[190] Der sogenannte Freischarenkrieg begann mit dem Einzug des Feindes in Smolensk.
Ehe noch der Freischarenkrieg von unserer Regierung offiziell gutgeheißen war, waren schon Tausende der Feinde (Nachzügler, Marodeure, Furageure) von den Kosaken und Bauern getötet worden, die diese Leute ebenso selbstverständlich niederschlugen, wie Hunde einen verlaufenen tollen Hund totbeißen. Denis Dawydow mit seinem feinen russischen Instinkt war der erste, der die Bedeutung dieses furchtbaren Knüttels begriff, dieses Knüttels, der, ohne nach den Regeln der Kriegskunst zu fragen, die Franzosen vernichtete, und ihm gebührt der Ruhm, den ersten Schritt zur Legalisierung dieser Methode der Kriegführung getan zu haben.
Am 24. August wurde Dawydows erstes Freikorps gebildet, und bald nach diesem bildeten sich viele andere. Je länger der Feldzug dauerte, um so mehr wuchs die Zahl dieser Freischaren.
Die Freischärler vernichteten die große Armee stückweise. Sie sammelten die abgefallenen Blätter, die sich von selbst von dem vertrockneten Baum, dem französischen Heer, losgelöst hatten,[190] und schüttelten diesen Baum auch manchmal. Im Oktober, als die Franzosen in der Richtung auf Smolensk zu flohen, gab es solche Scharen zu Hunderten, und zwar von sehr verschiedener Größe und sehr verschiedenem Charakter. Es gab Freischaren, die alle Einrichtungen eines Heeres übernommen hatten, mit Infanterie, Artillerie, Generalstab und allerlei Annehmlichkeiten des Lebens; es gab solche, die nur aus Kavallerie, aus Kosaken, bestanden; es gab kleine, die aus Fußvolk und Reiterei gemischt waren; es gab solche, die aus Bauern und Gutsbesitzern bestanden und von denen weiter niemand etwas wußte. Da war ein Küster Anführer einer Schar und machte im Laufe eines Monats mehrere hundert Gefangene; da war eine Schulzenfrau Wasilissa, die Hunderte von Franzosen totschlug.
Das letzte Drittel des Oktober bildete den Höhepunkt des Freischarenkriegs. Die erste Periode dieses Kriegs, wo die Freischärler noch selbst über ihre Kühnheit erstaunt waren, jeden Augenblick fürchteten von den Franzosen erwischt und umringt zu werden und, ohne abzusatteln und fast ohne je von den Pferden herunterzukommen, sich in den Wäldern verbargen, jeden Augenblick eines Angriffs gewärtig, diese Periode war schon vorüber. Jetzt hatte diese Art der Kriegführung bereits eine bestimmte Gestalt angenommen, und alle waren sich darüber klar, was man gegen die Franzosen unternehmen könne und was nicht. Jetzt hielten nur noch die Anführer derjenigen Korps, welche nach den Regeln der Kriegskunst, mit Generalstäben, in weiterer Entfernung von den Franzosen einherzogen, vieles für unmöglich; die kleinen Freischaren dagegen, die ihre Tätigkeit schon vor längerer Zeit begonnen und sich die Franzosen aus der Nähe angesehen hatten, hielten gar manches für möglich, woran die Anführer größerer Korps nicht einmal zu denken wagten. Die Kosaken und Bauern aber, die zwischen den Franzosen[191] umherschlichen, waren der Ansicht, daß jetzt schon geradezu alles möglich sei.
Am 22. Oktober befand sich Denisow, der eine Freischar kommandierte, mit seinen Leuten auf der höchsten Höhe leidenschaftlicher Begeisterung für diese Art des Krieges. Seit dem frühen Morgen war er mit seiner Abteilung auf dem Marsch gewesen. Er war den ganzen Tag über durch die Wälder, die an der großen Heerstraße lagen, einem großen französischen Transport von Kavalleriesachen und russischen Gefangenen gefolgt, der sich von den anderen Truppen getrennt hatte und unter starker Bedeckung, wie durch Kundschafter und Gefangene bekanntgeworden war, in der Richtung auf Smolensk dahinzog. Von diesem Transport hatten nicht nur Denisow und Dolochow Kenntnis erlangt (der letztere befehligte gleichfalls eine kleine Freischar und verfolgte nicht weit von Denisow dieselbe Richtung), sondern auch die Befehlshaber größerer Korps mit Generalstäben; alle wußten sie von diesem Transport und leckten sich, wie Denisow sagte, schon die Lippen danach. Zwei von diesen Befehlshabern größerer Korps, der eine ein Pole, der andere ein Deutscher, hatten fast gleichzeitig zu Denisow geschickt, und jeder von ihnen hatte ihn aufgefordert, mit seiner Abteilung zu ihm zu stoßen, um vereint den Transport zu überfallen.
»Nein, Bruder, dazu bin ich selbst Manns genug«, sagte Denisow, nachdem er diese Zuschriften gelesen hatte, und schrieb dem Deutschen zurück, obwohl er den lebhaften Wunsch hege, unter einem so ausgezeichneten, berühmten General zu dienen, müsse er sich dieses Glück doch versagen, da er sich bereits unter den Oberbefehl des polnischen Generals gestellt habe. Dem polnischen General aber schrieb er dasselbe, indem er ihn benachrichtigte, daß er schon unter das Kommando des Deutschen getreten sei.[192]
Bei dieser Erledigung der beiden Anträge war Denisows Absicht, ohne jenen höheren Befehlshabern davon Mitteilung zu machen, im Verein mit Dolochow den Transport mit seinen geringen Streitkräften anzugreifen und zur Beute zu machen. Der Transport zog am 22. Oktober vom Dorf Mikulino nach dem Dorf Schamschewo. Auf der linken Seite des Weges von Mikulino nach Schamschewo zogen sich große Wälder hin, die an manchen Stellen bis dicht an den Weg heranreichten, an anderen vom Weg eine Werst und mehr zurückwichen. Durch diese Wälder war Denisow den ganzen Tag über mit seiner Schar geritten, bald tief in ihr Inneres eintauchend, bald an den Saum herauskommend, aber ohne je die dahinziehenden Franzosen aus den Augen zu verlieren. Am Morgen hatten nicht weit von Mikulino, da, wo der Wald dicht an den Weg herantrat, Kosaken von Denisows Freischar zwei im Schmutz steckengebliebene französische Trainwagen mit Kavalleriesätteln erbeutet und in den Wald gebracht. Von da an bis zum Abend war die Freischar, ohne anzugreifen, dem Marsch der Franzosen gefolgt. Man mußte sie, ohne sie zu erschrecken, ruhig nach Schamschewo gelangen lassen und dann nach erfolgter Vereinigung mit Dolochow, der gegen Abend zu einer Beratung nach einem Waldwächterhäuschen im Wald eine Werst von Schamschewo kommen sollte, bei Tagesanbruch von zwei Seiten völlig überraschend über sie herfallen und sie alle mit einemmal niedermachen oder gefangennehmen.
Im Rücken, zwei Werst von Mikulino, dort, wo der Wald dicht an den Weg herantrat, waren sechs Kosaken zurückgelassen, die sogleich Meldung bringen sollten, falls sich neue französische Kolonnen zeigten.
Vor Schamschewo sollte in derselben Weise Dolochow den Weg rekognoszieren, damit man wisse, in welcher Entfernung sich noch andere französische Truppen befänden. Bei dem Transport vermutete[193] man fünfzehnhundert Mann. Denisow hatte zweihundert Mann, und Dolochow mochte ebensoviel haben. Aber durch diese numerische Überlegenheit ließ Denisow sich nicht abschrecken. Nur eines mußte er noch wissen: was für Truppen es eigentlich waren; und zu diesem Zweck mußte Denisow eine »Zunge« fangen, d.h. einen Mann von der feindlichen Kolonne. Bei dem Überfall am Morgen auf die Trainwagen war alles so eilig zugegangen, daß sie die bei den Wagen befindlichen Franzosen alle niedergemacht und nur einen wegen Erschöpfung hinter der Kolonne zurückgebliebenen Knaben, einen Tambour, gefangengenommen hatten, der aber nichts Zuverlässiges darüber aussagen konnte, aus was für Truppen die Kolonne bestehe.
Noch einen zweiten Überfall zu unternehmen, hielt Denisow für gefährlich, um nicht die ganze Kolonne zu alarmieren, und darum hatte er einen bei seiner Freischar befindlichen Bauer Tichon Schtscherbaty abgesandt, der, wenn es möglich wäre, wenigstens einen der vorausgeschickten französischen Quartiermeister wegfangen sollte.
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