VII.

[210] Endlich war zur größten Befriedigung unserer Magen die Mittagszeit herangekommen. Wir rasteten am Fuße eines Hügels, im Schatten einer großen Ulme. Die Gewehre und die – leider noch leeren – Jagdtaschen wurden bei Seite gelegt. Dann frühstückten wir, um einigermaßen die, seit unserem Aufbruch so nutzlos verschwendeten Kräfte zu ersetzen.


7. Capitel

Eine traurige Mahlzeit! Da gab's ebensoviele Vorwürfe, wie Bissen! Schreckliches Land!... Eine hübsch gepflegte Jagd! Die Wilddiebe richten dieselbe zu Grunde!... Man sollte die Kerle, jeden an einen Baum aufhängen und ihnen einen Anschlag auf die Brust kleben, der ihre Schande bekannt machte... Die Jagd wurde zur Unmöglichkeit!... Nach zwei Jahren würde es hier kein Stück Wild mehr geben... Sollte man nicht das Jagen einmal ganz verbieten? Ja!... Nein!... Und so kam die ganze Litanei von Jägern, welche nichts erlegt haben, zum Vorschein.

Da begann wieder der Streit zwischen Pontcloué und Matifat, wegen des halben Rebhuhns, welches Jeder ganz beanspruchte. Die Anderen mischten sich ein... ich fürchtete, es würde noch zum Handgemenge kommen.

Eine Stunde später setzten wir uns noch einmal in Bewegung – wohl »geazt und angefeuchtet«, wie man hier sagt. Vielleicht waren wir vor dem eigentlichen Mittagessen glücklicher! Welcher wahrhaftige Jäger vor dem Herrn[210] bewahrt nicht immer noch ein wenig Hoffnung bis zum Ende, wo er den »Appell« der Rebhühner hört, welche sich zusammen rufen, um die Nacht en famille zu verbringen.

Wir waren also wieder auf dem Marsche. Die Hunde, in fast ebenso mürrischer Laune wie wir, trotteten voran. Ihre Herren schimpften hinter ihnen her mit schrecklichen Lauten, welche dem Commando in der englischen Marine glichen.

Ich folgte unsicheren Schrittes. Ich fing an, kreuzlahm zu werden. So leer meine Jagdtasche auch war, drückte sie mich auf die Nieren. Mein Gewehr von ganz unglaublichem Gewicht ließ mich mit Bedauern an meinen Spazierstock zurückdenken. Das Pulverhorn, der Schrotbeutel, alle diese belastenden Gegen stände hätt' ich am liebsten einem der kleinen Bäuerlein übergeben, die mir mit spöttischer Miene nachliefen und fragten, wie viel »Hühnervieh ich schon abgewürgt hätte«. Ich wagte es nur nicht aus Eigenliebe.


7. Capitel

So schlichen zwei tödtliche Stunden dahin. Wir hatten unsere guten fünfzehn Kilometer in den Beinen. Eines wurde mir immer klarer: daß ich von diesem vermaledeiten Ausflug viel eher eine Verkrümmung als ein Dutzend Wachteln heimbringen werde.

Da, was gibt's da für ein Geräusch, das mich wieder erweckt? Diesesmal ist's wirklich ein ganzes Volk Rebhühner, das aus einem Gebüsch aufflattert. Allgemeine Füsilade! Feuer nach Belieben! Wenigstens fünfzehn Flintenschüsse, krachen, den meinigen eingerechnet.

Da tönt ein Schrei durch den Pulverdampf! Ich blicke dahin. In diesem Moment erscheint ein Gesicht über dem Busche. – Es war ein Bauer mit einer so aufgetriebenen rechten Wange, als hätte er eine Wallnuß im Munde.

»Schön! Ein Unfall! rief Brétignot.


7. Capitel

– Das fehlte mir gerade noch!« bemerkte Duvauchelle.

Das war Alles, was dieses Verbrechen, betreffend »Schläge und Verwundungen, ohne die Absicht zu tödten«, wie es im Codex heißt, in ihnen hervorrief.[211] Und diese Leute, die kein Herz im Leibe hatten, liefen ihren Hunden entgegen, welche zwei, nur verwundete Rebhühner apportirten, und gaben dem unglücklichen Geflügel mit dem Schuhabsatze vollends den Rest! Ich wünsche ihnen ebensoviele Fußtritte, wenn sie's einmal nöthig haben sollten!

Währenddem stand der Eingeborne immer noch da mit seiner dick aufgelaufenen Backe, ohne reden zu können.

Da kehrten eben Brétignot und die Anderen zurück.

»Na, was hat denn der brave Mann? fragte Maximon mit dem Tone eines Beschützers.

– Zum Teufel, er hat ein Schrotkorn in der Wange, antwortete ich.

– Bah, das ist nichts! meinte Duvauchelle, das hat nichts zu bedeuten.

– Doch... doch... stotterte der Bauer, der seiner Verletzung durch eine schreckliche Grimasse mehr Wichtigkeit beizulegen versuchte.

– Wer ist denn ungeschickt genug gewesen, diesen armen Teufel anzuschießen? fragte Brétignot, dessen forschender Blick zuletzt auf mir haften blieb.

– Haben Sie nicht geschossen? wandte sich Maximon an mich.

– Ja, ich habe geschossen, ganz wie alle Anderen.

– Nun, da ist ja die Frage gelöst! erklärte Duvauchelle.

– Sie sind ein ebenso ungeschickter Jäger, wie Napoleon I., versetzte Pontcloué, der das Kaiserthum haßte.

– Ich... ich...? rief ich.

– Da kann's niemand Anderes gewesen sein, als Sie, sagte Brétignot streng.

– Entschieden! Dieser Herr ist ein sehr gefährlicher Mensch! ließ sich Matifat vernehmen.

– Und wenn man ein solcher Neuling ist, fügte Pontcloué hinzu, lehnt


7. Capitel

man jede Einladung, sie komme, woher es sei, einfach ab!« Damit gingen alle Drei weiter. Ich verstand... Man ließ mir den Verwundeten auf meine Rechnung und Gefahr.

Ich machte der Sache ein Ende, zog die Börse und bot dem braven Bauer zehn Francs, wobei seine rechte Wange sofort abschwoll. Jedenfalls hatte er seine Nuß verschluckt.

»Es geht wohl besser? fragte ich theilnehmend.[212]

– O ja... bischen... jetzt fängt's hier wieder an! antwortete er und blies nun die linke Wange auf.

– Ah nein, sagte ich, nein, für dieses Mal ist's mit einer Backe genug!« Und damit ging auch ich meines Weges.

Quelle:
Jules Verne: Zehn Stunden auf der Jagd. In: Der grüne Strahl. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XLII, Wien, Pest, Leipzig 1887, S. 193–219, S. 210-213.
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