Dreißigstes Kapitel

[302] Lindenhains Vermögenszustand reichte für den Aufwand eines noch so vergrößerten Familienzirkels zu; und großmüthig, wie er war, kümmerte es ihn wenig, ob das Kapital durch zurückgelegte Zinsen vergrößert wurde. Elise war überdem allen von Herzen willkommen; sie war eine so gute Art von einer Närrin, daß so leicht kein Spott über sie laut wurde. Albertine hatte nun eine neue liebevolle Seele mehr um[302] sich, die das Vorleseramt ausschließend übernahm. Sie fühlte, was sie vortrug, und ihr angenehmes Organ fügte sich in alle Modulationen des Ausdrucks leicht ein.

So gestaltete sich eine Form der Geselligkeit für den liebenden Kreis, der immer mehr an Festigkeit gewann. Obgleich für jeden besondere Wohnungen bestimmt waren, schloß sich doch der Kreis immer um Albertinen, der in ihrer Dunkelheit jeder gern die hülfreiche Hand reichen wollte. Henriette hatte sich eine Zeit her auf die Porträtmalerei, worin sie sehr glücklich war, gelegt; aber auf die Länge verdroß es sie, ein glückliches Talent blos im Dienst der Eitelkeit zu verwenden, und die Vorwürfe derer, die ihres Lebens Frühling in verschönter Gestalt hingezaubert haben wollten, wenn der Herbstwind schon über die kahlen Scheitel wehte, wurden ihr zum Ekel. Sie gab also das Porträtmalen wieder auf; und da sie überdem schon ein hübsches Kapital erworben hatte, so schränkte sie sich blos auf einzelne größere Sachen ein, die[303] sie den Kabinetten der Freunde zum Andenken bestimmte.

Albertine wurde ihres Zustandes immer gewohnter und vergaß beinahe des bessern. Lindenhains Launen sahe sie als natürliche Folge ihrer Lage an, und ertrug sie still, ohne Widerrede. Denn selten sprach er mit ihr, daß er nicht, ohne es selbst zu wollen, ihr etwas Unangenehmes sagte. Er verfiel oft in einen wirklichen Sergeanten-Ton, der beim Befehlen zugleich drohend den Stock aufhebt. Dann seufzte sie still und dachte: er liebt mich nicht mehr! Wer weiß, wie entsetzlich ich auch aussehe! Sie waren es insgesammt nun schon gewohnt, daß er in ihrer Mitte fehlte; und Albertine war froh, wenn sie nur, wenn auch spät, seine Stimme wieder hörte.

An einem düstern December-Abend saßen sie um ein schönes, freundliches Kaminfeuer versammelt. Draußen stürmte es mit Schnee und Regen. Schon einigemal war Albertine vergebens der Thüre zugeeilt, was sie in ihrer Trübsal doch nie unterließ, weil[304] der anschlagende Haushund die Ankunft seines Herrn zu melden schien. Zweimal hatte sie sich mit einem banglichen: »Nein, er ist es noch nicht!« wieder zu ihrem Sitz begeben, als der Jäger verstört in's Zimmer trat und Albert etwas zuflüsterte, worauf dieser erschrocken aufstand und eilig das Zimmer verließ.

Blinde hören sehr scharf. »Was ist's mit dem Grauschimmel? Mein Mann pflegt ihn zu reiten!« und schon irrte sie zur Thüre hinaus. Unter den Domestiken war ein confuses Durcheinanderlaufen, und so erfuhr sie, der Grauschimmel sei allein zu Hause gekommen; Sattel und Zeug sei naß und in Unordnung. Albert hatte ihn schnell wieder bestiegen, und war schon fort; alle männliche Domestiken waren ihm mit Fackeln und Leuchten gefolgt. In dem Forst bei dem Förster fanden sie ihn nicht. Sie streiften in allen Richtungen durch die Gegend; aber nirgend fanden sie eine Spur.

Welche schreckliche Nacht Albertine zubrachte, wäre vermessen beschreiben zu wollen.[305]

Mit kräftiger Stimme rief Albert durch den Wald den Namen des Freundes; es blieb todtenstill, nur der Widerhall antwortete. Gegen Morgen kam er in eine entferntere, wenig gangbare Gegend; es war ein See, mit einem Kranz von Hügeln umgeben. Auch hier rief er den Namen; da schlug Perdrix, Lindenhains Lieblingshund, an, und kam von dem See her auf ihn zugestürzt. Eine fürchterliche Ahndung, was geschehen seyn könne, flog Albert durch die Seele. Er folgte der Weisung des treuen Hundes, und – o des Jammers! – Lindenhain lag todt in dem See! – Vom jähesten Abhang des Hügels herunter war er vom stolpernden Pferde gestürzt; der entsetzliche Sturm hatte ihm den weiten Mantel so unglücklich um den Kopf gewickelt, daß er, der arme Einhändige, sich nicht hatte befreien können. Tief mit dem Kopf war er in's Moor gesunken, und so war der vollblütige Mann schnell am Schlage gestorben.[306]

Hier ruhe die Feder, die schon zu viel Leiden schilderte. Dem Jammer Raum zu lassen, bleibe eine Lücke in dieser Geschichte, die das Trauerjahr in sich faßt, das Albertinen ein wirkliches ernstliches Trauerjahr wurde.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 302-307.
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