[21] Den nächsten Tag, den 7. November, verließ der »Saint Enoch« Havre im Schlepptau des »Herkules«, der ihn zur Zeit des höchsten Wasserstandes hinausbugsierte. Das Wetter war ziemlich schlecht. Tiefliegende und zerrissene Wolken flogen, von einer starken Nordwestbrise getrieben, am Himmel hin.
Das Fahrzeug des Kapitäns Bourcart maß gegen fünfhundertfünfzig Tonnen und war mit allen Geräthen ausgestattet, die bei dem schwierigen Fange der Walfische in den fernen Gewässern des Großen (oder Stillen) Oceans allgemein benützt werden. Obwohl die Zeit seines Baues jetzt schon um zehn Jahre zurücklag, erwies es sich unter allen Verhältnissen als völlig seetüchtig und als guter Segler. Seine Mannschaft war auch immer beschäftigt, Rumpf und Segelwerk in tadellosem Zustande zu erhalten, und eben jetzt war es frisch gekielholt und ausgebessert worden.
Der »Saint Enoch«, ein ziemlich breit gebauter Dreimaster, führte Focksegel, Großsegel und Brigantine, Mars- und Vormarssegel, Bram- und Oberbramsegel, Kreuzbramsegel, großes und kleines Klüversegel, Außenklüver und endlich Lee- und Stagsegel. In Erwartung der Abfahrt, hatte Bourcart alle Geräthe und Hilfsmittel zum Aufwinden oder Drehen der Walfische bestens instand setzen lassen. Vier Boote lagen an Ort und Stelle fertig... an Backbord die des Obersteuermanns und des ersten und zweiten Lieutnants, an Steuerbord das des Kapitäns. Vier weitere (Reserve-)Boote standen auf dem Deck vertheilt. Zwischen Fock- und Großmast und vor der großen Luke hatte man den zum Schmelzen des Walfischspecks dienenden Ofen oder Herd aufgebaut. Dieser enthielt zwei eiserne Töpfe dicht aneinander und war mit einem Mantel aus Ziegelsteinen umschlossen. An dessen Hinterseite befanden sich zwei Oeffnungen für den Abzug des Rauches und an der Vorderseite unter den Töpfen zwei Roste für die Feuerung.
Wir führen hier den Bestand an Officieren und Mannschaften auf, die auf dem »Saint Enoch« eingeschifft waren:[21]
Der Kapitän Bourcart (Evariste Simon), fünfzig Jahre.
Der Obersteuermann Heurtaux (Jean François), vierzig Jahre.
Der erste Lieutenant Coquebert (Yves), zweiunddreißig Jahre.
Der zweite Lieutenant Allotte (Romain), siebenundzwanzig Jahre.
Der Bootsmann Ollive (Mathurin), fünfundvierzig Jahre.
Der Harpunier Thiébaut (Louis), siebenunddreißig Jahre.
Der Harpunier Kardek (Pierre), zweiunddreißig Jahre.
Der Harpunier Durut (Jean), zweiundreißig Jahre.
Der Harpunier Ducrest (Alain), einunddreißig Jahre.
Der Doctor Filhiol, siebenundzwanzig Jahre.
Der Böttcher Cabidoulin (Jean-Marie), zweiundfünfzig Jahre.
Der Schmied Thomas (Gille), fünfundvierzig Jahre.
Der Zimmermann Ferut (Marcel), sechsunddreißig Jahre.
Acht Matrosen.
Elf Leichtmatrosen.
Ein Tafelmeister.
Ein Koch.
Zusammen vierunddreißig Köpfe... die gewöhnliche Menge Mannschaft für einen Walfänger vom Tonnengehalte des »Saint Enoch«.
Die Besatzung bestand nahezu zur Hälfte aus normannischen und bretonischen Matrosen. Nur der Zimmermann Ferut war aus Paris gebürtig, und zwar aus der Vorstadt Belleville; früher war er an verschiedenen Theatern der Hauptstadt als Maschinist thätig gewesen.
Die Officiere hatten auf dem »Saint Enoch« schon mehrere Fahrten mitgemacht und verdienten das beste Lob. Sie hatten alle Eigenschaften, die ihr Beruf erforderte. Im vergangenen Jahre waren die nördlichen und die südlichen Theile des Stillen Oceans abgesucht worden. Eine im ganzen glückliche Reise, wenigstens insofern, als sie ohne jeden ernsteren Unfall verlaufen war, obgleich sie nicht weniger als zweiundvierzig Monate gedauert hatte, doch auch eine einträgliche Reise, da die von dem Schiffe mit heimgebrachten zweitausend Fässer Thran zu recht annehmbaren Preisen verkauft werden konnten.
Der Obersteuermann Heurtaux verstand sich vortrefflich auf jede Einzelheit des Dienstes an Bord. Nachdem er als Hilfs-Flaggenofficier in der Kriegsmarine gedient hatte, war er zur Handelsmarine übergegangen und fuhr jetzt nur in Erwartung eines eigenen Befehlshaberpostens. Er galt mit Recht[22] für einen sehr tüchtigen Seemann, der auf strenge Mannszucht zu halten gewöhnt war.
Von dem ersten Lieutenant Coquebert und dem zweiten, Allotte – zwei übrigens auch recht guten Officieren – wäre nur ihr außerordentlicher, zuweilen selbst unkluger Eifer bei der Verfolgung von Walfischen zu erwähnen; beide wetteiferten in Schnelligkeit und Kühnheit; sie suchten einander gern zu überholen, unbekümmert ob sie – trotz der Warnungen und ernstlichen Einschärfungen des Kapitäns Bourcart – dabei ihre Boote aufs Spiel setzten oder nicht. Der Eifer des Fischers beim Fischfang wiegt eben den Eifer des Jägers bei der Jagd auf... er reißt, eine instinctive Leidenschaft, unwiderstehlich mit sich fort. Die beiden Lieutenants steckten damit auch mehr als nöthig ihre Leute an, vor allem Romain Allotte.
Nur wenige Worte seien dem Bootsmanne Mathurin Ollive gewidmet. Der kleine, hagere und sehnige, jeder Anstrengung gewachsene Mann, der eifrig seines Amtes waltete, auch gute Augen und gute Ohren hatte, besaß die besonderen Eigenschaften, die man an einem Kammerunterofficier der Marine zu sehen gewöhnt ist. Von allen Leuten an Bord war er unzweifelhaft der, der sich am wenigsten für die Einbringung von Walfischen interessierte. Mochte ein Schiff eigens für diesen Zweig des Fischfanges ausgerüstet oder zur Beförderung von Frachtgut beliebiger Art von einem Hafen zum anderen bestimmt sein: Meister Ollive bekümmerte sich nur um das, was unmittelbar mit der Navigation zusammenhing. Der Kapitän Bourcart schenkte ihm das größte Vertrauen, und er rechtfertigte dieses glänzend.
Was die acht Matrosen angeht, so hatte die Mehrzahl davon schon die letzte Reise des »Saint Enoch« mitgemacht, und sie bildeten eine ebenso zuverlässige wie geübte Mannschaft. Unter den elf Leichtmatrosen waren sechs, die die rauhe Lehrzeit des großen Fischfanges zum erstenmale erprobten. Die jungen Leute, im Alter von vierzehn bis zu siebzehn Jahren, sollten im Vereine mit den Matrosen bei der Bemannung der Boote Verwendung finden.
Die übrigen, der Schmied Thomas, der Böttcher Cabidoulin, der Zimmermann Ferut, der Koch und der Tafelmeister gehörten, mit Ausnahme des Böttchers, alle seit drei Jahren zur ständigen Mannschaft und waren mit ihren Obliegenheiten vollkommen vertraut.
Es sei noch hinzugefügt, daß Meister Ollive und Meister Cabidoulin schon alte Bekannte und wiederholt zusammen zur See gefahren waren. Der[23] erstgenannte, der schon wußte, was von der Manie des zweiten zu erwarten war, hatte diesen gleich in vertrauter Weise begrüßt.
»He, Alterchen, da bist Du ja!
– Jawohl, in eigener Person, sagte der zweite.
– Du willst es wirklich noch einmal wagen?...
– Wie Du siehst.
– Und immer mit der verwünschten Idee, daß es schlecht ablaufen werde?
– Sogar sehr schlecht, antwortete der Böttcher ernsthaft.
– Na gut, fuhr Mathurin Ollive fort, ich hoffe aber, daß Du uns mit Deinen Geschichten verschonen wirst...
– Das möcht' ich denn doch nicht versprechen.
– So halt' es, wie Du willst; wenn uns jedoch ein Unglück zustößt...
– Ist's eben ein Beweis, daß ich mich nicht geirrt habe!« erklärte Jean-Marie Cabidoulin.
Wer weiß, ob der Tonnenbinder nicht jetzt schon bedauerte, auf das Angebot des Kapitäns Bourcart eingegangen zu sein.
Als der »Saint Enoch« über die Hafendämme hinausgekommen war, wurde, da der Wind zum Auffrischen neigte, Befehl gegeben zum Beisetzen der Marssegel, in die der Bootsmann zwei Reffe schlagen ließ. Sobald der »Herkules« sein Schlepptau losgeworfen hatte, wurde das ausgeführt, ebenso auch das kleine Klüversegel entfaltet, und der Kapitän ließ nachher noch den Fockmast ausrüsten. Unter diesen Verhältnissen konnte der Dreimaster – ein Barkschiff – gegen den Nordost aufkreuzen, um die vorspringende Spitze von Barfleur zu umsegeln.
Der »Saint Enoch« mußte sich sehr dicht am Winde halten, trotzdem glitt er aber mit der Geschwindigkeit von zehn Knoten dahin.
Drei Tage lang machte sich das Kreuzen nöthig, dann erst konnte der Lootse bei la Hougue ausgeschifft werden. Von nun an ging die Fahrt den Canal la Manche hinunter in gewöhnlicher Weise weiter. Die günstige Brise, die bisher geherrscht hatte, verwandelte sich bald zu einem frischen Winde. Kapitän Bourcart, der deshalb auch hatte Bram-, Oberbram- und Stagsegel setzen lassen, konnte sich überzeugen, daß der »Saint Enoch« seine guten nautischen Eigenschaften noch immer entwickelte. In der Voraussicht einer sehr weiten Reise, bei der die Schiffe oft viel Ungemach aushalten müssen, war dessen Takelage übrigens fast vollständig erneuert worden.[24]
»Schönes Wetter, freundliche See, guter Wind, sagte Bourcart zu Doctor Filhiol, der mit ihm auf dem Deck umherging. Unsere Fahrt läßt sich ja recht gut an, und das ist eine Seltenheit, wenn man um diese Zeit des Jahres durch den Aermelcanal segelt.
– Ich gratuliere Ihnen, Kapitän, antwortete der Doctor, wir stehen jetzt aber erst am Anfang der Reise...
– O, das weiß ich wohl, Herr Filhiol. Es genügt nicht, eine solche gut anzufangen, man muß sie auch gut zu Ende führen. Doch... keine Sorge, wir[25] haben ein gutes Schiff unter den Füßen, und wenn's auch nicht erst gestern vom Stapel gelaufen ist, so ist es doch an Rumpf und Takelwerk nicht minder solid. Ich behaupte sogar, es ist noch vertrauenswürdiger, als ein ganz neues Schiff, und Sie können mir glauben, daß ich seinen Werth aus Erfahrung kenne.
– Gewiß, Herr Kapitän, daran zweifle ich nicht, doch handelt es sich nicht allein um eine ohne Unfall verlaufene Fahrt, diese muß vielmehr auch etwas ordentliches abwerfen, und das hängt weder vom Schiffe selbst ab, noch von seinen Officieren oder seiner Mannschaft...
– Wie Sie sagen, fiel der Kapitän Bourcart ein. Der Walfisch kommt oder er kommt nicht. Das liegt, wie bei allen Dingen, am günstigen Zufall, und dem Zufall kann man nicht befehlen. Natürlich: man fährt mit gefüllten Fässern heim oder mit leeren. Der »Saint Enoch« ist jetzt aber, seit er aus der Werft von Honfleur hervorging, auf seiner fünften Fahrt, und bisher ist jede zu seinem Vortheil ausgefallen.
– Das läßt ja das beste hoffen, Herr Kapitän. Denken Sie wohl mit dem Fange zu warten, bis wir den Großen Ocean erreicht haben?
– O nein, Herr Filhiol, wir werden jede Gelegenheit benützen, und wenn wir im Atlantischen Ocean vor der Umschiffung des Caps Walfische antreffen, so werden unsere Boote nicht säumen, auf sie Jagd zu machen. Es kommt dabei nur darauf an, daß sie nicht in zu großer Entfernung auftauchen, und daß man sie am Schiffe festlegen kann, ohne zu weit aus dem Curse zu kommen.«
Einige Tage nach der Abfahrt aus Havre ordnete der Kapitän Bourcart den Wach- und Ausguckdienst. Zwei Männer sollten sich stets auf den Marsen, der eine auf dem Fock-, der andere auf dem Großmast aufhalten. Diese Aufgabe fiel den Harpunieren und den Matrosen zu, die Leichtmatrosen sollten auf dem Deck bleiben.
Um für alle Fälle bereit zu sein, erhielt jedes Boot eine Anzahl von Spieren, nebst den zum Walfang nöthigen Geräthen. Wurde dann ein Wal in der Nähe des Schiffes gemeldet, so brauchten die Boote nur aufs Wasser gesetzt zu werden, was nur wenige Minuten in Anspruch nahm. Auf eine solche Gelegenheit war indeß nicht eher zu rechnen, als bis der »Saint Enoch« sich draußen auf dem Atlantischen Meere befand.
Nachdem das letzte Land an den Seiten des Aermelcanals erreicht war, schlug der Kapitän Bourcart einen Curs nach Westen ein, um Ouessant in[26] größerer Entfernung zu umschiffen, und in dem Augenblicke, wo das französische Land außer Sicht kam, wies er den Doctor Filhiol darauf hin.
»Auf Wiedersehen!« sagten beide Männer.
Als sie der Heimat diesen letzten Gruß entboten, fragten sie sich jedenfalls wie viele Monate, vielleicht Jahre vergehen würden, ehe sie sie wiedersehen sollten.
Da der Wind stetig aus Nordosten wehte, brauchte der »Saint Enoch« nur seine Schoten nachzulassen, um in die Richtung nach dem Cap Ortegal, der nordwestlichsten Spitze Spaniens, abzufallen. Es erschien nicht nothwendig, erst in das biscayische Meer einzulaufen, das für Segler oft große Gefahr bringt, wenn ein starker Westwind aufkommt und sie gegen die Küste treibt. Wie häufig müssen da nicht Fahrzeuge, die nicht gegen den Wind segeln können, in einem der französischen oder der spanischen Häfen eiligst Schutz suchen.
Saßen der Kapitän und die Officiere zur Essenszeit beisammen, so sprachen sie, wie erklärlich, über die eben unternommene Fahrt. Diese fing ja unter günstigen Umständen an. Das Schiff würde voraussichtlich noch zur besten Zeit in den Fischgründen eintreffen, ja der Kapitän Bourcart zeigte in dieser Hinsicht eine solche Vertrauensseligkeit, daß er auch die ärgsten Zweifler umstimmte.
»Hätte sich nur unsere Abfahrt, erklärte er eines Tages, nicht um vierzehn Tage verzögert, so könnten wir jetzt schon auf der Höhe von Ascension oder Sanct Helena sein, und wir thäten unrecht, klagen zu wollen...
– Vorausgesetzt, meinte der Lieutenant Coquebert, daß der Wind uns einen Monat lang einigermaßen günstig bleibt, dürften wir den Zeitverlust sogar bequem einholen...
– Gleichwiel, setzte Heurtaux hinzu, es bleibt doch bedauernswerth, daß der Doctor Filhiol den vortrefflichen Gedanken, sich auf dem »Saint Enoch« einzuschiffen, nicht weit früher gehabt hat.
– Das bedauere ich ebenfalls, erwiderte der Arzt vergnügt lächelnd, denn ich hätte doch nirgends einen besseren Empfang und eine bessere Gesellschaft finden können.
– Da hilft nun kein Klagen und Bedauern mehr, meine Herren, erklärte Bourcart. Die guten Gedanken kommen nicht, wenn man es will...
– So wenig wie die Walfische, rief Romain Allotte. Selbst wenn sie auftauchen, muß man sofort bei der Hand sein, die plumpen Gesellen anzugreifen...
– Uebrigens, unterbrach ihn der Doctor Filhiol, fehlte dem »Saint Enoch« nicht nur der Schiffsarzt, sondern auch der unentbehrliche Böttcher.[27]
– Ganz recht, stimmte der Kapitän Bourcart ein, wir wollen auch nicht vergessen, lieber Filhiol, daß Sie es waren, der mir von Jean-Marie Cabidoulin sprach. Ohne Ihr Dazwischentreten hätte ich niemals daran gedacht, mich gerade an den Mann zu wenden.
– Nun kurz, er ist jetzt an Bord, ließ sich Heurtaux vernehmen, und das ist doch die Hauptsache. So weit ich ihn aber kenne, Kapitän, hätte ich nimmermehr geglaubt, daß er zustimmen würde, seine Werkstatt und seine Tonnen zu verlassen. Wiederholt hatte er schon, trotz verlockender Angebote, abgeschlagen, noch einmal in See zu gehen, und Sie müssen viel Ueberredungskunst angewendet haben...
– Na, ich habe nicht gerade zu viel Widerstand gefunden, meinte der Kapitän. Seinem Reden nach war er des Seefahrens überdrüssig. Er hatte Glück gehabt, sich ohnehin schlecht und recht durchzuschlagen. Warum das Schicksal herausfordern?... Man trägt dabei doch schließlich die Haut zu Markte... nein, man muß sich zur rechten Zeit zurückzuziehen verstehen, und so weiter... Sie kennen ja die Litaneien des wackeren Mannes! Und dann noch die Behauptung, daß er schon alles gesehen habe, was man bei einer Fahrt zum Walfange irgend sehen könne!
– Alles hat man niemals gesehen, erklärte der Lieutenant Allotte, und ich für meinen Theil erwarte noch immer etwas Unvorhergesehenes, Außerordentliches...
– Nun, meine Herren, versicherte der Kapitän Bourcart, etwas Außerordentliches wäre es, was jedoch ganz unwahrscheinlich ist, wenn sich das Glück von dem »Saint Enoch« abwenden sollte, wenn diese Reise nicht den vorhergegangenen gleich käme, die uns allen einen hübschen Nutzen eingebracht hatten. Das wäre es, wenn uns irgend ein Unfall beträfe, oder wenn unser Schiff nicht die gewohnte volle Ladung an Thran und Fischbein heimbrächte! Doch darüber bin ich beruhigt. Die Vergangenheit bürgt für die Zukunft, und wenn der »Saint Enoch« in den Handelshafen wieder einläuft, wird er auch seine zweitausend bis zum Spundloche gefüllten Fässer mitbringen!«
Wahrlich auch Jean-Marie Cabidoulin würde, wenn er diese von unerschütterlichem Vertrauen getragenen Worte gehört hätte, sich vielleicht gesagt haben, daß man wenigstens auf dieser Fahrt keinerlei Gefahr zu fürchten habe, so vom Glücke begünstigt war ja das Schiff des Kapitäns Bourcart. Nachdem im Südosten die Höhen des Caps Ortegal gepeilt waren, wendete sich der[28] »Saint Enoch«, von günstigen Wetterverhältnissen unterstützt, auf Madeira zu, um zwischen den Canarien und den Azoren hindurchzugehen. Sobald der Wendekreis, vor den Inseln des Grünen Vorgebirges, überschritten war, traf die Besatzung auf ein vortreffliches Klima mit mittelhoher Temperatur.
Ein wenig verwunderte es freilich den Kapitän, seine Officiere und seine Matrosen, daß bis jetzt noch kein Walfisch aufgetaucht war, den man hätte verfolgen können. Waren auch zwei bis drei zu sehen gewesen, so hielten sie sich doch so entfernt, daß an ein Flottmachen der Boote gar nicht zu denken gewesen war. Zeit und Mühe wären dabei rein verschwendet gewesen, und alles in allem erschien es rathsamer, die eigentlichen Fangbezirke, entweder auf dem jener Zeit schon recht ausgebeuteten Meerestheile bei Neuseeland oder die im nördlichen Stillen Ocean, so schnell wie möglich zu erreichen. Es galt vorläufig also, unterwegs keine Verzögerung zu erleiden.
Wenn sich die Schiffe aus europäischen Häfen nach dem Stillen (oder Großen) Ocean begeben wollen, so können sie das – die Fahrstrecke ist ziemlich gleichlang – entweder thun, indem sie das Cap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas umschiffen oder um das Cap Horn an der Südspitze Amerikas herumgehen, und so wird es auch bleiben, so lange der Panamacanal noch nicht eröffnet ist.
Was den Weg um das Cap Horn aber betrifft, so erfordert dieser ein Hinuntergehen bis zum fünfundfünfzigsten Grade südlicher Breite, wo oft recht schlimmes Wetter herrscht. Ein Dampfer kann sich zwar in die vielen Windungen der Magellanstraße hineinwagen, womit er den Stürmen des Caps entgeht, ein Segler könnte das aber nur auf die Gefahr unberechenbarer Verzögerungen hin thun, vorzüglich wenn es sich darum handelt, die Meerenge von Osten nach Westen zu passieren.
Im allgemeinen ist es also vortheilhafter, die Südspitze Afrikas aufzusuchen und den Fahrstraßen des Indischen und des Südlichen Meeres zu folgen, wobei die zahlreichen Häfen an der Küste Australiens und bis nach Neuseeland hin leicht erreichbare Zufluchtsstätten bieten.
Wie der Kapitän Bourcart diesen Weg bei seiner früheren Fahrt eingeschlagen hatte, so sollte er auch bei der jetzigen eingehalten werden. Er brauchte bei der unverändert aushaltenden Brise auch nicht weit nach Westen auszuweichen, und nach der Vorüberfahrt an den Inseln des Grünen Vorgebirges bekam er Ascension, und wenige Tage darauf Sanct Helena in Sicht.[29]
Zu dieser Zeit des Jahres herrscht auf dem Atlantischen Oceane jenseits des Aequators ein lebhafter Verkehr. Es vergingen auch kaum achtundvierzig Stunden, ohne daß der »Saint Enoch« irgend einem, mit voller Kraft dahineilenden Dampfer oder einem der schlanken Klipper begegnete, die mit jenen sich an Geschwindigkeit fast messen können. Der Kapitän Bourcart hatte aber nicht Muße genug, einen oder den anderen »anzusprechen«. Meist hißten die anderen auch nur die, ihre Nationalität anzeigende, Flagge oder begnügten sich zu signalisieren, daß sie keine Nachrichten zu geben und zu erwarten hätten.
An der Ostseite der Insel Ascension vorüberfahrend, hatte der »Saint Enoch« die diese beherrschenden vulcanischen Gipfel nicht zu Gesicht bekommen, und bei Sanct Helena angelangt, ließ er dieses an Steuerbord in drei bis vier Seemeilen Entfernung liegen. Von der ganzen Besatzung war der Doctor Filhiol der einzige, der diese Insel noch nicht gesehen hatte, und wohl eine Stunde lang konnte der junge Arzt seine Blicke von dem Pic de Diane, über der Schlucht mit dem ehemaligen Gefängnisse von Longwood, nicht loßreißen.
Das trotz der Beständigkeit der Windrichtung recht veränderliche Wetter begünstigte doch das Vorwärtskommen des Schiffes, das, ohne die Halsen umzuholen, höchstens seine Segelfläche zu verkleinern oder zu vergrößern hatte.
Die Ausguckleute hielten immer sorgsam Wacht. Walfische zeigten sich aber nicht, diese hielten sich wahrscheinlich weiter im Süden, einige hundert Meilen vom Cap, in größerer Zahl auf.
»Alle Teufel, Kapitän, sagte der Böttcher wiederholt, das war auch nicht die Mühe der Anmusterung werth, da ich an Bord gar nichts zu thun habe!
– Das wird noch kommen... wird schon kommen, suchte ihn der Kapitän dann zu beruhigen.
– Oder es kommt auch nicht, fuhr der Böttcher kopfschüttelnd fort, und wenn wir bei Neuseeland sind, werden wir noch kein Faß gefüllt haben.
– Kann wohl sein, Meister Cabidoulin, das besorgen wir aber dort. An Arbeit wird es Ihnen nicht fehlen, verlassen Sie sich darauf!
– O, ich habe aber auch Zeiten gesehen, wo es im Atlantischen Meere von Spritzwalen wimmelte.
– Ja, ja, das weiß ich; sicherlich werden sie immer seltener, und das ist recht bedauernswerth!«
Thatsächlich konnten die Wachposten nur zwei bis drei Wale melden, wovon einer eine recht beträchtliche Größe hatte. Leider tauchten diese aber allzunah[30] am Schiffe auf und, dadurch scheu gemacht, auch sofort wieder unter, so daß man sie nicht weiter sehen konnte. Bei der ihnen eigenen, außerordentlichen Geschwindigkeit können diese Cetaceen große Strecken durchschwimmen, ehe sie wieder nach der Oberfläche des Wassers herauskommen. Die Boote niederzulassen und die Thiere zu verfolgen, das hätte unverhältnißmäßige Anstrengung gekostet, ohne daß dafür ein Erfolg vorauszusehen gewesen wäre.
Das Cap der Guten Hoffnung wurde gegen Mitte December erreicht. Jener Zeit war das Meer in der Nähe der afrikanischen Küste stark belebt von Schiffen, die der wichtigen englischen Colonie zusteuerten, und nur selten erblickte man keine Rauchsäule eines Dampfers am Horizonte.
Bei seinen früheren Reisen hatte Bourcart den Hafen von Capetown schon wiederholt angelaufen, wenn der »Saint Enoch« auf der Rückfahrt und schon hier einige Aussicht war, einen Theil seiner Ladung zu verwerthen.
Jetzt lag also keine Veranlassung vor, das Land zu berühren. Der Dreimaster umsegelte deshalb ohne Aufenthalt die südlichste Spitze Afrikas, deren äußerste Höhen sechs Seemeilen nach der Backbordseite liegen blieben.
Es war nicht unbegründet, daß man das Cap der Guten Hoffnung ursprünglich das Cap der Stürme genannt hatte. Auch jetzt rechtfertigte es wiederum seine alte Bezeichnung, obwohl es gerade Hochsommerzeit war.
Der »Saint Enoch« hatte furchtbare Windstöße auszuhalten, die ihn zwangen, sich ihnen gerade entgegenzustellen. Er kam aber doch mit einer mäßigen Verzögerung und so unbedeutenden Havarien davon, daß Jean-Marie Cabidoulin diese kaum als ungünstige Vorzeichen deuten konnte. Nachdem dann noch die antarktische Strömung, die nach Osten verläuft, bis sie in der Nähe der Kerguelen-Inseln abweicht, bestens ausgenützt worden war, ging die Fahrt unter recht günstigen Verhältnissen weiter.
Am 30. Januar, kurz vor Sonnenaufgang war es, wo einer der Wachposten von den Fockmastraaen hinunterrief:
»Land unter dem Winde!«
Nach dem Besteck des Kapitäns auf dem sechsundsiebzigsten Grade östlicher Länge von Paris und auf dem siebenunddreißigsten Grade südlicher Breite, d. h. in der Nachbarschaft der Inseln Saint Paul und Amsterdam.
Zwei Meilen von der ersten entfernt, braßte der »Saint Enoch« auf. Die Boote des Obersteuermanns Heurtaux und des Lieutenants Allotte wurden, mit Schnüren und Netzen ausgerüstet, bis ziemlich dicht ans Land geschickt, denn an[31] den Küsten dieser Insel ist der Fischfang im allgemeinen recht ergiebig. Wirklich kamen die beiden Boote am Nachmittage mit einer reichen Beute an leckeren Fischen und nicht minder guten Heuschreckenkrebsen zurück, die für mehrere Tage den Bedarf des Mittagstisches deckten.
Von Saint Paul aus segelte der »Saint Enoch« schräg abwärts dem vierzigsten Breitengrade zu, immer begünstigt durch eine Brise, die ihm eine Geschwindigkeit von siebzig bis achtzig Lieues in vierundzwanzig Stunden verlieh, und am Morgen des 15. Februars bekam er die Snares, an der Südspitze Neuseelands, in Sicht.
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