Sieben und zwanzigstes Kapitel

[281] Man sage, was man will, der Krieg, zu Wasser oder zu Lande, verwildert die Naturen, giebt dem Hange zum unstäten Leben Nahrung, erhält in steter Spannung und befriedigt nur durch große, entscheidende Katastrophen; nur das Große und Riesenmäßige genügt den Mitwirkenden. Daß Lindenhain, der von der Natur so ganz zum Soldaten geeignet war, sich eine Zeit lang in der ländlichen Stille, in friedlicher Thätigkeit, in zweier lieblichen Weiber Mitte gefiel, war mehr der Neuheit und Seltenheit wegen, als daß es seinem innern Geschmack zugesagt hätte. Bald wurde es ihm zu enge; er schnappte nach Luft; ihm war nur wohl, wenn er des Tages ein paar Pferde müde geritten hatte; und endlich war's auch Albertinen wohl, so herzlich sie ihn liebte, wenn sich das liebe Ungethüm vom Hause entfernte.[281]

Angefeuert durch das Beispiel der Freundinnen, ergab sich Albertine jetzt mehr, als je, den Künsten; es freute dann Lindenhain wohl, wenn unter ihrem Pinsel etwas Meisterhaftes entstand, aber er schalt doch auch, wenn etwas Wirthschaftliches versäumt oder aufgeschoben war. Er bedachte nicht, daß es in der Natur der Dinge liegt, und daß es unbillig ist, vom Weibe zu fordern, was der seltne Mann nur vermag: allem zu genügen. Würde sich weibliches Talent im Wettstreite mit dem männlichen nicht ungehemmter entwickeln, müßte sich das Weib nicht zugleich hundert zeitversplitternden Arbeiten hingeben? Und die Hand auf's Herz, ihr Künstlerinnen, und schriftstellerischen Weiber, wenn ihr den Pinsel aus der Hand legt, wenn euch eben ein Reim oder lebhaftes Bild auf der Zunge schwebt, gehet ihr dann mit eben so lebhaftem Interesse in die Küche oder an den Wäschschrank, als ihr euch an euren Schreibetisch oder an die Staffelei setzet? Ich sage nein! und der Mann, der es von euch fordert, daß die[282] Geistesunterhaltung untergeordnet bleiben soll, ist ein unbilliger. Wer wird, wenn er Nectar haben kann, noch gern sauren Landwein trinken! Aber das Weib, das im Gefühl ihrer Pflicht und Würde, eines thut und das andere nicht läßt, ist das beste.

Albertine hatte nie in einem größern Kreise gewirkt; sie mußte sich erst hineinstudiren. Die Erfahrung macht die Wirthin, und jene wird oft mit Schaden erst erlangt. Dadurch wurde sie unmuthig; es wurde ihr schwer, mancher Kleinigkeit, die es in ihren Beziehungen freilich nicht ist, Interesse abzugewinnen, und Lindenhains Vorwürfe verleideten ihr das Ganze. Das versäuerte die Masse um so mehr, da Laurette gewöhnlich bei den Vorwürfen, die Albertine oft, indelicat genug, im Beiseyn mehrerer erhielt, laut lachte oder bejahend einstimmte.

Bei der kränkelnden Mutter hatte Albertine eigentlich sehr wenig gelebt, und ihre Phantasie hatte sich durch Lesen und in sich selbst eine Welt gebildet, die nur[283] wenig Ähnlichkeit mit der wirklichen hatte. So hatte sie Freundschaft, Liebe und Ehe kennen lernen, und so war sie untröstlich, daß besonders die Ehe ihrem Ideale, aus Dichtern und Romanen geschöpft, so wenig entsprach.

Lindenhain war, wir haben es schon selbst gestanden, durch den Krieg in etwas verwildert; doch schrieb Albertine diesem mehr auf die Rechnung, als darauf gehörte, und auf die des zum Ehemann gewordenen Liebhabers zu wenig. Der Genuß des zur Gewohnheit gewordenen Guten, kam auch nicht in Anschlag. Es kam Mislaut in die schöne Harmonie des Ganzen. Albertine härmte sich im Stillen. Adelaidens liebenswürdige Munterkeit wehrte dem Unwesen eine lange Zeit; aber endlich wurde auch sie mit angesteckt. Sie warf Lindenhain bald scherzhaft, bald ernstlich seine ehemännische Laune vor. Sie sagte zuweilen drollig: »Capitaine, Capitaine! Ich habe Ihre Kopfwunde schlecht geheilt; Sie phantasiren noch.« Da kam es denn zu[284] Erörterungen, zu Mittheilungen von allen Theilen, und es konnte Albertinen nicht angenehm seyn, daß eben Adelaide das Depot der beiderseitigen Beschwerden wurde. Als Schiedsrichterin war sie viel zu schön und zu jung.

Für Lauretten waren diese Verhältnisse wahrer Genuß. Sie lebte wie von neuem auf, und wußte bald Albertinen auf Lindenhains Vertrauen zu Adelaiden, bald Lindenhain auf Albertinens erheiterte Laune, wenn Albert zugegen war, geschickt aufmerksam zu machen. Lindenhain war nicht eifersüchtig; aber der oft Betrogene war mißtrauisch; auch mißtrauisch gegen seine Albertine, gegen Albert, gegen den besten Menschen; und dies war ein Zug in seinem Karakter, den Albertine noch nicht kannte, den er nie Anlaß gehabt hatte, gegen sie zu entwickeln, und den er selbst nicht kannte, als er Alberts Entfernung hintertrieb. Maß sich Lindenhain mit Albert, so fiel ihm sein fehlender Arm schmerzlich auf's Herz. Maß sich Albertine mit[285] Adelaiden, so sahe sie in sich die gewohnte Ehefrau, bei der alles Pflicht und Schuldigkeit, wie bei jener alles freier Antrieb und Edelsinn war. Noch waren aller Herzen rein; aber – was sollte in der Folge daraus werden?

Was daraus werden mußte. Ein verstimmtes Instrument, das nur noch Mißlaute von sich gab. Henriette, die es lange nicht hatte bemerken wollen, mischte sich endlich, von Albertinen aufgefordert, darein. Sie redete Lindenhain an's Herz, der ihr eine kecke Antwort gab, und unter andern sagte: »er wisse sich zu bescheiden; ein Krüppel könne freilich nicht viel Ansprüche machen; er fände es endlich nicht unnatürlich, wenn ein schönes, junges Weib einen bildschönen Mann, dessen Gattin sie ohnehin hätte werden wollen, vorzöge.«

»Lindenhain, nehmen Sie mir es nicht übel, jetzt sind Sie gemein. Eifersucht würde ich der Liebe verzeihen; aber Mißtrauen in die edelsten Menschen – pfui! schämen Sie sich! Und wer dürfte es Albertinen[286] verdenken, wenn sie des ewig vorwerfenden, zurechtweisenden Umganges, der die Arme zur Marionette herabsetzt, überdrüßig, sich in der Gegenwart eines sanfteren, heitern, geistreichen Freundes erheitert fühlte? Wenn dies in ihrem Betragen nicht sichtbar würde, müßte sie eine Heuchlerin seyn?«

Lindenhain schwieg, schien in sich zu gehen, und versprach, sich zu bessern. Bald flüsterte Satan Laurette ihm zu: sie hat dich verklagt; das war unrecht. Und es blieb, wie es war. Oft, wenn er Albertinen mit gesenktem Kopfe, wie ein dahinwelkendes Maienblümchen sahe, und überdachte, mit wie edlem Zutrauen sie sein Verhältniß zu Adelaiden aufgenommen hatte, ward er innig erweicht, drückte sie ungestüm an sein Herz und gelobte sich, den reinen Engel ganz glücklich zu machen.

Bald aber gewannen wieder die Miseren des häuslichen Lebens, so wie sein Hauptlaster, die böse Laune, die Oberhand, die durch das immerwährende schmerzliche Entbehren seines Armes geschärft wurde.[287] Die arme Albertine wurde für alles, was im Hause mißlang, auch für Zufälligkeiten, verantwortlich gemacht, und Onkel Dämmrig, dem die Dissonanzen schmerzlich im Herzen wiederhallten, weil er Albertinen sehr liebte, sagte oft halb scherzend, halb traurig: »Heut kriegt die arme Albertine gewiß wieder Schelte; der Barometer steht auf Regen.«

Albertine hatte drei kleine Narben am Kinn, deren Daseyn sie und die Ihrigen bei jeder Pocken-Epidemie beruhigten; sie glaubten, daß sie sie in früher Kindheit gehabt habe. Die Pocken wütheten im Dorfe, und Albertine ging unbesorgt in allen Hütten umher, ihre Hülfe zu vertheilen. Sie erkrankte ob der Mühwaltung, wie man glaubte; aber sie hatte sich Blattern und zwar von der giftigsten Art geholt. Schrecken und Jammer überfiel die Ihrigen; keiner wich von ihrem Lager; selbst der kränkliche Onkel trippelte an ihr Bett hin und bejammerte das entstellte Engelsbild. Lindenhains Feuerseele schlug jetzt,[288] durch die Gefahr der Leidenden angefacht, in helle Flammen auf. Nie glaubte er sie inniger geliebt, nie ihre sanfte Duldsamkeit mehr bewundert zu haben. In der Hitze der Trübsal gelobte er mehr zu halten, als er seiner Natur nach vermochte. Albertine reichte ihm freundlich die Hand, und gab vor, sich an einem Blick auf eine glücklichere Zukunft zu laben, an den sie längst nicht mehr glaubte.

Aber wer begreift, wer schildert Adelaidens Edelmuth! Die schmerzliche Lage der jungen Frau, wenn sie nun aller Schönheit beraubt, entstellt von diesem Lager aufstände, entging ihrem schnellen, richtigen Blicke nicht. Sie sollte schön, und ihre beschützende, großmüthige Freundin eines so einnehmenden Vorzugs beraubt seyn? Lindenhain sollte einen Vorwand gegen die arme Albertine haben? Das ertrug das edle Mädchen nicht; sie wollte mit ihr zugleich häßlich werden, wollte keinen Vorzug an sich dulden, wollte auch die Blattern haben, die sie noch nicht gehabt zu haben glaubte.[289] Sie lehnte ihr Gesicht an Albertinens, aß von ihrem Bissen, trank aus ihrem Becher, und was auch eingewendet werden mochte, schlief an ihrer Seite. Nie gab es eine Wärterin, wie diese; nie wurde ein Kranker gepflegt, wie Albertine.

Aber das Gift theilte sich ihr nicht mit. Sie bekam einen unschädlichen Ausschlag, und das war alles. Ihre erhaltene Schönheit und die Verehrung und Liebe Aller waren der gerechte Lohn ihres Edelsinns und ihrer unerhörten Aufopferung.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 281-290.
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