Neun und zwanzigstes Kapitel

[298] Die trübe Scene ein wenig zu erheitern, wollen wir einen Vorfall berichten, der alle in Verwunderung, einige in Freude, andere in Verdruß versetzte.

An einem schönen Morgen kam ein ärmliches Fuhrwerk, von lebensmüden Pferden gezogen, vor das Schloß. Aus Decken und Mänteln wickelte sich eine weibliche Gestalt heraus, die verschleiert, wie sie war, von Niemand sogleich erkannt wurde. Gerührt[298] warf sie sich Albertinen in die Arme, die sogleich am holden Lispeln, an dem warmen poetischen Ausruf, Tante Elisen erkannte. Die Gute weinte Albertinens Unglück die heißesten Thränen, und dann ging ihre Bewunderung wieder bis zur Anbetung, als sie Albertinens himmlische Resignation sahe. Durch Henrietten erfuhr sie Adelaidens Geschichte, und auch diese umfaßte sie mit einer hohen Begeisterung, die der Vergötterung nahe kam.

Ihre eigne Geschichte machte alle traurig; nur ein Gesicht verzog sich zum Hohn. Wer in dem Kreis der Guten das seyn konnte, errathen wir nur zu leicht.

»Waren Sie denn nicht mit ihm verheirathet, liebe Tante?« fragte Albertine. – »Was man so recht eigentlich verheirathet nennen möchte,« antwortete Elise, »waren wir nie. Wie möchte die Liebe dies erdrückende Joch tragen! – Kein Priester sprach den Seegen, kein Ringewechseln bestätigte den Bund der Liebe. Lasen Sie nie das Paradies der Liebe, mon Neveu[299] fragte sie Lindenhain. – »O ja doch, ja!« antwortete dieser lachend, »ich fange an zu merken.« –

»Nun« – fuhr Elise fort – »muß die Liebe, wie sie im Menschen das Höchste und Lieblichste, die schönste Blüthe des Lebens ist, so auch das Freieste unter der Sonne seyn. Keine Liebe gedeiht im Treibhause der Ehe. Warum trüge der Gott der Liebe Flügel, als zum Flattern?


›Daß er sich im Flattern übe,

Darum, darum trägt er sie!‹


Wer mag ihn festhalten? Und wie wohlthätig ist die Trennung, wo er nicht mehr weilt!«

Nach einigem Weigern und mit sehr milderndem Ausdrucke kam es heraus, daß die gute, gar zu majorenne Elise über ihr Vermögen zu Gunsten ihres flatterhaften Amors Wassermann disponirt habe. Seine Sinnlichkeit, das Streben nach heimlichen Genüssen, und eine affectirte Geringschätzung jeder ökonomischen Rücksicht bei großer Geldgier, hatte ihn in Verlegenheiten[300] gesetzt, aus welchen er sich durch Elisens Gutmüthigkeit zu ziehen hoffte, als Antonie ihn abwies. Elise gab, bis es an die letzte Obligation und ihre ziemlich kostbaren Juwelen kam; mit diesen im Koffer, hatte er sich von ihr entfernt, sie wußte nicht, ob zur großen Nation hin, oder nach dem andern Freihafen für Leute seiner Art, nach Amerika; sie wußte nicht, wo er nun eigentlich die helle Leuchte seines Geistes werde aufgehen lassen. So viel wußte sie, daß sie arm, verachtet und ausgelacht zu den ihrigen zurück geflüchtet sei, aber reich beladen mit den Erzeugnissen Wassermannischen Geistes, womit sie nun einen Buchhändler zu beglücken und sich ein reichliches Auskommen zu verschaffen gedachte.

Dämmrig accompagnirte ihre Erzählung mit einem leisen Gemurmel zwischen Gesang und Rede, welches ihr höchst anstößig war. »Und sein Drama von Schafen und Böcken?« fragte Dämmrig. – »Erscheint!« – »Und dein übermenschlicher Roman, worin nichts natürlich zugeht, wo eine[301] Komode die prima Donna ist?« – »Erscheint!« – »Spotte nur, spotte! Einen Schrank, einen Klotz kann man immer noch vernünftiger, als einen alten Ritter, worein ihr so verliebt seid, redend einführen. Im weiten Reiche der Phantasie, in ihren Schöpfungen ist alles Leben. Das heilige Dichterfeuer belebt Steine und versetzt, wie der Glaube, Berge.«

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 298-302.
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