich morgen sterben würde, und du stimmst ebenfalls in diesen Ton. Laß das, Liebster, wenn du mich nicht verstimmen willst. Die Geschichte deiner Ehe ist eben ein abschreckendes Beispiel für meine frühe Jugend. Jener Druck der Armut würde mich nicht quälen und mit der Braut entzweien, wohl aber mein Eigensinn, meine Heftigkeit, mein Jähzorn, Fehler, die dir ganz fremd sind. Die Mädchen gefallen mir nur in der Ferne, wie Bilder; will sich eine nähern, so wird sie mir verhaßt. Was ihr von Reizen fabelt, von Sehnsucht, von unwiderstehlichem Zauber, ist mir in der Wirklichkeit nur lächerlich, denn mein braunes Roß dünkt mir bis jetzt schöner, als alle weiblichen Gebilde. In Eurer Fabelwelt müßt ihr Dichter die Liebe freilich zum Mittelpunkt eurer Dichtungen machen.«

»Dieses spröde Zurückziehn der Schönheit«, erwiderte der Dichter, »dieses herbe Verschmähen der Liebe und des Weibes habe ich eben in meinem Adonis schildern wollen, und du selbst, Geliebtester, bist mein Modell zu dem Gemälde dieses schönsten Jünglings gewesen.«

»Das Buch«, erwiderte der junge Graf, »bewundre ich, wie dir wohl bekannt ist, aber alle diese schönen Verse und verführerischen Schilderungen werden mich nicht bekehren und meinem Glauben untreu machen. Sie sind auch für mich nicht verführerisch, denn mein Blut ist zu kalt, mein Sinn zu nüchtern, um mich durch dergleichen fangen zu lassen.«

»Es mag gut sein«, antwortete der Freund, »denn deine Schönheit müßte alle Mädchen und Weiber entzücken, sie verführen oder unglücklich machen.«

»Erzähle weiter«, rief Southampton ungeduldig. »Du bist mir lieber als alle diese.«

»Ich kam«, fuhr Shakespeare in seinem Berichte fort, »nach London, welches ich jetzt mit ganz andern Augen, als vor einigen Jahren ansah, denn es sollte die Bühne meines Lebens werden, auf der sich ein neues Schicksal entwickeln und ausbilden sollte. Ich war noch nicht zwanzig Jahr alt, und doch erschien ich mir in meinem Sinne wie ein Greis, der schon alles überstanden und überlebt hatte. Freuen konnte ich mich auf nichts, ich strebte nur zu vergessen und in Beschäftigung und Ruhe ein einfaches unbekanntes Leben fortzuführen. Es gelang mir, einen Advokaten aufzufinden, der eines Schreibers bedurfte, und da der Mann in seinen verbreiteten Geschäften klar sah, so lernte ich bei ihm sehr viel in kurzer Zeit.[467]

Ich war zufrieden, und fast nur aus Zerstreuung, nicht aus Neugier, besuchte ich wieder eins der Theater. Mir schien es, sie hätten sich gebessert, nicht sowohl in den Gedichten selbst, als in der Art des Spiels. Ich vernahm natürliche Rede, klare Aussprache und die Leidenschaft so richtig vorgetragen, daß ich oft auf lange hintergangen und völlig getäuscht war. Wenn ich dann oft die Sachen mir wiederholte und zufällig an eine Geschichte und Begebenheit dachte, die mich interessierte, so bemerkte ich, daß sich mir alles von selbst in Gespräch und Szene ordnete. Meine Versuche, die in Stratford geblieben waren, fielen mir wieder ein und es gereute mich, daß ich sie nicht mit mir genommen hatte.

Ich lernte einige der besseren Schauspieler kennen, die sich um so lieber mir anschlossen, da sie auch aus Warwikshire gebürtig waren. Sie kannten einigermaßen mein Schicksal und beklagten meine Jugend. Ich hatte es nicht lassen können, einige Verse und Szenen aufzuschreiben, und sie munterten mich auf, fortzufahren, und ein Stück für ihr Theater auszuarbeiten, da sie lange nichts Neues gegeben hatten. Sonderbar! Von diesem Augenblick an wurde es mir schwer, selbst peinlich, oft unmöglich, nur die Verse zusammenzubringen, indem immerdar die Bühne, die laute Rezitation, die Zuschauer und die Stellen, welche gefallen hatten, meinem Gedächtnisse vorschwebten. Ich bestrebte mich, eben dergleichen zu erfinden, um in dem herkömmlichen Ton der bisherigen Schauspiele zu sprechen. Nicht, daß ich diese Sachen für vortrefflich gehalten, daß sie mir nur gefallen hätten: nein, die meisten dieser Kompositionen erschienen mir ganz fehlerhaft und sogar abgeschmackt. Ich meinte aber, was ich verfertige, müsse ebenso aussehen, und ich machte nun die Erfahrung, daß dasjenige, was mir in Stratford Lust und Erholung gewesen war, mir hier in London zur Angst und Qual wurde. Ich machte die Entdeckung, daß die Gegend meiner Seele, wo ich früher mit stiller Hoffnung, indem alle Wirklichkeit mich verließ, bunte Gärten, und fruchtbare Auen entdeckt hatte, auch nur öde Steppen und traurige Wüsten waren. Unter den drückendsten Gefühlen und in Selbstverachtung hatte ich in Stratford mit Leichtigkeit in wenigen Tagen ein ganzes Schauspiel zustande gebracht, Verse und Reden flossen mir so schnell, daß die Feder sie kaum einholen konnte – und jetzt, aufgemuntert, in ruhiger Lage, von Freunden umgeben, die mich lobten und viel von mir erwarteten, starrte ich wohl Viertelstunden lang das leere weiße Blatt[468] wie blödsinnig an, und kein Gedanke wollte sich finden, und kein richtiges Wort, kein bequemer und passender Ausdruck für diesen, wenn er endlich herbeigezwungen war. Indessen wurde ein Schauspiel, es wurden mehrere Stücke dieser Art fertig, die ohne Gunst der Musen geschrieben waren. Sie wurden dargestellt, und gefielen als Neuigkeit. Die Belohnung, so mäßig sie auch war, erheiterte mein Leben, und wie ich für meinen Rechtsgelehrten Klagen und Zitationen ausarbeitete, so zimmerte ich für meine Bekannten Trauerspiele und Komödien, und es fiel mir eben nicht ein, daß ein Schaustück, vom Volk gesehn, auf die Bühne hingestellt, eben anders sein könne, als die gewöhnlichen. Denn diejenigen, die Kenner bewunderten, welche Gelehrte geschrieben hatten, waren steif und förmlich, und wohl für die Universität, aber nicht für das Theater der Stadt brauchbar. Einige Spiele, die die Knaben der Kapelle der Königin und dem Hofe vorgespielt hatten, schienen mir besser und feiner ausgeführt.

Nach zwei Jahren reisete einer dieser Schauspieler nach seiner Heimat zurück und besuchte auch Stratford und meine Eltern. Er erzählte mir, daß diese und die ganze Stadt über mich das Verdammungsurteil gesprochen hätten, daß man mich aufgebe und nie wiederzusehen denke. Frau und Kinder waren nach diesem Berichte gesund und blühend.

Als ich nach einigen Wochen das Theater wieder besuchte, stand mir eine große Überraschung bevor. Unter verändertem Titel sah ich jenes Stück, welches ich in Stratford geschrieben hatte, zu meinem größten Erstaunen spielen. Ich erschrak und war beschämt, daß dieser ganz kindische Versuch nach Jahren dem Volke vorgeführt werden sollte, und zürnte jenem Schauspieler, der mein Vertrauen so mißbraucht hatte. Aber wie verwundert war ich, wie sehr in andrer Weise beschämt, daß noch keiner meiner Versuche mit so vielem Beifalle war belohnt worden, ja daß mir die Schauspieler versicherten, seit Jahren habe kein Stück ein so entschiedenes Glück gemacht. Sie konnten es auch öfter darstellen als jede andre Komödie, und es blieb ein Lieblingsstück der Stadt.«

»Und ich will wetten«, rief Southampton jetzt, »dieses Stück ist der wunderliche Mucedorus.«

»So ist es«, erwiderte der Dichter.

»Und du, Böser«, sagte der Graf empfindlich, »hast mir bis jetzt verschwiegen, daß auch dieses seltsame Gebilde von dir heraufgeführt ist. Diese Erscheinung habe ich[469] immer geliebt, und fühlte in ihr eine ergreifende Eigentümlichkeit. Dies Stück, wie alles Alte, mußt du denn doch noch einmal für mich und andre Freunde deiner Muse drucken lassen.«

»Ihr wißt«, antwortete der Freund, »diese Sachen gehören den Theatern, und selbst wenn sie es mehr verdienten, würde es schwer sein, sie diesen zu entziehen und dem Drucker zu übergeben. Aber von diesem Augenblicke, um in der Erzählung fortzufahren, als dieser Mucedorus so mit unverdientem Beifall war aufgenommen worden, war mir eine zentnerschwere Last vom Busen gefallen. Ich verzweifelte nun nicht mehr an meinem Talent. So schwach jenes erste Stück, ein fast kindischer Versuch ist, so begriff ich doch, daß er darum gelenker, eigentümlicher war und mehr gefallen hatte, weil er eben frei, leicht und dreist, ohne hemmende Rücksichten und Furcht vor hergebrachter Form war hingeschrieben worden. Jetzt also folgte ich nur meiner eignen Neigung und Lust, und alle jene Arbeiten, die ich nun in meinen Feierstunden ausführte, sind freier und eigentümlicher.

Jetzt erschien das Buch von Lilly, der bekannte Euphuos, und ich war nicht saumselig, ihm, wie alle meine Zeitgenossen es taten, nachzuahmen; und um so lieber, weil ich auch seine fein ausgearbeiteten Hofkomödien kennenlernte, die die Kinder der Kapelle am Hofe mit großem Beifalle spielten. Der alte Munday gab viele Stücke der Bühne, schwach geschrieben, aber gut erfunden; einige Georg Peele, der wundersame heitre Mann, der ebensogern Schelm, als Schauspieler und Dichter ist. Ich lernte in Übersetzung den Seneca, Plautus und Terenz kennen, nahm mein Lateinisch wieder vor und studierte, soviel ich konnte, die Originale. Ich bemerkte bald, daß jede geistreiche und neue Manier mich so anzog, daß ich mich ihr mit Leichtigkeit anschloß und in dem angeklungenen Ton fortsprechen konnte. Dieses Talent, wodurch ich gleichsam selbst zur Person des gelesenen Dichters in meiner Nachahmung wurde, förderte und hemmte mich. Ich versuchte nach und nach ohne Anstrengung alle Tonweisen unserer reichen und vielseitigen Sprache: die spitze, antithetische des Lilly, die immer mit Bildern und Gleichnissen spielt, die gesucht prächtige, moralisch kurze, die ich dem Seneca nachtönte, die süßfließende und leichtfaselnde des Peele, die dramatische, natürliche Rede des Munday, und hie und da den zornigen Übermut der Leidenschaft, die ich in Marlowe fand. Denn bald nachher trat dieser[470] Dichter auf, und Robert Greene, dessen durchsichtigen Stil und leichten Vers ich immer geliebt habe.

Ohne daß ich es bemerkt hatte, war diese Beschäftigung mit dem Theater meine Hauptaufgabe, und meine Arbeit für den Rechtsgelehrten nur Nebensache geworden. Der pünktliche Mann hielt mir meine Nachlässigkeit in etwas zu herber Sprache vor, und da ich nicht ohne Leidenschaft erwiderte, so trennten wir uns auf immer. Jetzt nahm ich den Vorschlag meiner Landsleute, den ich früher abgewiesen hatte, mit Lust an, mich dem Theater ganz zu widmen. Ein reicher Mann, Henslowe, hatte einige Theater übernommen und sich für Summen mit den Erbauern und vorigen Eigentümern abgefunden. Er nahm mich gern auf, weil er seine Unternehmung, die er ganz wie ein kaufmännisches Geschäft betrieb, erweitern wollte. Nach einigen Proben und freundschaftlichen Aufmunterungen meiner Landsleute, da ich mich auch schon für mich geübt hatte, ließ ich mich bei den Gesellschaften dieses Henslowe als Schauspieler einschreiben. Mit dieser Unterschrift, indem mir jetzt die Leidenschaft für das Theater die Feder in die Hand gab, hatte ich, das wußte ich, die Aussöhnung mit meinem Vater für immer unmöglich gemacht.

Da meine Stimme nicht stark, mein Wuchs nicht hoch ist, so konnte ich nicht Helden und mächtige Leidenschaften darstellen, das eigentlich Komische schien mir ebenfalls versagt. Die leichte fließende Rede, das Rührende, Zärtliche, eigentlich Schöne, selbst das Würdige schien mir erreichbar. Diese Rollen übernahm ich gern und schrieb mir in meinen eignen Dichtungen manche, die mir Beifall erwarben. Fast alles, was ich jetzt dichtete, machte Glück. Alte Legenden, Begebenheiten aus der bürgerlichen Welt, große Schicksale und Wundermärchen begeisterten mich abwechselnd und brachten schnell viele Komödien hervor, die Ihr auch zum Teil kennt und liebt, wie den Cromwell, den verlornen Sohn von London, den Perikles, Arden von Feversham und so manches andre Spiel. Doch sollte mein aufsteigender übermächtiger Genius auch wieder einmal gedemütigt werden. Schon in der Kindheit hatte mir das wunderliche politische Märchen vom Hamlet gefallen, welches Saxo Grammatikus so hübsch erzählt. Ich nahm den seltsamen Stoff auf meine Weise, und versuchte mich in einer fremden Art, eine Staatsaktion mit leichtem Witz, mit Anspielungen auf neue Zeit und unsern Sitten innigst zu verbinden, ohne den märchenhaften Charakter der alten Legende ganz zu zerstören. Es schien[471] mir auch gelungen, nur nahm ich aus Mißverstand, da die Rolle freilich nicht groß war, über mich, das Gespenst des Vaters darzustellen. In der größten Anstrengung, als ich schrie: ›Hamlet! Rache! (Revenge!)‹ lachte das ganze Haus, weil meine Stimme in der Heftigkeit überschlug. Das Stück gefiel übrigens sehr, aber der Ausdruck: Hamlet, Revenge! diente den Spöttern zum Sprichwort, und ich höre ihn von Neckern noch jetzt zuweilen. Das Gespenst wurde nach einigen Aufführungen von einem andern Spieler vorgestellt, aber dennoch fehlte das Gelächter der Zuschauer bei jener Stelle niemals. Es gehörte nun schon zum Stück, und es ist fast unmöglich, dergleichen Erinnerung und Gewöhnung wieder zu vertilgen, wenn sie einmal feststeht. Gern hätte ich schon diesen Hamlet, einen meiner Lieblinge, neuerdings wieder in andrer Gestalt bearbeitet, wenn mich nicht die Lächerlichkeit, die ihm anhaftet, zurückhielte.

Indem Greene und Marlowe viel für die Bühne schrieben, war auch ich fleißig und glücklich, wenn auch, was ich selbst wünschte, mein Name nicht genannt wurde. Da kam, so muß ich es aussprechen, die Muse selbst zu mir in mein kleines Haus. Schon als Kind hatte ich die Geschichte meines Vaterlandes geliebt; mein Vater, der in ihr sehr bewandert war, erzählte uns oft große Begebenheiten und Schicksalswechsel, den Untergang der Regenten oder großen Familien, die sich auf unserer schönen Insel zugetragen hatten. Ich selbst hatte so Großes erlebt, und war bewegt und erschüttert worden. Plötzlich, in einer einsamen Stunde, schlug sich vor mir das unermeßliche Buch der Verhängnisse und der göttlichen Gerechtigkeit lautrauschend auseinander, und mein Geist las anders, als vormals, sah Beziehungen, Prophezeiung und Erfüllung, wo er sie ehemals nie entdecken konnte, und eine unaussprechliche Entzückung durchströmte alle meine Kräfte, und eine Begeisterung, für die ich keinen Namen habe, bemächtigte sich meiner, daß ich mir vornahm, dieses Schauen, welches sich mir in der Ganzheit, in der Fülle der Begebenheiten, in dem göttlichen Strafgericht der Geschichte so verständlich offenbart hatte, in Worten und Figuren wiederzugeben, und dieses Ungeheure, das mir selbst bis dahin fremd gewesen war, der kleinen, häuslichen Bühne zu vertrauen. Diese Bürgerkriege der Rosen so zu zeichnen, daß jedem sich mein unnennbares Gefühl mitteilte, war jetzt die Aufgabe meines Lebens. Ich fühlte mich selber groß, indem ich so Großes mit sicherm Mute unternehmen durfte. Marlowes Tamerlan hatte die Menge hingerissen,[472] und als Vorbereitung gleichsam stellte ich den König Johann hin, den ich mit großer Begeisterung gedichtet hatte. Mein Haß gegen Mönch- und Papsttum, gegen die Anmaßung der Hierarchie, war herbe ausgesprochen, und mir fielen wieder alle Gezänke bei, die ich in bittern Stunden im väterlichen Hause durchgemacht hatte. Auch dieses Werk, welches in zwei Teile zerfällt, war von den patriotischen Zuschauern mit großer Liebe aufgenommen, und die eigentlichen Dichter, die, weil sie Studierte waren, sich bisher um den Komödianten nicht gekümmert hatten, fingen an mit Eifersucht, und selbst mit Neid zu mir hinabzusehn.

Ja, Freund, es war eine glückliche, eine überaus glückliche Zeit, als ich, die ganze Welt vergessend, meine Bürgerkriege dichtete. Oft war mir, als wenn eine unsichtbare Hand meine fliegende Feder regierte. Weit vorgerückt, fast fertig war ich mit dem ganzen Gedicht, als der erste Teil, die Kindheit Heinrichs des Sechsten, aufgeführt wurde. Aus Erinnerung an meine frühe Jugend und an den Ritter Lucy, den ich sehr geliebt hatte, spielte ich, nebst einigen andern kleinern Rollen, jenen Lucy, der klagend den Leichnam des Helden Talbot fordert. Mit welcher Rührung, Freude, Entzücken, wurde aber der Tod des Talbot, sein Abschied von seinem jungen Sohn, diese Szenen, die ich mit aller Liebe gedichtet hatte, aufgenommen. Ein Weinen, ein Schluchzen, das allgemein war, störte fast die Spielenden, und nachher und am Schluß ein so lauter, so tobender Beifall, wie er noch niemals war gehört worden. Der Sage gemäß hatte ich den Talbot selbst für jenen kleinen, unvergleichlichen Schauspieler gedichtet, der auch in der alten Tragödie vom Hieronymus so einzig erscheint. Er teilte mit mir den Beifall, wie er zumeist das Glück der Darstellung gefördert hatte. Nun, noch ehe alle Teile dieser Bürgerkriege gespielt waren, erschienen viele Schauspiele aus der englischen Geschichte, und selbst Marlowe verschmähte es nicht, seinen Eduard den Zweiten zu dichten. Ein merkwürdiges und schönes Werk, aber jener Geist und Sinn für das Vaterland und dessen Wohl und Weh, den ich hatte poetisch aussprechen wollen, klingt in diesem Schauspiel nicht. Richard der Dritte, welcher die Reihe der Bürgerkriege schloß, erwarb mir wieder viele Freunde. Jetzt war mein Name schon nicht mehr unbekannt, und wenn ich zurücksah, wie ich das Theater angetroffen, und aus welcher Unmündigkeit es durch meine Bemühung vorzüglich war genommen und zum Edlen gereift worden, so[473] fühlte ich mich zufriedengestellt, und meinte wohl, wenn ich nur meine Kinder sähe, alle meine frühern Leiden vergessen zu können.« –

Es war Mittag geworden, und der Graf ließ im Garten in der Laube auftragen. Southampton erzählte, wie er wünsche, den Cuffe, der ihm vorzüglich lieb geworden sei, wenn auch erst in Zukunft, in irgendeiner Stelle, wo er politisch wirken möge, anzubringen, um ihn der gelehrten Beschäftigung zu entziehn, die ihm verhaßt geworden sei. »Man will«, antwortete Shakespeare, »daß dasjenige, was man Sympathie und Antipathie nannte, nicht gelten soll, und gewiß ist es unbillig, einem ersten Eindruck zu viel einzuräumen, und nach diesem den Menschen zu hassen, oder zu lieben. Euch hat dieser Mann so schnell gewonnen, und ich kann nicht leugnen, er ist angenehm und liebenswürdig, er scheint Kenntnisse zu besitzen und sein lebhafter Geist reißt in der Unterhaltung hin. Und dennoch hat mich, wenn ich ihn ansah, oder wenn er sprach, ein unheimliches Gefühl erfaßt, von dem ich mir keine Rechenschaft geben kann, als daß es ein mir unerklärliches Einwirken ist, wie ein Vorahnden, dieser Mann könnte mir, oder gar Euch, schädlich oder selbst verderblich werden.«

»Ich möchte fast sagen«, erwiderte Southampton, »ich hätte etwas Ähnliches empfunden, und du wirst spotten, wenn ich hinzufüge, daß diese kleine Furcht, dieses Abstoßende in seinem bestechenden Wesen, mich gerade gereizt hat, seine Bekanntschaft zu suchen. Ich war heute morgen noch bei ihm, und sprach mit ihm über viele wichtige Gegenstände. Er sehnt sich so sehr aus seiner jetzigen Lage, daß ich sehn will, ob ich mit meinen Freunden und Bekannten nicht so viel auswirken kann, ihm eine andre Stellung zu geben.«

Als das Mittagsmahl geendigt war, sagte der heitere Jüngling zum ältern Freunde: »Du hast mir heut viel, und viel Trauriges erzählt, beginne jetzt die fröhliche Vorlesung, die du mir versprachst, den Anfang deines neuesten Theaterstückes.«

»Wenn ein Teil«, antwortete Shakespeare, »da es noch nicht geendigt ist, nur Vergnügen gewähren kann. Doch wünsche ich, daß dieses Spiel des Witzes gefallen möge, weil ich noch niemals etwas mit so vieler Lust und Freude gedichtet habe.«

Er holte die Blätter und las das Lustspiel, so weit er es gedichtet hatte, das den Namen führt: Der Liebe Mühen sind verloren (Love's labour's lost). Der Dichter hatte einen Zuhörer, wie jeder Poet ihn sich wünschen möchte, denn der Graf[474] empfand jeden Scherz, verstand jede Anspielung, fühlte die Beziehung und Spaltung eines jeden witzigen Einfalls und war während der Vorlesung entzückt. Vieles mußte der Dichter ihm zwei- oder auch dreimal lesen, damit er den Doppelsinn und die Lieblichkeit der Poesie recht genießen und schmecken könne. Als die Vorlesung geendigt war, umarmte der Begeisterte seinen geliebten Dichter und sagte: »Freund Willy, ich habe es nicht für möglich gehalten, daß dergleichen in unsrer, oder in irgendeiner Sprache möglich sei. So haarscharf den Witz spalten, so unerschöpflich sein in Spaß und Laune, wenn andere glauben, alles sei schon gesagt; so lieblich und süß von der Liebe sprechen, und so anmutig und fein sie liebend verspotten können, diese Figuren der Höflinge, der Mädchen, und die bäurischen Narren und der majestätische Spanier dazwischen, alles dies ist dir nur, einzig dir nur möglich. Dies ist die echte Urbanität, die Feinheit des Geistes, die unsre Poesie und Sprache dem Allerhöchsten gleichstellen muß, was nur je in der schönsten Zeit von den Griechen ist gedichtet worden. O mein Geliebter, diese zarte Frucht muß dir die Herzen aller Verständigen gewinnen: dies Werk muß für alle Zukunft ein Denkmal sein, ein Musterbild, wie sich Laune und Witz, Poesie und Scherz über sie, Liebe und Ironie auf das innigste vermählen, und im Kampf am einigsten sind.«

»Ich habe es gewagt«, antwortete Shakespeare, »ein Lustspiel ohne Inhalt zu dichten, alle die gewöhnlichen Interessen, die schon im Stoff liegen, völlig zu entfernen, und nur in der Klarheit des Scherzes und Witzes alle diese Gedanken, die sich begegnenden und widersprechenden Empfindungen, leicht schwimmen zu lassen, wie Schwäne bei heitrer Frühlingswärme auf dem blauen Teiche, während Ulme und Weide sich in der leise bewegten Flut abspiegeln und der Gesang der Vögel aus den Büschen sich wie ein goldnes Netz über die ruhige Landschaft spreitet. Ich war selbst entzückt, als der Gedanke in mir aufging, und die Freude am Werke hat mich auch während der Arbeit keinen Augenblick verlassen.«

»Das sieht man jedem Verse an«, rief der Graf aus: »wo ist die Sprache schon je so lieblich erklungen? Meint man nicht, es sind nackte Liebesgötter, die im Bade plätschern und sich mit Blüten werfen? O die Reden dieses Biron! Diese Rosaline! Woher Schauspieler nehmen, die diesen Goldton würdig auszusprechen wagen?«

»Die unsrigen«, sagte Shakespeare, »sind jetzt vortrefflich[475] zu nennen, aber ich lasse doch, wie Ihr mir auch geraten habt, dies Gedicht noch einige Zeit liegen, um noch mehr auszuarbeiten, damit wir etwas später mit mannichfaltigen Stücken neu auftreten können.«

»Diese Einrichtung scheint mir die beste«, fügte Southampton hinzu. »Da Ihr aber, Freund, im Titel der Komödie selbst schon eine allerliebste Alliteration angebracht habt, so wundert mich nur, daß dieser altfränkische Ton nicht im Gedichte selbst, das so mannichfaltige Melodieen spielt, ebenfalls widerklingt. Er fehlt, dünkt mich, geradezu: und warum wollt Ihr da nicht noch unsern vortrefflichen Schulmeister Florio mit aller seiner pedantischen Affektation auftreten lassen? Er verdient es um so mehr, weil er so ungewaschenes Zeug über unsre Bühne und deine historischen Schauspiele gesprochen hat.«

»Es sollten«, antwortete Shakespeare, »hier, wo wir abgebrochen haben, noch zwei andre Figuren auftreten, um den Schluß zu heben und allerdings neue Töne hereinzubringen. Ich will mir überlegen, ob wir den guten Florio brauchen können; denn allerdings ist er mir ein Musterbild für sehr viele Pedanten, die sich einbilden, im steifen eckigen Wesen eine Grazie errungen zu haben, die sie von allen übrigen Sterblichen absondert. Wenn sie einzelne Verse, aus dem Zusammenhange gerissen, auswendig gelernt haben, so meinen sie, sie verstehn die Dichter und können sie beurteilen. Ja sie halten sich für mehr, als jene großen oder kleinen Dichter, die zu bewundern sie sich doch die Miene geben.«

»Wenn ich«, fing Southampton nach einer Pause wieder an, »deine Gedichte im Zusammenhange denke, die sonderbare Verschiedenheit in Sprache, Ausdruck und Absicht, das Schwerfällige und langsam Ausgearbeitete mancher, dann wieder den raschen Leichtsinn in andern, die du nur so schnell hingeworfen hast, die Vollendung in den meisten, die Altertümlichkeit mancher – und ich sehe dich an, wie jung und hoffnungsreich du vor mir stehst, wie viel und wie Mannichfaltiges du noch dichten kannst, so weiß ich für meine Bewunderung und Liebe kein Maß, und ich träume und denke oft, unsre ganze Nation müsse in Zukunft ebenso stolz als entzückt sein, dich hervorgebracht zu haben.«

Shakespeare ruhte sinnend in der Umarmung seines jungen, tiefbewegten Freundes, nahm dann dessen Hand und sagte: »Du machst mir bange, Heinrich, wenn du auf diese Weise mit mir sprichst: ich kann dir nichts erwidern, indem eine zu erhitzte[476] Freundschaft dich verblendet und weit über alles Maß hinausführt.«

»Kann man denn das Schöne«, erwiderte jener, »kann man denn den Dichter, den man ganz versteht und ihn sich ausgewählt hat, zu innig lieben? – Nun erzähle mir noch, Geliebtester. – Wenn ich dieses heutige Lustspiel, die Muse der Liebe, den Romeo und die Veroneser in mein Gemüt fasse, und ich denke dann mit aller Kraft der Seele an jene Bürgerkriege zurück, so kann ich mich kaum, so genau ich dich kenne, überreden, daß so verschiedene Werke von demselben Dichter herrühren. Aber dies ist nicht das Sonderbarste noch. Ein Fremder, wenn er auch glaubt, alles rührt von einem Verfasser her, möchte schwören, Romeo, die Liebesmüh, die Veroneser und deine Geschichte der Helena und des Grafen Bertram seien von der Jugend des Autors, und sein Kampf der Rosen von seinem reifen Alter gedichtet worden: solche Kluft, solche unterschiedene Ansicht des Lebens und seiner Verhältnisse liegt zwischen beiden. Der prüfende Blick sieht nun freilich wohl bei tieferem Forschen, daß in den früheren Gedichten hie und da eine jugendliche Ungeschicktheit sich zeigt, wie in den späteren eine Reife, die man anfangs wohl übersieht, aber dennoch ist Gesinnung, Sprache und Darstellung in diesen Perioden so verschieden, daß es auch zu den Seltsamkeiten deines Lebens gehört, so zu beginnen und auf diese Weise fortzufahren. Erzähle mir noch darüber einiges, dann reite ich sogleich nach Stratford hinüber.«

»Geliebter Freund«, begann der Dichter wieder, »ich muß deiner Liebe einigermaßen genügen, wenn es mir schon ängstlich ist, so viel von mir selber zu sprechen. Ich sagte, wie jene Begeisterung, das vaterländische Gedicht auszuarbeiten, mir von selbst kam. Diese Dichtung war die Erfüllung aller Ahndung und Freude meiner Jugend, aller Gespräche mit meinem Vater, jener frühen Träume, in welchen alle diese Gestalten so nahe und lebendig vor mir standen. So verwickelt die Aufgabe ist, so kann ich doch sagen, daß die Lösung mich kaum angestrengt, viel weniger je selber verwirrt. Als die Dichtung vollendet und mit Liebe von der Stadt aufgenommen ward, fühlte ich mich in der Befriedigung von Trauer niedergedrückt, denn mir war, als sei mein Leben nun erfüllt, und ich könne nichts Neues, Bedeutendes mehr hervorbringen. Achtundzwanzig Jahre hatte ich nun durchstrebt, fast acht Jahre hatte ich schon in London zugebracht, und ich erschien mir in manchen[477] Augenblicken wie ein alter Mann. Um nur Gegenstände für meine Dichtung zu finden, blätterte und las ich in den Italienern. Die sonderbaren Novellen, von denen viele so schön geschrieben sind, zogen mich an und stießen mich wieder durch ihr herbes Wesen ab; die Süßigkeit des Ariost war jetzt meinem Ohre eindringlicher, als vormals; aber mein Gemüt konnte sich nicht genug hingeben, sondern strebte immer, die mir vertrauten großen Verhältnisse fast gewaltsam auch hier wieder zu erschaffen, und so erstand unter Anstrengung und Kampf jene Legende vom Grafen Bertram und Helena, der Tochter des Arztes, die ich dem herrlichen Boccaz entwendet habe. Meine Seele suchte nach einer Empfindung, nach einer Gegend gleichsam, deren sie sich bemächtigen wollte, ohne die Richtung ihrer Reise entdecken zu können. Eine sonderbare Wehmut und Sehnsucht bemeisterte sich meiner, und ich verwunderte mich, daß ich jetzt die Welt und die Natur mit andern Augen betrachtete. Alles rührte mich innig; die Musik, die ich vernachlässiget hatte, am meisten; aber auch jeder Spaziergang, Wiese, Wald und Hügel, und der schöne breite Strom. Auch meine Jugend erschien mir in einem andern Lichte, und viele Erinnerungen tauchten wieder auf, die bis dahin verdunkelt waren. Das Gefühl zu meiner Mutter, die seltsame, fürchtende Liebe zum Vater erwachte wieder, am meisten die gleichsam unmündige zu meinen Kindern, die, wie sie gestaltlos war, um so sehnsüchtiger anwuchs. Mein Schmerz über Johanna und ihre Roheit durchschnitt von neuem meinen Busen, und ein himmelliebliches Bildnis schwamm wie ein Abendwölkchen am Horizont meiner Vergangenheit empor. Ein Mädchen, Emmy, die Tochter eines Nachbars in Stratford, hatte vor meiner unglücklichen Heirat mein Gemüt erweckt; sie stand immer vor meinen Augen, und ich war nur zu furchtsam gewesen, jemals die Bekanntschaft zu einer vertrauteren zu erhöhen. Es hatte mein Herz durchschnitten, als ich hörte, daß sie auch über meine Heirat gespottet hatte; doch grüßte sie mich noch den Tag vor meiner Flucht mit süßer Anmut. Ich schwelgte in allen diesen Erinnerungen und verweichlichte recht pflegend mein törichtes Herz. So sehnsuchtskrank oder liebesschwanger ließ ich auf kurze Zeit alle meine Arbeiten ruhen, weil mich kein Plan reizte, weil es mir unmöglich gewesen wäre, in dieser Stimmung irgend etwas, wie meine früheren Stücke, zu schreiben. Schon seit lange kannte ich vom Ansehn eine junge Frau in der Lombardstraße, die hier ein hübsches Haus bewohnt,[478] und da sie reich ist, mit einigem Glanze lebt. Sie ist vom Vater her mit mir verwandt, und an einen großen Kaufmann verheiratet, der sich aber, weil er ihre Launen nicht erdulden konnte, bald wieder von ihr trennte, um in Frankreich, Deutschland und Italien zu reisen und seine Handelsverbindungen zu erweitern. Ich habe ihn nie gesehen, auch scheint er nicht die Absicht zu haben, jemals wieder nach England zurückzukehren. Das Haus dieser Frau, die schon seit zwei Jahren als Witwe lebte, wird zuweilen von angesehenen Männern und Frauen besucht, und ich hatte immer gewünscht, daß ich öfter und vertrauter hingehn dürfte; aber mein Stand machte mich schüchtern, denn ich besorgte, daß sie den jungen Schauspieler nur ungern zu ihrer Gesellschaft zählen möchte. Als jetzt Richard der Dritte so allgemein gefallen und viele Gespräche über das Gedicht verursacht hatte, lud sie mich eigen zu einem Mittage ein, wo ich Kaufleute mit ihren Frauen, Squires und selbst Ritter fand, die sie sämtlich so geistreich, und mit so witziger Liebenswürdigkeit zu behandeln wußte, daß sich alle in ihrer Gesellschaft geehrt fühlten. Ich glaubte sie zu kennen, aber sie erschien mir in dieser Umgebung ganz neu. So viel Reiz, Schalkheit, Scherz, der alles wagen durfte und sich niemals etwas vergab, ein Übermut des Lebens, der immerdar in phantastischen Reden und poetischen Einfällen überschäumte, war auch mir nie in der Phantasie als mögliche Erscheinung aufgegangen. Man kann bezaubert sein, ohne es zu wissen, ja diese Verzauberung ist wohl allein die unzerbrechliche. So ging ich von ihr, mit vollem, aber frohem Herzen. Sie hatte mich wieder zu sich beschieden, denn ich sollte ihr von meiner neuen Komödie, Bertram und Helena, vorlesen. Sie war heut ganz ernst und züchtige Bescheidenheit. Ihre Bemerkungen waren verständig, ihr Tadel traf und ihr Lob begeisterte. ›Wie habt Ihr mich nur‹, fing sie nach einiger Zeit an, ›so lange, und wie ich glauben muß, vorsätzlich vernachlässigen können? Ihr seid mein Vetter, aber die Verwandtschaft gilt Euch nichts, und doch hat sich wohl kein Mensch hier in der Stadt Eures herrlichen Talentes so sehr erfreut, als ich.‹ Ich mußte versprechen, sie oft zu sehen, und diesen lieblichen dunkeln Augen gegenüber gab ich dies Versprechen nur allzugern. ›Neulich‹, sagte sie, ›haben mir alle meine Besucher viel Schönes gesagt, und Ihr wart der einzige, der kein verständiges Wort auffinden konnte. Schickt sich das für einen Dichter? Als ich mit Euch in das Spiegelzimmer ging, als ich Euch jenes kostbare Kästchen[479] zeigte, von dem wir gesprochen hatten, und wir uns Antlitz gegen Antlitz allein befanden, als ich Euch lächelnd anblickte, meinte ich, Ihr würdet mir nun etwas recht Hübsches, Witziges, Geistreiches sagen: es geschah aber nicht, so schön auch Euer Auge glänzte; was dachtet Ihr denn in dem Augenblick?‹ – ›Wie süß es sein müsse‹, erwiderte ich, ›einen Kuß auf diese vollen Lippen drücken zu dürfen: und wie gern hätte ich es versucht.‹ – ›Und warum habt Ihr es denn nicht getan?‹ rief sie lachend. – Diese freundliche Erlaubnis blieb nicht unbenutzt. Aber so gütig sie war, so verständig war sie auch, und hemmte meine Leidenschaft, die sich ihr jetzt erklärte. – ›Mein Freund‹, sagte sie hierauf, ›Eure Liebe, die Ihr mir geben wollt, ist mir ein sehr angenehmes Geschenk, denn, daß Ihr es nur wißt, ich habe Euch schon seit lange geliebt, längst vorher, ehe Ihr nur an mich dachtet. Wir dürfen uns, so sonderbar ist unser Schicksal, beide als frei ansehen, und keiner ist, der von uns Rechenschaft fordern dürfte. Aber ums Himmels willen nur keine Liebe und Leidenschaft, wie die Raufbolde sie gern haben, daß die ganze Stadt etwas zu sprechen hat, und die jungen Stutzer mit Fingern auf uns weisen. Die echte Liebe, wie ich sie mir denke, muß lange von sich selbst, von Sehnsucht, Lächeln, Scherz, Vertrauen und süßen Tränen leben können, und doch satt und befriedigt sein.‹ – So schlossen wir den Bund, ohne daß sie mir an diesem Tage mehr, als eine Umarmung und einige Küsse vergönnt hätte.

Selig, trunken, taumelnd ging ich nach meinem Hause. So unerwartet war ein neuer Zustand, ein Lebensverhältnis, eine Leidenschaft in meine Seele und Herz geworfen worden, indem ich es nicht suchte, und doch fand. Ich fühlte mich ihr ganz hingegeben und doch im Gefangensein frei; ich glühte für sie und konnte sie doch nicht anbeten; ich war ihr Sklav, und durch ihre Erklärung, durch alles, was sie mir gesagt hatte, doch ihr Gebieter. Ich ahndete nun wohl, wie diese Leidenschaft, die allgemeinste und der die Dichter immer dieselben Farben und Worte geben, doch nach den Umständen und Charakteren sich in unzähligen eigentümlichen Formen zeigen könne. Oft dachte ich, ich hätte im Leben noch niemals geliebt, und zweifelte, ob ich auch jetzt liebe. Dann fühlte ich plötzlich wieder, wie meine Leidenschaft mich schon so beherrschte, daß ich dieses teure, wunderbare Wesen nicht mehr entbehren konnte. Dann war es ein freudiges Empfinden, daß sie mir sicher sei, wie ich gesehn hatte, und daß ich aus der Ferne[480] drohen dürfe, ob sie auf meine Treue auch immerdar rechnen könne. In diesen Träumen und Spielen der Phantasie verlor ich mich und ergriff nun wieder die alte Geschichte von Romeo und Julia. Eine ganz neue Welt ging in mir auf, indem mein Talent jetzt an diesen Gestalten vorüberstreifte. Die unbestimmten Nebel gerannen in dichte, greifliche Figuren; das süßeste Leid, der wildeste Schmerz gesellten sich mit der Laune und gingen mit den Scherzen Hand in Hand; der Übermut des Lebens steigt lachend in die Kammern des Todes, und wird dort am flüchtigen Worte festgehalten; die Schauder küssen sich mit der Wollust, und nur besonnene Trauer, die Träne über alles Glück und des Lebens dunkle Bestimmung, die Wehklage über die flüchtige Jugend bleiben aufrecht und kenntlich über allen zertrümmerten Bildungen stehn.

Schnell wuchs mir die Tragödie unter den Händen. Ebenso schnell meine vertraute Leidenschaft und Liebe zu der blassen Schönen mit den dunkeln Locken. Da sie niemals die Weichliche spielte, so war jedes Wort, jeder Blick von ihr wahr und erfüllte sich. Nach einiger Zeit waren wir ganz einander hingegeben, und ich hatte nichts mehr von ihr zu fordern; aber sie wußte dennoch jedem Blick, jedem Druck der Hand, jedem Kuß dieselbe Würze der Süßigkeit zu geben, den nämlichen Zauber mitzuteilen, der bei der ersten Bekanntschaft mein Herz so unauflöslich gebunden hatte. Was war mir jetzt das Dichten? Nur ein Freigeben der Geister, die in meinem Innern walteten und mich beherrschten: war mir doch zuweilen, so bewußtvoll ich auch das Ganze zusammenhielt, als würde ich erst durch mein Gedicht erschaffen, und mein eigenstes Wesen zum Leben gebracht. – O vergib, mein Geliebter, daß ich dir diese Gefühle, von denen du dich mit Widerwillen abwendest, so ausmale. Du siehst aber, wie weder die Leidenschaft, noch der Scherz und Übermut in der Tragödie, die Liebe und der Hohn über das Gefühl ohne diese Rosaline sich auf diese Art in meinen Versen gemeldet hätte. Jetzt, in meinem Lustspiel, das ich dir heut vorlas, habe ich versucht und gewagt, selbst unter ihrem Namen ein Bild dieser liebenswürdigen Seltsamkeit, dieses bezaubernden Wunders zu entwerfen.«

»Sehr recht, mein Freund«, sagte Southampton, »lässest du auch alle übrigen es aussprechen, daß sie keiner so, wie der verzückte Biron, ansehn kann. Und so würde es wohl auch mit mir sein, wenn ich sie einmal sollte kennenlernen. Jeder Lebenslauf hat aber wirklich, wenn man ihn nur recht genau[481] kennenlernt, etwas Wunderbares. Diesen Gedanken äußertest du, und ich finde die Wahrheit desselben bestätigt. Wir sind wohl nur zu stumpf und gleichgültig, daß wir nicht aus der Geschichte eines jeden Menschen, der uns nahe tritt, ein wundersames Märchen herauslesen.«

»Wie aber, geliebter Heinrich, erhöhte sich dieses Wunder, als du mich nach der Aufführung von Romeo in deine Arme nahmst, und dich mit dieser Herzlichkeit meinen Freund nanntest und mir deine Liebe erklärtest! Alles, was der Himmel dem Menschen gewähren kann, war mir jetzt gegönnt. Am seltsamsten (ich hatte dich schon längst gesehn und beobachtet, du hattest mich schon begeistert und ich wünschte dich zu kennen), daß, wenn ich nun von meiner Empfindung zu dir zu jenem Gefühl für Rosalinen hinabstieg, dieses mir, gegen jenes gehalten, nur gering und matt erschien. Dein Wesen war mir von diesem Augenblick das Höhere und Göttlichere, und meine Empfindung für dich die wahre liebende Liebe. Konnte ich es mir auch nicht denken, lag Tod in der Vorstellung, daß Rosaline mich nicht mehr liebe, so war doch dein Bild wie das Morgenrot, vor dem die Sterne erbleichen. Ich habe niemals gehört oder gelesen, daß die Freundschaft sich zu dieser allerhöchsten Leidenschaft emporschwingen, sich zu dieser Anbetung verklären, und in dieser Glut der Sehnsucht schmachten könne. Dein Blick, dein Wort war mir jetzt alles, dein Beifall der Nachruhm selbst und Unsterblichkeit.« –

»Jetzt muß ich sagen, Freund«, rief Southampton aus, »mäßige dich! Diese Hingebung verdiene ich nicht: kein Mensch ist ihrer wert. Wie ernüchtert wirst du einmal vor dem Götzenbilde stehen, wenn die Zeit die glänzenden Farben abgelöst, mit denen du es überstrichen hast!«

»Nein«, rief Shakespeare aus, »diese meine liebende Freundschaft ist meine Tugend und Kraft; ich bin kein unbestimmter Jüngling, der zum ersten Male in das Leben tritt, und vor allen Gestalten seine Besinnung verliert. Aber du, du wirst mir entrinnen und entschwinden; ich werde dich und deine Liebe müssen fahren lassen, denn dein Stand, die Welt, Geschäfte und große Schicksale werden dich mir entreißen. Ich rechne auch nur auf diesen jetzigen Frühling unserer Bekanntschaft, und genieße ihn deshalb so schwelgerisch mit allen geistigen Sinnen. Aber ich bleibe dir und diesem Gefühle immerdar treu.«

Es war schon spät geworden. Die Freunde trennten sich, denn der Graf wollte nach Stratford am Avon, um die Eltern[482] seines Freundes zu besuchen und diesem seine Familie zu versöhnen. Er versprach, von dort einen Boten zu senden, sobald ihm seine Bemühung gelungen sei, damit der Dichter am folgenden Tage seinen Geburtsort nach so langer Zeit wieder besuchen könne.

Shakespeare blieb im einsamen Hause zurück und versuchte weiterzudichten. Seine Einbildung war von neuem beflügelt, und er schrieb noch bis spät in die Nacht. Er verwunderte sich, daß es so spät geworden, und erschien sich in seiner Liebe und Freundschaft, in seinem Streben und Wollen, in dieser poetischen Dunkelheit seines Wesens, so jung und unmündig, so sehr er auch eben erst das Gegenteil behauptet hatte, daß er sich dieser jugendlichen Heftigkeit schämte, und im Gefühl dieses rätselhaften Waltens zugleich höchst glücklich war.


Der junge Southampton war in Stratford angelangt. Im Gasthofe erkundigte er sich nach der Familie Shakespeare, und fand das bestätigt, was er schon wußte, wie sie zurückgekommen, jetzt fast arm sei, und sich auch keine Gelegenheit finde, ihre Lage wieder zu verbessern. Sie hatten nur wenige und nicht einmal reiche Freunde.

Als der Graf das Haus des Bürgers betrat, fand er die Mutter, die beschäftigt war, den kleineren Kindern ihre Mahlzeit auszuteilen. Der Vater war über Land gegangen, und seine Rückkehr wurde spät am Abend erwartet. Der Graf nannte sich einen jungen Edelmann aus London, der den Sohn des Hauses, welcher in der Stadt lebe, genau kenne, und deshalb, da ihn eine Reise in diese Gegend geführt habe, könne er es sich nicht versagen, die Eltern seines Freundes kennenzulernen.

Die Mutter, heftig bewegt, fing an zu weinen, indem sie mit großem Auge den Fremdling betrachtete, und sagte: »Ach! so kommt uns doch endlich einmal Nachricht von meinem lieben Kinde, von meinem ältesten, und Nachricht, daß es ihm gut geht. Wir haben ihn hierzulande schon ganz verloren gegeben, und einige schlechte Menschen haben die abscheulichsten Dinge von ihm erzählt. Wie tröstlich, daß Sie, lieber junger Herr, die Mühe über sich nehmen, uns des Bessern zu versichern.«

Southampton erzählte, wie er gesund und fleißig sei, von vielen und Guten geachtet, und daß er selbst die Aussicht habe, wohlhabend zu werden. Er fragte dann nach der Frau Johanna[483] und ihren Kindern, und die Mutter erzählte mancherlei, und sagte unter andern: »Ach! lieber freundlicher Herr, dieses Frauenzimmer ist eben das größte Unglück meines Sohnes gewesen. Er war immer ein gutes, liebes Kind, aber von besonderer Art, so daß die Leute, selbst sein eigener Vater, sein Wesen nicht verstanden, und ihn darum gleichsam immer gegen den Strich behandelten. Er war fleißig, aber nicht auf die gewöhnliche Art der Kinder; er lernte auch viel, aber wenn sie es ihm auf ihre Art abfragen wollten, so sahe es immer aus, als ob er gar nichts begriffe. William hatte eine außerordentliche Ambition, aber, daß ich so sage, auf eine stille, weiche Weise, nicht so schreiend und tobend, wie manche Kinder, und darum glaubten die Lehrer, ihm sei Lob und Tadel gleichgültig. Es war erst unsre Absicht, ihn studieren zu lassen und nach Oxford zu schicken, das war aber bald unmöglich, und der Vater glaubte auch, daß er dazu nicht passe. Wäre es aber nur geschehen, hätte das Kind nur etwa einen großen Mann, wie es einigen gelingt, zum Beschützer gehabt, so hätte er als Gelehrter gewiß den richtigen Weg gefunden, und sein Schicksal wäre ein ganz anderes geworden.«

Als von der möglichen Aussöhnung die Rede war, und der Jüngling seine Vorschläge machte, sagte die verständige Frau: »Das wird schwer, wenn nicht ganz unmöglich sein. Der Vater ist so erbittert, daß er seinen Namen selbst nicht will nennen hören. Und diese Johanna, die am wenigsten zu seinem Wesen paßt, und die ihn nie hätte sollen kennenlernen, ist nun auf dem Dorfe unter ihren Eltern und Verwandten so verbauert, daß es ihm gewiß unmöglich würde, mit ihr wieder umzugehn. Es ist auch gut, daß die Ehe, so wie es schon geschehen ist, getrennt bleibt. Die Kinder wachsen gesund auf und werden ziemlich gut erzogen. Sie besuchen uns oft, und ich erwarte sie auch heute.«

In der Tat kam Johanna bald mit ihren Kindern. Der Knabe schien schwächlich, die jüngste Tochter war stark und derb, die älteste fein gebaut. Southampton überzeugte sich, wie sehr die Mutter recht habe, daß Johanna auch nicht auf die fernste Weise mit seinem Freunde je hätte übereinstimmen können. Ihre Sprache war bäuerisch und schreiend, ihr Wesen und ihre Gebärden heftig. Man sah, daß sie sich in ihrer Umgebung gefiel, nichts andres, als das Gewöhnlichste erstrebte, und sich ganz in die Gemeinheit des alltäglichen Lebens hatte fallen lassen.[484]

Southampton nahm Abschied, um die Familie am andern Morgen recht früh wieder zu besuchen und mit dem Vater irgendeine Abrede zu treffen.

Dieser hörte von dem fremden Gast und war sehr unzufrieden mit diesem Besuch. Er hatte sich schon gewöhnt, von seinem Sohne nichts zu vernehmen, und so war er fast aus seinem Gedächtnisse verloschen, da überdies seine täglichen Sorgen ihn so beschäftigten, daß ihm eben nicht Zeit übrigblieb, seine Gedanken auf ferne Gegenstände über die nächsten hinweg zu richten. Er setzte sich also in die Verfassung, da ihm überdies nicht gelungen war, weshalb er gestern sich entfernt hatte, den aufdringlichen Fremdling, von dessen Jugend er mit Verachtung sprach, unfreundlich und geringschätzig aufzunehmen. Als aber der junge Graf mit seinem freundlichen liebenswürdigen Wesen zu ihm in das Zimmer trat, konnte er diesen lachenden Augen gegenüber seinen Vorsatz nicht durchführen, sondern sein schroffes Wesen brach von selbst zusammen und verwandelte sich in Milde und Höflichkeit. Er nötigte den Fremden zum Sitzen, und als sie beide allein waren, nahm er das Wort: »Mein junger Herr, der Ihr uns die Ehre gebt, uns zu besuchen, und der sich bemüht, meinen ungeratenen Sohn, wie ich von der Mutter gehört habe, wieder in seine Familie einzuführen, ich bin gerührt und beschämt, daß ein wohlerzogener Jüngling so vielen Anteil an uns und jenem Unglückseligen nimmt, allein Ihr vergebt mir auch gewiß, wenn ich Euch erkläre, daß Eure Bemühungen vergeblich sein werden. Ich bin nicht mehr so wohlhabend, als ich es in früheren Jahren war, aber ich kann und darf doch nicht vergessen, was mein Geschlecht ist und wer meine Vorfahren waren. Mag dies einem Edelmanne aus einem alten Hause, wie Ihr es vielleicht seid, nicht wichtig genug dünken, um mit einem Sohne mich nicht wieder vereinigen zu wollen, der mich so schwer gekränkt hat, so werden mir doch alle meine Mitbürger vollkommen recht geben. Denn erfahrt, mein edler junger Herr, daß mein Urgroßvater auf dem Schlachtfelde zu Bosworth von jenem Heinrich dem Siebenten, der den Tyrannen Richard besiegte, wegen seines tapfern Streitens den Adel empfing. Heinrich schenkte diesem Kriegsmanne, der ihm so tapfer beigestanden hatte, auch Geld und Gut, und so war er ein wohlangesehener Mann geworden, von dessen Vater in unserer Familie sich keine Sage oder Nachricht mehr befindet. Das hat aber wohl Wahrscheinlichkeit, daß unsre Vorfahren ehemals Green[485] sind genannt worden, deren viele noch in Warwickshire, einige sogar in Stratford leben. Es sind davon einige Greens hier im Orte so dreist, sich ebenfalls mit dem zweiten Namen Shakespeare zu nennen, obgleich es ihnen nicht zukommt, da sie nur Seitenverwandte sind, und nur die unmittelbare Deszendenz den Namen führen soll. Denn es scheint wohl, wie es auch die Sage berichtet, daß dieser Name Schüttel-Speer, Shakespeare, als ein bezeichnender, weil er sich wahrscheinlich mit dem Lanzenkampf ausgezeichnet hatte, meinem Urgroßvater vom Könige selbst ist gegeben worden. So war mein Großvater ein angesehener Mann, auch mein Vater, und als ich diesen beerbte, habe ich dieses Haus hier gebaut, und nachher durch Unglück und eine immer anwachsende Familie vieles von meinem Vermögen eingebüßt. Das Hauptunglück aber ist, daß ich mich auf Anraten meines seligen Vaters dem Handel gewidmet habe, weil er den Stand eines Soldaten haßte, für den ich eigentlich gewiß geboren bin. Noch wallt mein Blut, wenn ich von Kriegestaten höre oder lese, und wäre meine Familie nicht, so hätte ich gern jene See-Expeditionen, oder die Kämpfe in den Niederlanden, Frankreich und Spanien mitgeschlagen, und als jene Armada landen sollte, hoffte ich wenigstens als Freiwilliger für mein Vaterland streiten zu können; doch der Himmel und unsre Seehelden zerstreuten dieses furchtbare Geschwader. Habe ich also auch meinen Beruf, und den edelsten, verfehlt, so darf und kann ich nicht meine Familie vergessen, und daß ich selber Friedensrichter hier war, und noch sein könnte, wenn ich reicher geblieben wäre. Und nun ist mein ältester Sohn, der Erbe meines Standes und Namens, drin in der großen Stadt ein verruchter Komödiant geworden, hat sich unter Banden begeben, auf denen der Fluch Gottes und die Verachtung der Menschen liegt, die den Falschmünzern, Zigeunern und Banditen zugezählt werden, die ihren Beifall und Unterhalt beim Pöbel suchen, indem sie ihnen Unzüchtigkeiten vorsprechen, und schändliche Posituren gaukeln und spielen. Zu Menschen gehört er, die eigentlich vogelfrei sind, und die das Gesetz nicht in Anspruch nehmen dürfen. Darum, junger Mann, darf er, dieser entartete William, diese Schwelle seines väterlichen Hauses nicht mehr betreten, wenn er sich auch sonst nicht hier an mir, seinem Vater, seiner Frau und seinen drei Kindern, die er wie ein flüchtiger Landläufer verlassen hat, so schwer versündigt hätte.«

Southampton, der sich zwar vorgenommen hatte, mäßig und[486] bescheiden zu verfahren, konnte nach dieser Rede seine heftige, auffahrende Natur nicht unterdrücken, sondern er sprang auf, schloß den unzufriednen Mann in seine Arme, und als dieser ihn fragend ansah, sprach er: »Verzeiht, alter lieber Herr, meinen jugendlichen Ungestüm; vorerst seid Ihr mir schon unendlich wert als der Vater meines liebsten Freundes, und dann durch Eure Rede habt Ihr mein ganzes Herz gewonnen, daß Ihr den Stand des Soldaten so liebt, daß Ihr wünscht, Ihr hättet ihn wählen und kämpfen und für Euer Vaterland und die Ehre bluten können. Seht, so, gerade so denke und fühle ich auch, und nur Soldat, Kriegesmann will ich werden, mögen meine Angehörigen auch sprechen, was sie wollen. Und nun begreife ich auch, wie Euer herrlicher Sohn in seinen Gedichten Krieg, Tapferkeit, das Gefühl der Ehre, den Durst nach Blut und Rache so kräftig und groß hat schildern können. Das ist Euer edles Blut, was in ihm sein Wesen treibt, und ihn zu so edlen Gedanken und Empfindungen erregt, das ist noch der uralte Kämpe, der wackre Schüttelspeer von Bosworth, der noch in unsern William herüberwirkt und in ihm arbeitet. Ja, alter Freund, könnte ich Euch nur als meinem Kriegskameraden die Hand schütteln, so solltet Ihr mich schon liebgewinnen! Nicht wahr?«

Der Jüngling drückte die Hand des Mannes herzlich, und diese unverhoffte Anrede hatte den alten Shakespeare völlig entwaffnet. »Wie?« sagte er, »mein Sohn schreibt und dichtet sogar Verse, die zu Mut und Vaterlandsliebe begeistern können? die redliche Menschen und selbst brave Kriegsmänner sich möchten zu Herzen nehmen?«

»Ja! ja!« rief der Jüngling begeistert; »o Ihr lieber, alter, verdrüßlicher Herr, der Ihr Euch um das Schönste gar nicht bekümmert habt, was seit einigen Jahren die Menschen in London in Bewegung setzt! Und um so schlimmer und böser, da dieses Schöne von seinem eignen Sohne ausgeht, den er lieber verkennt und ihn sich als einen armseligen Sünder denkt! O Ihr sollt, Ihr müßt die großen Sachen lesen, die Schlacht, in der Talbot umkommt, den Abschied vom Sohn, den Tod des großen Warwick – und jetzt gleich – ein Schauspiel, das noch nicht ganz fertig ist, über unsern unglücklichen Richard den Zweiten. Seht, der sterbende große Held Gaunt, der riesenhafte Ritter, hält folgende begeisternde Rede, die ich gleich auswendig gelernt habe.« Southampton sagte sie begeistert her:
[487]

»Der Königsthron hier, dies gekrönte Eiland,

Dies Land der Majestät, der Sitz des Mars,

Dies zweite Eden, halbe Paradies,

Dies Bollwerk, das Natur für sich erbaut,

Der Ansteckung und Hand des Kriegs zu trotzen,

Dies Volk des Segens, diese kleine Welt,

Dies Kleinod, in die Silbersee gefaßt,

Die ihr den Dienst von einer Mauer leistet,

Von einem Graben, der das Haus verteidigt,

Vor weniger beglückter Länder Neid;

Der segensvolle Fleck, dies Reich, dies England,

Die Amm und schwangre Schoß von Königen,

Furchtbar durch ihr Geschlecht, hoch von Geburt,

So weit vom Haus berühmt durch ihre Taten,

Für Christendienst und echte Ritterschaft,

Als fern im starren Judentum das Grab

Des Weltheilandes liegt, der Jungfrau Sohn:

Dies teure, teure Land so teurer Seelen,

Durch seinen Ruf in aller Welt so teuer,

Ist nun in Pacht – ich sterbe, da ich's sage, –

Gleich einem Landgut oder Meierhof.

Ja, England, ins glorreiche Meer gefaßt,

Des Felsenstrand die neidische Belagrung

Des wäßrigen Neptunus schlägt zurück,

Ist nun in Schmach gefaßt, mit Tintenflecken

Und Schriften auf verfaultem Pergament.

England, das andern obzusiegen pflegte,

Hat schmählich über sich nun Sieg erlangt.

O, wich' das Ärgernis mit meinem Leben,

Wie glücklich wäre dann mein naher Tod.«


»Nun! wie ist Euch dabei?« rief der Rezitierende.

Der Vater konnte in Begeisterung seine Tränen nicht zurückhalten. »Ja«, fuhr Southampton fort, »diese herrlichen Gedichte sind freilich etwas anderes, als Ihr früher mögt von den elenden Gauklern gesehen haben, die noch wohl von Zeit zu Zeit das Land durchziehen. Und ich meine überhaupt, nach dem Stande des Soldaten, des Helden, ist der eines Dichters der allerglücklichste. Des wahren Dichters, nicht jedes Bänkelsängers, oder Skriblers. Denn auch der Soldat wird nicht geachtet, der in der Schenke prahlt, und berauscht pöbelhaft zankt, und im Kampfe selbst als Nichtswürdiger den Rücken[488] wendet und flieht. Der steht um nichts höher, als der schändliche Gaukler, nicht wahr? Und daß dein Sohn, alter Mann, ein echter, großer Dichter ist, darfst du mir auf mein Wort glauben, denn nur seine Werke haben mich zu seinem Freunde gemacht. Und scheine ich dir zu jung, so komme nach London, und du wirst dasselbe von ältern Männern hören, wenn sie anders Kenner sind und sich um das Theater bekümmern. Und daß er selbst Schauspieler ist? Sein Wesen, seine Person hindern ihn schon daran, den Lustigmacher zu übernehmen; aber sieh ihn nur mit seinem liebenswürdigen Wesen einen edlen Mann der Geschichte, oder den Heinrich den Sechsten in seiner Würde und seinem Unglück darstellen, vernimm nur dann diese sanfte, schöne, eindringliche Stimme, und du wirst gerührt sein, wie wir alle, und ihn bewundern, wie wir alle. Auch bringt ihn diese seine Kunst, indem er selber spielt, in die Paläste der Großen, ja in das Haus unsrer Königin.«

»Ihr habt gewonnen«, rief Shakespeare aus, »und meinen Sinn, den ich für so fest und unerschütterlich hielt, völlig umgewandelt. Ja er soll kommen, sobald er kann und will: meine Arme, mein Haus sollen ihm wieder offenstehn. Er soll auch seine Kinder sehen, nur wird sich seine Frau niemals wieder so mit ihm aussöhnen, daß sie mit ihm leben könnte. Sie ist Bäuerin geworden und als solche glücklich; ihre Geschwister und Verwandten haben ihr Herz von allen höhern Dingen, am meisten aber von meinem Sohne abgewendet.«

»Wie ich meinen Freund verstanden habe«, antwortete Southampton, »wird er dies weder wünschen, noch von Euch oder ihr annehmen, wenn Ihr es fordern solltet. Diese Ehe war eine Verirrung seiner Jugend und das größte Unglück seines Lebens. In welcher Gestalt sollte diese Frau, die Ihr selbst eine Bäuerin nennt, in London auftreten? Sie würde Euren Sohn in allen Dingen nur hemmen und seinen Genius unterdrücken. Anders ist es mit seinen Kindern, die er nur wenig oder gar nicht kennt. Er wünschte auch, seine innigst verehrten und geliebten Eltern jährlich einmal, wenn es die Gelegenheit gibt, zweimal besuchen zu können; daß Ihr ihn wieder als Sohn annehmt, und nicht verachtet; daß er seine Geschwister wieder kennenlernt und sie ihn als Bruder, und daß, wenn es sich so fügen will, Johanna mit ihren Kindern in Eurem Hause, oder doch in der Stadt lebe, damit Ihr, als edler, verständiger Mann, damit Eure Frau, als zärtliche Großmutter, ihre Augen auf seine Kinder haben, daß Ihr deren Erziehung lenken mögt,[489] damit sie nicht verwildern. Seht, dies nur sind die bescheidenen Wünsche Eures Sohnes.«

»Gewährt! Alles gewährt!« rief der Vater in der tiefsten Bewegung, umarmte jetzt freiwillig den Jüngling, und eilte hinaus, um seine Erschütterung und seine Tränen zu verbergen, deren er sich schämte, weil er meinte, sie entehrten den festen Mann. Die Mutter, die während der Verhandlung hinzugekommen war, zerfloß in Tränen. Sie erhob jetzt ihr mildes, schönes Antlitz, faßte die Hand des jungen Mannes und bedeckte sie mit inbrünstigen Küssen. Southampton wollte sie verlegen zurückziehen, sie aber sagte: »Nein! nein! verehrtester Jüngling! der so schön und groß, wahrhaft wie ein Engel in unsre demütige Hütte tritt; ich muß Euch wie einen Wundertäter verehren, denn ein Wunder habt Ihr heut vollbracht. Sooft ich nur in meinem Mutterschmerz ganz von fern und leise auf meinen William anspielte, und ihn nur einmal wiederzusehn wünschte, geriet mein Mann jedesmal in die fürchterlichste Wut, und vermaß sich hoch und teuer, den gottlosen Bösewicht, wie er ihn nannte, niemals nur in der Stadt zu dulden, solange seine Augen offen ständen. Ach! wie wohl ist mir, daß dieses mein allerschlimmstes Leiden von mir genommen ist, nun kann ich alles andere leichter tragen.«

Der Vater trat, nachdem er sich gesammelt hatte, wieder zu den Sprechenden. »Ihr seid doch, junger Squire«, fing er an, »heut Mittag unser Gast? Ihr findet das Mahl bürgerlich und nicht so, wie Ihr es wohl gewohnt seid, aber ich wünsche, daß Ihr meine Einladung nicht abschlagen mögt, da ich meinen Freund und Wohltäter gern an meinem Familientische sehen möchte.«

»Und wenn der Oberkämmerer«, sagte der Jüngling, »oder der Schatzmeister, Lord Burleigh, mich eingeladen hätten, so würde ich es abschlagen, wenn Eure Einladung nachher erfolgte, denn hier zu sein, in Eurem Hause, mit Euch an Eurem Tische zu essen, ist mir die größte Ehre und Auszeichnung, die mir dermalen widerfahren könnte, so viel seid Ihr, hochgeehrter Mann, in meinen Augen, nicht nur als Vater des Freundes, der jetzt in meiner Meinung der Erste aller Sterblichen ist, sondern auch als wackrer Friedensrichter, Bürger, Edelmann und, wenn es das Schicksal erlaubt hätte, wie schon gesagt, als Kriegskamerad.«

Der Vater lächelte freundlich, selbst schalkhaft und sagte: »Die Jugend übertreibt, schöner Herr, die Worte kosten Euch[490] nichts, aber so viel ich auch vom Lord Schatzmeister und dem Ersten aller Sterblichen und dergleichen mehr abziehe, so glaube ich doch und sehe es, daß Ihr es gut mit uns und meinem Sohne meint, und ich hoffe, wir bleiben auch länger gute Freunde.«

»Da wir so weit sind«, erwiderte Southampton, »so schafft mir einen Boten, den ich mit einem kleinen Briefe an meinen Freund senden kann. Er wartet sechs oder sieben Meilen von hier, und kann dann auch noch, nach so langer Zeit, unser Tischgenosse wieder sein.«

Die Mutter fuhr vor Freuden auf, denn so nahe hatte sie die Ankunft des Sohnes, sowenig wie der Vater, geglaubt. Sie eilte fort, um auch Johanna mit ihren Kindern nach der Stadt zu laden, und Southampton schickte den reitenden Boten mit dem freudigsten Briefe an seinen geliebten William.

»Nun aber, teurer Freund, wenn Ihr mich als solchen annehmen wollt, laßt uns die Spielplätze Eures Wilhelm besuchen, jene Schule in der Gildenhalle, von der er mir zuweilen erzählt hat, Orte, wo er als Kind oft war, denn alles ist mir wichtig. Ich will diesen Tag ganz so hier leben, als wäre ich selber ein Sohn Eurer Familie. Aber wie Reisende die Gegend Italiens sehn, und jeden Fußstapfen ihres verehrten Horaz oder Virgil wiederfinden möchten, so ist mir dieses kleine Stratford – ja, ich irre mich gewiß nicht – so wird es vielen, vielen in ferner Zukunft noch ein Heiligtum sein, ein geweihter Platz, wo jede Gasse, jedes Haus, Gebüsch, jeder Baum, das Wasser, die Brücke, wie geweiht, und in einem andächtigen Glanze dem Pilger, der dann auch wohl aus ferner Gegend hieher wallfahrtet, erscheinen wird. Dieses Euer Haus wird so gekannt und besucht sein, wie das Grab Virgils.«

Der Alte nahm Hut und Mantel und lächelte wieder, indem er sagte: »Nur nicht zu viel, lieber, heftiger Freund, bleibt mäßig, um wahr zu bleiben. Kommt jetzt, ich will mit Euch wandeln, und Euch alles Unmerkwürdige dieses kleinen Ortes zeigen, da Ihr es einmal so begehrt. Kein Mensch noch«, sagte er schon in der Türe, »hat eine solche Gewalt über mich ausgeübt, als dies hübsche Jungfrauengesichtchen mit den himmelblauen Augen. Gehn wir, meine liebe Alte wird heut in der Küche etwas mehr, als sonst zu tun haben, da uns ein so hoher Festtag erwartet.«

Die Mutter tummelte sich auch schon, und sendete die Magd aus, um mehr einzukaufen, und der alte, bedächtige[491] Mann schritt mit dem hastigen Jünglinge aus der Türe, um die heitre Stadt in Augenschein zu nehmen.

Als sie durch die Stadt gingen, besuchten sie zuerst die Schulstube, die der Graf mit Aufmerksamkeit betrachtete, um sich in die frühe Jugend seines Freundes hineinzudenken. Als sie später von ihrem Spaziergange zurückkamen, hörten sie, als sie sich dem Markt näherten, viel Geräusch und Stimmen der Menschen. »Was gibt es?« fragte Southampton. »Es wird der Großadmiral Howard sein«, antwortete Shakespeare, "der gestern schon der Stadt gemeldet wurde, er reist, um die Häfen zu besuchen und ist in Warwick gewesen. Es war nicht mehr möglich, dem Gedränge des Zuges auszuweichen, denn viele Diener zu Pferde, Edelleute und Ritter folgten einem ältlichen Mann, der mit edlem Anstande auf seinem Rosse saß und die Einwohner der Stadt, die ihn mit Freudengeschrei begleiteten, freundlich begrüßte. Der Graf wollte sich an den Häusern vorbeidrängen; da ihn aber einige junge Leute aus dem Gefolge begrüßten, wandte sich Howard um, und rief: »Ei! der junge Graf Southampton!« – Dieser näherte sich dem Rufenden, und Howard sagte: »Wie kommt Ihr, junger Herr, in die Gesellschaft dieses Bürgers, mit dem ich Euch gehen sehe? Ich bitte, speiset mit mir, und erzählt mir von London, das ich seit drei Wochen nicht gesehn habe.«

»Verehrter Lord«, sagte Southampton freundlich, »Ihr erzeigt mir zu viele Ehre, die ich aber für heute ablehnen muß, denn ich bin schon der Gast dieses vortrefflichen Mannes, des Vaters meines werten Freundes, des Shakespeare, den Ihr gewiß auch dem Namen nach kennt, jenen Dichter, dem wir Richard den Dritten und die Tragödie von Romeo, wie so manches Schöne verdanken. In London, wenn Ihr zurückgekehrt seid, werde ich Euch meine Ehrfurcht beweisen.«

Der Großadmiral lächelte, und sagte: »Ihr handelt immer in Eurer Weise. Genießt der Jugend und seid froh.« – Er ließ den verlegnen Shakespeare näher treten und sagte: »Ich kenne Euren Sohn nur vom Theater her, denn ich sah ihn spielen, er wird mir aber von vielen gelobt, und die Königin hat schon befohlen, daß seine Tragödie, sobald die Krankheit in London ausgetobt hat, in ihrem Palaste soll gespielt werden. Sagt das, Graf, Eurem Freunde, wie Ihr ihn nennt, denn er wird sich dieser Ehre gewiß erfreuen.«

Howard verneigte sich freundlich und zog weiter, um in dem sogenannten großen Hause mit seinem Gefolge abzusteigen[492] und das Mittagsmahl einzunehmen. Shakespeare begab sich, von dem, was vorgefallen war, betäubt, in seine bürgerliche Wohnung. »Ihr habt mich beschämt«, sagte er hier, »mein hochverehrter Lord, daß Ihr mir nicht sogleich Euren Namen sagtet, damit ich wußte, welche Gnade meinem Hause widerführe.«

»Alter Freund«, sagte Southampton sehr heiter, »wenn Ihr jetzt verlegen werdet und Euch mit Komplimenten quält, so ist es mir sehr verdrüßlich, daß wir jenem alten Herrn dort begegnet sind, der mein Gesicht wiedererkannte. Es freut mich nur, daß ich mein früheres Wort wahrmachen konnte, indem ich Euern Tisch dem seinigen vorgezogen habe. Wenn Euch aber mein Titel und Rang irgend an diesem fröhlichen Tage in Verlegenheit setzt, so glaube ich nimmermehr von Euch, daß Ihr je ein echter Soldat geworden wäret. Schätzt Ihr es aber hoch, und vielleicht auch über das Maß, daß ein junger, fast unmündiger Graf in Euerm Hause ist, daß Euch so ein würdiger Held, wie der Großadmiral, begrüßt und angeredet hat, so vergeßt dabei nicht, daß Ihr alles dies Eurem Sohne zu danken habt, und zwar deswegen, weil er Poet und Schauspieler ist.«

Mit der liebenswürdigsten Freundlichkeit setzte sich der schöne Jüngling nach diesen Worten zu den beiden jüngsten Kindern des Hauses nieder und spielte mit ihnen so unbefangen, als wenn er nur deswegen gekommen wäre. Den Vater des Dichters überraschten alle diese Erscheinungen, die er sich nie als möglich hatte denken können, so sehr, daß er sich vornahm, über nichts mehr zu erstaunen, und still befriedigt jetzt seine Frau aufsuchte, die für die Wirtschaft im obern Zimmer beschäftigt war. Er setzte sich zu ihr und sagte fast flüsternd: »Ja, Margaretha, uns ist heute großes Heil widerfahren, und wir wollen es auch künftig zu verdienen suchen. Auf keinen Fall aber, liebes Weibchen, ändre den Tisch, laß ihn so bestehn, wie er angeordnet war, wenn auch unser Gast, statt eines Squires, der Graf Southampton, und ein Pair des Reiches ist. Es ist mit unserm Sohne doch ganz anders beschaffen, als wir es uns eingebildet haben, denn der Großadmiral weiß auch von ihm. O Teure, eine sonderbare Wehmut und weiche Heiterkeit hat sich meiner bemächtigt, denn ich habe ihm doch, seit er auf der Welt ist, Unrecht getan. Und ich kann es nun nie wiedergutmachen.«

Die Mutter war ebenfalls tief bewegt. Indem kam Johanna mit ihren Kindern, und man ging in das Zimmer zurück, wo[493] Southampton sich immer noch mit den Kleinen beschäftigte, die mit ihm in ihren Spielen Händel angefangen hatten, so daß sie ihn schon ganz wie einen ältern, seit Jahren gekannten Bruder behandelten.

Die Mutter nahm die Gattin des Dichters, eine große starke Frau, sogleich beiseite, um ihr mitzuteilen, was in der Familie ausgemacht sei, und welchen Besuch sie zu erwarten habe. Man sah, wie während dieser Erzählung die Frau, die schon früh alt geworden war, immer verlegner wurde, sie sah mit scheuem Blick nach Southampton, ward rot und schlug dann wieder die Augen nieder. Endlich sagte sie: »Ich bin mit allem zufrieden, was so ein vornehmer Herr für gut findet, alles soll so sein, wie Ihr es, liebe Mutter, und der Schwiegervater anordnet. Ich wohne gerne hier in der Stadt, wo die Kinder freilich besser erzogen werden können.« Southampton sprach freundlich mit ihr und gewann bald ihr Vertrauen, wie es ihm mit jedem gelang, dem er sich nähern wollte. Sie schwatzte und erzählte von der Haushaltung und ihren Kindern. Der Graf nahm den Sohn, der über acht Jahr alt sein mochte, auf seine Kniee und suchte das furchtsame Kind zu erheitern. Der Knabe war blaß und zart, und seine Organisation war nur schwach, dagegen schien die ältere Tochter stark und munter. Die Eltern des Dichters waren in einem glücklichen Taumel und Rausch, die Mutter, daß sie ihren geliebten Sohn, mit allen versöhnt, wiedersehen sollte, und der Vater, daß ein vornehmer Graf so in seinem Hause einheimisch sei, als wenn er eben auch zu seinen Kindern gehöre.

Johanna hatte sich indessen an das Fenster gesetzt und schaute auf die Straße; plötzlich rief sie aus: »O Jesus! da kommt noch ein andrer vornehmer Herr zu uns!« Alle erhoben sich in Erwartung und der Dichter trat mit Stiefeln und in seiner Reitkleidung in das Zimmer. Die Mutter erkannte ihn sogleich und schloß ihn weinend, mit einem freudigen Ausruf, in ihre Arme. Der Vater trat hinzu, und nahm den erschütterten Sohn, der im Begriff war, sich vor ihm niederzuwerfen, an seine Brust. »Ihr verzeiht mir, geliebte Eltern?« rief der Dichter und hielt seine Tränen nicht mehr zurück. »Verzeihe du mir«, sagte der Vater, ganz weich, »du hast uns nur wenig, ich dir sehr viel Unrecht getan.« Jetzt trat auch Johanna hinzu und gab dem Gatten die Hand, indem sie verlegen sagte: »Du bist älter – Ihr habt Euch sehr verändert, lieber Wilhelm.« Shakespeare betrachtete sie und sie war ihm ganz fremd geworden.[494] Sie ertrug seinen Blick nicht, sondern schlug die Augen nieder, indem sie sagte: »Waret Ihr doch fast nur ein Bursche, als Ihr dies Haus verließet, und jetzt kommt Ihr als ein mächtiger Squire wieder herein, so daß man sich vor Euch fürchten möchte. Die Stuben sind Euch zu klein und Eure Augen sind so klug geworden, daß Eure alten Bekannten nicht mehr mit Euch werden reden können.«

Shakespeare sagte nur weniges, indem er sich nach seinen Kindern umsah, die seine Mutter ihm jetzt entgegenführte. Sie betrachteten den fremden Mann mit großen Augen, der sie alle mit Herzlichkeit und Rührung küßte; die ältere Tochter sagte dann: »Du bist also unser Vater aus London? Man denkt sich doch einen Vater anders.« – »Wie das?« fragte der Dichter. – »Du bist so fremd«, sagte das Kind, »so ausländisch, auch sprichst du nicht, wie die hiesigen Väter. Vor dir würde ich mich nimmermehr fürchten, und das müssen doch die Kinder, sonst geraten sie nicht.«

»Und du, mein Sohn?« wendete sich Shakespeare zum kleinen Hamnet. »Mir ist es lieber«, sagte dieser, »wenn ich mich nicht fürchte. Furcht haben wir schon hier und auch haußen bei uns genug. So ist es ganz recht, daß sie uns mal einen Vater von andrer Manier schicken.« – Die Zwillingsschwester des Knaben rief: »Hamnet! sei nicht grob: der Herr Vater, der vor nehme Vater ist ja gegen uns höflich genug.«

Shakespeare saß so beglückt, tief betrübt, gedankenvoll und erschüttert im Kreise der Seinigen, daß er seines schönen jugendlichen Freundes für einige Zeit ganz vergessen hatte. Endlich warf er sein tränendes Auge auf ihn, der mit den Eltern diesem Schauspiele zugesehn hatte, und rief: »O vergib, mein Heinrich! mein Glück, mein Schicksal, mein ganzes Leben bedrängt mich in diesem Augenblick so sehr, daß ich meiner selbst vergesse! Wie soll ich dir danken?«

Der Vater trat erschreckt zurück, als er vernahm, mit welchem vertraulichen Ausdruck sein Sohn den vornehmen Grafen benenne, und Shakespeare erfuhr jetzt erst, daß der Stand seines Freundes seiner Familie schon bekannt sei. »Laß dich nicht stören«, antwortete der Graf, »wir beide haben noch künftig Zeit genug, uns zu sprechen. Das ist mein Glück, daß ich so gute Menschen wiedervereinigt habe, die nur durch Mißverständnisse getrennt waren.«

Bis die Tischzeit herangekommen war, ordnete es der Vater so an, daß seine eignen jüngern Kinder, die noch im Hause[495] waren, in einem andern Zimmer aßen, um die Tafel nicht zu groß zu machen. Bei Tische bemühte sich Shakespeare, die Rührung, die alle ergriffen hatte, zu zerstreuen; er erzählte deshalb viel von London und den dortigen Merkwürdigkeiten, von den Begebenheiten, die er dort erlebt hatte, von seinen Bekanntschaften, und von allen Dingen, die, wie er glaubte, seiner Familie wichtig sein konnten. Er vermied es, vom Theater zu sprechen, um seinen Vater nicht auf diese oder jene Weise zu kränken. Sooft es sich fügte, daß Johanna sprach, zeigte es sich dem beobachtenden Freunde des Dichters immer deutlicher, welch ein sonderbares, fast lächerliches Mißverständnis es gewesen, welches sie in der Ehe mit dem Dichter vereiniget habe; denn er glaubte einzusehn, daß die Natur niemals zwei Wesen erschaffen habe, die sich in allen Dingen so ungleich, deren Bestrebungen so völlig im Widerspruch wären. Er fühlte, wie sie ihrem vormaligen Gatten in keinem seiner Gedanken folgen konnte, wie sie ihn immerdar mißverstand, und, ehemals wohl schwach in Begriffen, jetzt da sie sich in ihrer bäuerischen Umgebung so ganz hatte fallen lassen, in der Familie selbst als ein ungehöriges Mitglied erschien, das seine Verlegenheit nur schlecht verbergen konnte. Der Graf freute sich, daß alle nähere Verbindung zwischen dieser gealterten Bäuerin und seinem Freunde völlig aufgehoben sei.

Das Bestreben des Dichters war, sich mit seinen Kindern bekannt zu machen, sie an sich zu gewöhnen und ihr Vertrauen zu wecken. Die älteste Tochter kam ihm am meisten mit Verstand und Liebe entgegen; der kränkliche Knabe schmiegte sich freundlich an ihn und dessen Schwester wurde ihm durch Munterkeit und Lachen zugetan.

In dieser vergnügten Tischgesellschaft ward beschlossen, daß der Dichter im Herbst noch einmal nach seiner Geburtsstadt kommen solle, um einige Wochen mit seiner Familie zu leben, in Zukunft sie aber jährlich besuchen, um ihnen allen, den Kindern wie den Eltern, nie wieder fremd zu werden. Nachher erfreuten sich die drei Kinder der bunten Geschenke die ihnen der Vater sowie der Graf aus London mitgebracht hatten.

Als alle mehr beruhigt waren, ging William mit dem Vater in dessen Stube und sagte zu ihm, als sie sich allein sahen: »Mein geliebter, verehrter Vater, Ihr habt viel Sorge und Kummer in diesem Leben getragen, und ich selbst habe diese Leiden, wenn auch ohne Willen oder Bosheit, vermehrt. Auch haben Eure[496] Kinder, und ich, da ich ebenfalls Euern Haushalt erschwerte, Euer Vermögen verringert. Die Mutter sagt mir, daß Ihr gestern ausgewesen seid, um dreißig Pfund, die Ihr höchst nötig braucht, aufzunehmen, und daß es Euch nicht gelungen ist, von Euern bekannten Handelsleuten dieses Darlehn zu erhalten. Nehmt hier vorerst diese hundert Pfund von mir freundlich an, nur ein geringer Ersatz für so vieles, was ich Euch gekostet habe. Diese Summe, die ich durch meine Tätigkeit redlich erworben habe, dürft Ihr dreist von mir empfangen, denn ich kann sie entbehren und habe sie für Euch zurückgelegt, es wird mir in Zukunft, wenn ich leben bleibe, nicht fehlen, Euch besser unterstützen zu können, vorzüglich wenn Ihr es einrichten könnt, daß Eure Geschäfte einfacher werden, indem Ihr manche aufgebt, die Euch Sorge und Mühe machen, ohne eigentlich Nutzen zu gewähren.«

»Mein Sohn«, sagte der Alte, »ich habe dich in jeder Hinsicht verkannt, und bitte noch einmal, daß du mir aus vollem Herzen vergeben mögest. Ich habe es heut mittag wohl bemerkt, daß du von deinen Arbeiten, dem Theater und allen Dingen, die mit diesem zusammenhängen, nicht sprechen mochtest; aber auch, was diese Gegenstände betrifft, habe ich jetzt allen meinen alten Irrtümern entsagt. Ich sehe wohl, daß die Zeit vorgerückt ist und sich ganz anders gestaltet hat, als ich sie in meiner Jugend zu kennen glaubte. Da die Großen des Landes von dir wissen, da unsre große Königin nach deinen Gedichten verlangt, und du auch, wie man mir sagt, den Besseren und Klügeren des Volkes gefällst, so bist du jetzt mein Stolz, meine Freude, die Stütze meines Alters. Ich fühle es nun wohl, daß es allerdings einen Mittelweg gibt und geben muß, auf dem sich die heitre Poesie dem finstern Leben einfügt und es gewissermaßen ergänzt. Ich hätte mir in jüngeren Tagen nicht einbilden können, daß das Komödienspielen ein Gewerbe würde, das einträglich und ehrenvoll sei: habe ich doch auch nachher niemals daran gedacht, daß so viel Talent und Kraft in dir wäre, wie der Herr jetzt in dir entwickelt hat. Mein teurer Sohn, du bringst mir eine Summe in mein Haus, die mich auf lange glücklich und sorgenfrei macht, ich glaube dir, daß du sie entbehren kannst, und nehme sie von dir mit meinem herzlichsten Dank.«

»Ihr sollt«, fuhr der Dichter fort, »mein guter, trefflicher Vater, in Eurem Alter noch glücklich sein und Euch aller Sorgen entschlagen können. Ja, mein Teurer, Träume des Knaben[497] sollen in Erfüllung gehn und dazu hilft mir mein edler Freund, der junge Graf. Er ist binnen kurzem mündig, und schon vor einiger Zeit hat er es mir freiwillig, indem ich kein Wort darüber gegen ihn verlor, angetragen, mir mit einer bedeutenden Summe zu helfen. Ich darf sie, ohne mich zu erniedrigen, ohne mir etwas zu vergeben, ja ohne mich nur zu etwas verbindlich zu machen, von ihm annehmen. So werde ich imstande sein, mich beim Theater dort in neue Verhältnisse zu setzen, und mich gewissermaßen unabhängig zu machen. Durch andere Freunde in London ist es mir möglich geworden, über das, was mein Freund mir geben wird, schon jetzt zu verfügen, und so begleitet mich denn, mein Vater, dorthin nach dem sogenannten großen Hause, der Kapelle gegenüber. Die Vormünder, die jetzt über die Verlassenschaft, Haus und Garten, zu schalten haben, nehmen für die Erben die Summe, über die ich, durch Unterhändler, mit ihnen schon übereingekommen bin. Wenn ich alsdann im Herbste wieder zu Euch komme, wohnt Ihr schon in diesem geräumigen Hause und gebt in ihm Eurem Sohn ein Zimmer. Meine Kinder und Frau wohnen dann hier in dieser kleinern Behausung, und die beiden Familien fallen sich nicht zur Last. Nach einigen Jahren, wenn Ihr Euch ganz von Euren verwickelten Geschäften losgemacht habt, laßt Ihr auch, was Ihr Euch schuldig seid, Euern Adel erneuern, und seid nächst den Lucys der bedeutendste Einwohner von Stratford.«

Der überraschte Vater war vor Freude schwach in einen Sessel gesunken. Er bedeckte für einige Augenblicke sein Gesicht mit beiden Händen, dann sprang er auf, umarmte stürmisch den Sohn, und rief: »Sohn! Du bist ein Mann! ein vollständiger Mann! durch und durch und ganz ein Shakespeare! Du tust viel und der Himmel hat dich zu großen Dingen auserwählt. Nun muß ich dich verehren, und ganz Stratford muß es, denn keiner wird sich einbilden, daß ich dergleichen, und allein durch dich, ausrichten kann. Verstehe mich nur, mein Sohn. Ich ehre dich und verehre dich darum, daß du mich durch alles dies, wovon du wohl weißt, daß es meine allerhöchsten Wünsche umfaßt, nicht hast bestechen wollen. Dein Freund hat dich mir versöhnt, und ohne sich zu nennen, viel weniger von allen diesen Dingen ein Wort fallenzulassen. Nein, er hat mich nur gerührt, meine Vaterliebe zu dir aus ihrem Schlummer geweckt, meine Vorurteile wie ausgelichtet, und er wird dir sagen können, daß wir schon ein Herz und Sinn waren,[498] bevor der Großadmiral seinen Namen nannte, den er, wie ich mir einbilde, wohl würde gebraucht haben, da du meine Verehrung des hohen Adels kennst, wenn keine Vernunft hätte bei mir anschlagen wollen. Das ist edel von dir, mein Sohn, ein wahres Kindesstück eines herrlichen Gemütes, daß du mir auf keine Weise diese unsre Versöhnung hast abkaufen, oder, wie ich schon sagte, mich bestechen wollen. Durch diese Größe deines Herzens stehe ich dir wie ein freier Mann, wie ein wahrer Vater, gegenüber, und nicht die kleinste Bitterkeit, nicht die allergeringste Beschämung kann mir, solange ich auch noch leben mag, die Erinnerung an diesen herrlichen Tag kränken und schmälern. Daß du mich als ein solches Wesen behandelst, Sohn, dem du ebenfalls Adel der Gesinnung zutraust, dadurch schenkst du mir mehr, als du durch Millionen könntest, und das ist nun mein Stolz einen solchen Sohn zu besitzen; denn hierin eben habe ich dein tiefstes Herz und die Schönheit deines Gemütes erkannt.«

Er warf sich wieder nieder, und weinte so bitterlich, daß es schien, er könne sich in diesen Schmerzen nicht ersättigen, und kein milderndes Gefühl wolle sich erheben, um seine in Wehmut ringende Seele wieder aufzuheitern. Als der Sohn ihn erheben wollte, wies der Alte die helfende Hand zurück, indem er, von Schluchzen unterbrochen, sagte: »Laß, Wilhelmchen, das sind Freudentränen, wie ich sie noch niemals in meinem Leben vergossen habe, und mir ist nun in alle Fasern meines Herzens hinein so wohl, daß du mir so vieles, so Bitteres, so unsäglich Schmerzliches zu vergeben hattest. Auch das alles schenkst du mir, alles Gaben deiner Großmut: und alle diese deine volle Liebe, diese Schönheit deines Wesens ist doch auch zugleich mein, weil ich dein Vater bin, und das Bewußtsein dieses Glücks erregt in diesem unendlichen Schmerz, im Jubel der Freude diese Todeswehmut. Ja, was ich noch nie erlebt habe, das alles ist eins, und mir ist, als wäre ich zum eigentlichen Leben erst jetzt erwacht.«

Als der Vater mehr beruhigt war, sagte der Sohn: »Liebster Vater, Ihr seid viel zu gut; wahrlich, ich habe mir alles dieses nicht so vorgesetzt, wie Ihr Euch jetzt denkt: Ihr stellt mich viel zu hoch, ich handelte, ohne zu überlegen.«

»Das ist es eben«, sagte der Alte, »das ist das Herrlichste dabei, daß du nur so hin handeltest, nach einfachem Gefühl, daß du nicht denkst und grübelst, und Vorsätze fassest, sondern nur so ganz einfach deinem Wesen folgst. Freilich hast du es[499] dir nicht künstlich ausgerechnet. Ach! ich bin unaussprechlich glücklich! und du mußt es auch sein!«

Vater und Sohn begaben sich jetzt zu jenen Vormündern, und in Gegenwart des Magistrats wurde dieser Kauf des Hauses berichtigt, und das Eigentum desselben vorläufig dem edeln John Shakespeare, Bürger und Einwohner von Stratford, vormals Friedensrichter, übergeben.

Am Abend, als die beiden Ehegatten allein waren, sagte der Alte zur Frau: »O Mutter, wie ich beschämt bin, unsern William so gar nicht gekannt zu haben, kann ich dir nicht aussprechen. Er ist gesetzter, männlicher, sicherer und klarer in Geschäften als ich, und dabei in allem seinem Tun so heiter und leicht; er findet für alles das Wort, für jede Schwierigkeit den Ausweg. Ich meinte immer, alles Ernste müsse mit finstrer Anstrengung, mit mürrischem Verdruß getrieben werden, und er löset das Schwerste wie ein Spiel.« Er erzählte ihr von dem Kauf, und welche sichre Aussicht sie nunmehr hätten, ihre letzten Tage in Ruhe und Wohlhabenheit zu verleben, und bei ihren Landsleuten dieselbe Achtung zu genießen, deren sie sich in der ersten Jugend erfreuten.


Als am folgenden Tage Southampton und Shakespeare ohne Begleitung wieder nach jenem einsam liegenden Gasthof zurückritten, fing der Graf zu seinem Begleiter also an: »Wenn man in einer Familie so bekannt wird, wie ich es durch dich so schnell mit der deinigen geworden bin, und beobachtet unbefangen und ernst, so entwickelt sich eigentlich alles, bis auf die Kleinigkeiten hinab, wie ein gutes dramatisches Gedicht. Ich war imstande, fast im voraus zu bestimmen, was jeder von den deinigen bei jeder Veranlassung sagen würde. Nur möchte ich glauben, daß du mir deinen Vater nicht ganz richtig geschildert hast, der viel besser und umgänglicher ist, als ich ihn erwartete.«

»Es ist wohl möglich«, antwortete der Dichter, »denn ich verließ noch jung das väterliche Haus, in welchem ich nicht viel Erfreuliches erlebt hatte. Immer war mir der Vater ein Gegenstand der Furcht, sein finstres, mürrisches, oft zorniges Wesen stieß mich zurück, so daß ich kein Vertrauen zu ihm fassen konnte, und wenn man jemand fürchtet, kann man ihn nicht kennenlernen. Es ist aber auch möglich, daß dein Erscheinen, und alles was daraus erfolgte, ihn geändert hat, oder vielmehr Ursach gewesen ist, daß eine andere Natur, die auch[500] in ihm liegt, sich nun hervorhob, und auf eine Zeitlang den Meister spielte. Denn darin irren manche dramatische Dichter, daß sie den Menschen, wenn sie ihm einmal einen Charakter beigelegt haben, nur einzig und allein in dieser Hülle oder Gewohnheit erscheinen lassen. Der Ungesellige ist zuzeiten freundlich und zutunlich, der Rohe, Verwilderte auf Stunden fein und höflich, der Menschenfeind nachgebend und human. Sehr oft ist die rauhe Außenseite nur eine bequeme Maske, um ein leicht wechselndes Gemüt, dessen Regungen von gewöhnlichen Menschen oft verkannt werden, zu verbergen. Es gibt viele willkürlich angenommene Charaktere, die oft durch Fortspielen zu wirklichen werden.«

»Aber wie war dir«, fragte der Graf, »als du dich in der Umgebung deiner Kindheit, im Hause wo du geboren wurdest, wiedersahst? Ich fand dich so träumerisch, dann schnell aus deiner Zerstreutheit auffahrend, auf hastige Weise heiter und erzählend, und wieder unruhig fragend, und zuweilen so wechselnd unbestimmt, wie ich dich sonst niemals gesehen habe.«

»Mein Geliebter«, antwortete der Dichter, »mein Zustand an diesem Tage war unendlich beklemmend; ich fühlte mich glücklich und unglücklich zugleich, ich mußte mich erinnern, daß ich wache, und doch überdrängte mich von allen Seiten eine solche Wirklichkeit und Wahrheit, daß ich mich gern wieder an der Phantasie von diesen Schmerzen erholt hätte. Diesem Gefühle nicht unähnlich mag unser erstes Besinnen nach dem Tode sein. Ich war beglückt, meine Eltern wiederzusehn, nach zehn langen Jahren die mir Versöhnten in meine Arme zu schließen, meine geliebten Kinder kennenzulernen, deren Anblick mich mit unendlicher Wehmut durchdrang. Wie ist im Angesicht und Auge des Kindes, in diesem hoffnungsreichen Blick, der noch alles anstaunt, das ganze Rätsel des Lebens so sprechend wundersam abgebildet! Da stehn die Kleinen in süßer Unbefangenheit, nur Freuden und Spiel erwartend, an des Lebens bunt aufgeschmückter Pforte, und der Erfahrne, in dieser Schule Auferzogne sieht schon die dunkeln Larven, die sich hinter dem Vorhang rühren: Krankheit, Leiden, Armut, das Elend der Leidenschaft, verkannte Liebe und Freundschaft, die Vorwürfe, das Verzweifeln an sich selbst, den Jammer des Aberglaubens, die wilde Verruchtheit und die unzähligen Frevel. Welches Ungetüm wird die Kleinen ergreifen, die meinem Herzen und Leben verwachsen sind? Ich habe ihnen bis daher meine Obhut und Liebe entziehn müssen, ich habe[501] ihre unschuldigen Freuden nicht gesehn, ihre Spiele nicht mit ihnen geteilt. Die arme Johanna! Eine große Last ist von meiner Seele gefallen, daß unsre Trennung von beiden Seiten so freiwillig geschehn ist, daß auch die Eltern ihre Notwendigkeit begreifen. Aber hat sie nicht ihr Leben verloren? Ich habe ihrem Herzen nichts sein können, aber sie hätte doch wohl den Gatten gefunden, der ihr wahrhaft Freund sein konnte, an dessen Seite ihre Seele erwachte. Die engen, niedrigen Zimmer, die ganze Armut des Lebens umdrängte und preßte mich wieder wie in meiner Jugend und Kindheit, dieselbe Gespensterfurcht vor dem Dasein, die mich damals so oft überschlich, quoll wieder aus den trüben Wänden. Wie erschienen mir hier meine poetischen Plane, meine phantastischen Entwürfe, meine Entzückungen für die Bühne, und jene Begeisterung, die so weit in die Zukunft hinein schon vorbereitet, ja mein Leben in London selbst, das diesem Familienwesen gegenüber sich so seltsam, möchte ich doch sagen, unwahr und unwirklich ausnimmt. Ich fühlte, ich könne in der engumschränkten Gegenwart, in der Nähe dieser wackern, redlichen Menschen, die ich so innig liebte, niemals etwas Poetisches arbeiten, und doch konnte ich mich in diesen Stunden so wenig nach London zurücksehnen, daß ich vielmehr vor dem Leben dort ein gewisses Zagen, eine Angst empfand. In diesem Zwiespalt aller Empfindungen ward mir das Bewußtsein, wie die Gegenwart sich so gar nicht erfassen lasse, wie wir immer nur zwischen Vergangenheit und Zukunft leben, und nur die Momente der Begeisterung die wirklichen sind. Nun sah ich in Gedanken diese Kinder schon erwachsen, mich alt, meinen Vater gestorben, und dich, Jüngling, den schönen, zum Manne gereift, mir entfremdet, der mich und alle meine Liebe, mein Entzücken an ihm und meine Schmerzen um ihn vergessen hat – und ich schaute, wie mit Seherblick, voraus und zurück, wie viele Leiden und traurige Zustände ich alsdann durchlebt, wie viele Irrtümer ich überstanden hatte – ach! mein Freund! so verwirrte sich mir alles in Haupt und Herzen zu einem Chaos voll Wehmut, Hohn und Schmerz, unnützem Entzücken und lächerlicher Qual, und die Wahrheit wollte mir ganz und immer untergehn, indes ich den Klaren und Sichern spielte, und die juristischen Geschäfte zur Freude meines Vaters so verständig abmachte.«

»Ich habe eine Ahndung davon«, sagte Southampton, »daß das oft und viel allen reichen Geistern, allen poetisch bewegten Gemütern so begegnet. Können sie es abweisen, ja, sollen sie[502] es nur? Das Große und Edle ist es, diese Verwirrung, die in sich selbst, nach Gestalten ringend, gärt, zu beherrschen, den höchsten, stärksten Geist noch übrig zu haben, der die übrigen Kräfte regiert, und sie mit stiller Gewalt, im Aufruhr selbst, wieder in ihre Ämter einsetzt.«

»Wahr und schön«, erwiderte der Dichter: »aber auch in mir spricht eine Ahndung, daß ich nach zu kümmerlicher Jugend mein Leben mit zu kühnem Übermut emporgerissen habe, und daß das scheu gemachte Roß mit mir durchgehn und mich zerschmettern wird. Es lehrten die Alten warnend, es sagen alle Geschichten und Märchen mit Bangigkeit aus, der irdische Mensch, der Sterbliche, solle und dürfe nicht zu glücklich sein! Diese Ausbeugung vom gewöhnlichen Leben und dessen Geschäften, deine Freundschaft und Güte macht es mir möglich, meinen Vater zu beglücken, und der finstere Ernst muß dankend die Gaben der Muse erkennen. Deine Liebe, die du mir so rein, so freiwillig und göttlich geschenkt hast, ist mein höchstes Glück, ich fühle mich dadurch erhoben, als wandelte ich, ein Neuaufgenommener, unter den olympischen Göttern. Die Zärtlichkeit eines Weibes, im Jugendglanz der Jungfrau, kommt mir ebenso freiwillig entgegen, und windet sich mit süßer Wollust und allem Zauber der Liebe um mein Herz, es wie mit goldnem Netz umschlingend, in dem aus jedem Faden Schalkheit, Zier, Witz, Heiterkeit, Scherz und lieblich Kosen neckend und winkend schauen, alle in die Lüfte flatternd, und auf den kleinsten Wink wie Schmetterlinge und Nachtigallen, wie gaukelnde Amorskinder wieder zu meinen Füßen und um meinen Busen spielend. Alles dies will meine Phantasie besitzend, beherrschend umfassen. Und aus allen Gegenden und Dämmerlauben meines Innern treibt die Begeisterung die mannichfachsten Gestalten hervor, die wie grüßend vorüberrauschen. Helle Freudigkeit des Lustspiels, Witz und Torheit, zarte Frühlingsträume, die Heldenjugend unsers fünften Heinrich, der große Tag bei Agincourt, und ein spaßhafter dicker Schelm, die seltsame Figur eines grausamen Juden, die ergötzlichsten Narren, alles sehe ich schon so nahe vor mir, daß ich es mit den Händen abreichen kann. Ich frage mich oft, wo ich nur die Zeit hernehmen soll, allen den Gebilden, die mich mit Fragen bestürmen, Rede zu stehn, ihnen Seele einzuhauchen, und sie mit Form zu umkleiden. Und darf, fragt meine innere Furcht, der Mensch so glücklich sein? Ist es möglich, daß dieses Glück lange währe? Ist es nicht ein Frevel, jenen Nektar, den[503] wohl die begünstigtsten Sterblichen in kleinen Tropfen, in wenigen auserwählten Stunden nippen durften, den Goldbecher von der himmlischen Tafel wegzurauben, um ihn in einem hastigen Zuge auszuleeren?«

»Sei ohne Sorge«, sagte Southampton lachend und doch gerührt, »die Altklugheit der Welt, der Neid und die Schadenfreude werden dir schon Unkraut unter deinen Weizen säen. Die Klätscherei wird bald dein Verhältnis zu jener Frau erspähn und bekritteln, die Moral wird deine luftige Liebschaft und alle ihre schwärmerischen Gefühle auf ihren Prüfstein legen, und an dem Glänzendsten und Lichtesten so lange putzen und fegen, bis alles dunkel, töricht, unmoralisch und gottlos wird, und du selbst wirst dann, eben weil dein Talent so groß ist, zu den allerschlimmsten Menschen, zu jenen Elenden hingeworfen, an denen die hochmütige Verachtung der Schwachen sich weidet, damit sie ihre eigne schwankende und ungewisse Tugend um so sicherer empfinden, und sie fromm am Wohlgeschmack ihrer eignen Süßigkeit nutschen und naschen können.«

»Und doch«, erwiderte der Dichter, »sagt mir mein Empfinden, dieses reizende Band, das mein Leben umschlingt, ist nicht aus den besten Fäden gewebt. Zwar meine ich gegen Johanna nicht mehr in Treue verpflichtet zu sein; es scheint, daß ihr Mann alle Rechte auf sie verloren hat, und doch ist mein Herz in mancher Stunde beunruhigt. Die Liebe zu dir ist die hohe, heilige; von ihr angezogen, festgehalten, dulde ich im Rausch fast mehr ihre Leidenschaft für mich, als daß diese Empfindung eine innere Notwendigkeit meines Lebens wäre.«

Am Mittage blieben sie wieder in dem einsamen Gasthause an der Landstraße. Nach dem Mittagessen las der Dichter seinem Freunde vor, was er neulich noch seinem neuen Lustspiele »der Liebe Müh« hinzugefügt hatte. »Seht, mein Freund«, sagte er, »so erscheint hier der liebenswürdige Florio als Schulmeister Holofernes, in seiner Art und Weise, mit seinen Redensarten und Sprichwörtern. Jetzt werde ich aber in einigen Tagen nichts dichten können, weil mein Gemüt sich erst wieder von den vielen Erschütterungen erholen muß.«

Gegen Abend trafen sie wieder in Oxford bei dem Gastwirt zur Krone ein. Unterwegs scherzte Southampton viel über seinen Freund, der sich seiner Schwermut immer noch nicht erwehren konnte. »Ja freilich«, antwortete der Dichter, »kann ich meinen vorigen Lebenslauf noch nicht wiederfinden. Ich[504] erstaune, wie über eine Unmöglichkeit, wenn ich daran denke, daß ich auf der Bühne wieder meine Rollen mit jener Leichtigkeit und Sicherheit darstellen soll, die ich mir schon längst zu eigen gemacht habe. Diese Schwerfälligkeit, die mich bedrückt, wie verschieden ist sie von jenem vielleicht zu jugendlichen Übermut, mit dem ich die Tänze meiner Bekannten und Freundinnen anordne, daß ich wegen meiner Gewandtheit in Wendungen und künstlichen Tanzweisen gepriesen werde. Oder wenn ich an den Fechtboden denke, wo man mein sichres Auge und meine schnelle Hand ebenfalls lobt. Allen diesen Dingen, sowie dem Gesange zur Laute, habe ich mich von Zeit zu Zeit mit Leidenschaft hingegeben, und meinte in manchen Stunden, ich könne diese Ergötzungen nicht entbehren.«

Der Wirt zur Krone empfing die Reisenden mit vielen Zeremonien, und Baptista wie Florio, die unterdessen genauere Bekanntschaft miteinander gemacht hatten, kamen ebenfalls herbei, um den Grafen zu begrüßen. Dieser sagte zum Sprachmeister: »Jetzt könnt Ihr mich, Herr Gelehrter, in allen Sprachen und Mundarten denen nennen, die neugierig sind, meinen Namen zu erfahren.«

Er ordnete das Abendessen an, und ging aus, seinen Freund Cuffe, wie er ihn schon nannte, sowie den gelehrten Camden zu sich einzuladen. Als er zurückkam, trat Baptista mit großer Verlegenheit zu ihm, indem er sagte: »Hochgeborner Herr Graf, meine Kunst der Physiognomik hat neulich eine große Blöße gegeben, indem ich in Euch eine vornehme Dame zu erkennen glaubte. Späterhin hat mich die Glut des Weines noch zu einigen Unziemlichkeiten hingerissen, die ich zu vergessen bitte. Auch der weise Mann kommt sich von Zeit zu Zeit abhanden.«

»Wie ist es Euch denn«, fragte der Graf, »mit dem ausbündigen Florio ergangen?«

»Er ist«, antwortete jener, »ein merkwürdiger, auch wohl ein großer Mann, eine gewisse Sympathie hat uns sehr schnell miteinander verbunden: aber – er ist allzu eitel, er hört sich immer nur selber reden, und vernimmt das Gespräch des antwortenden Freundes niemals. Es ist wahr, er spricht schön, liebt aber dennoch das Altertümliche übermäßig, und hält zu strenge auf die Reinheit der Sprache. Es ist daher, selbst in der Liebe, schwer mit ihm umzugehn und sich ihm zu verständigen.«

»Wer meint Ihr nun«, fragte Southampton, indem er auf[505] Shakespeare deutete, der neben ihm stand, »daß dieser treffliche Mann sei? Ich kann Eurer Wissen schaft nicht vertrauen, wenn Ihr so oft, so gröblich irrt, und so selten das Rechte erkennt.«

»Dieser edle Herr«, antwortete der Physiognomist, »hat mir schon neulich unendliche Verwirrung zubereitet, denn sein Flug geht hoch über mein Einsehn und gewöhnliches Verständnis hinaus. Er dürfte wohl in Ansehung des Standes Euch, verehrter Graf, ziemlich nahekommen, denn sein Auge, Gang und seine Stellung verkündigt Würde.«

»Ihr trefft es ziemlich«, sagte Southampton, »neulich erst wurde ihm in Gegenwart von unzähligen Zuschauern von seinen Vasallen gehuldigt.« –

Baptista trat erschreckt einen Schritt zurück, verbeugte sich so tief, als wenn er zur Erde fallen wollte, und entfernte sich verlegen, weil er nichts mehr zu sagen wußte. Southampton lachte, und bevor noch der Dichter bitten und ermahnen konnte, den Scherz nicht so weit zu treiben, trat schon der feierliche Florio mit erhabner Miene und wundersamem Gange herzu, verbeugte sich langsam und erhob sich spät, indem er sagte: »Gnädiger Herr Graf und hochverehrter, unbekannt sein wollender Herr und Gönner, Maecenas, ohne Zweifel atavis edite, wenn auch nicht regibus, doch hocherlauchter Ahnen, soll der Wirt des Hauses, zur Krone, corona, benamset, im großen Saal das Mahl anrichten? Dieses zu vernehmen, zu hören, zu observieren, abzulauschen, sende ich mich selbst an hero, um es dem unwissenden Manne nachher, späterhin, will sagen, in einigen Momenten zu berichten, mitzuteilen, anzukündigen, zu referieren, oder gleichsam zu insinuieren, wie auch nicht weniger ihn deshalb, da er zweifelt, zu rektifzieren.«

»Vortrefflich! Ihr kundiger Mann«, antwortete der Graf »so war meine Meinung, weil dieser sogenannte große Saal gleichsam groß ist, das heißt, eine Art von Ausdehnung hat, die, ohne zu übertreiben, gewissermaßen einen ansehnlichen Raum bildet, figuriert, oder darstellt, so daß es an dem, was die Menschen in ihrer gewöhnlichen Sprache Platz zu nennen pflegen, nicht gebrechen wird.«

»Zierlich, nicht unpassend und mit Eleganz habt Ihr gesprochen«, sagte Florio, »würdiger Schüler Ihr eines nicht ganz unwürdigen Lehrers, und Beweis gegeben, teurer Jüngling, juvenis, Infant sozusagen, Conte, daß Ihr, will der Wille nur, der freilich zuzeiten gegenwillig ist, ein überflüssiges Ingenium besitzet, oder Euch zu eigen ist, um die Bäume, arbores, der Erkenntnis[506] mit den Blumen, Girlanden der Wohlredenheit, elegantia, zu umwinden und selbst zu umwickeln.«

»Ich bedanke mich«, erwiderte der Graf, »denn schon hielt ich mich für einen, der ganz aus der Art geschlagen ist. Aber wie gefällt Euch Euer Spielkamerad Baptista?«

»Es ist nicht ohne«, antwortete jener, »daß er gleichsam, sozusagen, fast aus der Ferne und in schräger Richtung eine scheinsame, wenn auch nicht in die Augen fallende Ähnlichkeit mit mir selber haben möchte, und unsre Freundschaft und Liebe ist insofern kein bloß natürlicher tierischer Instinkt, sondern im Gegenteil eine Übereinkunft in Maß und Kräften, eine edle sympathia, Einklang, Harmonie, Freundschaft und amicitia, Hermandad, nicht ohne Zusatz von Begeisterung, Inspiration und hingebender Inklination. Aber, wenn ich mich bestrebe, Wahrheit in der Redeweise, Philosophie im Baum der Sprache und seinem Wurzelgeflecht zu entdecken, zu erspähen und an das Licht, lux, luce, luz, des Tages zu fördern, so hat er sich gegenteils und in contradictione meiner Wesenheit und Studien mit Beflissenheit dem Phantastischen, Unsichern, ganz und gar Willkürlichen, um nicht zu sagen Aberwitzigen, ergeben, indem er aus Lineamenten, Nasen, Kinn und dergleichen Zufälligkeiten menschlicher Formation, selbst den Füßen und Beinen, Stellung, Gang und derlei Kindereien die Lebensverhältnisse, Gesinnungen, Humor und Charakter, Religion und Wissenschaft eines Mannes, Menschen, Helden, Staatskünstlers, Gesetzgebers und so weiter, erraten, erkennen, erforschen und ergründen will, dem obbenannte kleine Zufälligkeiten körperlich angehören. Diese scientia ist keine solche zu nennen. Er selbst aber, als denkendes Wesen, ist allzu eitel: spricht er ichteswann mit andern, vernimmt er sich nur selber, beantwortet nur seine eigenen Einwürfe, ohne Kenntnis, Anhörung und Anfachtung seines Gegenredners. Dieses ist auch das obstaculum, Hindernis, der Anstoß oder die Hemmung, die ihn zurückhält, von andern Geistern etwas zu lernen und die Nichtigkeit seines Treibens einzusehen, was ihm doch hoch vonnöten, da er die Jugend schon überschritten.«

»Vollkommen habt Ihr recht«, sagte Southampton sehr heiter, »und Ihr solltet nur mit allen Euern Kräften den alten Sünder zu bekehren suchen, denn er lebt ja augenscheinlich im albernsten Aberglauben.«

»Das Nötige«, antwortete Florio, »werde nicht verabsäumen, denn meiner eigenen Ehre liegt zuviel daran, daß ein[507] Freund von mir, den die Welt fortan auch als einen solchen ansehn, betrachten und wahrnehmen wird, nicht zu sehr an der Ignorantia dunklem, unverständlichem Wissen und der Albernheit laboriere, denn: sage mir, mit wem du verkehrt, so weiß ich, wie du selbst bekehrt. Also auskehren, wegfegen, fortstäuben werde ich, mit Hülfe der Musen und der Minerva, allen unnützen Kehricht aus dem Wesen des Mannes, mit festem Auge und gesichertem Blicke werde ich selbigem alle diese Motten und Schaben aus seinen Kleidungen heraussuchen, die ihm ohne derlei Hülfe seine besten Röcke zerfressen, zerbeißen, zernagen. – Aber Ihr, Verehrtester« (fuhr er fort, indem er sich an den Dichter wendete), »vergönnt mir jetzt, Euch Rede an- und, wo möglich, Eure hohe Gunst Euch abzugewinnen. Mir liegt daran, Mäzenaten, Beschützer, große Männer für die Wissenschaft zu gewinnen, und jener seichte Geist, der astrologische Nasenbeobachter, hat mir schon Euern hohen Stand kundgetan. Die nächsten Früchte meiner Forschung werden nicht ermangeln, wenn mir so Großes vergönnt, Euch zu widmen.«

Shakespeare wollte antworten, sosehr ihm auch der übermütige Southampton durch Winke abredete, als Camden herzutrat und jede Erörterung für jetzt unmöglich machte. Man ging in den Saal, um sich an den Tisch zu setzen. Camden, der Southampton schon höflich begrüßt hatte, nahm Shakespeare, dessen Gespräche ihn angezogen hatten, neben sich, Southampton saß auf der andern Seite des Dichters, Cuffe, der eben kam, mußte sich neben den Grafen setzen. Als es ruhig genug war, sagte der Dichter mit lauter Stimme, damit es Florio und Baptista, die ihm gegenüber waren, vernehmen möchten: »Verehrter Herr Camden, Ihr wart schon neulich begierig zu erfahren, wer ich sei, so wißt denn: ich bin aus Stratford am Avon gebürtig, mein Name ist William Shakespeare, und obgleich von guter Familie, bin ich doch durch den Verfall des väterlichen Vermögens und verschiedene Schicksale dahin gekommen, daß ich jetzt in London als Schauspieler lebe, indem ich mich zugleich, und nicht ohne Beifall, als Dichter versucht habe. Die Stücke, von denen neulich mein verehrter Gönner, der Graf, mit zu großem Lobe sprach, sind auch Arbeiten meines Geistes.«

Camden sagte, indem er die Hand des Redenden faßte: »Recht so, wenn dergleichen verständige Männer sich unsrer Volksbühnen annehmen, so müssen sie gut und vortrefflich[508] werden. Ihr seid mir noch lieber, seitdem ich diese Eure Bestimmung kenne.«

Florio aber sah mit übermütigem und höhnischem Lächeln seinen Freund Baptista an, indem er zu diesem mit gedämpfter Stimme sagte: »Nascitur ridiculus mus; da schrumpft unser so hochgeachteter Mäzen und fremder Prinz in einen Komödianten hinein und zusammen.«

Baptista erwiderte ebenso leise: »Ich habe es gleich, wenn Ihr Euch noch erinnert, aus seiner Physiognomie herausgelesen, daß wohl etwas Sonderliches, aber doch nichts Besonderes hinter ihm stecken müsse.«

Die Übrigen vernahmen diese Bemerkungen nicht, weil sie durch den lebhaften Cuffe in ein politisches Gespräch waren verwickelt worden. Camden bemühte sich vergebens, die Übertreibungen des stürmischen Mannes zu mildern, und sagte endlich halb im Verdruß: »Wenn denn nun das Äußerste in allen Dingen das Geistreiche sein soll, so lohnt es nicht mehr der Mühe, zu fragen und zu forschen; das Gespräch vorzüglich aber wird dadurch getötet, denn dies besteht ja eben nur darin, daß es immer ermitteln, Zweifel aufwerfen und lösen will, die Gegend aufsuchen, wo ein gemeinsames Recht der Widersprüche liegt, die immer nur in weitgetriebner Konsequenz aneinander rennen.«

Southampton wollte seinen neu erworbenen Freund rechtfertigen; doch Camden fuhr ruhig fort: »Findet sich Gelegenheit, daß eine solche Gesinnung und Denkweise im Leben und Handeln sich geltend machen kann, so sehn wir eben auch hier das einseitig Übertriebne, was immerdar Unglück und Zwiespalt hervorbringt. Erzeugen doch die Leidenschaften des Ehrgeizes, der Habsucht, des Neides und vieler andern Elend genug, noch schlimmer, wenn auch ein falscher Enthusiasmus seine philosophischen und politischen Lehrsätze einmal durch Einrichtungen, Umsturz, oder Gesetze will geltend machen. Das hat unsern Burleigh, und durch ihn unsern Staat und die Königin so groß gemacht, daß er stets alles Ausschweifende und Leidenschaftliche von sich abwies und dadurch jenes, was in der Mitte liegt, und den gewöhnlichen Augen ein Unsichtbares, oder, wenn sie es wahrnehmen, ein Unbedeutendes bleibt, so kräftig empor wachsen ließ.«

»Ihr mögt recht haben«, antwortete Cuffe, »recht in Ansehung der verflossenen Tage; aber ändern sich die Zeiten niemals? Fordert eine neuere Zeit, ganz andere Umstände, nicht[509] das oft als Tugend, was noch vor dreißig Jahren von Patrioten mochte Laster genannt werden?«

»Und wer«, fragte Camden, »soll es entscheiden, daß dergleichen eingetreten ist?«

»Die Tat«, rief Cuffe, »die Begeisterung, die neue Zeit, die sich selbst aus dem Schoß der alten hervordrängt.«

»Aber jeder Schwärmer«, erwiderte der ältere Mann, »jeder Unzufriedene und Unruhstifter kann wähnen, daß es ihm obliege, ihr zur Geburt zu verhelfen, und so stehn wir denn immer wieder an jenem Punkte, von dem man ausgeht: daß Glück oder Unglück, Gelingen oder Mißlingen die Tat als verwerflich oder lobenswert stempelt. Diese Lehre ist aber nicht so neu, als Ihr sie machen wollt.«

Cuffe ließ sich nicht widerlegen, und weder Camden, der das Gegenteil erweisen, noch Shakespeare, der beider Meinung vermitteln wollte, wurde gehört, um so weniger, da der heftige Southampton sich mit aller Lebhaftigkeit der Jugend zu den Gesinnungen des heftigen Cuffe hinneigte. Man brach endlich auf, ohne sich verständigt zu haben.

Florio, der sich in stillen Gesprächen mit Baptista erbaut und erhitzt hatte, ohne auf die Übrigen hinzuhören, trat jetzt an Shakespeare und sagte lächelnd: »So seid Ihr also, Herr Schauspielverfertiger, jener sich so nennende Dichter, oder richtiger Poetaster, von dem ich jene Fabel von den Kriegen der Rosen habe ansehen müssen? Junger Mann, Ihr seid auf einem ganz falschen Wege, und es wäre dienlicher, Ihr unterließet dergleichen Lasten zu heben, die Euern schwachen Schultern zu schwer sind. Seid Komödiant, und damit gut, setzet Euch nicht in die Phantasie, dichten zu wollen, denn dieses Gelüst führt Euch nur in die Irre; Ihr seht zu spät ein, daß Ihr Papier und Zeit verdorben und Mühe und Öl verloren habt. Diesen meinen väterlichen Rat habe ich Euch nicht entziehen wollen, sondern Euch im Gegenteil dieses freundliche Wort gerne gegönnt.«

»Narr und kein Ende!« rief Southampton erhitzt aus; »was bemengt Ihr Euch mit der Poesie und den Künsten? Bleibt doch bei Eurer Wortklauberei und schreibt Eure Wörterbücher!«

Florio wollte auf sein Alter und seine Einsichten pochen und antwortete dem Grafen, der früher sein Schüler gewesen war, im hohen Ton, worauf Southampton, der von Wein und den Gesprächen erhitzt war, den Alten bei der Halskrause ergriff, und ihn heftig schüttelte. Camden beruhigte den jungen Mann,[510] und Shakespeare war verstimmt, daß sich seinetwegen dieser ungeziemende Auftritt ereignet hatte, und als er dem erzürnten Freunde einige begütigende Worte sagte, rief dieser, laut lachend: »Ich bin schon wieder gut, und kann ja auch dem alten Wunderlich nicht böse sein, der meine Geduld immerdar auf die Probe stellt. Kommt, Florio, gebt mir die Hand zur Aussöhnung und vergebt mir diesen fliegenden Zorn, der mich so oft unterjocht. Macht Euch bereit, alter Wortforscher, morgen mit mir zu meiner Mutter zu reiten, die mich Euretwegen tüchtig ausschelten wird, denn Ihr unterlaßt es doch nicht, ihr alles weitläufig vorzuklatschen.«

Die übrigen Gäste beurlaubten sich und Shakespeare und der Graf blieben noch eine Weile beisammen. »Ist es nicht toll«, sagte Southampton, »daß ich diesen meinen einfältigen Jähzorn nicht bezähmen lerne, so viele Mühe ich mir auch gebe? Man ist und bleibt doch immer ein doppelter Mensch, denn der törichte Geist, der alle meine Kräfte auf Augenblicke unterjocht, ist doch ein ganz andrer, als jener ernste, der sich dieser Schwäche schämt.«

»Geliebtester Freund«, sagte Shakespeare, »welcher von diesen Geistern ist es nun, der mich liebt und schätzt? Wird der zweite, sei es der bessere oder schlimmere, auch nicht einmal diese Zuneigung als einen Irrtum verweisen? Wird diese Hast und Eil, die Euch zu mir trieb, Euch nicht einmal ebenso plötzlich von mir entfernen? Wechselt doch alles im Leben, es muß so sein, aber dieser Wechsel würde mich elend machen. Was ist überhaupt diese Selbstständigkeit des Mannes, von der ich so oft reden höre? In Euch, in Eurer Liebe, in diesem Herzen, das mir leuchtet, in dieser Schönheit, die so hell strahlt, ist all mein Wünschen, mein Sein, meine Zukunft umfangen und beschlossen. Über den Verlust dieser Freundschaft könnte nicht Frauenliebe, nicht Poesie und Ruhm, nicht Reichtum und Wohlhabenheit mich jemals trösten.«

»Und was zagst du, was klagst du denn?« rief Southampton: »ich bin dir ja so gewiß, wie du dir selbst.«

»Es gibt keine Liebe und Freundschaft ohne Eifersucht« erwiderte der Dichter: »so wie ich wünsche, daß alle Welt Euch lieben und verehren soll, so möchte ich doch wieder mit jedem dieser Blicke geizen, und ich fühle einen stillen Neid und einen Schmerz, wenn dies Auge nur auf einem andern Antlitz freundlich ruht. Ach! vergib mir, mein Geliebter, vergib mir, daß du mir allzukostbar bist, daß ich dich zu innig liebe; zu unnatürlich,[511] würden die meisten Menschen sagen, zu übertrieben, krankhaft, wahnsinnig. Und es mag so sein, denn sehe ich doch diese Freundschaft nirgend unter den übrigen Menschen.« – Er faßte die Hand des Jünglings und fuhr mit bewegter Stimme fort: »Sehe ich denn nicht die Möglichkeit dieser Untreue, Verstoßung, oder wie soll ich es nennen? Es war mein höchstes Glück, daß mir deine Liebe so schnell und unaufgefordert entgegenkam: ich meinte eben, es sei eine Begebenheit, ein Gefühl, das sich nicht wiederholen könne; sehe ich nicht aber, daß du dich diesem Cuffe fast mit derselben Hastigkeit näherst? Ja wohl regt sich Neid, Eifersucht in meiner Seele: doch auch Schmerz und trübe Ahndung. Scheint mir doch in diesem Cuffe dein böser Genius neben dir zu stehn, ich fürchte von dieser Annäherung Unheil. Dunkle Wolken schweben am Horizont herauf und trüben den klaren leuchtenden Himmel. Mit Tränen muß ich von dir scheiden.«

Southampton beruhigte den tief bewegten Freund, sie umarmten sich herzlich, und am folgenden Morgen ritt der Dichter nach Bath, um sich in der schönen freien Landschaft zu erholen, indessen der Graf sich auf den Weg zum Schlosse seiner Mutter machte.


Es gibt für denjenigen, der frei und innig liebt, Empfindungen, die, gestanden, ein matteres Herz, oder der einfachere, aber gröbere Sinn einen Widerspruch gegen die Liebe, Leichtsinn, Kälte, ja das Lieblose selbst nennen würde. Sosehr dem Dichter die liebliche Gestalt seines Freundes immerdar vor Augen schwebte, mit welcher süßen Innigkeit er seiner auch immerdar gedachte, so fühlte er sich doch jetzt, nach der Trennung, in der schönen Landschaft, der grünen Natur hingegeben, gleichsam frei, und von allen Ketten und Bedrängnissen der Liebe, Eifersucht und Wehmut abgelöst. Ihm war, als gehöre er nach langer Zeit sich wieder einmal selber an, als käme in diesem Leichtsinn und der Ungebundenheit des Herzens eine frühere und schönere Jugend ihm zurück. Indem er tiefer nachsann, fühlte er wohl, daß das Bewußtsein seines Glücks, das Gefühl, wie ihm der Freund angehöre, die Landschaft nur so licht färbe und allen Gestalten die frische Heiterkeit verliehe, und daß dies scheinbare Entferntsein nur innigere Nähe, diese Entfremdung nur tiefere, sehnsüchtigere Befreundung herbeiführe und schon sei. So sah er seinen Empfindungen zu und spielte mit ihnen, indem[512] er sich an der Pracht der Hügel und Bäume ergötzte, Lieder dichtete und seine Plane, fast ohne etwas dazu zu tun, reifen ließ; denn Lieder, Gestalten und Farben fanden sich wie freiwillig ein, um in seinem klaren Innern sich zu Bildnissen und Geschichten zusammenzufügen.

Viele Menschen, manche Familien waren der Seuche aus London entflohen und erfreuten sich in Bath der gesunden Luft und der heitern Landschaft. Der Dichter fand einige Bekannte, und unter diesen einen jungen, reichen Lord, der sich ihm schon in der Stadt zuweilen mit vornehmer Herablassung und unverständiger Beschützung aufgedrängt hatte. Der junge Franz war aus einem der vornehmsten und angesehensten Häuser, aber seine Eltern und Verwandten waren mit ihm unzufrieden, weil er zu wenig der Art und Weise seiner Vorfahren folgte, vielmehr in Leichtsinn und ohne Verstand und Genuß seine Zeit und sein Vermögen verschwendete. Als er den Dichter sah, gesellte er sich sogleich zu ihm, um die Langeweile, die ihn quälte, zu verscheuchen. Er erzählte ihm von Italien, wo er sich lange aufgehalten hatte, von den dortigen Schönen und Moden, Gebäuden und Gemälden, Ruinen und Kunstsachen. So kam er auch auf die Theater, die er verachtete, und sagte: »Glaubt mir, Freund, sowenig ich auch übrigens unser Vaterland erheben mag, so kann doch London mit Recht behaupten, daß sie die einzige Stadt in Europa sei, die eine Bühne besitzt. In Paris und Venedig, wo noch am meisten der Art geschieht, ist es doch nur kläglich gegen unsre Anstalt. Und wie habt Ihr, mein Freund, seit kurzem unser Theater emporgehoben! Euer Richard der Dritte, was sind für schöne, wilde Reden in dem Trauerspiel! Nur mir zuliebe, so herrlich der Tyrann geschildert ist, laßt künftig die seltsamen Verse aus – Ihr kennt sie wohl:


Was fürcht ich denn? mich selbst? Sonst ist hier niemand.

Richard liebt Richard: das heißt, Ich bin Ich.

Ist hier ein Mörder? Nein. – Ja, ich bin hier.

So flieh. – Wie? vor dir selbst? Mit gutem Grund:

Ich möchte rächen. Wie? mich an mir selbst?

Ich liebe ja mich selbst. – Wofür? für Gutes,

Das je ich selbst hätt an mir selbst getan?

O leider, nein! Vielmehr haß ich mich selbst,

Verhaßter Taten halb, durch mich verübt.

Ich bin ein Schurke – doch ich lüg, ich bin's nicht.

Tor, rede gut von dir! – Tor, schmeichle nicht!
[513]

Seht, lieber Mann, da hat Euch die Sucht, recht tragisch zu sein, zu barem Unsinn verleitet, und ich kann mir auch wohl denken, wie das geschieht. Man will etwas Unaussprechliches aussprechen, es schwebt vor dem innern Geist ein hohles Bild, das, weil es so nichtig und ausgedehnt ist, nach etwas recht Großem aussieht, man jagt diesem nichtigen Gespenst mit Worten nach, und eh man es sich versieht, sitzt man, wie der Hänfling, im Netz gefangen, oder gar wie die Amsel und Drossel auf der Leimrute fest, und muß noch froh sein, wenn man mit Verlust der besten Federn nur die Freiheit wiedererlangt. Dagegen Eure Helena, in der gewonnenen Liebe, und ihr der adliche Bertram gegenüber, wie sie so liebreizend und demütig um ihn wirbt, und der vornehme junge Mann sie so hochherzig verschmäht, das ist fast die Szene, die mir von allen Euren Arbeiten am besten gefällt. Man kann es, wie es auch der König in demselben Lustspiel tut, nicht genug einprägen, daß Adel Adel sei, und daß jene Anmaßungen der bürgerlichen und niedern Stände, die sich so oft vernehmen lassen, ohne Grund und Philosophie sind. Die Welt kann überhaupt wohl nur bestehn, wenn diese alten Überzeugungen unerschüttert bleiben. Aber, nicht wahr? Nun dichtet Ihr auch nichts mehr von York und Lancaster, oder dem Ähnliches? Ei bewahre! das war für Eure Jugend gut genug, nun seid Ihr aber den altfränkischen, vergessenen Geschichten entwachsen. Heiter soll die Bühne sein, denn das Leben selbst ist finster und trübsinnig genug. Solche Komödie von Irrungen noch einmal! Köstlich! Aber jetzt muß ich Euch verlassen, denn eine schöne, muntre und aufgeweckte Dame aus London hat meine ganze Zeit in Anspruch genommen, ich muß sie spazieren führen, auf Nachmittag und am Abend bin ich bei ihr in Gesellschaft und soll ihr singen; sie hat von meiner Stimme gehört, wie denn von der auch in London viel zuviel gesprochen wird, und bei der Gelegenheit werde ich auch einige von Euern Liedern vortragen, damit das geistreiche Weib doch Eure Verdienste auch kennen und schätzen lernt.«

Ohne auf Antwort zu warten, entschlüpfte er behende mit einem leichten Gruß, und überließ den Dichter, der kaum auf ihn gehört hatte, seinen Betrachtungen. Die letzte Erinnerung an seine Komödie der Irrungen hatte ihm jene luftigen Gebilde wieder näher gescheucht, die sein Haupt, bevor er nach Stratford ging, so bunt umflatterten. Eine seltsame Erfindung, voll Poesie und Humor, Scherz und Lust, von zwei ähnlichen Geschwistern,[514] von denen das schöne Mädchen verkleidet die Liebe eines jungen Fürsten gewinnt, und der Knabe die Hand des reichsten und schönsten Fräuleins im Lande erobert. Er ging nach den Bergen, um seinen Träumen nachzuhängen, und dann in seine Wohnung, wo er die ersten Szenen dieses poetischen Lustspieles entwarf. Am Nachmittage, indem er auf dem Spaziergange die wandelnden Gestalten mit froher Laune betrachtete, fiel ihm aus der Ferne ein weibliches Wesen auf, das durch die schwarzen Locken des Hauptes und die dunkeln Augen unter der Menge sich auszeichnete. Als er näher kam, unterschied er, daß sie am Arme des jungen Lords schäkernd und lachend wandelte, und bald erkannte er in ihr seine geliebte Rosaline. Sie erblickte ihn zu gleicher Zeit, machte sich von Francis' Arme los, sprang ihm entgegen und rief: »Ah! Gottlob, mein William! Mein Dichter! O ich Glückliche, nun wird mir die Zeit hier in diesem Neste nicht mehr so lange währen! Wo kommst du her? Wie geht es dir, Liebster? Warum hast du mich nicht gleich aufgesucht?« – So, fragend, ohne Antwort zu erwarten, nahm sie liebkosend den Arm des Dichters, indem sie mit ihm lachend durch die Haufen der gaffenden Menge hindurcheilte, ohne sich im mindesten darum zu kümmern, ob man ihnen nachsähe oder nicht. Franz, der Lord, kam auch wieder herbei, indem er verlegen und empfindlich sagte: »Man sollte über den einen Freund nicht den andern vergessen; ich habe auch ein Recht auf Eure Aufmerksamkeit, schöne Frau, ohne daß ich den Herrn kränken will, den ich auch zu meinen Freunden zähle.«

»Ihr?« sagte Rosaline laut lachend; »o ja, Ihr habt ein Recht, gewiß, denn Ihr habt mich, edler Herr, heut fast den ganzen Tag begleitet, und mir so viele schöne und verständige Sachen vorgesagt, daß ich das einfältige Geschwätz der andern habe überhören können, oder nicht vernommen habe. Darum ist es auch billig, daß ich Eure Herrlichkeit von dieser Anstrengung ausruhen lasse, und dazu ist mein Poet, mein Willy, gut genug, der schwatzt selbst, und nicht immer so gründlich, wie Ihr, er dahlt, er macht Verse und singt sie. O du guter William! Wie ein Traum, daß ich dich wiedersehe!«

Shakespeare sprach nur wenig, auch ließ sie in ihrem kecken Übermute ihm nicht viele Zeit, indem sie aus einer Frage, aus einer Geschichte in die andere überging, ohne Verbindung und Zusammenhang. Franz war offenbar beleidigt, was er ihr auch in allen Wendungen, sooft er zur Rede kam, merken ließ. »Nur[515] ein Wort!« rief der Lord aus, als sie im Freien standen und sich von den Menschen entfernt hatten, »nur ein Wort, das ich Euch, schöne Dame, im Vertrauen sagen muß.« –»Nun?« fragte sie mit ganz ernsthafter Miene, indem sie still stand, und ihm erwartend in die zürnenden Augen sah. – »Im Vertrauen«, stotterte er, »nicht, daß es Euer Freund hört, folgt mir nur auf einen Augenblick zu jenem Baum.« – »Wie Ihr wollt«, antwortete Rosaline; »warte hier, mein William, nur einen Augenblick auf mich, ich bin sogleich wieder bei dir.«

Sie ging mit dem Verdrüßlichen, der sogleich anfing: »Wodurch habe ich es um Euch verdient, daß Ihr mich also preisgebt? Als mich der Baronet, mein Vetter, gestern mit Euch bekannt machte, wart Ihr freundlich und zuvorkommend; wir sprachen, wir scherzten, Ihr nahmt meinen Arm an, und erlaubtet mir, Euch heut auf Eurem Zimmer zu sehn, um mit Euch zu singen.«

»Und« – sagte sie – »was mehr? Was folgt aus dem allen?«

»Folgen?« erwiderte der Lord, »ich dächte, ich dürfte, meinem Stande und meiner Person nach, soviel daraus folgern, daß ich Euch nicht zuwider, daß ich Euch vielleicht nicht ganz gleichgültig sei.«

»Ei, seht! welche hastigen Schlüsse«, antwortete Rosaline; »- wenn ich Euch also recht verstehe, so meintet Ihr, die Erlaubnis, mich heut abend zu sehn und mir etwas vorzusingen, sei eine zärtliche Bestellung, eine schon eingestandene Liebe, und Ihr führtet mich durch alle die Gaffenden als eine so schnell errungene Beute? Nicht wahr?«

»Ihr seid boshaft«, erwiderte Franz sehr erbittert, »und vergeßt jetzt so ganz, mit wem Ihr sprecht.«

»Kann ich es vergessen«, erwiderte sie schnippisch, »da Ihr hier, an diesem Baume, vor mir steht?«

»Nein«, rief er, »Ihr opfert mich einem Elenden, einem Menschen, der nicht nur von mir, sondern von jedem Matrosen und Karrenschieber abhängig ist, die ihn für ihre Pfennige nach Herzenslust auszischen und verlachen können. Preis bin ich einem Meerwunder gegeben, das im trüben Wasser seiner schlechten Verse hin und wieder plätschert, und seine armen Reime und schlechten Redensarten für weniges Geld an den Mann zu bringen sucht.«

»Von welchem Meerwunder sprecht Ihr?« fragte sie; »ich bin neugierig, es kennenzulernen.«

»Dort steht ja der Bänkelsänger«, sagte Franz, »dem Ihr so[516] heftig, allen Anstand vergessend, vor tausend Augen in die Arme sprangt!«

»Dieser?« rief sie verwundert aus; »ei, hoher Mann, würdiger Lord, Pair des Reichs, Ihr nanntet ihn ja eben Euern Freund.« – Als der Lord verstummte, fuhr sie fort: »Nun kenne ich Euch ganz, Vortrefflichster! Ich hätte Euch vielleicht noch verziehn und Euch den Besuch heut abend gestattet, nun aber verbitte ich mir Eure Bekanntschaft für jetzt und immer. Armer Mensch! so wenig habt Ihr noch von Eurem sogenannten Freunde begriffen, daß Ihr Euch nicht schämt, so von ihm zu sprechen, und ihn doch aufgesucht, ihn gelobt, gepriesen habt?«

»Ich werde Euch sehen«, rief Franz, »ich muß Euch heut abend sehn!«

»Ich werde meine Türen für Euch verschlossen halten«, antwortete sie kurz, sprang von ihm hinweg, und eilte wieder zum Dichter, der über diese geheimnisvollen Gespräche verwundert war. Sie erzählte ihm die Geschichte ihrer Bekanntschaft und schloß mit diesen Worten: »Ich will nicht wiederholen, Geliebter, in welchen Ausdrücken der eifersüchtige Narr von dir gesprochen hat, komm jetzt, daß ich dein verständiges Gespräch genieße, daß ich dich dann in meiner Wohnung bewirte, wir beide einer dem andern und nur füreinander lebend.«

Sie gingen aus der Stadt und besuchten die nahen Hügel, von wo man die schönen Blicke über die Täler, zu Bath hinunter, nach Bristol hin und in weitere Ferne hat. Die schöne Landschaft war schon vom Abendlicht vergoldet, als sie immer noch verweilten, vom Anschauen bezaubert und in Erzählung und Gespräch vertieft, von Witz und Lachen aufgeregt und erheitert. Es war schon spät und finster, als sie zur kleinen Stadt zurückkehrten. Rosaline führte ihren Liebling zu ihrer schön geschmückten Wohnung und bestellte ein Abendessen. Sie war nicht wenig verwundert, als sie einen ziemlich langen Brief vom Lord vorfand, der schon früher abgegeben war, und in welchem er sich ihren sie bis in den Tod liebenden Freund und Verehrer nannte.

In diesem Sendschreiben entdeckte der junge Mann seine Liebe und Leidenschaft, versprach reiche Geschenke, wollte erfüllen, was man nur fordern könne, und beschwor endlich, ihm wenigstens für diesen Abend den versprochenen Zutritt zu gönnen. Sie las den Brief für sich und lachte, gab ihn dann dem Dichter und fragte: »Nun, was soll ich tun, William?« Dieser antwortete, daß sie sich selber raten müsse. »Einfältiger[517] Mensch!« rief sie in komischem Unwillen, »es kommt fast so heraus, als wenn ich dir gleichgültig sei, als wenn du gar keine Liebe für mich fühltest.«

»Du könntest ihn doch auf ein Stündchen dir etwas vorsingen lassen«, antwortete der Dichter, »denn darin scheint er ja seine größte Eitelkeit zu setzen.«

»Nein!« sagte sie und stand auf, »du kennst ihn so wenig wie mich: er hat von dir auf eine Art gesprochen, wenn auch im Zorn, daß ich ihn nicht wiedersehen mag. Solch ein reicher vornehmer Mensch muß sich nicht einbilden, daß ihm seines Standes wegen alles erlaubt sei. Er meint, ich, als Frau, ohne Schutz und Verbindung, über welche die Verleumdung und Bosheit oft genug in Gesellschaften sich ergehn, müsse mich glücklich schätzen, wenn er die herablassende Güte so weit treibt, sich für meinen Liebhaber zu erklären. Und wenn ich ihn anders nicht ganz verkenne, so steckt er gewiß schon unten irgendwo im Hause.«

Sie ließ ihr Kammermädchen kommen. Und diese, bedroht und geängstigt, dann wieder abwechselnd geliebkost, gestand, nachdem sie das Versprechen der Vergebung erhalten hatte, der Lord sei in der Tat unten im Vorzimmer, er habe so geschmeichelt und gebeten, auch so ansehnliches Geschenk gegeben, daß sie ihm nicht habe widerstehen können. Sie entließ die Weinende, ohne ihr eine bestimmte Antwort zu geben, verschloß aber das Zimmer. Man hörte bald den Heraufschreitenden, der dann furchtsam an die Türe pochte. Nach einer Weile rief Rosaline, sie sei allein und krank, und wolle sich niederlegen, um sich zu erholen. Der junge Mann bat, nur auf wenige Zeit eingelassen zu werden. Sie aber, nach einigem Streit, öffnete die Tür, stellte sich dicht vor ihn und sagte: »Warum glaubt Ihr denn nicht, daß ich der Erholung und Einsamkeit bedarf? Ich bin heut für niemand sichtbar und fühle mich so unwohl, daß ich nicht aufdauern, am wenigsten mit jemand sprechen kann.«

Der junge, erzürnte Liebhaber verbeugte sich und ging hinunter. Sie verschloß wieder die Tür, nahm die Laute, und gab sie dem Dichter mit den Worten: »Nun singe eins deiner schönen Lieder, aber recht laut, daß er es vernimmt, und ein andermal Unterschiede machen lernt.« Shakespeare folgte nur ungern und sagte, als er geendigt hatte: »Warum so mutwillig seinen Zorn aufregen? Ist er nicht durch dein Betragen schon gedemütigt genug?«[518]

»Du hältst dich«, antwortete sie, »für einen Menschenkenner, und kennst doch diese Wesen noch nicht. Was gilt's, er hat vielen andern, so gut wie dir, erzählt, daß er heut abend bei mir sein würde! Wer weiß, mit welchem Zusatz, mit welchen Worten, die ein verliebtes Geheimnis mehr verraten als verschweigen. Nun ist seine Eitelkeit gekränkt, daß er seinen Gefährten als Prahler erscheinen wird. Das ist sein Schmerz, nicht daß ich von seiner Leidenschaft nichts wissen mag. Komm ans Fenster!«

Sie öffnete laut den Fensterschlag, und ihr Freund, mit dem sie absichtlich laut redete und lachte, mußte sich neben sie stellen. Nicht lange, so öffnete sich die Tür des Hauses und der junge Lord schritt heraus. Rosaline rief ihm ein Lebewohl nach und zwang anstoßend den Dichter, dasselbe zu tun. Zugleich hörte man ein lautes Gelächter, das von jungen Leuten herrührte, die spottend und scherzend den Lord in Empfang nahmen.

»Nun?« sagte Rosaline, indem sie das Fenster wieder verschloß, »habe ich nicht recht gehabt? – Aber du bist verdrüßlich, Willy, verstimmt! Und doch habe ich eigentlich dir nur diese Genugtuung gegeben, die du nicht erkennst.«

»Liebste«, antwortete William, »du mein böser, guter, mutwilliger Genius; es kleidet dich in deinem Reize alles, magst du auch tun, was du willst; edel erscheint in dir, was jedes andre Mädchen entstellen würde; das weißt du auch, und darum wagst du so viel. Ich würde dich lieben, wenn ich dich auch hassen müßte. Aber freilich ist mir die Szene, die du, wie du sagst, meinetwegen gespielt hast, und in welcher ich wider meinen Willen auch habe mitspielen müssen, sehr empfindlich. Warum soll er jetzt anders von mir denken, als wie du von ihm urteilst? Du hast mir einen Triumph über ihn bereiten wollen, und stellst mich doch ihm gleich. Er muß mich nun verachten, ebenso wie ich ihn geringschätze.«

»O du schwerfälliger Mensch!« rief sie schmollend, und ihr reizend schalkhaftes Gesicht verfinsternd; »weißt du denn auch wohl, daß du dadurch unausstehlich wirst, weil du immer und in allen Dingen recht hast? Ein Mensch, den man recht durch und durch liebt und lieben muß, der muß auch zuzeiten albern und töricht sein können. Ich weiß und fühle aber, daß ich dich wohl schmerzlich und herzlich liebe, aber du liebst mich kaum herzlich; du hast mir nur nachgegeben, als ich dir so zärtlich und ohne Falsch entgegenkam, und das ist dein Stolz, daß ich[519] dir meine Seele und meine Fülle von Liebe fast habe antragen müssen; du hochmütiges, kaltes Herz, hast sie eben nur so angenommen. – Nun komm, sei gut, mein Liebchen, mein Herzchen, mein alter Sittenprediger! Lies mir noch aus deinem himmlischen Adonis vor. Gelt, da bist du nicht so gar übertrieben moralisch? Das ist ein Buch, du meine Seele, was die Menschen, die noch Gemüt und Sinn haben, bezaubert. Ich habe hier nur von diesem Gedicht reden hören.«

»Wenn du es nicht moralisch genug findest«, antwortete Shakespeare, »so will ich dir ein andres von Tarquin und Lucretia nächstens vorlesen, das ich schon begonnen habe.«

»Ich will es niemals hören«, rief sie aus, »wenn es moralisch ist. O dieses Lied von Venus und Adonis, ich kann in meiner Liebe für diese süße Schilderung kein Ende finden. Weich, wie italienisch, ist die Sprache; ein Frühlingsodem weht frisch durch die neu begrünten Wälder, die noch den ersten balsamischen Geruch des Lenzes aushauchen. Was Sehnsucht und Reiz, Üppigkeit und Unschuld träumen und sagen möchten, tönen hier die lichten Reime aus, als wenn Tulpen, Maiglöckchen, Rosen und Lilien bezauberte Glocken wären, und der Zephyr der Musikant, der zwischen allen hindurchtrippelnd bald diese, bald jene zum Klingen und Blumengesange mit dem Stabe der Harmonie anrührt. Und wie der Kuß geschildert ist! das Ohr wird zur Lippe, indem man sich die Strophe laut vorlieset. Aus welchem klaren Brunnen, in welchem unsterbliche Feen wohnen, nimmst du alle die hellen Gedanken und perlenden Worte und kristallnen Bilder? O du, der Glücklichen Glückseligster, dem alle diese reinen, lieblichen Geister dienen, und auf einen Wink Indiens Düfte, den Nektar der Seligen, die Träume der Venus und Tränen der Liebe und Lächeln des verschmitzten Amor zu dir bringen? Was ist die Sprache der Sterblichen für ein goldenglänzendes Wundernetz, in welchem diese fliegenden Töne, die aus dem Himmel selbst herniederziehn, gefangen werden! Die hohen Türme, Paläste, die Malereien des Raphael und Julio, die steinerne Bilderwelt der Griechen, sind alle doch nur arm gegen den unübersehbaren Reichtum der Sprache. Ja, Liebster, dichte, dichte nur fort; von deinen Tönen angerührt müssen Felsenwände und Steinklüfte zu liebeschwärmenden Musikanten werden.«

»Törin!« sagte der Dichter: »dieser Scherz, ich weiß es, ist dein Ernst. Soll aber, kann die Liebende wohl vom Werke ihres Geliebten sprechen?«[520]

»Und wer sonst?« rief sie mit der größten Lebhaftigkeit aus. »Nicht wahr? Wohl gar Eure gelehrten Grammatiker, Eure Bücherwürmer, die an einem x oder y hängenbleiben, und korrigieren, sezieren, anatomieren und rektifizieren? Nein, Freund, nur derjenige hat ein Recht über den Dichter zu sprechen, der ihn wahrhaft liebt, aus Begeisterung in ihn verliebt ist, und durch und durch ihn fühlt, ihn küßt, sich ihm mit ganzer Seele hingibt. Diese Wesen, wie ich eins bin, können Euch nur belohnen, ihr Dichter. Die Reden der übrigen Menschen sind nur Kauderwelsch. Nur wer dem Dichter so von ganzem Herzen zugetan ist, darf ihn tadeln, darf seine Fehler sehn. Oh, und glaube mir, der Tadel eines solchen Liebenden wird ebenfalls auch schärfer und eindringlicher sein, oft wohl auch bittrer, als die Ausstellungen jener kalten Herzen, die durch nichts ihr langweiliges Gleichgewicht verlieren können. Denn das weiß ich wohl, ohne gelehrt zu sein, weil ich es erlebt hatte, daß nur in dieser wahren innigen Liebe mir ein Gedicht in allen seinen Teilen gegenwärtig wird, denn nur durch die Lebhaftigkeit, die mir aus der Liebe kömmt, kann ich es nach allen Richtungen durchdringen und beseelen. Was soll da das Mäkeln hie und dort, ein Gesetzchen loben, zwanzig Verse tadeln und dreißig gar nicht beachten? – Ich küsse dich lieber, als daß ich weiter streite. – Und mit wem streite ich denn?« –

Sie umarmte ihn heftig, streichelte seine Wangen und strich ihm die feinen Haare von der hohen Stirn. »Kahl, mein Sohn«, sagte sie dann, »wirst du früh werden: ist es vom Denken, Dichten, Gram, oder frühzeitiger Liebe? Wie der Schalk so ehrbar aussieht mit der erhabnen Stirn! Ja, wenn der schalkhafte Mund nicht wäre! Und dazu die Kinderaugen! so braun, klar und durchsichtig! Sie erregen unmittelbares Vertrauen, man möchte ihnen alles sagen, man dünkt sich klüger und gewitzigter in ihrer Nähe, und doch, wenn man nun plötzlich recht tief hineinschaut, erschrickt man vor dem ungeheuern Abgrund, aus dem alles Große und die Weisheit selbst heraufsteigt. – Um mich vom Schreck zu erholen, muß ich dich küssen. Das ist recht das Wesen des Kusses, daß es dabei eben nichts zu denken gibt.«

»Aber zu träumen«, sagte der Dichter, »was doch auch ein Denken ist. Der Kuß ist selbst der süßeste Traum, der aus den Rosenlippen knospet, schnell aufblüht, und wie ein Gedanke der seligen Götter dann schnell nach seiner Heimat eilt, dort[521] mit den schwirrenden Flügeln am Himmelstor anklopft, bis ihm Hebe auftut: nun fühlen die Götter, indem er wieder in ihrer Wohnung flüstert, daß ihre Seligkeit hat vermehrt werden können.«

»Und neu, und immer neu erblühen diese Rosen«, sagte sie, »fliegen und gaukeln wie die leuchtenden Johanniswürmchen, bis die Lippe des Mädchens matt und blaß wird, und das Alter Furchen und Todeslinien in das Antlitz schreibt. Selig, wer in der Jugend stirbt und nicht der Liebe entsagen darf.«

Shakespeare wurde sehr ernst bei diesen Worten, und sagte dann: »Ja wohl ist uns Sterblichen Schönheit und Vergänglichkeit dasselbe; Glück muß zerrinnen, wie das Wasser durch ein Sieb gleitet, nur scheinbar festgehalten; Begeisterung ist ein Blitz, der kaum gesehn schon wieder entschwunden ist, und immer kann ich nur seufzen: ich war – ich hatte. – Der Mund erdürstet im Trinken, die Sehnsucht lechzt in der Erfüllung: übersättigt sind wir oft, aber niemals satt: wir Armen setzen unsre geringe Habe im Spiele immer gegen das Nichts. Verlust ist wohl, Gewinn niemals möglich.«

»Das wird, das muß sich alles finden«, sagte sie scherzend, »denn noch ist nicht aller Tage Abend. Solche Gedanken, mein edler Freund, sind das schlimmste Nichts, wenn wir ihnen unsre besten Karten, die buntesten Bilder entgegenspielen. Mir ist lieber, und wichtiger selbst, die allerliebste Schilderung des armen gejagten Hasen hier in deinem Adonis. Man muß selbst diesen schwachen Burschen in den Versen lieben, indem man ihn bedauert, wieviel mehr das so schön geschilderte edle Roß. Wie ausdrucksvoll ist der Eber, wie sehn wir ihn, als den bösen, verderblichen vor uns. Aber hier lies, die Darstellung ihrer Liebkosungen, die sie an das gefühllose Bild der Schönheit verschwendet.«

»Du liebst dies Büchlein auch deshalb so sehr«, bemerkte der Dichter, »weil in der Schilderung der Venus vieles von dir entlehnt ist.«

»Aber du«, versetzte sie, »bist nicht der Adonis. Wenigstens warst du nicht so kalt, unbeholfen und unwissend, als ich dich kennenlernte. Wie hat es dich nur freuen können, diesen unempfindlichen Klotz Adonis nennen.«

»Ich wollte nicht das volle Glück einer erfüllten Liebe darstellen«, erwiderte der Dichter, »wenn auch die alte griechische Fabel den Adonis so schildert. Es schien mir elegischer und für diese Poesie ein mehr ergiebiger Gegenstand, Venus als die[522] Liebende, Auffordernde zu malen, die seine Sprödigkeit und blöde Jugend, selbst seine Kälte zu bekämpfen hat. Auch habe ich das Bild eines schönen Jünglings, der im Arm der schönsten Göttin noch Knabe ist, für reizend gehalten. Diese Unwissenheit und Schüchternheit in der Liebe, ja sein Widerwille gegen sie hat etwas Wunderbares, und indem er fast lächerlich wird, wirkt der Untergang dieser unschuldigen Jugend nachher um so tragischer.«

»Begriffe man nur«, versetzte sie schalkhaft, »wie er allen diesen Reizen widerstehn kann, die sie ihm so leutselig und süßberedt, schmachtend und liebkosend zeigt und schildert. Ach! Du Mutwilliger, Gottloser: da hast du einige Strophen geschrieben, die mich an die Jo und Leda des Correggio erinnern, was ich mir von diesen habe erzählen lassen.«

»Einige ernsthafte Männer«, antwortete der Dichter, »haben mir vorgeworfen, daß ich in diesen lüsternen Strophen weit über die Grenze des Erlaubten hinausgegangen sei. Ich konnte sie aber nicht ausstreichen, wenn ich nicht das Gedicht verderben wollte, ich hätte lieber das Ganze aufgegeben. Und warum auch nicht so sich versuchen? Müßtest du nicht, du Holdselige, Verführerische, Üppige und Witzige, meine Muse sein, wenn ich nüchtern bleiben sollte. Gewissermaßen ist das Lied auch durch Veranlassung, eine äußere, entstanden, und hie und da auf eigne Art gewendet. Die Mutter, sowie die Anverwandten des jungen Grafen Southampton wünschen, da er der einzige Sohn und Erbe ist, daß er sich früh vermählen möge; sie dringen in ihn, ob er gleich noch nicht zwanzig Jahre erreicht hat, und alle Freunde des Jünglings werden aufgefordert, ihn zu diesem Entschluß zu ermuntern, weil die Familie mit ihm ausstirbt, wenn ihm ein Unglück begegnen sollte. So hatte sich die Mutter durch andere Freunde auch an mich gewendet, weil sie erfahren hatte, daß er mich liebe und schätze, und wohl auf meine Worte höre. Der junge Graf ist so schön wie Adonis, der herrlichste Jüngling, den ich jemals gesehn habe, ja den sich meine Phantasie nur denken könnte. Er ist ein vortrefflicher Reiter, und zähmt das wildeste Roß, er ist ein großer Freund der Jagd, und alle Vollkommenheiten, die den Mann zieren, wie Fechten und Tanzen, Sprachen, edles Betragen, alles ist an ihm glänzend, und erheischt unsre Bewunderung. Nur in einem Gefühl scheint er noch ganz Knabe, und ebenso spröde, als dieser von mir besungene Adonis. Er ist gegen die Weiber ganz gleichgültig, ja mehr als gleichgültig, er vermeidet sie,[523] sosehr er nur kann, obgleich alle entzückt sind, die ihn erblicken. Er aber verlacht die Liebe und glaubt nicht an ihre Macht. So habe ich ihn als Adonis geschildert, den die Göttin der Liebe selbst ohne Erfolg in die Schule nimmt.«

»Du hast mir so oft«, sagte die Reizende, »von diesem deinem kindischen Freunde erzählt, daß du mich nicht durch wiederholtes Lobpreisen von andern eifersüchtig machen solltest. Wenn er von Natur so kalt ist und bleibt, so ist er wahrlich nicht liebenswürdig: ändert er sich aber noch einmal, so mögen seine Freunde, die ihn jetzt unvorsichtig tadeln und reizen, in Zukunft wünschen, daß er wieder gefühllos würde, denn diesen Nüchternen ist am wenigsten zu trauen.«

Der Dichter las der Geliebten noch die schönsten Stellen des Gedichtes, dann bedeckte die Nacht die Glücklichen auf dem gemeinsamen Lager. –


Die Gesellen des jungen Lords hatten diesen indessen mit seiner erdichteten verliebten Zusammenkunft geneckt und verspottet. Andre junge Leute hatten die lächerliche Geschichte erfahren, und sorgten dafür, daß sie allgemein bekannt wurde. Sie ward mit Zusätzen weitererzählt, und vergrößerte und verschlimmerte sich bei jeder Wiederholung. Nach einigen Tagen hörte man ein Gassenlied singen, welches als komische Ballade diesen Vorfall erzählte. Man kannte den Verfasser des Liedes nicht, doch waren viele Menschen gutwillig und voreilig genug, es Shakespeare zuzuschreiben; der Lord, der im Verdruß abreisete, war am ersten dieser Überzeugung. Dies verstimmte den Dichter, der gern ohne Störung seine angefangenen Arbeiten weitergeführt hätte.

Als er sein Haus an einem Morgen verließ, um seine Geliebte zu besuchen, fand er sie in ihrem Sessel sitzend, im anscheinenden Schlummer, denn das schöne Haupt war gesenkt, indem die dunkeln Locken über die Stirn hinunterfielen; die schwarzen Augen waren geschlossen. Ein seidenes Gewand umfloß in weiten Falten den schönen Leib, und ein purpurnes Mieder umspann den Busen, der ziemlich entblößt war, denn die eine Schulter und ein Teil des Oberarms war völlig nackt. Wie der reinste Marmor quoll die Fülle des glänzenden Körpers aus dem Gewande, und der Dichter stand entzückt, als sie plötzlich den schlanken Hals aufrichtete, mit dem Kopf die schweren Locken nach dem Nacken schüttelte, die dunkeln[524] lachenden Augen aufschloß und mit süßer Stimme sagte: »Gefalle ich dir in der Stellung? Meine Kammerjungfer, die ihren neulichen Fehler wiedergutmachen, und sich gern einschmeicheln will, hat mir beim Aus- und Ankleiden seitdem immer geschworen, daß ich die allerschönsten Schultern habe, die man nur sehen könne. Als ich den Spiegel zu Rat zog, fand ich, daß sie wenigstens nicht so ganz meineidig sei, und um dich aufzuheitern, da du mir immer noch wegen der dummen Geschichte böse bist, habe ich dich so, wie du mich sahst, überraschen wollen.«

Der trunkne Dichter küßte die schöne, volle Schulter, und setzte sich dann zu ihren Füßen nieder. »Warum«, fragte sie, sich zärtlich niederbeugend, »sprecht ihr Poeten so selten von den Schönheiten einer weiblichen Schulter? An Gemälden und Bildsäulen hat mich oft dieser Schwung, diese Beugung vom Nacken zum Arm, durch ihre Fülle und Zartheit entzückt.«

»Süßestes Geschöpf, himmlische Rosaline«, sagte der entzückte Dichter, »du mir immer neu, in jeder Gestalt eine andre, und in jeder Verwandlung die schönste: welcher Zaubergürtel der Venus ist es, der mich so innig an dich bindet? Ich lebe nur ganz, wenn ich in deine wunderbaren Augen schaue, in diese Geisterbraunen, in denen sich Scherz und Trost und Zorn so lieblich baden.«

»Alter Freund«, erwiderte sie plötzlich, wie verstimmt, »du hast einige Sonette an mich gerichtet, die gar nicht so schöne Sachen enthalten, wie du mir so oft mündlich sagst. Die Gedichte an deinen kindischen Freund lauten viel süßer und inniger, und ich muß fast fürchten, daß du mir die schönsten noch gar nicht gezeigt hast. So verdreht oder verkehrt bist du in manchen Dingen, denn die Geliebte müßte dir doch höher stehn, als der Freund.«

»Kein Messen, kein Höher oder Niedriger findet statt«, antwortete Shakespeare halb verlegen, »es ist nur ein andres, ein Gefühl anderer Art. Warum nehmen denn die Menschen die Freundschaft immer so kalt und unbedeutend. Verlieren doch die meisten in der Ehe das Gefühl ihres Glücks, wenn sie auch vorher noch so leidenschaftlich waren. Soll der Poet, der sich doch ein Besserer dünkt, auch alle diese Irrtümer teilen? Die Poesie sollte wohl alle diese Gefühle, die in den meisten Menschen stumm bleiben, oder nur eine verwirrte Sprache reden, verklären, und dem Schmerz wie der Freude die Zunge[525] lösen. Soll denn die Freundschaft weniger ein Geheimnis sein, als die Liebe?«

»Nein, mein edler Falke«, sagte sie, »macht und singt es, wie ihr wollt. Am Ende ist mir auch alles recht, was du tust, und alles, bis auf deine wunderlichen Launen, gefällt mir an dir. Dein Ernst ist nicht altklug und verdrüßlich, dein Spaß nicht geckenhaft, aus deinem Scherz lernt man, und über deinen Tiefsinn kann man oft zugleich lächeln. Auch wenn du dich ganz in Liebe hingibst, ist etwas in deinem Wesen, daß ich dich, wie ich dich als den Liebsten auf Erden halte und fasse, verehren muß. Denkt man doch auch bei der Nachtigall, wenn sie Entzücken in unser Herz singt, daß sie von Würmchen lebt. An das Armutsel'ge sind wir ja alle gekettet, und das macht unser Dasein so rührend, wenn es uns einfällt.«

»O Julie!« rief der Dichter, »Rosaline, Helena, Kleopatra, Olympia und Armida, und alles mir, was die alte und die neue Welt nur schön genannt hat – wirst du mir denn immer so bleiben?«

»Immer!« sagte sie küssend, »und das soll mein und dein letztes Wort sein.« – –

Man hatte Nachrichten von London, daß die Krankheit nachgelassen habe, und der Dichter fuhr mit Rosalinen zurück. Das Pferd ritt ein Diener der Dame.


Als Shakespeare sich in London wieder eingerichtet hatte, ging er zu Henslowe, dem reichen Bürger, der der Vorsteher einiger Theater war, deren Einkünfte er genoß und dafür die Häuser unterhielt, die Schauspieler besoldete und die Arbeiten der Dichter bezahlte. Als Shakespeare zu ihm eintrat, war er eben im Streit mit einem ernsten, ansehnlichen Mann begriffen, der sich aber, beim Eintritt des Dichters, in eine Ecke des Saales zurückzog, ein Buch aufnahm und zu lesen schien. »Ei!« rief Henslowe, »seid Ihr auch wiedergekommen, mein Herr Schicksalbär? Wir haben schon lange auf Euch gewartet, denn wir brauchen neue Komödien.«

»Ihr wißt selbst«, antwortete der Dichter, »geehrter Herr Henslowe, wie ich Euch schon vor meiner Abreise eröffnete, daß ich mich von Euern Theatern trennen würde.«

»Recht!« sagte jener, »ich weiß recht gut, ich dachte aber, es solle nur Spaß vorstellen, denn Ihr könnt Euch doch niemals besser, als unter meiner Regierung befinden. Ich bin gut, nachgebend, nehme es nicht so genau, verstehe mich auf die Arbeiten,[526] wie auf das Spiel, und an der Zahlung fehlt es niemals, bin selbst, wenn Not an Mann geht, zu Vorschüssen bereit, denn ich weiß wohl, daß Poesiemänner selten gute Ökumenen sind. Ihr nun besonders, Herr Shikkebue, habt bei mir viel verdient, mehr als irgendein andrer, denn Ihr seid sehr fleißig gewesen, auch haben alle oder die meisten Eurer Komödien Beifall gefunden, so daß wir sie oftmals haben spielen können, zum Beispiel der Papst Johannes, Tizius und Andronakmus, York und Lancaster, die Schnurre von Richard, dem tyrannischen Erobrer, vorzüglich aber die weinerliche Geschichte von Muntekkel und Caplet, oder der Romero, die venetianische Sache; warum, Herr Shuckelbier, wollt Ihr mich also verlassen?«

»Ich habe Euch«, erwiderte der Dichter, »schon neulich meine Gründe vorgetragen. Es fügt sich, daß wir, durch Beschützung einiger Großen, uns für ein andres Theater vereinigen, bis es uns erlaubt und möglich wird, ein neues und größeres zu bauen.«

»Das ist es eben«, sagte jener etwas heftiger, »daß Ihr mir auch meine besten Komödienspieler rebellisch und aufsässig gemacht habt, die nun auch ihren Grillen folgen und mir den Handel aufsagen. Seht, Herr Schicklichbär (verzeiht, ich kann Euern schweren Namen immer nicht behalten), Euch und Eure Geschichten könnte ich zur Not wohl noch entbehren, ich würde die Poesiesachen verschmerzen und Eure Tragispielerei noch leichter, denn Ihr habt keine starke Stimme, Ihr seid mehr für die sanfte Spielmethode, aber das andre Volk, dem Ihr den Kopf verwirrt habt – selbst der lustige Kempe will mir fortlaufen, der große Burbatsch, der dicke Condel, wo kriege ich so schnell solch gutes Volk wieder? Und ein neues Theater wollt Ihr bei erster Gelegenheit bauen? O mein lieber Schicklaspir, Ihr wißt nicht, was das kostet, dazu gehören Münzen, die Ihr doch gewiß nicht im Überfluß habt: denn woher solltet Ihr sie nehmen? Ich kann ja doch ungefähr überschlagen, was Ihr bei mir verdient habt. Der Herr da wird sich wundern, wenn er hört, daß noch mehr Theater gebauet werden sollen: er schilt mich eben aus, daß für eine christliche Stadt schon zu viele in London sind: er sähe es am liebsten, wenn wir kein einziges hätten. Das sind denn freilich so Religions-Spekulationen, die mit dem parnassischen Wesen nicht ganz übereinstimmen wollen, denn diese Herren Puritaner, Pietisten, und wie sonst noch ihre Titulatur ist, wollen von Helden, Gespenst, Geist und Narrenspossen nichts wissen.«[527]

Der Fremde kam näher. Ein großer Mann, im einfachen Kleide, mit schlichten, kurzgeschnittenen Haaren und strengem Blick. »Ja, Herr Ellis, was meint Ihr nun, da Ihr doch seht, daß immer mehr von diesen Theatern entstehn, die Ihr so sehr verachtet, und die doch alle ihr Auskommen finden? Da zeigt sich doch, daß die Stadt und Nation anders denken, als Euresgleichen, die Ihr viel zu strenge seid, und am liebsten sähet, wenn die Welt gar keinen Zeitvertreib hätte.«

Der ernste Mann erwiderte: »Zeitvertreib, da uns das Leben so kurz gemessen ist, und wir so große Aufgaben zu lösen haben, sollte es wohl gar nicht geben, und das Wort selbst ist schon eine Lästerung. Wie ist es nur möglich, daß so viele Gemüter sich, wie im erregten Taumel-Wahnsinn, dem Ernst des Lebens entziehn, um wie in Rausch im Nichtigen und Verächtlichen die Krone des Daseins zu suchen?«

»Wenn Ihr«, erwiderte der Dichter, »so unbedingt den Ernst des Lebens nur im Trübsinn, in der Entfernung von allen heitern Künsten und unschuldigen Freuden finden könnt, so steht Ihr doch, geehrter Mann, jenen Leichtsinnigen, von denen Ihr eben sprecht, ebenso schroff und beschränkt gegenüber, wie jene Euch. Soll denn das Leben sich nicht in so vielen Adern, und nach so mannigfaltigen Richtungen ausbreiten, daß jede Kraft und Anlage des Menschen sich kräftigt und ausbildet, und ist es nicht um so mehr Leben, Schönheit, Tiefsinn, als dieser Kreis sich immer weiter und weiter ausstreckt, um so in sich aufzunehmen, was noch unsichtbar dem Auge verdeckt ist, und ihm Gestalt zu geben?«

»Das sind die Gedanken«, antwortete der ernste Puritaner, »die Staat und Kirche aufzulösen drohen. Ist denn der Mensch zu dieser sogenannten Ausbildung, von welcher Ihr sprecht, berufen? Mich dünkt, das, worauf es ankommt, was wir tun und lassen sollen, ist uns in den heiligen Geschichten genau angewiesen. Ihn erkennen, der sich für uns geopfert hat, durch Liebe und Entsagung ihm erwidern. Kann unser Leben etwas anderes sein, als ein fortwährendes Opfer, durch welches wir uns seiner Gnade würdig machen? Dieses Rätsel, das uns vorgelegt ist, ist ein sehr ernstes, und kein lustiges und scherzhaftes. Schlagt unsre heiligen Schriften auf, wo Ihr wollt, und aus dem Munde der Propheten, der Gesetzgeber und Weisen und seinem Munde selbst, werdet Ihr vernehmen, daß wir entsagen, der Welt und ihren Reizen absterben sollen, um ihm leben zu können. Das was Ihr die Ausbildung nennt, jener[528] Kreis, der sich nach Eurer Meinung ins Unendliche ausdehnen kann und soll, ist eben der Tod, dem wir entfliehen müssen. In diesen Künsten, Anreizungen, vielfachen Gedanken und Genüssen zersplittert sich unsre Seele, um verlorenzugehen. Das Böse, das sich durch Zulassung des Herrn in die Schöpfung eingedrungen hat, nimmt ebendiese verführende Gestalt an, um wie ein Diener und Bote des Lichtes auch die besseren Geister zum Abfall zu locken. Es ist immer derselbe Götzendienst, zu dem sich Israel so oft verführen ließ und gegen den der Herr eifert und ihn in seinem Zorne bestraft.«

»Ich weiß wohl, würdiger Mann«, antwortete Shakespeare, »daß jeder die heiligen Schriften auslegen kann, wie er will, daß jeder das in ihnen findet, was er darin sucht; aber unmöglich kann uns noch das Wort gelten, das zu den starren Juden gesprochen wurde, oder die Freiheit ist durch die neue Lehre nicht gegeben. Ich mag die Stellen der Schrift nicht anführen, die auch für uns sprechen, denn ich weiß schon im voraus, was Ihr mir antworten und welche Sprüche Ihr dagegen aufführen würdet. Was der Sinn einmal im Erkennen der Wahrheit erwählt hat, daran hält er fest, und wollen Zweifel die Überzeugung erschüttern, so werden Eigensinn und Leidenschaft zu Hülfe gerufen, damit sie ersetzen, was in Kraft der Sache selber fehlt. Und so sehn wir denn freilich das Judentum wiederum in das Christentum eindringen, und nach und nach das uns gewonnene Reich wiedererobern. Die Allgegenwart der göttlichen Kräfte wird geleugnet, die Süßigkeit der Religion vergällt und die Liebe in Haß verwandelt. Der arme Mensch, welcher Schönheit, Natur und Freiheit aufgegeben hat, zittert dann in seinem engen dunkeln Gefängnis vor einem Tyrannen, den er seinen Gott nennt. Wie anders findet das reine liebende Herz in tausend Spuren den Ewigen, der nicht im Gewitter, im Sturm und Orkan sich dem Ohr des gläubigen Propheten verkündet, sondern im linden Säuseln, im Lobgesange des Waldes und der balsamischen Frühlingsluft, im Gesang und Duft, im Gedanken des Weisen und im blühenden Gemälde, im Gedicht und der schönen edlen Tat, im Auge des Kindes und in der großen Geschichte der Welt.«

»Ihr sprecht fast«, erwiderte der ernste Mann, »wie ein Papist. Diese Gesinnungen sind es freilich, die in dem gottlosen Italien, um die Zeit der Reformation, die Künste hervorbrachten und zu einer glänzenden Höhe erhoben, die Religion aber auch völlig stürzten und einen fast allgemeinen Atheismus hervorbrachten.[529] Und freilich, diesem ausgelassenen italienischen Wesen strebt nun unser England schon seit lange nach. Die Sitten lösen sich auf, Feste, Tänze, Aufzüge füllen die Tage und Stunden, Jagd, Maskenspiel, Musik, Dichtkunst und Theater beschäftigen alles, bis zu dem Bürger und Handwerksmann hinab. Die Fähigkeit zu berauschen ist nicht bloß dem Weine mitgeteilt, diese weltliche Ausgelassenheit, die Freude, die Zerstreuung reißen die Seele ebenfalls zum wilden Taumel hin, die Sinnlichkeit wird aufgeregt, das Tierische im Menschen, um die göttliche Hälfte zu vernichten, und die sogenannten Künste bemächtigen sich dieses Sinnentriebes, um dieser Verworfenheit einen vornehmen Schein zu geben und dem Scheusal ein glänzendes Kleid umzulegen.«

»Ich kann nicht darauf ausgehn wollen«, erwiderte der Dichter, »Euch zu widerlegen, oder Euch gar zu meiner Meinung herüberkehren zu wollen, denn wer mit so starker Willkür in einer Überzeugung Posto gefaßt hat, dem ist nicht mehr beizukommen, denn seine Meinung und sein Leben ist ein und dasselbe. Ein solcher sieht allenthalben das Böse und den Satan, wo diejenigen, die mit mir das Auge frei und unbefangen erhalten haben, nur das Leben wahrnehmen, und in diesem unschuldigen Leben allenthalben Gott und das Göttliche, wo Euch und Euresgleichen der böse Geist entgegentritt. Die Begeisterung erfaßt alle diese Verhältnisse des Lebens, alle Verwicklungen des Schicksals, die Bewegungen des Gemütes, die Schönheit der Natur, Liebe, Größe, alles faßt sie in der Kunst und Poesie auf, um den Sterblichen das Geheimnis aufzuschließen, und Furcht und Angst vom Herzen zu lösen. Ja diese Poesie verschmäht es nicht, das Geringe, Possierliche, Alberne und Gemeine in seinen richtigen Zusammenhang mit dem Besseren zu bringen, und durch Witz und Geist, indem sie diese ganz verlornen und widrigen Erscheinungen erhebt, deutlich zu machen, daß auch hier etwas Höheres walte, welches der moralische Sinn nicht unbedingt verwerfen soll. Ihr nanntet den Wein, als berauschende Kraft. Ich will nicht an die Geheimnisse der christlichen Parteien erinnern, aber wie heilig wird auch die Wirkung desselben, ob wir gleich alle seine betäubende Kraft kennen, von den alten Griechen gehalten. Die Tempel, die Feste, die dem Bacchus gewidmet waren, die Anerkennung dieses Geschenkes als eines göttlichen zeigen, wie tief es in der Natur des freien und ausgebildeten Menschen liegt, nicht des Schadens und des Mißbrauchs wegen die Gabe des Himmels zu verwerfen,[530] und wir sollen daraus lernen, daß alles, richtig gebraucht heilsam sei. Und ist denn in Eurem starren Sinn, in Eurem finstern Glauben nicht ebenfalls Rausch? Wie könntet Ihr sonst so übertreiben, Euch vorsätzlich verhärten, den Gegner leidenschaftlich mißverstehn, und die ehrwürdigen Institutionen der Kirche und des Staates lästern? Trunkenheit, und die schlimmere, ist es, daß Ihr, wohin Ihr das entzündete Auge richtet, nur Satan und seine Werke seht, daß Ihr den Untergang der Welt nicht nur prophezeit, sondern mit Ingrimm herbeiwünscht, daß Ihr jeden verdammt, der nicht Eures Glaubens ist.«

Ellis erwiderte mit scharfer, aber ruhiger Stimme: »Erst sprecht Ihr als Papist und jetzt gar als Heide, und freilich, wenn Euch der Götzendienst nicht mehr anstößig ist, oder das Vergöttern der blinden Naturkräfte, so habt Ihr auch keine Gemeinschaft mit dem Christentum mehr, mögt Ihr Euch auch anstellen und drehen und winden, wie Ihr wollt. Wer nichts mehr fürchtet, was ihm geistig oder im glänzenden Schein entgegentritt, in solchem ist mit der Furcht auch die Liebe schon erloschen. Dann ist es freilich natürlich und notwendig, daß Ihr die Gebrechen, an welchen Staat und Kirche kranken, gar nicht mehr seht, und daß es Euch ein Greuel sein muß, wenn der Arzt die Hand zur Heilung anlegen will. Und glaubt mir nur, dies, was Ihr verlachen möchtet, ist keine vorübergehende Torheit, nein, es ist ein großer und würdiger Kampf, den viele Jahre noch nicht ausfechten werden, es ist die Fortsetzung jener heilsamen Reformation, die wir erst vollenden werden. Nach vielen Jahren erst, mein Freund, wird das Schicksal entschieden haben, wer von uns beiden recht behält. Was Luther, Melanchthon, und unsre eifernden Lehrer taten, darf nicht wieder so einschlafen, darf nicht so bloß, wie eine Wolkenerscheinung vorübergezogen sein, nein, dies große löbliche Werk muß in noch größerm Sinn und mit stärkerm Eifer fortgesetzt werden. Die Regierer des Staates sind irregeführt und geblendet, indem sie dieser Reinigung widerstehn, aber das, was die Bestimmung der Zeit ist, kann wohl aufgehalten, aber niemals vernichtet werden. – Und Ihr, mein guter, teurer junger Mann, von dem jetzt in der Stadt so viel gesprochen wird, dessen Talente die Aufmerksamkeit von hoch und niedrig auf sich richten, Ihr seid zu beklagen. Sowenig ich sonst mein Gemüt auf dergleichen ganz weltliche Dinge richte, so hat mich dennoch die Neugier getrieben, einige von Euren Sachen anzusehn.[531] Schade, ewig schade um Euren Geist, daß Ihr ihn nicht einer heilsameren Beschäftigung zuwenden wollt.«

Der Dichter war nach dieser langen Rede etwas unwillig geworden und fragte: »Und welcher? Muß denn das Talent, wenn es ein solches ist, nicht der Laufbahn folgen, in welcher es sich einzig und allein zeigen kann? Oder meint Ihr, daß der, der für Euern Sinn ein gutes Andachtsbuch schreibt, darum auch imstande sei, eine Komödie zu dichten? Denkt Ihr wirklich, ich könnte ein Buch des Zanks und Kampfes hervorbringen, um Eure Sekte zu erbauen?«

»Wie Euch der Herr anstellen möchte«, erwiderte Ellis, »weiß ich nicht zu sagen; aber, da Ihr verständig seid, könnt Ihr Euch unmöglich, wie so viele schwache Köpfe, über die Armseligkeit Eures Berufs täuschen. Ihr seht ja täglich Eure Bühne selbst, welche Abgeschmacktheiten, Gaukelpossen, unziemliche Späße, Zweideutigkeiten, Zoten und unsittliche Dinge aller Art täglich auf ihr getrieben werden. Und Ihr meint wirklich, wenn Ihr selbst dergleichen gelinder abfaßt, oder manches vermeidet, wenn Ihr mehr Geist und Fleiß auf diesen albernen Zeitvertreib wendet, daß irgendein Tugendhafter Euch diesen unbedeutenden Aufschwung anrechnen werde? Ihr könnt Euch nicht einbilden, daß Ihr die Anstalt besser machen wollt und werdet, ja, Ihr wollt dergleichen auch gar nicht einmal: denn wo bliebe Euch nachher das geringe Volk, die vornehmen Müßiggänger, die üppigen Reichen und das verdorbene Gesindel, von denen Ihr doch leben müßt? Wenn Ihr also den Irrtum hegt, daß das Geringe, Niedrige, Anstößige durch Euern Witz und Genie geadelt werden können, so tört Euch nur nicht so sehr, daß Ihr wähnt, diese Eure Zuschauer stiegen mit Euch hinauf. So wenig ist das der Fall, daß sie die nackte Niedrigkeit in Euren Scherzen bloß allein sehn und sehen können, und Eure etwanige Moral, oder das Ernste Eurer Schauspiele in den nämlichen Sumpf ihrer verdorbnen Gemüter herunterreißen. O Ihr Ärmster! Glaubt mir nur, das Unglück, die Strafe wird Euch gewiß, vielleicht bald ereilen. Eure Freunde, die jetzt gestorben sind, und manche andre, die noch leben, sind und waren glücklicher als Ihr, indem sie selbst um ihre Lüge wußten und sie sich dreist gestanden. Diese Ehebrecher, die sie lustig schildern, die verbuhlten Mädchen, die liederlichen Jünglinge gelten ihnen für nichts weiter, als Mittel, das Volk anzukörnen, um Geld zu verdienen. In dieser Schlechtigkeit ist noch eine Art von Unschuld. Ihr aber verfeinert mit[532] Eurer Begeisterung das Laster, Ihr sucht in der Verworfenheit, um Euer Herz zu täuschen und zu sättigen, das Höchste, und darum muß Euch, in diesem ungeheuern Irrtum, in diesem schnöden Götzendienst, über lang oder kurz die Verzweiflung ergreifen. Dabei vergeßt Ihr, daß Eure Bühne ganz anders wirkt, als ein geschriebenes Buch, eine Erzählung oder Libell, weil sie durch Schmuck und Kleider, durch die gute Rezitation, durch alles, was die Sinne verführt, durch Eure jungen, zarten Burschen, die sich als Mädchen und Weiber sündlicher Weise und gegen Gottes ausdrückliches Gebot verkleiden, den Pöbel mit Macht aufregt und hinreißt. Und deshalb sollte der Staat diese Theater zerstören und ihre Abscheulichkeit nicht zulassen. Aber nicht genug, daß Ihr von den Brettern herab auf die verkehrte Menge wirkt, Ihr bildet Euch auch ein, die Dichterfreunde, die vornehme und feine Welt zu gewinnen, und habt kürzlich Eure Venus und Adonis in den Druck gegeben. Dies soll wohl nicht durch und durch unsittlich, lüstern und verderblich sein? Meint Ihr denn, Ihr habt hier auch das Schändliche zum Schönen erhoben?«

»Verzeiht mir«, sagte Shakespeare heiter und lächelnd, »wenn ich vorher auf dem Wege war, Euch zu zürnen, ich vergaß auf einen Augenblick, daß ich Euer Wesen und Eure Meinung ganz verstehe. Man kann immer nur streiten wollen, wenn man sich noch irgend annähern möchte; wo dies nicht mehr möglich ist, wird der Disput Torheit, und kann nur aus Leidenschaft entstehn und durch diese entschuldigt werden. Ich brauche Euch nicht zu widersprechen, da Welt, Geschichte Leben, Kunst und Wissenschaft es tun.«

Ellis war betroffen, daß der Dichter die Sache so leichtnahm, da er sich einbildete, ihn erschüttert zu haben, und verließ den Saal nach einigen unbedeutenden Worten. Der alte Henslowe freute sich und sagte: »Ihr habt, Herr Shuckelbier, den Mund am rechten Flecke sitzen, da Ihr den redseligen Propheten so habt zum Schweigen bringen können, der sonst über die besten Redner und Schreier mit seinen Worten und heiligen Redensarten hinfährt. Man soll seinem Nächsten nichts Böses gönnen, aber ich wünschte, daß über das scharfe Maul einmal von Staats wegen Gericht gehalten würde, denn der alte Sünder spricht ja alle Augenblicke wie der beste Hochverräter. Ja, Herr Schicklichbär, den Mann solltet Ihr so in einer hübschen Komödie, da er sie doch nicht leiden kann, selber einmal aufführen, die Zuschauer würden Euch für den Spaß Dank sagen,[533] und ich wollte Euch das Stück noch besser als die vorigen Sachen bezahlen.«

»Herr Henslowe«, erwiderte der Dichter, »daß er in seinem Schelten auf die Bühne nicht so ganz unrecht hat, wißt Ihr recht gut, viele Szenen und Stücke verdienen kein Lob, wie ich Euch schon gesagt habe. Aber viele Eurer Dichter bessern sich nicht, und es hat wohl den Anschein, daß es in Zukunft noch schlimmer wird. Man kann zwar Spaß, Mutwillen und Witz nicht abstecken, und wie einen Park umzäunen, aber da ich, soviel ich selber wage, vieles nicht billigen kann, so ist dies auch eine der Ursachen, weshalb ich mich von Euch trennen werde.«

»Und Ihr wollt«, sagte der Alte, »ein tugendhaftes Theater aufbauen?«

»Nur ein solches«, erwiderte Shakespeare, »was man vielleicht ein verbessertes nennen könnte, ein reformiertes, ein solches, dem der Beifall des Volkes nicht unmittelbar zum Gesetzgeber diente.«

»Da werdet Ihr verhungern«, sagte Henslowe lachend: »ja, Ihr werdet, Herr Sheckigper, noch magrer werden, als Ihr schon seid. – Es tut mir leid, daß Ihr mir aufsagt und von mir geht, denn Ihr wart mein bester Skribent, auch fein und ordentlich, und Ihr machtet mir und allen meinen Theatern Ehre. Ihr kommt wohl noch einmal wieder.«

Sie trennten sich höflich und unter Versicherungen gegenseitiger Freundschaft. –


Der Dichter hatte schon länger mit seinem Freunde gehadert, daß dieser, taub für alle seine Bitten, niemals mit ihm Rosalinen hatte besuchen wollen. »Warum«, sagte der Graf, »quälst du mich in dieser Anforderung? Du weißt es ja, wie gleichgültig mir die Weiber sind, und wie wenig ich mich für ihre Grillen, ihre Liebenswürdigkeit, ihre Launen und alle Zierereien des Geschlechtes interessiere. Ich beneide dir dein Glück nicht und begreife es kaum.«

»Nur ein einzigmal müßt Ihr sie sehn«, antwortete Shakespeare, »um zu erfahren, welcher Liebreiz es ist, der mich an dieses wunderbare Wesen fesselt. Ebenso wünsche ich, daß sie Euch kennenlernt, von dem ich ihr so oft, von dem ich immer spreche, an den ich immerdar denke. Sie spricht ebenso gleichgültig von Euch, und will sich ebenfalls dieser Bekanntschaft[534] entziehn. Aber mein Wunsch ist, diese beiden schönsten Gestalten einmal in demselben Zimmer sich gegenüber zu sehn; sie hat schon nachgegeben, seid Ihr darum nicht mehr so eigensinnig.«

»Es sei!« rief Southampton, »obgleich mein Gemüt dieser Bekanntschaft widerstrebt.« – Am folgenden Tage war bei Rosalinen eine kleine Gesellschaft, in der sich einige Männer ihrer Bekanntschaft, sowie einige junge Mädchen befanden. Rosaline war sehr geschmückt, ein reizendes leichtes Kleid zeigte den schönen Wuchs, Hals und Busen waren frei, und die weißen vollen Schultern glänzten aus der grünen seidnen Umhüllung blendend hervor. Man sang zur Laute und ihre mutwillige Weise bezauberte alle Anwesenden. Sie war artig gegen jedermann, nur um den Grafen schien sie am wenigsten sich zu kümmern, der sich mehr mit einem jungen blonden Mädchen beschäftigte, die wunderbar durch ihr einfaches Wesen, den hohen Wuchs und die süße Unschuld, die noch an die Kindheit grenzte, auffiel. Als man viele Lieder gesungen, viel gescherzt und gelacht hatte, fing man an zu tanzen. Southampton, der der Stillste in der Gesellschaft gewesen war, ließ sich nur schwer bewegen, an den lebhaften Tänzen teilzunehmen, er schien mißgelaunt, und die Bewunderung aller, die seine Schönheit und Leichtigkeit der Bewegungen nicht genug erheben konnten, erfreute ihn nicht. Er wollte auch beim Bankett, wo man Zuckerwerk mit süßem Wein genoß, nicht bleiben, sondern entfernte sich, fast unmutig, sosehr ihn der Dichter auch überredete, zu verweilen.

Als sich alle entfernt hatten, sagte Rosaline zu Shakespeare, der, ohne zu wissen weshalb, auch schwermütig geworden war: »Nun fängst du auch an zu träumen? dies also war dein hochgepriesener Freund, die einzige Schönheit der Welt? aus dessen Augen du deine Begeisterung nimmst? O Willy, Willy, was seid ihr Dichter für sonderbare Menschen! Unbegreiflich würde ich sagen, wenn der Widerspruch, Mangel des Zusammenhangs, Schwäche nicht gerade das Verständliche in der menschlichen Natur wäre. Stärke, Konsequenz, Ausdauer, dies sind im Gegenteil die Eigenschaften, die an das Wunderbare grenzen.«

»Wie ist es nur möglich«, erwiderte der Dichter, »daß er dir nicht hat gefallen können? daß er dir nicht, wie die Erfüllung eines schönen Traumes, erschienen ist?«

»Es möchte geschehn sein«, antwortete Rosaline, »wenn ich[535] ein Dichter wäre, aber so, da ich mich nicht auf poetischen Schwingen von Wahrheit und Wirklichkeit entfernen konnte, sahe ich in dem zierlichen Püppchen nur ein verzogenes Muttersöhnchen, dem seine Lehrer in allen Dingen den Willen gelassen haben. Es kann eine große Schönheit im klaren, heitern Auge eines unschuldigen Jünglings glänzen. Aber dann muß in diesem offnen, staunenden Blick doch ein Träumendes schwimmen, wie eine süße Zukunft, wie der Schlummer der Liebe. Dieses Staunen war aber bei deinem Abgott ein kaltes Anstarren, Hohn lag in seinem Lächeln, denn seinen frischen Lippen fehlt die Grazie, die Witz und Schalkheit mit dem Zauber der Unschuld so siegreich machen. Man kann selbst nicht sagen, er sei schön gewachsen, denn sein Betragen, seine Gebärde ist noch so unreif, wenn man beides gleich überdreist nennen möchte. Kurz, Freund, dein Götze, dem du den größten Teil deines törichten Herzens widmest, ist mir, wie von einer neu entdeckten Insel, wie vom Nordpol her, hereingeschritten und mein Auge ist dieser gerühmten Schönheit satt. Dagegen du, mit deinem leichten, sinnigen Wesen –«

»Nein«, sagte Shakespeare, ganz verstimmt, »laß diese Vergleichung, die mich nur demütigen würde. Es macht mir ein schmerzliches Gefühl, daß die beiden Wesen, die mir die nächsten sind, durch eine weite Kluft getrennt sein sollen. Ich könnte an mir selber irre werden, als wenn in mir etwas Unverständliches verborgen läge, das, sich entwickelnd, mich in Zukunft oder bald zu einem andern Wesen machen könnte, als ich mich jetzt mit Sicherheit zu sein fühle.«

»Wunderlicher Geist!« rief sie lachend aus, »warum willst du mich denn zwingen, ihn zu lieben? Habe ich nicht mit dir selbst der Leiden genug? Laß uns doch unser einfaches und sichres Glück nicht durch dergleichen Wünsche verkümmern, die auf keine Weise in unser Leben hineingehören. Du willst als Lustspieldichter eine Verwicklung einflechten, aber bist du denn auch sicher, daß es dir mit der Entwicklung nach Wunsch gelingen wird? Sei damit zufrieden, wie es nun gerade ist«

Als der Dichter am folgenden Tage seinen Freund besuchte, kam ihm dieser heiter lachend entgegen und rief: »Sei mir gegrüßt, liebster freundlichster Willy! Ja, Freund, du bist ein Dichter, das kann dir auch dein Feind nicht leugnen, denn alles, was nur in deine Nähe kommt, verwandelst du in sein Gegenteil. Welche Kraft der Phantasie gehört dazu, um diese deine Geliebte so schön zu finden, wie du sie geschildert hast![536] Diese braune wilde Zigeunerin hat dich also so bezaubert? Freilich, du erst setzest den Glanz auf ihre Stirne und die Rose auf ihren Mund. Ich aber, der Nüchterne, sah nur, was die Natur auf Kauf zu machen pflegt, um es in Dutzenden auf dem Markt auszustellen. Da aber war das blonde junge Kind, Emmy wurde sie genannt, von der ließe sich begreifen, wie sie einen verständigen Mann, wie dich, entzückte. Denn Stimme, Gebärde, Haltung, Kleidung, alles war viel schöner, als an deiner gepriesenen Rosaline.«

Als Shakespeare seinen Freund verlassen hatte, schien es ihm in der Einsamkeit, nachdem er den kleinen Verdruß überwunden hatte, ein Glück zu sein, daß diese beiden Wesen sich nicht gefielen. Im Theater und mit seinen Arbeiten beschäftiget, hatte er Rosalinen einige Tage nicht besucht, als er zu seinem Erstaunen, indem er wieder in ihr Zimmer trat, den wunderlichen Florio dort fand. Sie bemerkte seine Verwunderung, und sagte: »Ja, ja, William, du hast dir immer eingebildet, wir beide verstünden das Italienische ganz vortrefflich, aber seit ich diesen tiefsinnigen Lehrer angenommen habe, sehe ich erst, wie viel mir noch fehlt. Er läßt die Blüten der Dichtkunst sich vor meinen Augen sichtlich entfalten, und haben wir uns an ihrem Glanz und Duft erfreut, so zeigt er mir die Blätter und Wurzeln, und so lesen wir Tasso und Ariost, daß ich oft denken muß, die Poesie sei das tiefsinnigste, aber auch das langweiligste Wesen in der ganzen Natur.«

»So ist es«, sagte Florio mit kunstrichterlicher Miene, »die Welt, das Volk, der Mensch, uomo, hombre, weiß im allgemeinen nicht, weshalb die Poesia, der Vers, Reim, erfunden worden ist, daher sie auch ebenfalsig die Süßigkeiten der Dichtenden so wenig zu genießen wissen, wie der Fuchs, vom Storche dazu eingeladen, aus der enghalsigen Flasche ichtes aus dieser in sich ziehen konnte. Geraten wir aber auf den eigentlichen Quell, Ursprung, die Entstehung der Phantasia, Imagination, des Mysterii unsers Verstandes, so fallen, wie die Blätter im Herbst, tausend und aber tausend Dinge dürr und verwelkt nieder, die wir früherhin irrigerweise für Gedichte, oder Schauspiele, seien sie traurigen oder komischen Inhaltes, gehalten haben. Derlei Untersuchungen, Forschungen, Elaborationen möchten aber freilich wohl manchen Poetastern nicht so allerdings anmutig und erfreulich sein, deren Einbildung schon des Parnasses Höhe meint erstiegen zu haben.«

Er ging mit einer höhnischen Verbeugung gegen den Dichter,[537] welcher zu bemerken glaubte, daß Rosaline nicht so unbefangen und heiter sei, wie sonst. Sie schien etwas zu suchen, sie kramte unter Briefen und Papieren, und war weniger freundlich, als es der verwöhnte Geliebte ertragen konnte. Er entfernte sich nach einem kurzen Streit, und sagte zu sich selbst: Sonderbar! Was ist vorgefallen? Wohin strebt und denkt mein Gemüt? Sollte ich sie wohl leidenschaftlicher lieben, wenn sie sich zurückzöge? Oder ist es nur ein Spiel von ihr, eine von den vielen Launen, die ihr ebenso natürlich, als künstlich von ihr angenommen sind? Will sie mich vielleicht quälen, um meine Neigung zu steigern? Es ist wahr, bis jetzt war mir ihre Liebe mehr wie ein freies Geschenk zugefallen, als daß ich sie errungen hätte. Ich nahm sie dankbar an, und glaubte, selbst in den glücklichsten Stunden, sie wohl auch entbehren zu können. Sollte ich es nicht vermögen? Sollte der Verlust dieses seltsamen Wesens mich wahrhaft unglücklich machen können?

Um sich zu zerstreuen, besuchte er seinen Freund, den er nicht zu Hause fand. Sinnend ging er an das Ufer der Themse, wo ihm Baptista entgegenschritt, den er in Oxford hatte kennen lernen. Sie begrüßten sich, und Shakespeare kehrte mit dem sonderbaren Manne um, um seines Gespräches zu genießen. »Seht Ihr noch Florio oft?« fragte er ihn nach einigen Reden. »Nicht viel«, antwortete Baptista, »er ist mir bei weitem zu schwärmerisch, und beneidet jede Größe, von der er Kunde empfängt. Mag sein, daß er ein großes Licht der Welt ist, aber er leuchtet doch wahrlich nicht so, wie die Sonne, daß er allein jeden andern Schein entbehrlich machte. Wer sich fühlt, wie ich, kann in seiner Nähe nicht ausdauern. Aber ohngeachtet dieser Eifersucht lieben wir uns, wie dergleichen, was der gemeine Mensch nicht könnte, unter großen Geistern wohl möglich ist. Dieser gegenseitige Neid mag vielleicht unsre Liebe noch erhöhen, nur gehen wir einander aus dem Wege, um nicht doch vielleicht in den Haß zu geraten. Denn mit dem Ruhm ist es fast, wie mit dem Besitz des schönen Weibes, man mag den Nebenbuhler nicht dulden, wenn man auch noch so sehr Philosoph ist.«

Sie gingen durch die Straße, in welcher Rosaline wohnte. »Ich muß jetzt darüber selbst lachen«, fing Baptista an, »daß ich den schönen, liebenswürdigen jungen Grafen damals für ein verkleidetes Mädchen halten konnte. Mein Auge, das sonst so scharf ist, wurde gröblich, und mir noch selber unbegreiflich,[538] getäuscht. Aber der junge wilde Mensch ist selbst verliebt, wie es mir scheint, denn er ging neulich hier mit einem Frauenzimmer in dieses große Haus, und er bemerkte meinen Gruß gar nicht einmal, so sehr war er mit ihr in ein Liebesgespräch vertieft.«

Sie standen soeben vor Rosalinens Hause, und wie eine schwarze Nacht fiel es vor dem Dichter nieder, und wie ein Donnerschlag betäubte es sein Ohr. »Hier?« sagte er endlich, »ein Liebesgespräch?« »So schien es mir«, schwatzte Baptista weiter, »denn er sagte ihr, indem ich vorüberging, sehr zärtliche Sachen, und pries, wie begeistert, ihre Schönheit, worauf sie nur lustig und mit Lachen erwiderte. Aber das schönste schwarze, wahrhaft italienische Auge sah ihn dabei so zärtlich an, daß er doch wohl Hoffnung fassen konnte, erhört zu werden. Als ihr das schwarze, schwere Lockenhaar über die Stirn, und vom weißen Halse in das Gesicht vorstürzte, schlug er ihr die herrlichen Haare zurück, indem sie die Tür aufschloß und dann mit ihm hineinging. Mich dünkt, sie steht oben am Fenster, vielleicht ist er auch wieder oben, denn es schien, daß jemand schnell ins Zimmer zurücksprang.«

Ohne hinaufzusehn, und ohne von dem Redenden Abschied zu nehmen, ging Shakespeare betäubt und ohne Gedanken nach seiner Wohnung. Er sah im Fortschreiten die Menschen und die Gebäude nicht, er wußte nicht, daß er ging und wo er war. Er hörte nur die Worte Baptistas, bald wie in weiter Ferne, dann wieder wie ganz nahe und überlaut an seinem Ohr. Die Brust schmerzte ihm empfindlich, er konnte kaum Atem schöpfen. In seinem Zimmer angelangt, warf er sich auf sein Bett, nachdem er die Tür verriegelt hatte. –

Wie ist mir denn? sprach er zu sich selber; noch gestern, wenn Rosaline gestorben, entflohen wäre, glaube ich, den süßen poetischen Schmerz abgerechnet, nichts wäre mir entrissen, und heute, da ich noch gar nicht einmal weiß, ob es Wahrheit ist, was ich vernommen habe, dünkt mich, ohne ihre Liebe sei kein Leben für mich. Achte ich sie denn? Niemals habe ich sie verehrt; jener Zauber einer ahndungsreichen Liebe, wo Unschuld die Unschuld mit den süßesten Ketten bindet, war es ja niemals, was mich ihr ergeben machte. Sinnenreiz, Lust, Schalkheit, Witz und Übermut des Lebens, sie waren es ja, die dieses Bündnis schlossen, und mein Leben in einen ebenso süßen als wilden Traum verwandelten. Aber freilich, Er, Er, hat diesen Zauber gebrochen. Er, der Einzige in aller weiten Welt, Er, die Wahrheit, Treue, Unschuld selbst, er hat[539] mich betrogen, und seitdem gibt es keine Wahrheit mehr. Kann ich noch leben? Verlohnt es sich noch der Mühe, zu atmen? – Weiß ich denn aber auch, ob der Schwätzer recht gesehn und recht gehört hat? Soll sein Zeugnis mehr gelten, als die lang bewährte Freundschaft und Treue des edelsten der Menschen? Soll seine Aussage gelten gegen die Leidenschaft und Liebe eines Wesens, das um mich Vornehme, Jünglinge, Reiche und Hochbegabte abgewiesen hat? Ich kann es, ich will es nicht glauben. Er hat sich getäuscht, mein Ohr vernahm das Unrechte, ich war betäubt, meine voreilige Leidenschaft hat das Unwahre, Lügenhafte, Unsinnige vernommen.

Er stand auf, öffnete das Fenster und erquickte sich an der frischen Luft. Er setzte sich nieder und überlas die Blätter seines neuen Schauspiels. Wie sonderbar erschienen sie ihm, wie von einer fremden Hand, aus einer Gegend der Seele, die er niemals wiederzufinden glaubte. Er fühlte lebhaft, daß, wenn auch alles nur Irrtum, Täuschung und Traum sollte gewesen sein, er doch einen Teil seines Herzens verloren habe, und viele Geister seines Innern entflohen wären, die niemals zurückkehren würden. Jetzt erfuhr er es erst, in diesen furchtbaren Stunden, wie sehr er Rosalinen, wie unaussprechlich er seinen Freund Heinrich geliebt habe. Nichts konnte ihm diesen verlornen Schatz ersetzen, nichts, auch das höchste Glück nicht, die Lücke ausfüllen, die er jetzt in seinem Herzen fühlte; nichts war vermögend, jene heitern Stunden zurückzuführen, in denen er bis dahin geschwelgt hatte. So hängt das Kostbarste, das Unersetzlichste im Leben der feinern Menschen an unsichtbaren Fäden, und jeder Windstoß kann es ihnen auf immerdar rauben, wieviel mehr die Bosheit niedriger Menschen, oder ein unerbittliches Schicksal, das auf seltsamen Wegen und Umwegen das zerstört und höhnend zertritt, was Liebe und Phantasie so sorglich aufgebaut hatten.


Es ist die Art der Menschen, die unserm Dichter ähnlich sehn, daß sie die Empfindungen, die ihnen die heiligsten sind, in sich verschließen, und sich scheuen, selbst den Vertrauten ihrer Seele von jenen Empfindungen zu sprechen, durch welche sie zerstört werden. Eine heilige Scham zwingt sie, ihr liebstes Geheimnis, den Inhalt ihres Lebens, den wahren Schmerz, der ihre Seele spaltet, zu verschweigen, weil sie fühlen, keiner versteht sie, oder will sie verstehn, oder auch weil das höchste[540] Glück wie Elend so geistig und verletzlich sind, daß jedes Geständnis, auch gegen den vertrautesten Freund, die zarte Erscheinung entweiht, und die Seligkeit zur gemeinen Freude, oder die Verzweiflung der Seele zum gemeinen Verdruß herabwürdigen, die noch Trost, oder den eitlen Glückwunsch zulassen. Und mit wem sollte der verletzte Dichter sprechen, in wessen Busen weinen und klagen, da der, der ihm der Liebste auf Erden war, jetzt auf der Seite seiner Feinde stand?

Wie bereute er es, daß er den spröden Jüngling zu seiner reizenden, verführerischen Geliebten geführt hatte. Wenn sie ihm gefällt, dachte er, wenn er ihren Umgang wünscht, warum sagt er es mir nicht, warum verschweigt er es mir so geflissentlich? Und sie – warum hat sie ihn verleugnet und gescholten? Alles ist so gestaltet, als wenn es so böse und verderblich wäre, daß es sich verhüllen müßte.

Diejenigen, die im Unglück, oder im Zwiespalt ihrer Seele zu Freunden oder Bekannten sprechen, klagen und erzählen können, sind nicht so ganz elend, denn in der lebhaften Rede, in den Tränen, die die vertraute Hand abtrocknet, gewinnt das Leiden allgemach die Gestalt eines fremden; es wird, so wie es sich in Worten vom Herzen ablöset, eine Geschichte und Erzählung, die als ein Fernes, aber Rührendes, den Erzähler selber bewegt, und ihm in den Tränen selbst den Trost zuführt. Wer aber alle zermalmenden Empfindungen in sich verschließt, der wird im Kampf der Leidenschaft an sich selber irre; wie an ein Märchen, wie an ein Unmögliches steigt die Erinnerung an seine Schmerzen in ihm auf, und wie er auch verletzt und von andern gemißhandelt ist, so dünkt ihm in der Verwirrung der Seele, ihm sei recht geschehn, er habe nur das Wohlverdiente erfahren.

In der Nacht schlief William nur wenig, und in diesen Minuten ängstigten ihn schwere Träume. Am Morgen fühlte er sich zerstört und irre, doch ging er aus, um Southampton zu besuchen. Der Diener sagte ihm wieder, sein Herr sei nicht zu Hause, und der Gekränkte hatte diesmal die Empfindung, der Freund seiner Seele lasse sich vor ihm verleugnen. Am Nachmittage ging er zu Rosalinen. In der Straße begegnete ihm Southampton, er rannte dem Dichter mit einigen flüchtigen Worten vorüber, hochrot im Gesicht; dieser glaubte, ihn aus Rosalinens Tür kommen zu sehen. Sie war wieder verlegen, klagte über Kopfschmerz und Fieber, und bat den Dichter, sie in einer glücklichern Stunde zu besuchen.

Sein Leben war wie ein Traum. Er konnte sich nicht beschäftigen.[541] Wenn er dichten wollte, schwebte ihm nur der Refrain einer alten Ballade vor, die er vor langer Zeit gehört hatte: »Die Freundschaft ist falsch, und die Liebe nur Träumen.« – Es schien ihm eine Art von Glück, daß er in dieser Zeit auf der Bühne, die er erst in vier Monaten verlassen konnte, sehr beschäftigt war. Und doch schämte er sich seines Berufs und Standes, und wünschte wieder wie ehemals Schreiber bei einem Advokaten zu sein. Wenn seine Stücke, oder sein Spiel beklatscht wurden, so hätte er laut lachen mögen, denn ihm war, als wenn es ihm gar nicht gelten könne. Auch war ja jede Tirade von der Treue der Liebe, von dem Göttlichen der Freundschaft, indem die zuhörende Menge sie fühlte und verstand und ihren Beifall bezeugte, wie ein Hohn auf ihn selbst. Das Edle, Große erschien ihm in diesen trübseligen Momenten als das Abgeschmackte, und er konnte es nicht begreifen, wie er sich nur jemals dafür hatte erwärmen können. Da dachte er an die neuliche Prophezeiung des strengen Ellis, des Puritaners, und weinte bitterlich. –

In dieser Verwirrung des Gemütes rief er den Beistand der Musen an, und dichtete die schmerzlichsten Sonette, die er aber verborgen hielt und verschloß, daß sie niemals ein andres Auge als das seinige sehen solle. Die früheren auf seinen schönen Freund hatte er wohl denen, die ihm näher standen, mitgeteilt. Er begegnete diesem Freunde zuweilen auf der Gasse, sprach aber nur wenige Worte mit ihm, denn jener schützte immer große Eile vor. Er ging auch wieder zu Rosalinen, aber nur auf kurze Zeit, denn sie war immer verlegen, indem sie Krankheit vorgab, oder Verdruß mit ihrer Familie, um ihre Verstimmung, ihm gegenüber, zu entschuldigen.

So waren einige Wochen verflossen, und Shakespeare war von der doppelten Untreue des Freundes wie der Geliebten überzeugt, und dennoch suchte seine Imagination mit quälendem Scharfsinn Möglichkeiten auf, die ihm beweisen sollten, daß alles nur Täuschung sei. Er stritt sophistisch mit sich selber, um sich alle seine Erfahrungen abzuleugnen.

An einem Abend, indem er wie gedankenlos durch die Stadt schlenderte, war er wieder, ohne es zu wissen, in die Straße Rosalinens geraten; es fing schon an finster zu werden, und er sahe deutlich, wie der Graf in das Haus seiner treulosen Geliebten schlüpfte. Er wollte sich nochmals überzeugen, klopfte, und der Diener beteuerte, daß seine Gebieterin nicht daheim sei, auch nur sehr spät zurückkommen werde.[542]

»Habe ich sie denn je geliebt?« rief der Dichter, von neuem der Verzweiflung hingegeben. »Aber so ist der törichte Mensch, der unsinnige! Ich hätte sie verlassen können, vielleicht mit Leichtsinn, vielleicht mit Schmerz, aber daß sie mich aufgibt, deren Besitz ich als sichres, leicht errungenes Eigentum ansah, das quält mein Herz. Und daß Er, Er, oh, oh! dieser liebe, einzige, gehaßte und angebetete Mensch sie mir raubt, daß er sich mir von dieser Sirene entziehen läßt, ja dieser Schmerz ist über allen Schmerz. Ich kann es mir nicht abstreiten, der Jammer, den ich jetzt erlebe, diese Zerrissenheit, die Selbstverachtung ist schneidender, als alles, was ich bisher überstanden habe. Ja, ich ward geboren, um zu empfinden, um zu durchleben, daß ich für ein Weib rase, die ich im innersten Herzen verachte, die ich stets verachtet habe. Ist sie nicht die Kleopatra, für die ich alles, was ich besitze, vergeude, die mein Dasein vernichtet, und mir meine teuersten Gefühle, meinen liebsten Freund ermordet vor die Füße wirft?«

Ein wilder Zorn bemächtigte sich seiner. Raschen Schritts ging er auf die Wohnung zu, um noch einmal zu pochen und dann mit Gewalt in die innern Zimmer der Ungetreuen zu dringen. Indem er sich heftig wendete und fühlte, wie seine Augen Zorn und Feuer sprühten, war ihm plötzlich, als riefe ihn jemand und faßte ihn von hinten am Mantel. Er sah sich um, und alles war dunkle Nacht und die Straße leer. Da trat ihm das Bild Marlowes, und dessen schrecklicher Untergang vor die Augen. Eine sonderbare Rührung überfiel ihn, ein kalter Schreck rieselte den Rücken hinab und zitterte durch alle Nerven fort. Ihm war, als wenn er sich selber als Gespenst wahrgenommen hätte.

Ja wohl, sagte er zu sich, nachdem er sich von diesem Entsetzen erholt hatte, wohl bin ich nicht anders, als dieser verblendete Unglückliche. Ich erlebe seine Empfindungen, diese Wut, die Zerstörung des innern Wesens: aber dieser feierliche Augenblick macht es mir möglich, sein Ende zu vermeiden und mich selber wiederzufinden. War es nicht eine himmlisch süße, eine zauberhaft lockende Empfindung, die mich in diese Liebe, in diese Freundschaft führte? Und in welche Hölle haben mich diese täuschenden Engel gestürzt, die den Schein des Lichtes an sich nahmen!

Er kehrte in der kühlen Nacht in sein stilles Zimmer zurück. Eine wundersame Seligkeit des tiefsten Schmerzes strömte durch seinen Busen. Er fühlte sich glücklich, daß er seinem[543] Freunde so viel zu vergeben und er diesen nicht gekränkt hatte. Er sah ein, wie wenig dessen unerfahrne Jugend der klugen Zauberin hatte widerstehn können. Wie etwas seltsam Törichtes überschlich es ihn, daß er Treue von dieser Sirene hatte erwarten können, der er, seltsam genug, den Freund mit Gewalt zugeführt hatte. Mit diesem Gefühl des Lächerlichen mischte sich innigst Schmerz der Liebe, und die Wehmut, wie vergänglich alle irdischen Güter, Schönheit und Reiz sind, und wie vielen Täuschungen die Freundschaft unterworfen sei.

Er konnte, von diesem sanften Schmerz begleitet, seine Arbeiten wieder vornehmen. Diese und die Welt selbst erschienen ihm freilich seit dieser Verwandlung in einem andern Lichte. Als er nach einigen Tagen nach dem Theater ging, begegnete ihm Florio, der diesmal sehr zornig war. »Da seid Ihr ja«, rief er ihm entgegen, »Ihr Poetaster! Neuerdings und wiederum beweiset es sich klar und augenfällig, daß alle solche verdrehte Ingenia, die dem Klassischen nicht zu huldigen verstehn, auch mit dem Mangel des Geschmackes Moral, Tugend und Charakter einbüßen. Treffliche Sachen, Entführungen, Verführungen habe ich erfahren müssen. Jene Kleopatra ist mit meinem Zöglinge, dem jungen Grafen Heinrich, davongegangen, wohin, weiß kein Mensch zu sagen. Aber die verruchte Verführerin war von Eurer poetischen Bekanntschaft. Die Mutter des Grafen ist außer sich, deren jetziger Gemahl erzürnt, und hier soll ich Euch, der Ihr von allem die Schuld tragt, ein Sendschreiben des Poeten Daniel einhändigen, eines wirklichen und wahrhaftigen Poeten, der aber auch freilich nicht für die Bühnen der Stadt seine Muse anzurufen pflegt. Mich und meine Würde hat der Graf am allerschlimmsten verletzt. Unter dem Vorwande, jener Lalage Unterricht im Italienischen zu geben, wurde ich zum Briefträger gemißbraucht; beide erzählten mir, daß sie einander Exercitia, oder Sonette und dergleichen zusendeten, über die sie die gegenseitige Meinung erfahren wollten, und diese anmaßlichen, vorgeblichen Sonette waren nichts anders als Liebes-Episteln, in welchen sie sich Bestellungen gaben, allwo und an welchen Orten sie sich finden und treffen möchten. Dergleichen hat der Jüngling nun wohl aus Euern Komödien gelernt.«

Der Zürnende entfernte sich mit majestätischen Schritten. Als Shakespeare den Brief des Dichters las, ward er von Unmut ergriffen, denn Daniel, den er achten mußte, und der bei allen Ständen als ein rechtlicher Mann und vorzüglicher Geist in[544] Ansehn stand, im Hause Southamptons aber einer vorzüglichen Gunst genoß, meldete ihm, daß man die Verirrung des Grafen, seine plötzliche Abreise mit einer Frau, die nicht im besten Rufe stände, hauptsächlich ihm zuschriebe, weil er, fast mit Gewalt, den Jüngling zuerst zu Rosalinen geführt habe. Die Mutter des Grafen, sowie die übrigen Mitglieder der Familie, seien deshalb über ihn erzürnt, weil man sich keine verständige Ursache eines solchen Benehmens denken könne. Ein zweites Unglück sei aber noch hinzugekommen, daß ein junges unerfahrnes Mädchen, Emmy, in die Netze des Jünglings, die er von der erfahrnen Buhlerin erst habe stricken lernen, gefallen sei; von ihren Verwandten aufgegeben und verstoßen, habe die Mutter des Grafen sich der armen Verführten annehmen müssen. Alle diese traurigen und verdrüßlichen Vorfälle schreibe man nun dem Schauspieldichter zu, als dem schlimmen Veranlasser, und der Briefsteller selbst könne die Sache auch aus keinem andern Gesichtspunkte ansehn.

Im Übermut des Lebens hatte Shakespeare freilich diese traurigen Begebenheiten, und was sich von übel wollenden Gemütern daraus folgern lasse, nicht vorhergesehn. Diese Verwicklungen, so frei er sich von Schuld wußte, kränkten und ängstigten ihn. Sollte er in weitläufiger Auseinandersetzung, wie alles geschehn, den sanften, schwachen Daniel zum Richter über sich setzen? Er unterließ es, diesem zu antworten, obgleich er wußte, daß man daraus wieder schlimme Folgerungen ziehen würde. So rächte sich die Vieldeutigkeit des Lebens an ihm zu empfindlich dafür, daß er im fröhlichen Gefühl seines Glücks jene Rücksichten und Ängstlichkeit übersehn hatte, von denen sich kältere Menschen lenken und regieren lassen.

Er machte auf der andern Seite die sonderbare Erfahrung, daß seine Arbeiten leichter und schneller vorrückten, als jemals, daß er geistreicher und witziger schreiben konnte, als früher, und daß es ihm gelang, noch schärfer seine dramatischen Personen zu zeichnen. Denn da er sich gern aller früheren Erinnerungen entschlagen wollte, so versenkte er sich so ganz und völlig in die Welt seiner Dichtung, daß es ihm wirklich gelang, auf Stunden die wirkliche zu vergessen. So ward das, was anfangs nur hatte Zerstreuung sein sollen, Trost und Arznei für ihn, und er erfuhr an sich, was schon die Alten von der hülfreichen Gegenwart der Musen ausgesagt hatten.

Schmerzlich war es freilich, aus diesem Zustand der Seligkeit wieder zu erwachen, wieder aus seinen glänzenden Träumen[545] aufzublicken, um zu sehn, wie die dürre Gegenwart, die finstern Schmerzen ihm wieder näher schritten. Dann, vorzüglich am Abend und in der Nacht, ergab er sich wieder den Träumen und den Tränen der Sehnsucht.

So saß er wieder einmal am Abend, indem der Vollmond in sein Zimmer schien, und ließ alle Schmerzen wieder sein Herz besuchen. Da hörte er mit leichtem Gange jemand die Treppe zu sich hinaufsteigen. Dieser Schritt war ihm nur zu wohl bekannt, nur sein Freund Southampton bewegte sich so leicht im Gehn. Erschreckt sprang er auf, und schob den Riegel vor seine Tür, indem er zugleich das Licht auslöschte. Der Fremde klopfte an, versuchte dann zu öffnen, klopfte wieder, und stand eine Weile horchend. Shakespeare war tief erschüttert, und wagte kaum zu atmen. Nach einer Weile klopfte der Besuchende wieder, und da keine Stimme antwortete, sagte er mit leisem, freundlichem Ton: »Willy! – Mein Willy! – Mein liebster William!« – Alles blieb still, dann hörte der Dichter, wie sein Freund draußen herzlich weinte, indes ihm selbst die heißen Tränen über die Wangen strömten. Doch konnte er sich nicht entschließen, die Tür zu öffnen, oder nur einen Laut hören zu lassen, und so schied ein dünnes Brett mehr wie eine unermeßliche Kluft dieselben Menschen, die sich vor wenigen Wochen noch die nächsten und unentbehrlichsten gewesen waren. Als Southampton sah, daß der Freund unerbittlich war, ging er von Tränen erschöpft schwer und langsam die Stufen hinunter, die er so leicht und schwebend erstiegen hatte.

Der Dichter, nachdem er sich in seinem Schmerze gesättigt, begriff sich und seine Grausamkeit nicht, da er ja dem Freunde schon alles verziehen hatte. Er brachte die Nacht schlaflos auf seinem Lager zu, und nahm sich vor, den klagenden bereuenden Freund mit der Frühe des Morgens aufzusuchen. Aber wie? sagte er zu sich selbst; wenn er mir nun auch hartherzig seine Türe verschließt? Habe ich dies nicht um ihn verdient? Wenn nun diese Tränen das letzte Opfer seiner Freundschaft waren? Wenn er sich nun auf ewig abwendet?

Mit klopfendem Herzen ging er am Morgen zum Freunde. Der Diener wies ihn in den Garten, und sowie der Graf des Freundes ansichtig wurde, sprang er ihm schnell wie ein Reh entgegen, und warf sich ihm lachend und laut weinend an die Brust. »Da bist du ja doch!« rief er aus; »ich glaubte schon, du wolltest mich niemals wiedersehn. Oh, Bester, gestern, gestern bist du schlimm mit mir gewesen; nein, das war zuviel,[546] denn ich wußte ja doch, daß du in deinem Zimmer warst. Ja, ich habe dir freilich auch wohl weh getan, ach! auf so vielfache Weise; ja, du hast viel um mich gelitten, und ich kann nicht aussprechen, wie es mein Herz zerschnitt, wenn wir uns begegneten, und du warst so blaß, und sagtest doch kein Wort. Nein, kein Mensch kann so, wie du, den Schmerz in sich verschließen. Diese Größe des Gemüts erhebt dich auch noch über alle übrigen Menschen.«

Die Freunde sprachen sich aus unter Tränen und Versicherung neuer, ewig fester Freundschaft. »Nun das reizende Gespenst uns nicht mehr stören kann«, sagte Southampton, »sind wir inniger als jemals vereinigt. Welcher Zauber liegt und herrscht in solchem Weibe, welcher Wahnsinn tobt in der sogenannten Liebe. Du weißt ja, wie ich es vermied, sie zu sehn, wie sie mir mißfiel, als ich sie gesehen hatte. Und doch zog mich mein Gefühl, im Widerstreit mit sich selbst, wieder zu ihr hin. Ich hatte nicht den Mut, dir diese Tollheit zu gestehn, war dies wilde Gelüste doch auch schon eine Treulosigkeit gegen dich. Sie hatte mich ebenso ungeduldig erwartet, als es mich heftig zu ihr getrieben hatte. Wir verstanden uns sogleich, und alles, was mir an ihr mißfallen hatte, verwandelte sich unbegreiflich in ebensoviel Reiz. Sie verhärtete mich gegen dich und lachte und lehrte, in der Liebe müsse alle Treue zum Freunde aufhören, diese Probe könne kein Sterblicher bestehn, auch dürfe kein Freund dergleichen erwarten. Die Leidenschaft der Liebe löse alle Verbindungen und Eide. Ich glaubte der schönen Circe nur gar zu leicht, und war durchaus von ihr verwandelt, denn mein voriges Leben hatte allen Reiz für mich verloren. In manchen Stunden erkannte ich mich selbst nicht wieder. Ich konnte ohne die Verderbliche nicht leben, jede Stunde, in der ich sie nicht sah, war mir eine Angst, und doch liebte ich sie nicht, mir war, als wenn ich sie zuweilen haßte, nicht bloß, weil sie mich von dir getrennt hatte, sondern weil mir ihre Gesinnung, ihr Wesen, ihre Gebärde zuwider waren. In diesem Taumel der aufgereizten Sinne sah ich jenes liebliche blonde Kind, die zarte aus der Knospe blühende Emmy wieder, mir schien, ich liebte diese, wie zum Trotz jener herrschsüchtigen Rosaline; mit immer stärkerer Begier sah und verfolgte ich sie, und die Ärmste glaubte meinen Schwüren und traute meiner scheinbaren Liebe. Ich machte mir die bittersten Vorwürfe und freute mich doch meines Triumphs. So erzählt man vom gezähmten Löwen, daß er, wenn er wieder Blut gekostet, auch[547] den eignen Wärter zerreißt. So war ich plötzlich, der noch kurz zuvor kein Auge für den Reiz des Weibes gehabt hatte, plötzlich den wildesten Leidenschaften hingegeben und war unersättlich in meinem Wahnsinn. So war mir, aus Scham vor dir, aus Reue und durch tausend bittre Empfindungen, London lästig geworden. Rosaline wünschte sich auch hinweg, und so zogen und flohen wir plötzlich nach Bristol, von da nach Wallis. Aber hier in der Einsamkeit erwachte mein besseres Herz. Meine Ungeduld war ihr lästig und mir wurde ihre Heftigkeit verhaßt. Wir stritten, wir zankten und versöhnten uns. Ich kann nicht leugnen, daß ich nun auch gegen sie schlecht und undankbar wurde, aber sie hatte es freilich verschuldet. Wir trennten uns im Zorn. Sie ging nach Paris, um dort ihren alten Mann aufzusuchen. Ich hörte seitdem, sie ist nach einer wild durchschwärmten Nacht, an den Folgen des zu heftigen Tanzes gestorben.«

Shakespeare setzte sich in der Laube nieder und war in tiefen Gedanken. »So ist denn«, sagte er endlich, »auch dieses schöne, wundersame Spielwerk so schnell von der Natur zerbrochen, und der kalten Erde zurückgegeben worden! Ja freilich mußte in deiner ungestümen Hand, mein Heinrich, diese zu künstliche Harfe zerbrechen. Durch diese Leidenschaft, die sie vorsätzlich und gewaltsam in sich erregte, hat sie selbst ihren Untergang herbeigerufen, da sie außerdem wohl noch lange die Zier der Stadt und die Lust aller Augen gewesen wäre. Doch in der Jugend schnell und tragisch zu enden, ist auch schön.«

Southampton sah ihm freundlich in die treuen Augen und fuhr dann fort: »Ich bin dir ganz zurückgegeben, mein einziger Freund, aber eine Kränkung, nicht bloß die gestrige, habe ich auch nicht verschmerzen können. Mein Geschenk hast du mir in einem kurzen, bittern Briefe zurücksenden wollen, weil es dir nun nicht mehr zieme, daß du das früher Angenommene behieltest. Der Gedanke ist, hoffe ich, ganz vergessen und untergegangen. Sollte dein Vater, deine Familie unter unserm vorübergehenden Zwiste leiden, auch wenn du im Recht wärest? Solltest du deshalb deine Laufbahn, die du ehrenvoll erweitern kannst, wieder verkürzen? Ein zweites war der Widerwille, den meine Familie, der gutmeinende Daniel und selbst der unkluge Florio auf dich geworfen hatten. Bei allen habe ich dich schon entschuldigt und gerechtfertigt, und hier ist ein andrer Brief Daniels, in welchem er dich um Verzeihung bittet, und hier eine Einladung meiner Mutter, sie wieder einmal[548] auf ihrem Schlosse zu besuchen. Nichts Lächerlicheres auf der Welt, als wenn ein junger Mensch, so wie ich, dumme und schlechte Streiche macht, daß sie nicht seine eigne Kraft, sein Talent und seine Verderbtheit beweisen sollen. Da muß ein Freund ihn verführt und alles Unglück veranlaßt haben.«

Der Dichter blieb bei dem Grafen, er speiste mit ihm, und die beiden Versöhnten feierten glücklich und zufrieden das Fest ihrer erneuerten Freundschaft.

Sie liebten sich wie sonst und Shakespeare fühlte sich glücklich, aber dennoch empfand er auch, wie ihm ein Teil seiner Seele entrissen und verloren sei. Derjenige, der die Hand einbüßte, verschmerzt und vergißt den Verlust, er lebt heiter und froh, aber bei Gefahr, wo ihm die Kraft helfen soll, entbehrt er das verlorne Glied, und oft, wenn ihn Leiden treffen und Krankheit, schmerzt jene längst verwesete Hand ihm, sonderbar genug, am empfindlichsten. Und so war es dem Dichter von jetzt für seine ganze Lebenszeit. Der jetzige Heinrich konnte ihm niemals wieder zum früheren werden.

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden. Band 3, München 1963, S. 423-549.
Erstdruck in: Novellenkranz. Ein Almanach auf das Jahr 1831, Berlin 1831.
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