II

[379] In der ersten Zeit nach seiner Ankunft war Nikolai ernst und sogar verdrießlich. Ihn quälte die bevorstehende Notwendigkeit, sich mit diesen dummen Wirtschaftssachen abzugeben, um derentwillen ihn die Mutter hergerufen hatte. Um so schnell wie möglich diese Last vom Herzen loszuwerden, begab er sich am dritten Tag nach seiner Ankunft mit zornig zusammengezogenen Brauen, ohne auf die Frage, wohin er gehe, zu antworten, in das Nebengebäude zum Geschäftsführer Dmitri und forderte von ihm »die Abrechnungen über alles«. Was eigentlich mit diesen »Abrechnungen über alles« gemeint war, daß wußte Nikolai noch weniger als der bestürzte, erschrockene Dmitri. Das Gespräch und Dmitris Rechnungslegung dauerten nicht lange. Der Dorfschulze, sein Gehilfe und der Gemeindeschreiber, die im Vorzimmer des Nebengebäudes warteten, hörten zuerst mit Angst und Schadenfreude, wie die Stimme des jungen Grafen, immer stärker anschwellend, wetterte und donnerte, und wie Schelt- und Drohworte einander überstürzten.

»Du Räuber! Undankbare Kanaille! Tot schlage ich dich, du Hund! Ich bin nicht so wie mein guter Papa ... Bestohlen hast du uns ...« usw.

Und dann sahen diese Leute mit nicht geringerer Schadenfreude und Angst, wie der junge Graf mit kirschrotem Gesicht und blutunterlaufenen Augen den Geschäftsführer Dmitri, den er am Kragen gepackt hatte, aus dem Zimmer schleppte, ihm mit dem Fuß und dem Knie zu passender Zeit zwischen seinen Schimpfworten mit großer Gewandtheit Stöße gegen die Hinterseite versetzte und ihm zuschrie: »Hinaus! Daß du dich hier nie wieder blicken läßt, du Schurke!«

Dmitri flog kopfüber die sechs Stufen vor der Haustür hinab[380] und lief in das Boskett. Dieses Boskett war ein bekannter Zufluchtsort für die Verbrecher in Otradnoje. Dmitri selbst versteckte sich oft in diesem Boskett, wenn er betrunken aus der Stadt kam, und viele Bewohner von Otradnoje, die ihrerseits Anlaß hatten sich vor Dmitri zu verstecken, kannten ebenfalls die rettende Macht dieses Bosketts.

Dmitris Frau und seine Schwägerinnen steckten mit erschrockenen Gesichtern die Köpfe aus der Tür eines anderen Zimmers nach dem Flur hinaus; durch die Tür sah man, daß drinnen ein sauberer Samowar siedete und ein hohes Bett mit einer aus kleinen Tuchstücken zusammengesetzten Steppdecke stand.

Ohne die Frauen zu beachten, ging der junge Graf ganz außer Atem mit festen Schritten an ihnen vorbei und begab sich wieder nach dem herrschaftlichen Haus.

Die Gräfin, die durch die Stubenmädchen sogleich erfahren hatte, was im Nebengebäude vorgefallen war, fühlte einerseits eine gewisse Befriedigung, insofern sie meinte, nun müßten sich ihre Vermögensverhältnisse wieder bessern, andrerseits aber beunruhigte sie sich darüber, wie ihrem Sohn diese Aufregung bekommen werde. Mehrere Male ging sie auf den Zehen an seine Tür und horchte, wie er eine Pfeife nach der andern rauchte.

Am andern Tag rief der alte Graf seinen Sohn beiseite und sagte zu ihm mit schüchternem Lächeln:

»Weißt du, liebster Sohn, du hast dich ganz ohne Grund aufgeregt. Dmitri hat mir alles auseinandergesetzt.«

»Das wußte ich ja«, dachte Nikolai, »daß ich hier in dieser verrückten Welt nie für etwas Verständnis haben werde.«

»Du bist zornig geworden, weil er die siebenhundert Rubel nicht eingetragen hatte. Aber sie sind ja in seinem Buch als Transport angeschrieben, und du hast die andere Seite nicht angesehen.«

»Lieber Papa, er ist ein Schurke und Dieb, das weiß ich. Und[381] was ich getan habe, das habe ich getan. Aber wenn Sie es nicht wollen, werde ich ihm nie wieder etwas sagen.«

»Nicht doch, liebster Sohn« (der Graf war ebenfalls verlegen; er war sich bewußt, daß er das Gut seiner Frau schlecht verwaltet und seinen Kindern gegenüber eine Schuld auf sich geladen hatte, und wußte nicht, wie er das wieder zurechtbiegen könnte), »nicht doch! Ich bitte dich vielmehr, dich der Geschäfte anzunehmen; ich bin ein alter Mann, ich ...«

»Nein, lieber Papa; verzeihen Sie mir, wenn ich etwas getan habe, was Ihnen unangenehm ist; ich verstehe von diesen Dingen weniger als Sie.«

»Hol das alles der Teufel: diese Bauern und diese Geldgeschichten und diese Transporte auf der Seite«, dachte er. »Mit Paroli und andern Kunstausdrücken beim Pharao habe ich früher einmal Bescheid gewußt; aber Transport auf der Seite, davon verstehe ich nichts.« Seitdem mischte er sich in die Geschäfte nicht mehr ein. Nur einmal rief die Gräfin ihren Sohn zu sich auf ihr Zimmer, teilte ihm mit, daß sie einen Wechsel von Anna Michailowna über zweitausend Rubel besäße, und fragte ihn, wie er damit zu verfahren gedenke; sie überlasse es ganz ihm.

»Das will ich Ihnen sofort zeigen«, antwortete Nikolai. »Sie haben gesagt, daß es von mir abhängt. Nun, ich kann Anna Michailowna nicht leiden und ihren Boris ebensowenig; aber sie waren mit uns befreundet und sind arm. Also sehen Sie her: so!« Er zerriß den Wechsel; die alte Gräfin aber war über diese Handlungsweise so gerührt, daß sie vor Freude schluchzte. Nach Erledigung dieser Angelegenheit kümmerte sich der junge Rostow um die Geschäftssachen gar nicht mehr, sondern widmete sich mit leidenschaftlichem Interesse dem ihm noch neuen Vergnügen der Hetzjagd, die bei dem alten Grafen in großem Maßstab betrieben wurde.

Quelle:
Tolstoj, Lev Nikolaevic: Krieg und Frieden. 4 Bde., Leipzig 1922, Band 2, S. 379-382.
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