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[325] Als auf der Burg von Laurentum Turnus die Kriegsflagge zeigte,
dumpf die Signalhörner dröhnten, der Fürst die feurigen Rosse
antrieb und wild mit den Waffen rasselte, packte Erregung
sämtliche Bürger. Infolge des plötzlichen Ausbruchs der Kämpfe
leisteten die Latiner geschlossen den Fahneneid, tobte
grimmig die Jugend. Als erste Fürsten zogen Messapus,
Ufens und Götterverächter Mezentius eilig von allen
Seiten die Truppen zusammen, entblößten von Bauern die Äcker.
Venulus sprengte als Bote zur Stadt, wo der Held Diomedes
herrschte; um Hilfe sollte er bitten: In Latium faßten
Teukrer schon Fuß, Aeneas bringe besiegte Penaten
über den Seeweg ins Land, er behaupte, göttliche Weisung
gebe ihm Königsgewalt; schon verbündeten zahlreiche Völker
sich mit dem Troer, in Latium wachse bedrohlich sein Einfluß;
was Diomedes darauf unternehmen, was er bei gutem
Ausgang des Krieges erstreben solle, das wisse er selber
sicherlich besser als Turnus oder König Latinus.
Dieses geschah in Latium. Aber Aeneas erkannte
gleich die Entwicklung und sah sich von schweren Sorgen umbrandet,
wog in der Eile bald diesen, bald jenen Entschluß. Noch im Zwiespalt,
prüfte von vielerlei möglichen Wegen er jeglichen einzeln,
so wie das zitternde Licht des Wassers in ehernem Kessel
aufblitzt unter den Strahlen der Sonne oder des Mondes,
spiegelnd die Wände des Raums überfliegt, sich dann in die Höhe
richtet und plötzlich über die Deckentäfelung hinhuscht.
Tief in der Nacht – schon umfing ein fester Schlummer auf Erden
alle ermatteten Wesen, die Vögel, die Viehherden – streckte[325]
Vater Aeneas unter dem kühlen Himmelsgewölbe
sich am Flußufer nieder, zutiefst erschüttert vom jähen
Ausbruch des Krieges, und gönnte dem Körper spät erst Erholung.
Da erschien ihm die Gottheit der Stätte, der uralte Tiber,
stieg durch das Dickicht der Pappeln hervor aus dem lieblichen Strome.
Bläulich umhüllte ein Mantel aus feiner Leinwand den Körper,
schattendes Schilfrohr, zum Kranze gewunden, bedeckte die Haare.
Tröstlich benahm der Gott dem Helden die qualvollen Sorgen:
»Sprößling der Götter, der du aus Scharen von Feinden uns Troja
wieder zurückbringst und treulich das ewige Pergamon hütest,
sehnlich erwartet vom Boden Laurentums, von Latiums Fluren,
bleibe, hier ist dir die Heimat, hier sind die Penaten dir sicher!
Laß dich nicht schrecken vom drohenden Krieg! Die Erregung der Götter
hat sich gelegt.
Doch zum Beweis, daß kein Traumbild dich narrt, vernimm das Orakel:
Auffinden wirst du unter den Eichen am Ufer bald eine
stattliche Sau, die dreißig Frischlinge warf; auf dem Boden
liegt sie, weißleuchtend; weißleuchtend umdrängen die Jungen die Zitzen.
[Ebendort baust du die Stadt, den Ruhepunkt nach den Strapazen.]
Ebendort gründet nach dreißig Jahren Ascanius eine
Stadt mit dem ruhmreichen Namen ›Weißleuchtend‹: Alba. Untrüglich
gebe ich Auskunft. Jetzt laß dir in Kürze – gib Obacht! – erklären,
wie du als Sieger aus dem dich bedrohenden Kriege hervorgehst.
Hier in Italien suchten Arkader, Enkel des Pallas,
unter dem König Euander und ihm als Heerschar verpflichtet,
eine geeignete Stelle sich aus und errichteten eine
Stadt in den Bergen, dem Ahnherrn gemäß Pallantéum mit Namen.[326]
Andauernd stehen sie gegen das Volk der Latiner in Waffen.
Wirb sie als Kampfgenossen, schließe ein Bündnis mit ihnen!
Selber will ich in meinem Naß dich, stromaufwärts, geleiten,
will es so einrichten, daß du beim Rudern die Strömung bewältigst.
Auf denn, du Sprößling der Göttin, sofort, wenn die Sterne versinken,
bete gehörig zu Juno, beschwichtige fromm durch Gelübde
ihren bedrohlichen Zorn! Mir brauchst du erst nach dem Erfolge
Ehren zu zollen. Ich bin der bläuliche Thybris – mit voller
Strömung siehst du mich zwischen den Ufern die fruchtbaren Fluren
eifrig durchziehen –, der Strom, den aufs höchste die Himmlischen schätzen
Hier erhebt sich mein Schloß, ich entspringe bei Städten der Berge.«
Gleich nach den Worten verschwand der Gott in der Tiefe des Flusses.
Während die Nacht schon entwich, erwachte Aeneas, erhob sich,
schaute zum Sonnenlicht hin, das vom Rande des Himmels emporstieg,
schöpfte, dem Brauche getreu, aus dem Strome sich Wasser mit hohlen
Händen und ließ sein Gebet zu den Höhen des Äthers erschallen:
»Nymphen ihr, Nymphen Laurentums, Ursprung der Flüsse – du, Vater
Thybris mit deinem geheiligten Strome: Gewährt dem Aeneas
gnädige Aufnahme, bietet ihm endlich Schutz vor Gefahren!
Wo dich das Erdreich auch birgt, der du meiner im Unglück dich annimmst,
wo du auch immer dem Boden entquillst als schönster der Flüsse,
immer will ich mit Ehrungen, immer mit Opfern dich feiern,
stattlich gehörnter Stromgott, König der Wasser Hesperiens!
Hilf mir doch, gütiger noch beweise dein göttliches Walten!«
[327]
Nach dem Gebet erwählte er aus der Flotte zwei Schiffe,
hängte die Ruder ein, hieß die Begleiter der Fahrt sich bewaffnen.
Ganz unerwartet enthüllte sich jetzt den Blicken ein Wunder:
Lag doch, weißleuchtend im Walde, mit gleichfalls weißleuchtenden Jungen,
deutlich erkennbar die Sau am grünenden Ufer! Aeneas
weihte sie pflichtbewußt dir, du gewaltige Juno, zum Opfer,
brachte das Tier mitsamt den Jungen sogleich zum Altare.
Schon durch die Länge der Nacht hin hatte Thybris die starke
Strömung gemäßigt, er hemmte sie jetzt und staute sein Wasser,
glättete mild, wie ein friedlicher See mit stehendem Spiegel,
sämtliche Wellen, erleichterte damit den Einsatz der Ruder.
Mühelos kamen geschwind sie voran, froh rauschte das Wasser.
Schnell durch die Fluten glitt das geteerte Kielholz, und staunend
sahen Wasser und Bäume das seltsame Schauspiel: wie weithin
funkelnde Schilde und bunte Schiffe den Flußlauf befuhren.
Weder bei Nacht noch bei Tage hielten sie ein mit dem Rudern,
eilten durch mächtige Windungen, wurden von vielerlei Bäumen
sicher beschattet, durchquerten friedlich tiefgrünende Wälder.
Glühend schon hatte die Sonne die Höhe des Weges erklommen,
als in der Ferne sie Burgmauern sahen und niedrige Häuser,
Bauten, die heute dank römischer Macht fast himmelhoch ragen,
während Euander nur über dürftige Mittel verfügte.
Ohne zu säumen, lenkten sie dorthin und nahten der Siedlung.
Eben an diesem Tage vollzog der arkadische König
festlich die Jahresopfer für Herkules wie auch für andre
Götter, im Hain vor der Stadt, gemeinsam mit Pallas, dem Sohne,
adligen Jünglingen und dem schlichten Senat. Sie verbrannten
Weihrauch, und warmes Opferblut dampfte noch auf den Altären.
Plötzlich erblickten sie ragende Schiffe im Schatten der Bäume;
näher schon glitten sie, schweigend ruderte, eifrig, die Mannschaft.
Aufgeschreckt sprangen sogleich die Arkader empor von der Mahlzeit.
Aber beherzt hieß Pallas das Opfer sie fortsetzen, packte[328]
selber die Lanze und eilte den Fremden entgegen. Von einem
Hügel aus fragte er, noch im Abstand: »Ihr Männer, weswegen
fahrt ihr so kühn in die Fremde? Wohin? Und wer seid ihr, aus welchem
Vaterland, welchem Geschlecht? Bringt Krieg ihr oder den Frieden?«
Antwort erteilte vom hohen Hinterdeck Vater Aeneas,
streckte den Zweig des Ölbaums empor zum Zeichen des Friedens:
»Männer und Waffen von Troja erblickst du, feind den Latinern,
die uns, als Schutz wir erbaten, aus Hochmut gewaltsam verstießen.
König Euander wollen wir sprechen. Bringt ihm die Nachricht;
eine Gesandtschaft troischer Fürsten erbittet ein Bündnis.«
Staunen ergriff den Jüngling beim Hören des ruhmreichen Namens.
»Lande nur, wer du auch bist«, so rief er, »besprich dich mit meinem
Vater persönlich, nahe als Gastfreund unsern Penaten!«
Herzlich begrüßte er ihn mit kräftigem Handschlag. Dann schritten
beide vom Ufer des Flusses zum Hain, der Stätte des Opfers.
Nunmehr eröffnete Vater Aeneas freundlich dem König:
»Tüchtigster unter den Griechen, dir sollte, mit Willen Fortunas,
flehend die bindenumwickelten Zweige ich reichen. Ich hege
keinerlei Furcht, weil Arkader du seist und Danaerfeldherr,
auch schon vom Ursprunge an verwandt mit den beiden Atriden.
Nein, meine eigner Entschluß und heilige Sprüche der Götter,
unsre gemeinsamen Ahnen, dein weltweiter Ruhm, sie verbanden
eng mich mit dir und hießen mich willig dem Götterwort folgen.
Dardanos, Urahn und Gründer von Ilion, den einst Elektra,
Tochter des Atlas, gebar, wie die Griechen berichten, gelangte
in das Gebiet der Teukrer. Sein Großvater war der bekannte
Riese, er trägt auf den Schultern kraftvoll das Himmelsgewölbe.[329]
Doch ihr Arkader stammt von Merkur ab, den einstmals die schöne
Maja empfing und gebar auf den eiskalten Höhen Kyllenes.
Trauen wir der Überlieferung, ist der Vater der Maja
ebenfalls Atlas, der Träger der Himmelsgestirne. Auf diese
Weise entstammen ein und demselben Urahn wir beide.
Hierauf baute ich, als ich es ablehnte, erst durch Gesandte
vorsichtig Fühlung mit dir zu suchen. Persönlich begebe
ich mich in deine Gewalt und bitte dich dringend um Hilfe.
Mich auch bedrängen, genauso wie dich, die Daunier mit einem
grausamen Kriege. Besiegen sie uns, so werden sie sicher
bald ganz Hesperien sich unterwerfen, desgleichen die beiden
Meere, das Adriatische wie das Tyrrhenische. Lasset
Treue einander uns schwören! Wir halten uns tapfer im Kampfe,
zeigen auch Mut, in Gefahren bewährten sich unsere Streiter!«
Derart sprach er. Euander hatte schon lange des Sprechers
Antlitz und Augen, die ganze Erscheinung mit Blicken gemessen.
Kurz nur entgegnete er: »Sehr gern, du tapferster Teukrer,
biete ich Aufnahme dir und erkenne dich an! Ich erinnre
mich noch der Worte, der Stimme, der Miene des großen Anchises!
Weiß ich genau doch, wie Priamos, Sohn des Laómedon, seine
Schwester Hesíone aufsuchte, die in Salamis herrschte,
anschließend dann in die rauhen Berge Arkadiens reiste.
Damals umkeimte der erste Bartflaum die Wangen mir. Staunend
sah ich die Fürsten der Teukrer, staunend auch Priamos selber;
stattlicher aber als sämtliche anderen ragte Anchises.
Damals schon wollte ich gern im glühenden Eifer der Jugend
ansprechen ihn und einen herzlichen Händedruck tauschen,
wagte es schließlich und durfte ihn glücklich nach Phéneos führen.
Einen vortrefflichen Köcher und lykische Pfeile verehrte
er mir zum Abschied, auch einen Mantel aus golden durchwirktem
Stoff und zwei goldene Zügel; heute besitzt sie mein Pallas.
Deshalb besteht schon für mich das von euch erbetene Bündnis,
und wenn das Tageslicht morgen den Erdkreis erleuchtet, entlasse[330]
ich euch – ihr sollt euch an Mannschaft und weiteren Hilfsmitteln freuen.
Aber zur Stunde begehet – ihr seid ja als Freunde gekommen –
mit uns gemeinsam in Andacht das jährliche Fest, das wir niemals
aufschieben dürfen; gewöhnt euch schon heut an die Mahlzeit mit Freunden!«
Darauf befahl er, aufs neue die Speisen und die schon entfernten
Becher zu bringen und bot den Männern Plätze im Grase.
Aber bevorzugt auf Polster und zottigem Löwenfell über
einem aus Ahorn gefertigten Thronsitz ließ er Aeneas
sitzen. Erwählte Jünglinge und der Altarpriester trugen
eifrig den Rindsbraten auf, sie packten die mühsam erzeugten
Gaben der Ceres in Körbe und reichten die Tropfen des Bacchus.
Vater Aeneas und seine Trojaner schmausten vom vollen
Rücken des Stiers und den edleren Teilen des Opfers.
Als dann der Hunger gestillt war, völlig befriedigt die Eßlust,
nahm Euander das Wort: »Dies jährliche Opfer und dieses
üblich gewordene Mahl, den Altar auch des machtvollen Gottes
danken wir nicht dem Irrwahn, dem Abfall von unseren eignen
uralten Göttern. Nein, Gastfreund, aus schweren Gefahren errettet,
gründeten dankbar das Fest wir und feiern es immer aufs neue.
Schau dort zuerst auf den Felsblock, er scheint auf den Steinen zu schweben,
schau die zersprengte Masse, die öde Wohnstatt im Berge,
jenen gewaltigen Steinhaufen, der von dem Einsturz geblieben!
Eine geräumige Höhle, ein Schlupfwinkel, gähnte hier einstmals,
die der entsetzliche Halbmensch Cacus bewohnte. Nie drangen
Strahlen der Sonne hinein. Und ständig dampfte der Boden
frisch von dem Blut der Ermordeten. Vorn an dem Tor des Verbrechers
staken, mit fahlen Gesichtern, die Schädel der Opfer und faulten
gräßlich dahin. Vulcanus war der Vater des Unholds,
der sich, schwarzrauchige Flammen speiend, massig daherschob.[331]
Aber für uns auch brachte die Zeit nach langem und heißem
Sehnen die Ankunft des hilfreichen Gottes. Als machtvoller Rächer
nahte, Bezwinger Geryons, des dreigestaltigen Riesen,
Herkules, trieb des Erlegten gewaltige Stiere als stolzer
Sieger. Die Rinder lagerten weithin im Talgrund am Flusse.
Doch der zur Untat gestachelte Cacus gedachte in seiner
Frechheit auf kein Verbrechen und keinerlei List zu verzichten.
Deswegen trieb er vom Weideplatz fort vier stattliche Stiere,
außerdem noch vier Kühe von außergewöhnlicher Schönheit.
Um aus den Spuren die Wegrichtung nicht erkennen zu lassen,
zog er die Tiere am Schwanz in die Höhle und tarnte auf diese
Weise den Raub. Dann verbarg er die Beute im Dunkel der Felsen.
Einem Verfolger enthüllte kein Zeichen den Weg in die Höhle.
Aber inzwischen trieb der Amphitryonsprößling die Tiere,
die auf der Weide sich gütlich getan, zu schleunigem Aufbruch.
Über den Abzug klagten die Rinder, die Waldungen hallten
wider vom Brüllen, das Vieh verließ lautdröhnend die Hänge.
Antwortend brüllte jetzt tief aus der Höhle eine der Kühe,
machte die Hoffnung des listig-wachsamen Räubers zuschanden.
Doch den Alkiden packte die Wut, ihm kochte die schwarze
Galle vor Ärger. Er packte die wuchtig gebuckelte Keule,
stürmte den Steilhang hinan zum Gipfel des ragenden Berges.
Damals zum ersten Male sahen wir Cacus vor jähem
Schrecken bestürzt, er suchte, geschwinder als Sturmwind, in seinem
Höhlennest Zuflucht, die Angst verlieh dem Eilenden Flügel.
Ungesäumt schloß er sich ein, er sprengte die Ketten und stürzte
abwärts den riesigen Block, den des Vaters Schmiedekunst lange
hoch in der Schwebe gehalten, verrammelte völlig den Zugang.
Aber da war der Tirynthier, rasend vor Wut, schon zur Stelle,
spähte nach möglichen Eingängen, hierhin und dorthin, und knirschte
wild mit den Zähnen. Dreimal musterte, glühend vor Rachlust,[332]
er den gesamten Berg Aventinus; dreimal vergeblich
suchte er Steine zu rücken; dreimal ließ er im Talgrund
kraftlos sich nieder.
Scharfkantig lag ein Granitblock, hochragend,
über der Höhle, rings fielen die felsigen Schroffen zur Tiefe.
Schrecklichen Raubvögeln bot er günstige Plätze zum Nisten,
neigte sich linkshin vom Hange hernieder in Richtung des Flusses.
Gegen ihn stemmte von rechtsher sich Herkules, rüttelte kräftig,
lockerte ihn in der Tiefe, versetzte dann plötzlich ihm einen
mächtigen Stoß. Von dem Sturz erdröhnte der riesige Äther,
barst das Flußbett, drängte vor Schrecken der Wasserschwall rückwärts.
Aufgedeckt lag die Höhle, die mächtige Schlupfburg des Cacus,
offen erschlossen dem Blick bis zum Grund sich die finsteren Grotten,
ganz so, als klaffte die Erde durch rohe Gewalt auseinander,
schlösse die Unterwelt auf und enthüllte die Göttern verhaßten
Sitze der bleichen Seelen, als sähe man unten den tiefen
grausigen Schlund, als erbebten, geblendet vom Lichte, die Manen.
Wider Erwarten plötzlich im Lichte ertappt und in seinen
Klüften gefangen, begann, wie noch niemals, Cacus zu brüllen.
Herkules setzte von oben ihm zu mit Geschossen, benutzte
alle erdenklichen Waffen, bedrängte mit Ästen und Blöcken,
riesig wie Mühlsteinen ihn. Doch der Unhold – er konnte dem Unheil
länger nicht ausweichen – spie aus dem Schlunde, ein wahrhaftes Wunder,
riesige Rauchwolken, hüllte in Düsternis sämtliche Grotten,
raubte den Augen die Sicht und ballte in felsigen Klüften
nachtschwarzen Qualm und ein Dunkel, das spärliche Flammen durchzuckten.
Herkules ließ sich im Zorn das nicht bieten, er schnellte durch Feuer
vorwärts im Sprunge, dorthin, wo der Rauch am dichtesten wogte,[333]
wo auch der Höhlengrund wallte von düster ziehenden Schwaden,
packte im Finstern den Riesen, dem nunmehr das Sprühen von Flammen
gar nichts mehr nützte, umschlang ihn fest und würgte ihn zähe,
bis ihm die Augen herausquollen, blutleer die Kehle ihm stockte.
Anschließend brach er das Tor auf, den Zugang zur düsteren Höhle,
zeigte die Rinder, die ohne Erfolg verheimlichte Beute,
offen dem Himmel und schleifte den häßlichen Leichnam an seinen
Füßen heraus. Nicht sattsehen konnte das Volk sich an diesem
Halbwilden, seinem Gesicht, den gräßlichen Augen, der furchtbar
zottigen Brust und dem Rachen, in dem die Flammen erstickten.
Seitdem begeht man dies Fest, die Nachfahren feiern voll Freude
ständig den Tag, Potitius als der Begründer des Kultes
und die Pinarier als die Betreuer des Herkulesopfers.
Herkules weihte noch selbst den Altar, den wir immer als ›Größten‹
lobpreisen werden, der immer als ›Größter‹ auch dauert in Zukunft.
Deshalb, ihr Jungen, bekränzt euch zum Lobe so rühmlicher Leistung
heiter die Haare mit Laub, erhebt mit der Rechten den Becher,
rufet den Gott, der uns alle beschützt, und spendet vom Weine!«
Soweit Euander. Schon deckten die weißgrünen Blätter der Pappel,
wie sie einst Herkules liebte, als Kranz beschattend die Haare,
hielt den geweihten Becher die Rechte. Froh gossen sie alle
gleich auf den Tisch die Spende und beteten fromm zu den Göttern.
Hoch vom Olympus begann inzwischen der Abend zu dämmern.
Nunmehr kamen die Priester, Potitius ging an der Spitze,
alle im Fellschurz nach alter Sitte, mit brennenden Fackeln.
Fortgesetzt wurde das Mahl, man brachte den Schmaus von dem zweiten
Opfer und häufte die vollen Schüsseln auf den Altären.[334]
Rings um die flammenden Herde scharten zum Lied sich die Salier,
festlich die Schläfen umkränzt mit den Zweigen der Pappel, zwei Chöre,
Junge und Alte getrennt. Sie priesen mit ihrem Gesange
ruhmvolle Taten des Herkules: Wie er das Schlangenpaar tödlich
würgte, die ersten Untiere, die ihm die Stiefmutter schickte;
wie er im Kriege zwei blühende Städte vernichtete, Troja
und Oichalía, wie er im Dienste des Königs Eurystheus
tausend gefährliche Arbeiten, Folgen der Eifersucht Junos,
ausführte. »Niemals Besiegter, die Söhne der Wolke bezwangst du,
die Kentauren Hylaios und Pholos; das Untier von Kreta;
in dem felsigen Tal von Nemea den riesigen Löwen.
Vor dir erbebten die Wasser der Styx und der Wächter des Orkus,
der auf benagten Knochen sich streckt in blutiger Höhle.
Niemand jagte dir Schrecken ein, selbst nicht Typhóeus mit seinen
aufwärts züngelnden Rachen. Besonnen bliebst du im Kampfe,
als dich die Schlange von Lerna mit wimmelnden Köpfen umzischte.
Glück dir, du wahrhafter Jupitersprößling, du Zierde der Götter,
gnädig und glückbringend komme zu uns, nimm teil an dem Opfer!«
Feierlich sangen sie dies und erwähnten vor allem des Cacus
Schlupfwinkel noch und das feuerspeiende Ungetüm selber.
Ringsum hallten die Höhen und weithin die Waldungen wider.
Nach der Erfüllung der kultischen Pflichten zogen sie alle
wieder zur Stadt. Der König schritt, gebeugt schon vom Alter,
zwischen Aeneas und seinem Sohne, auf beide sich stützend,
und verkürzte den Weg durch mannigfache Gespräche.
Staunend ließ Aeneas die lebhaften Blicke im Umkreis
schweifen, die Stätte beeindruckte ihn, er fragte in heitrer
Stimmung nach einzelnem, ließ sich berichten von Taten der Vorzeit.
Dabei erklärte Euander als Gründer der römischen Stadtburg:[335]
»Hier in den Wäldern hausten als Urvolk Faune und Nymphen,
Menschen auch, die noch aus Baumstümpfen sproßten und knorrigen Eichen,
denen Gesittung und Bildung fehlten. Sie konnten nicht Stiere
anschirren, konnten nicht ernten, nicht sparsam Erworbenes nutzen,
nährten sich mühsam von Baumfrüchten wie vom Ertrage der Jagden.
Da erschien vom hohen Olympus als erster Saturnus
als ein Verbannter, durch Jupiter grausam vom Throne gestoßen,
brachte den ungehobelten, über die Berge verstreuten
Wesen Gesetze und staatliche Einheit. ›Sichere Stätte‹,
Latium, nannte das Land er, weil er hier Zuflucht gefunden.
Das weit gepriesene Goldene Zeitalter herrschte in seinem
Reiche. So friedlich lenkte er klug die Geschicke der Völker,
bis sich allmählich die Zeiten verschlechterten, gar nicht mehr glänzten,
rasende Kriegswut sich durchsetzte, gleichzeitig schamlose Habgier.
Die Ausonier wanderten ein und sikanische Stämme,
oftmals veränderte das Gebiet des Saturnus den Namen.
Weitere Könige herrschten, darunter der riesige, rohe
Thybris, nach dem wir Italer dem Fluß hier den Namen verliehen;
Albula hieß ursprünglich der Strom, doch verlor er den Namen.
Ich, aus der Heimat verbannt, bis ans Ende des Meeres verschlagen,
wurde hier seßhaft dank dem allmächtigen Schicksal und einer
unabwendbaren göttlichen Weisung; mich drängte die strenge
Mahnung der Mutter, der Nymphe Carmentis, mich drängte Apollo.«
Derart erzählte er, zeigte darauf nach weiterem Schreiten
gleich den Altar, dazu auch das Tor, das die Römer noch heute
das Carmentalische nennen, seit alters zu Ehren der Nymphe,
die als Prophetin zum ersten Male die künftige Größe
der Aeneaden besang und die ruhmreiche Stadt Pallanteum;
zeigte den prächtigen Hain, den der tapfere Romulus später[336]
klug zum Asyl erklärte; die eisige Grotte Lupercal,
nach dem lykäischen Pan benannt in parrhasischem Sinne;
wies auf den Hain Argiletums auch hin, der heiligen Stätte,
rief sie feierlich an und erzählte vom Tode des Gastfreunds
Argus. Zum Fels der Tarpeja führte er dann den Aeneas,
zum Kapitol, dem »goldenen« heute, doch einstmals von wildem
Urwald umwucherten. Damals schon schreckte die Scheu vor der Stätte
mächtig das Landvolk, es zitterte vor dem Wald und dem Felsen.
»Dieses Waldstück«, erklärte er, »diesen schattig belaubten
Hügel bewohnt ein Gott – wir wissen nicht, welcher. Arkader
sahen leibhaftig den Jupiter, wähnen sie, der in der Rechten
oftmals den düsteren Aegisschild schwang und Sturmwolken ballte.
Außerdem siehst du zwei Burgen mit völlig zertrümmerten Mauern,
Reste, ehrwürdige Denkmäler aus den Zeiten der Alten;
jene errichtete Vater Ianus, diese Saturnus,
jene Ianiculum einstmals genannt, Saturnia diese.«
Derart erreichten sie im Gespräch die Behausung des schlichten
Königs Euander und sahen verstreut auf dem Forum Romanum
Viehherden weiden, vernahmen Rindergebrüll, wo sich heute
stolz die Carinen erstrecken. Am Ziele erklärte Euander:
»Herkules trat nach dem Siege hier ein, ihm reichte vollständig
dieser Palast. Verschmähe auch du entschlossen den Reichtum,
halte des Gottes dich würdig, verachte die Einfachheit ja nicht!«
Damit geleitete er den stattlichen Helden Aeneas
unter das Dach des beengten Gebäudes und bot ihm auf einer
Laubschütte und dem Fell der libyschen Bärin ein Lager.
Nunmehr umhüllte die Nacht mit düsteren Schwingen die Erde.
Mutter Venus jedoch, von berechtigter Sorge gepeinigt
über den furchtbar drohenden Kriegslärm im Volk der Laurenter,
wandte im goldenen Schlafzimmer sich an den Gatten Vulcanus,
weckte zugleich mit den Worten das göttliche Sehnen der Liebe:
»Während die griechischen Fürsten berechtigt Troja und seine
untergangsreifen Burgen durch feindliche Flammen verheerten,[337]
bat für die Elenden nie ich um Hilfe, erflehte den Einsatz
deiner gewaltigen Machtmittel nicht. Ich wollte dein Können,
lieber Vulcanus, niemals für nichtige Zwecke mißbrauchen,
wenn ich zutiefst verpflichtet auch war dem Priamossohne
Paris und oft des Aeneas bittere Mühsal beweinte.
Heute betrat er, auf Jupiters Weisung, die Rutulerküste,
heute bitte ich dich, als meinen Gatten, um Waffen,
ich, die Mutter, für ihren Sohn. Die Tochter des Nereus
konnte durch Tränen dich umstimmen, gleichfalls die Frau des Tithonos.
Schau, was für Völker sich sammeln zum Kampf, was für Städte die Tore
schließen, die Klingen schon gegen mich schärfen, zum Tode der Meinen!«
Derart sprach sie und schlang um den Gatten die schneeigen Arme,
streichelte ihn, der noch zauderte, zärtlich. Da spürte er plötzlich
die ihm vertraute Flamme; die Glut, die er kannte, durchströmte
tief ihm das Herz und durchrann ihm wohlig die bebenden Glieder.
Ebenso bricht im Donner ein zuckender Blitzstrahl sich seine
feurige Bahn quer durch die flimmernden Wolken. Die Gattin
merkte es, froh der List und bewußt der eigenen Schönheit.
Schon in den Fesseln der ewigen Liebe, sagte Vulcanus:
»Weswegen holst du so weit her die Gründe? Verlorest du, Venus,
jedes Vertrauen zu mir? Wenn dir damals die Sorgen genauso
zugesetzt hätten, so hätte ich gleichfalls die Teukrer bewaffnen
dürfen! Nicht der allmächtige Vater, auch niemals das Schicksal
schlossen zehn weitere Kriegsjahre aus für Troja und seinen
König! Und möchtest du heute voll Eifer zum Kampfe dich rüsten:
Was ich auch immer zu leisten vermag in meinem Gewerbe,
was man aus Eisen und flüssigem Silbergolde verfertigt,
was auch die Flammen und Blasbälge hergeben – aber nicht länger[338]
sollst du durch Bitten dein eigenes Können bezweifeln!« Und voller
Sehnsucht umarmte er sie und fand, in den Schoß der Gemahlin
innig geschmiegt, den wohltuend sanften, erquicklichen Schlummer.
Halb schon verflossen war die Nacht, und die erste Erholung
hatte den Schlummer verscheucht. Schon war die Stunde gekommen,
da die Hausfrau, die sich durch Spinnen, die dürftig bezahlte
Arbeit Minervas, durchbringen muß, der glühenden Asche
während der Nacht noch die Flamme entlockt, dann bei künstlichem Lichte
rührig zum Schaffen die Sklavinnen zwingt, um das Lager der Ehe
sittsam bewahren, die Kinder gebührend erziehen zu können.
Ebenso zeitig und fleißig erhob sich der Meister des Feuers
rüstig vom schmeichelnden Lager, sein kunstreiches Werk zu beginnen.
Dicht an der Küste Siziliens, bei der äolischen Insel
Lipara, steigt aus den Wellen ein Eiland von rauchenden Felsen.
Unter ihm dröhnt die Höhle, dröhnen ätnäische Grotten,
wild von Kyklopenflammen zerklüftet. Wuchtige Hiebe
donnern von Ambossen. Glühende Stahlmassen, Chályberschätze,
zischen und brodeln in Becken. Ein Flammenmeer braust durch die Essen.
Haus des Vulcanus und Insel Vulcania nennt man die Stätte.
Hierher begab sich vom Himmel herab der Meister des Feuers.
In der gewaltigen Höhle schmiedeten schon die Kyklopen
Brontes, Steropes, Pyrakmon, die Leiber entblößt. In den Fäusten
hielten sie einen fast fertigen, teilweise auch schon polierten
Blitz, wie sie Jupiter zahlreich vom Himmelsgewölbe hernieder
sendet zur Erde. Nur Teilarbeit war an dem Stück noch zu leisten.
Angefügt hatten sie jeweils bereits drei Strahlen von Hagel,[339]
strömendem Regen, rötlichem Feuer und Sturmwind. Grad setzten
sie das entsetzliche Aufleuchten zu, das donnernde Krachen,
jähes Erschrecken, die züngelnden Flammen als Ausdruck des Zornes.
Andere schufen für Mars ein Fahrzeug mit fliegenden Rädern,
wie er es braucht, um Menschen und Städte aufs Schlachtfeld zu hetzen.
Auch den schrecklichen Panzer der zürnenden Pallas verzierten
wetteifernd sie mit goldenen Schuppen von Schlangen, mit einem
wimmelnden Klumpen von Nattern und, vorn auf dem Harnisch der Göttin,
mit dem Gorgonenhaupt, das, vom Rumpfe getrennt, noch die Augen
wutschnaubend rollte.
Da rief Vulcanus: »He, Ätnakyklopen,
aufhören, fort mit allen begonnenen Arbeiten! Achtung:
Waffen für einen Helden gilt es zu schmieden. Wir brauchen
Kräfte und rührige Hände und meisterhaft fachliches Können.
Vorwärts, kein Säumen!« Er sparte sich weitere Worte. In Eile
teilten sie alle die Arbeit unter sich auf und begannen
emsig das Werk. Schon strömten Kupfer und Gold, in dem großen
Schmelzofen ward der verwundende Stahl der Chalyber flüssig.
Einen gewaltigen Schutzschild formten sie, einen nur gegen
alle latinischen Waffen, nieteten fest ihn aus sieben
Platten zusammen. An Blasebälgen saugten und preßten
andre die Luft, und wiederum andere tauchten das Kupfer
zischend ins Wasser. Vom Krachen der Ambosse stöhnte die Höhle.
Taktmäßig hob die Schar der Kyklopen wuchtig die Arme,
packte mit Zangen und drehte die glühende Masse des Eisens.
Während der lemnische Gott dies vollzog an äolischer Küste,
weckten den König Euander im niedrigen Hause die heitre
Sonne, dazu das Morgengezwitscher der Schwalben am Giebel.
Eilig erhob sich der Greis, er zog den Leibrock sich über,[340]
schnallte sodann sich Tyrrhenersandalen unter die Sohlen,
hängte um Schulter und Hüfte sich seine tegäische Klinge,
schlug auch das Pantherfell von der linken Schulter zur Seite.
Seine zwei Wachhunde liefen voraus von erhabener Schwelle,
folgten getreu dann den Schritten des Herrn. Zum entlegenen Zimmer
seines Gastfreunds Aeneas begab sich der Held und gedachte
dabei der gestrigen Aussprache wie des gegebnen Versprechens.
Ebenso zeitig war auch Aeneas schon munter. Achates
ging ihm zur Seite, wie Pallas, der Sohn, dem Euander. Zusammen
trafen sie, grüßten einander durch Handschlag, ließen sich nieder
mitten im Hof und konnten sich endlich offen beraten.
König Euander begann:
»Mächtigster Feldherr der Teukrer, ich werde, solange du atmest,
niemals die troische Macht als besiegt und verloren erachten.
Freilich, wir steuern zum Krieg, im Vergleich mit eurem so hohen
Ruhme, nur weniges bei. Dort umschließt uns der tuskische Flußlauf,
hier umklirren die Rutulerwaffen unsere Festung.
Aber gewaltige Völker und machtvoll verbündete Heere
will ich dir zuführen; wider Erwarten bietet uns solchen
Vorteil die Stunde: Auf Weisung des Schicksals bist du zur Stelle!
Ganz in der Nähe erhebt sich die Stadt Agylla, in alten
Zeiten auf Felsen errichtet. Hier, auf etruskischen Höhen,
wurde ein lydischer Volksstamm, berühmte Krieger, einst seßhaft.
Jahrelang blühte das Volk, bis König Mezentius grausam
es unterdrückte, mit Waffengewalt, in despotischer Willkür.
Soll ich die gräßlichen Morde, die Greuel des wilden Tyrannen
aufzählen? Mögen die Götter es heimzahlen ihm und der Sippe!
Fesselte er doch Lebende eng mit Toten zusammen,
preßte die Hände auf Hände und Antlitz auf Antlitz, zu einer
ausgesucht furchtbaren Qual, und ließ in der Folterumschlingung,
eiterzerfressen, verwesend, die Elenden langsam verenden![341]
Endlich ward es dem Volke zuviel. In Waffen umringten
Bürger das Schloß und in ihm den schrankenlos wütenden Fürsten,
schlugen die Höflinge tot und steckten in Brand das Gebäude.
Doch der Despot entrann dem Verderben, die Rutulerfluren
boten ihm Zuflucht, sein Gastfreund Turnus bewaffnete Hilfe.
Jetzt, in berechtigter Wut, erhoben sich alle Etrusker,
forderten, auch schon entschlossen zum Kriege, den Tod des Tyrannen.
Ihnen, den Tausenden, will ich zum Feldherrn dich geben, Aeneas.
Denn die Besatzungen der an der Küste versammelten Schiffe
murren und drängen zum Angriff, doch hemmt mit Orakeln ein alter
Seher die Ausfahrt: ›Erlesene junge Kämpfer Mäoniens,
blühende Zeugen uralten Mutes! Berechtigter Kummer
treibt euch aufs Schlachtfeld, Mezentius erntet gebührend den heißen
Zorn: Doch es darf kein Italer als Feldherr solch mächtigen Volksstamm
führen! Den Feldherrn holt euch von auswärts!‹ Betroffen von dieser
Warnung der Götter, verhält das Etruskerheer kampflos auf seinem
Platze. Boten mit Zepter und Reichskrone sandte Fürst Tarchon
selber zu mir, vertraute mir an die Zeichen der Herrschaft:
Kommen soll ich zum Heer, die etruskische Macht übernehmen.
Aber das lähmende, kalte, von langen Jahren erschöpfte
Alter, die sinkenden Kräfte, zur Tat nicht mehr fähig, verwehren
mir ein Befehlshaberamt. Ich würde dem Sohne es raten,
doch die sabinische Mutter macht ihn zum halben Italer.
Du, nach Alter und Adel vom Schicksal begünstigt, von Göttern
sichtbar berufen, du, zeig dich als tapferster Feldherr der Teukrer
wie der Italer! Auch meinen Trost und mein Hoffen, den Pallas,
will ich dir mitgeben. An die Strapazen des Krieges, das harte
Handwerk des Mars, soll er sich beizeiten gewöhnen, bewundernd
deine Taten vor Augen, von dir geleitet. Ich gebe[342]
zweihundert Reiter ihm mit, erlesene junge Arkader;
ebenso viele erwählt zur Begleitung auch Pallas sich selber.«
Auf die Erklärung des Königs hielten der Sproß des Anchises
und der getreue Achates die Blicke gesenkt, und noch lange
würden betrübten Herzens sie mancherlei Mühsal erwogen
haben. Da gab aus heiterem Himmel Venus ein Zeichen.
Jäh überraschend zuckte vom Äther ein Blitz, dem ein lauter
Donnerschlag folgte. Es war, als stürze das Weltall zusammen,
schmettere nachhallend eine Tyrrhenertrompete ins Weite.
Aufwärts blickten sie, wieder und wieder krachte der Donner.
Waffen sahen sie jetzt, bei sonst freibleibendem Himmel,
golden durch einen Wolkenkreis schimmern und hörten sie klirren.
Alle erstarrten vor Staunen. Der troische Held nur erkannte
gleich die Bedeutung des Klangs, ein Versprechen der göttlichen Mutter.
Darauf erklärte er : »Freund, du brauchst nicht zu fragen, was diese
Zeichen verkünden: Ich selber werde verlangt vom Olympus!
Diese Erscheinungen hat für den Kriegsfall die göttliche Mutter
einst mir versprochen; sie wird durch die Lüfte mir Waffen zu Hilfe
schicken, die Gott Vulcanus schmiedete.
Wehe, welch furchtbares Blutbad erwartet die armen Laurenter!
Turnus, wie bitter wirst du mir büßen! Thybris, wie viele
Schilde und Helme, die Leichen der Tapferen auch, die sie tragen,
wirst du versenken! Verlangt nur den Kampf und brecht nur das Bündnis!«
Derart sprach er, erhob sich vom ragenden Thron und entfachte
auf dem Altar des Herkules gleich die schlummernden Flammen,
wandte sich dann, wie am Vortag, mit freudigem Herzen den schlichten
Hausgöttern zu. Euander, mit ihm die trojanischen Helden,
brachten erlesene Schafe, nach heiligem Brauche, zum Opfer.[343]
Zu den Schiffen begab sich Aeneas und zu den Gefährten,
wählte von ihnen die Tapfersten aus, die zum Kampfe ihm folgen
sollten. Die übrigen ließen sich, ohne die Ruder zu regen,
leicht von der Strömung flußabwärts tragen; sie sollten Ascanius
über das Bündnis und über den Weg des Vaters berichten.
Pferde erhielten die Teukrer zum Ritt ins Gebiet der Tyrrhener,
einen vortrefflichen Renner Aeneas; ein Löwenfell deckte
bräunlich den Körper des Rosses, hell glänzten, vergoldet, die Tatzen.
Schnell überflog das Gerücht vom schleunigen Aufbruch der Reiter
nach dem Küstengebiet der tyrrhenischen Herrscher die Siedlung.
Inniger beteten angstvoll die Mütter. Die nahen Gefahren
schürten die Furcht, schon sah man deutlich die Schrecken des Krieges.
Vater Euander drückte zum Abschied die Rechte des Sohnes
kräftig und lange und sagte, ohne den Tränen zu wehren:
»Jupiter, gib mir zurück die entschwundene Jugend, die Kräfte,
die ich besaß, als zum ersten Mal, vor den Mauern Praenestes,
Feinde ich schlug, die Haufen erbeuteter Schilde verbrannte,
siegreich mit meiner Hand zum Tartarus schickte den König
Erulus, dem beim Gebären die Mutter Feronia – schrecklich! –
dreierlei Leben mitgab; ich mußte ihn dreimal bekämpfen,
dreimal zu Boden ihn strecken! Doch meine Rechte entraffte
dreimal das Leben ihm, ebensooft auch die Rüstung! Dann würde
niemals ich heute, mein Sohn, mich losreißen müssen aus deiner
lieben Umarmung, dann hätte Mezentius niemals so viele
Menschen gemordet, die Stadt nicht entblößt von so zahlreichen Bürgern,
mir, der an seiner Grenze ich lebe, zu bitterem Hohne!
Anflehen will ich euch, Himmlische, dich auch, Beherrscher der Götter,
Jupiter, bitte, erbarmt euch des arkadischen Königs,
hört, wie ein Vater euch anfleht! Wenn euer machtvolles Walten,
wenn auch das Schicksal mir Pallas am Leben erhält, mir vergönnt ist,[344]
wiederzusehen den Sohn und ihn zu begrüßen, dann, bitte,
laßt mich am Leben, ich werde auch härteste Mühsal ertragen!
Drohst du mir aber mit unaussprechlichem Unheil, Fortuna,
bitte, entreiße mir heut noch das grausame Leben, solange
zwischen der Furcht und der Hoffnung die Sorge mir schwankt und solange
ich dich umarme, mein lieber Sohn, dich, die einzige späte
Freude! Ach, blieben die Ohren verschont mir von einer so bittren
Botschaft!« So klagte der Vater beim letzten Abschied vom Sohne,
brach dann zusammen. Bediente mußten ins Zimmer ihn tragen.
Nunmehr verließen die Reiterschwadronen das offene Stadttor,
unter den ersten Aeneas, den treuen Achates zur Seite,
weitere troische Fürsten nach ihnen, dann, mitten im Schwarme,
auffallend weithin mit Mantel und buntem Schutzschilde, Pallas,
wie aus den Wogen des Ozeans Lucifer, der von der Venus
heißer als alle anderen himmlischen Flammen geliebt wird,
himmelwärts richtet sein heiliges Haupt und die Finsternis fortjagt.
Kummervoll hatten die Mütter den Stadtwall besetzt, mit den Blicken
folgten der Staubwolke sie und dem ehernen Funkeln der Kämpfer.
Doch die gewappneten Reiter durchzogen auf kürzestem Wege
eilend das Dickicht, sie jauchzten, sie schlossen sich enger zusammen,
unter den trappelnden Hufen erdröhnte das lockere Erdreich.
Nahe dem kühlen Strome von Caere ragte ein Hochwald,
schon von den Vorfahren heilig gehalten. Ihn kränzten von allen
Seiten, ein Kessel, mit düsteren Tannen bestandene Höhen.
Früh schon, erzählt man, weihten Pelasger, die vormals als erste
in dem Latinerland wohnten, den Hain, ein jährliches Fest auch
fromm dem Silvanus, dem göttlichen Schutzherrn der Fluren und Herden.
Ganz in der Nähe lagerten Tarchon und seine Tyrrhener[345]
klug in geschützter Stellung. Von oben ließ sich das ganze
Heer übersehen, es streckte sich weit hinaus ins Gelände.
Hierher rückte Aeneas mit seinen erlesenen Kriegern,
fand nach dem harten Ritt Erholung für Männer und Rosse.
Zwischen den Wolken des Äthers war schon die leuchtende Venus
mit den Geschenken zur Stelle. Als sie den Sohn im entlegnen
Tale allein am kühlen Ufer des Flusses erblickte,
trat sie ihm offen als göttliche Mutter entgegen und sagte:
»Sieh hier die Waffen, es hat sie mein Gatte, getreu dem Versprechen,
kunstreich vollendet! Jetzt fordre, mein Sohn, die stolzen Laurenter,
fordre den tapferen Turnus zum Kampfe, ohne zu schwanken!«
Damit lehnte die Göttin die funkelnde Rüstung an eine
Eiche, dem Sohn gegenüber, und schloß ihn beglückt in die Arme.
Freude empfand er über die ruhmreiche Gabe der Göttin,
konnte sich sattsehen nicht, betrachtete staunend die Stücke
einzeln und wendete sie wiederholt in den Händen; den festen,
flammensprühenden Helm mit dem fürchterlich nickenden Buschen;
weiter das tödliche Schwert; den von Bronze starrenden Panzer,
blutrot, von riesiger Größe, wie eine blau schimmernde Wolke,
die von den Strahlen der Sonne erglüht und fernehin leuchtet;
schließlich die glänzenden Beinschienen, Silbergold neben dem reinen
Golde; den Speer; das schwerlich beschreibbare Kunstwerk des Schildes.
Hatte auf ihm doch Vulcanus, in Kenntnis mancher Orakel,
wohl unterrichtet über die Leistungen kommender Zeiten,
Taten italischer Helden und Siege der Römer in Bildern
dargestellt, des Ascanius Stamm und der Reihe nach alle
Kriege: Wie einst in der grünenden Grotte des Kriegsgotts die Wölfin[346]
lag, zum Säugen bereit; wie die Zwillinge furchtlos im Spielen
sich an den Zitzen festsaugten, zärtlich die Amme beleckten;
wie sich die Wölfin zurückbog mit schmiegsamem Nacken und beide
liebkoste, dann mit der Zunge sorglich das Jungenpaar putzte.
Wie man im nahegelegenen Rom bei den Spielen im Zirkus
dreist die sabinischen Mädchen von ihren Plätzen entführte,
plötzlich das Volk des Romulus sich im Krieg mit dem greisen
Tatius maß und den sittenstrengen Bürgern von Cures;
wie dann, nach Schlichtung des Streites, die Fürsten im Schmucke der Waffen
vor dem Altare Jupiters standen, die Schalen in ihren
Händen, und mit dem Opfer der Sau den Staatsvertrag schlossen.
Ganz in der Nähe hatten vier feurige Rosse den Mettus
grausam zerrissen – weswegen auch brachest dein Wort du, Albaner! –,
fortschleifen ließ schon Tullus die Teile des toten Verräters
quer durch das Dickicht, die Blutspritzer troffen herab von den Dornen.
Durchsetzen wollte Porsenna die Rückkehr des kürzlich verbannten
Königs Tarquinius, Rom durch harte Blockade bezwingen.
Doch die Aeneasenkel stürmten zum Kampf für die Freiheit.
Deutlich sah man den König Porsenna ärgerlich drohen,
weil voll Verwegenheit Cocles soeben die Pfahlbrücke abbrach,
Cloelia aus der Gefangenschaft über den Tiber davonschwamm.
Auf der tarpejischen Burghöhe hielt, zum Schutze des Tempels,
Manlius Wache, er hütete das Kapitol, und die Hütte –
»Hofburg« des Romulus – leuchtete hell mit erneuertem Strohdach.
Hier auch im goldenen Säulengang meldete schnatternd, die Flügel
schlagend, die silberne Gans den drohenden Angriff der Gallier.
Hatten doch diese durch dichtes Gestrüpp den Berg schon erklommen,[347]
günstig getarnt dank der nächtlichen Finsternis: Golden erglänzte,
lockig, ihr Haar, ihr Gewand auch, es leuchteten ihre gestreiften
Mäntel, um milchhelle Nacken hingen goldene Ketten;
sicher gedeckt durch die Langschilde, hielten sie fest in den Fäusten
stoßbereit die in den Alpen üblichen blinkenden Spieße.
Tanzende Salier, nackte Luperker zeigte daneben
gleich das Relief, die wolleumwundenen Mützen, die Schilde,
die einst vom Himmel herabfielen. Ehrbare Hausfrauen fuhren
Opfergeräte durch Rom in gefederten Prachtkutschen.
Ferne
zog sich der Tartarus hin, die gähnenden Tore des Pluton,
wo man die Frevler bestrafte, wo du, Catilina, an steiler
Felsenwand hingst, vor den Furien zitternd, und abseits die milde
Heimstatt der Seligen, denen ein Cato Recht und Gesetz gab.
Zwischen den Bildern erstreckte das wogende Meer sich ins Weite,
golden, doch trugen die tiefblauen Wellen schäumende Kämme.
Silberhelle Delphine peitschten rings mit den Schwänzen
spielend zum Kreise die Flut und durchfurchten die Wogen. Inmitten
sah man die Seeschlacht von Actium dargestellt, ehern beschlagne
Kriegsflotten, sah das Kap am Leukate von kämpfenden Schiffen
rührig umwimmelt, die Wellen auch schäumen in goldenem Glanze.
Caesar Augustus stand dort auf ragendem Hinterdeck, Feldherr
aller Italer, mit Vätern und Volk, mit Penaten und machtvoll
hilfreichen Göttern; ihm strahlten die Helmwangen, sicher des Sieges;
über dem Haupte erschien hellglänzend der Glücksstern des Vaters.
Seitlich führte, begünstigt von Göttern und Winden, in straffer
Haltung Agrippa die Flotte; als stolze Auszeichnung glänzte
ihm um die Schläfen der Kranz, der mit goldenen Schiffsschnäbeln prangte.[348]
Ihm gegenüber Antonius, Feldherr zahlreicher fremder
Truppen, im Orient siegreich, am Roten Meer, kommandierte
Streiter Ägyptens, des ferneren Ostens, ja Bactras, der fernen
Grenzstadt; ihm folgte, zu bitterer Schmach, die ägyptische Gattin.
Allesamt stürzten sie sich in den Kampf, wild schäumte das Wasser
unter den Rudern, durchwühlt von dreizackigen Rammen. Man drängte
weit in die offene See, als schwämmen, vom Grunde gerissen,
fort die Kykladen, als prallten Berge mit Bergen zusammen:
Derart gewaltig maßen im Kampf sich die turmhohen Schiffe.
Brandfackeln wurden geschleudert, es hagelte spitze Geschosse,
Blutströme röteten Neptuns Wogen wie niemals vor Zeiten.
Mitten im Schlachtgewühl spornte die Fürstin mit Isisgeklapper
rüstig die Ihren, sie sah nicht das Schlangenpaar hinterrücks drohen.
Vielerlei göttliche Scheusale, wie auch der Kläffer Anubis,
zückten die Waffen gegen Neptun, Minerva und Venus.
Kunstreich aus Eisen gemeißelt, tobte im Zentrum des Kampfes
Mars, aus dem Äther schwebten die grausigen Furien, in wildem
Freudenrausch schritt die Zwietracht einher mit zerrissenem Kleide;
Göttin Bellona folgte ihr nach mit blutiger Peitsche.
Hoch vom Kap Actium sah es Apollo und spannte den Bogen.
Jähes Entsetzen ergriff da Ägypter, Araber, Inder
sämtlich, es wandten zur Flucht sich alle Sabäer. Die Fürstin
selber sah man die Winde anflehen, sah sie mit vollen
Segeln davonfahren, lockern so weit wie möglich die Taue.
Dargestellt hatte der Feuergott sie, wie die Flut und der Nordwind
sie dem Gemetzel entführten, erblaßt vor dem nahenden Tode,
ihr gegenüber den mächtigen Nil, der traurig die Arme
breitete und die Besiegten, winkend mit seinem Gewande,
rief in den bläulichen Schoß, in die sichere Obhut des Stromes.[349]
Caesar jedoch, als dreifacher Sieger, erreichte die Hauptstadt,
brachte Italiens Göttern ein niemals vergängliches frommes
Denkmal: Er weihte in Rom an die dreihundert prächtige Tempel.
Freude und Spiel und lärmender Beifall durchdröhnten die Straßen:
Chöre von Müttern und Festaltäre in sämtlichen Tempeln –
vor den Altären der Boden bedeckt von geschlachteten Rindern!
Selber thronte am schneeweißen Tor er des leuchtenden Phöbus,
musterte prüfend die Gaben der Völker und ließ an die stolzen
Pfeiler sie heften. Der Zug der Besiegten dehnte sich weithin,
vielfach verschieden an Sprache, verschieden an Kleidung und Waffen.
Dargestellt sah man Nomaden, Afrer mit wallenden Kleidern,
Leleger, Karer, mit Pfeil und Bogen bewehrte Gelonen.
Ruhiger strömte der Euphrat bereits. Vom Rande der Erde
kamen die Móriner, weiter der Rhein mit der zweifachen Mündung,
trotzig die Daher, zum Schluß der Araxes, der Brücken verabscheut.
Diese Reliefs bestaunte Aeneas am Schild des Vulcanus,
den ihm die Mutter geschenkt. Er verstand nicht die Bilder, doch freudig
hob er sich über die Schulter die ruhmreichen Taten der Enkel.[350]
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