Drittes Capitel.
An der Ostküste von Neuseeland.

[32] Etwa seit dreißig Jahren beuten die Walfänger die Umgebung von Neuseeland aus, wo der Fischfang sich immer reichlich gelohnt hat. Zur Zeit war das wohl der Theil des Großen Oceans, wo sich die Walfische noch in größter Zahl aufhielten. Doch auch hier kommen sie nur verstreut vor, und es ist immerhin selten, ihnen nahe dem Schiffe zu begegnen. Die Ausbeute von den hiesigen Walen ist aber so vortheilhaft, daß die Kapitäne die Mühen und Gefahren nicht scheuen, die mit dem Fange der Cetaceen verknüpft sind.

Darüber sprach sich Bourcart dem Doctor Filhiol gegenüber aus, als der »Saint Enoch« in Sicht von Tawaï-Punamu, der großen südlichen Insel der neuseeländischen Gruppe, ankam.

»Wohl könnte ein Schiff wie das unsere, setzte er hinzu, unter Umständen hier seine volle Ladung binnen wenigen Wochen erbeuten. Dann müßte aber immer gutes Wetter sein, und an diesen Küsten ist man leider täglich Windstößen preisgegeben, die zuweilen außerordentlich heftig werden.

– Giebt es denn hier keine leicht erreichbaren Nothhäfen? fragte der junge Arzt.

– O, gewiß, lieber Doctor; an der Ostküste allein liegen von solchen – um nur die hauptsächlichsten zu erwähnen – Dunedin, Oamaru, Akaroa,[32] Christchurch und Blenheim. Freilich tummeln sich die Spritzfische nicht in den Häfen umher, man muß sie vielmehr einige Meilen vor der Küste aufsuchen.


Neuseeländer.
Neuseeländer.

– Denken Sie trotzdem in einen jener Häfen erst einmal einzulaufen, Herr Kapitän, ehe Ihre Mannschaft an die eigentliche Arbeit geht?

– Das ist meine Absicht... zwei bis drei Tage lang... um einen Theil unseres Proviants, vorzüglich an frischem Fleisch, zu erneuern und in die gewohnte Pökelfleischkost einige Abwechslung zu bringen.

– Und an welchem Küstenplatze soll der »Saint Enoch« vor Anker gehen?[33]

– Im Hafen von Akaroa.

– Wann werden wir da eintreffen?

– Morgen zeitig am Vormittage.

– Haben Sie sich daselbst schon aufgehalten?

– Mehrere Male. Ich kenne die hineinführenden Fahrstraßen und weiß, daß wir darin bei zu grober See schützende Unterkunft finden.«

So gründlich der Kapitän Bourcart aber die Wasserverhältnisse vor Akaroa auch kannte, sollte er den Hafen doch nur mit großer Schwierigkeit erreichen. Als er in Sicht des Landes war, hatte der »Saint Enoch« Gegenwind und mußte bei ziemlich steifer Brise dagegen aufkreuzen. Gerade als er nur noch zwei Schläge zu machen hatte, um in den Eingangscanal einzulaufen, brach ihm der Ausholer des großen Klüversegels, und das nöthigte ihn, wieder nach dem freien Wasser zurückzukehren.

Außerdem frischte der Wind noch mehr auf und verursachte einen so schweren Seegang, daß es auch am Nachmittage unmöglich war, Akaroa zu erreichen.

Da der Kapitän Bourcart die Nacht über nicht zu nahe am Lande liegen bleiben wollte, ließ er bis sechs Uhr des Abends mit Rückenwind wieder seewärts steuern und das Schiff dann scharf gegen den Wind legen, um nun unter kleiner Segelfläche den Tag abzuwarten.

Am Morgen des 17. Februar konnte der »Saint Enoch« endlich den schmalen, vielfach gewundenen und auf beiden Ufern von ziemlich hohen Hügelketten begleiteten Canal erreichen, der nach Akaroa hineinführt. Auf dem Uferlande zeigten sich einzelne Farmen, und an den Hügelabhängen weideten zahlreiche Ochsen und Kühe.

Nachdem der »Saint Enoch« eine Strecke von achtundeinhalb Meilen immer kreuzend hinausgefahren war, ließ er kurz vor Mittag den Anker fallen.

Akaroa gehört zur Halbinsel Banks, die von der Küste Tawaï-Punamu unterhalb des vierundvierzigsten Breitengrades ins Meer hinausragt. Sie bildet ein Anhängsel der Provinz Canterbury, einer der großen Abtheilungen der Hauptinsel. Jener Zeit war die jetzige Stadt nur noch ein Dorf an der rechten Seite der Meerenge oder des Fjords und gegenüber der staffelförmigen Hügelkette, die sich bis über Sehweite hinaus erstreckte. Auf dieser Seite wohnten die Eingebornen, die Maoris, inmitten prächtiger Tannenwaldungen, die vorzügliche Masten und Stengen für Seeschiffe lieferten.[34]

Das Dorf wiederum bestand aus drei kleinen Colonien von Engländern, Deutschen und Franzosen, die 1840 von dem Dampfer »Robert de Paris« hierhergebracht worden waren. Die Regierung trat den Ansiedlern damals eine gewisse Strecke Land ab und überließ ihnen, daraus Nutzen zu ziehen, soviel sie könnten. So lagen denn jetzt Kleestücke und Gärten rings um die zahlreichen, aus Planken erbauten Häuser auf dem Uferlande, das außerdem Gemüse und Obst, vor allem saftige Pfirsiche in Ueberfluß hervorbringt.

An der Stelle, wo der »Saint Enoch« vor Anker lag, breitete sich eine Art Lagune aus, in deren Mitte ein unbewohnter Holm emporragte. Daran lagen einige Schiffe, unter anderen ein amerikanisches, der »Zireh Swif«, der schon einige Wale erbeutet hatte. Bourcart begab sich an Bord dieses Fahrzeuges, um eine Kiste Tabak einzuhandeln, an dem sein Vorrath schon bedenklich vermindert war. Ueberhaupt wurde die Zeit des Hafenaufenthaltes benutzt, frisches Trinkwasser und Holz einzunehmen und den Rumpf des Schiffes zu säubern. Das Süßwasser entnahm man einem kleinen Bache in der Nähe der englischen Ansiedlung. Das Holz sollte von dem von den Maoris bewohnten Ufer geholt werden. Die Eingebornen wollten das aber nicht zulassen, ohne eine Entschädigung zu er halten. Es erschien also rathsamer, sich mit Holz am anderen Ufer zu versorgen, wo dieses nichts kostete, als die Mühe des Fällens und des Zersägens der Baumstämme. Frisches Fleisch konnte der Koch ohne Schwierigkeit erhalten, und als die Abfahrt herankam, wurden mehrere lebende und auch ausgeschlachtete Ochsen eingeschifft.

Am zweitfolgenden Tage der Ankunft des »Saint Enoch« lief in den Hafen von Akaroa noch ein französischer Walfänger ein, der an der Gaffel seine Flagge zeigte. Eine Höflichkeit ist die andere werth. Als aber der Kapitän auch seine Flagge hissen wollte, bemerkte er, daß sie ganz schwarz von dem Holzkohlenstaub war, den man über Kisten und Kasten im Schiffe verstreut hatte, um die Ratten zu vernichten, die, seit der Abfahrt von Havre bedenklich vermehrt, das ganze Schiff verpesteten.

Marcel Ferut behauptete freilich, man solle sich hüten, diese intelligenten Nagethiere zu vertilgen.

»Und warum das? fragte eines Tages einer der Leichtmatrosen.

– Weil sie uns, wenn der »Saint Enoch« Gefahr liefe, zu Grunde zu gehen, das vorher anzeigen würden.

– Die Ratten?...[35]

– Jawohl, die Ratten... indem sie sich zu retten suchten...

– Doch wie denn?...

– Sapperment, schwimmend, natürlich schwimmend!« antwortete der lustige Zimmermann.

Im Laufe des Nachmittags schickte Bourcart, der so viel wie sonst einer auf Höflichkeit hielt, den Obersteuermann Heurtaux an Bord des »Caulincourt«, um sich zu entschuldigen, daß er dessen Salut mit seiner Flagge, die aus einer dreifarbigen zu einer einfarbigen und noch dazu zu einer schwarzen geworden wäre, nicht habe erwidern können.

Der Aufenthalt des »Saint Enoch« währte vier Tage. Außer den Arbeitsstunden hatte es der Kapitän Bourcart für angezeigt gehalten, die Matrosen – trotz der Gefahr von Desertionen – ans Land gehen zu lassen. Diese Gefahr kommt daher, daß hier ein sehr einträgliches Gewerbe, die Brettschneiderei, betrieben wird.

Die Wälder der Umgegend sind nahezu unerschöpflich, was dazu anreizt, von Bord wegzubleiben. Diesmal fand sich jedoch die ganze Mannschaft zur bestimmten Stunde wieder ein, und kein Mann fehlte beim Aufruf am Tage der Abfahrt. Fehlte es den Matrosen auch stark an Geld, so hatten sie sich wenigstens umsonst an den Pfirsichen, die die französischen Ansiedler ihnen nach Belieben zu pflücken gestatteten, erlaben können, und obendrein waren sie von den Landsleuten noch mit einem aus jenen Früchten gewonnenen leichten Weine bewirthet worden.

Am 17. Februar ließ Bourcart alles zur Abreise bereit machen. Er gedachte nach dem Ankerplatze in Akaroa nicht zurückzukehren, außer wenn ihn gar zu schlechtes Wetter dazu nöthigte und sein Schiff sich draußen nicht mehr halten könnte.

An diesem Morgen sprach er noch mit dem Obersteuermann, den beiden Lieutenants, dem Doctor Filhiol und dem Tafelmeister.

»Unsere Fahrt, sagte er, wird, wenn keine widrigen Umstände es vereiteln, zwei Theile umfassen. Zuerst werden wir fünf oder sechs Wochen den Walfang in den neuseeländischen Gewässern betreiben. Nachher soll der »Saint Enoch« nach den Küsten von Niederkalifornien steuern, wo es dann voraussichtlich leicht sein wird, unsere Fracht zu vervollständigen.

– Sollte es denn nicht gelingen, bemerkte Heurtaux, schon auf den Meeren von Neuseeland volle Ladung zu bekommen?[36]

– Das glaub' ich kaum, antwortete Bourcart. Ich habe mit dem Kapitän des amerikanischen Schiffes darüber gesprochen. Seinen Wahrnehmungen nach ziehen sich die Wale schon jetzt mehr nach den nördlichen Meerestheilen zurück.

– Mögen sie gehen wohin sie wollen, rief der Lieutenant Coquebert. Ich verbürge mich dafür, ihnen so viel Leine nachschießen zu lassen, wie die Burschen irgend brauchen.

– Und Sie können darauf rechnen, Kapitän, setzte der Lieutenant Allotte hinzu, daß ich hinter meinem Kameraden nicht zurückstehen werde.

– Ich rechne, meine Herren, erwiderte Bourcart, vor allem darauf, daß Ihr Uebereifer Sie nicht verführen werde, eine Unklugheit zu begehen. Es bleibt also dabei: nach den Gewässern von Neuseeland die von Niederkalifornien, wo ich mehr als einmal sehr guten Fang gemacht habe. Das weitere wird sich nach den Umständen richten. Was denkst Du darüber, Meister Ollive?

– Ich denke, Kapitän, meinte dieser, der »Saint Enoch« segelt, wohin es Ihnen beliebt, ihn zu führen, und wenn das bis nach dem Behringsmeere wäre. Was die Walfische angeht, wünsche ich sie Ihnen zu Dutzenden. Das ist aber Sache der Bootsführer und der Harpuniere, nicht die des Bootsmannes.

– Ganz recht, alter Reisekamerad, erwiderte Bourcart lächelnd, und da das Deine Ansicht ist, so bleibe bei Deinem Fache, wie Jean-Marie Cabidoulin bei dem seinen. Wir werden deshalb nicht schlechter fahren!

– Das meine ich auch, erklärte Ollive.

– Doch beiläufig, Du und der Böttcher, Ihr liegt ja doch immer im Streite?

– Fast immer, Kapitän. Mit seiner Manie, ewig Unglück zu prophezeien, kann er einen bald umbringen! Ich kenne ihn ja schon lange und sollte eigentlich daran gewöhnt sein. Es ist um so thörichter von ihm, als er bei allen seinen Seereisen doch mit heiler Haut weggekommen ist. Freilich, er hätte vielleicht noch besser gethan, in seiner Werkstatt zwischen den Tonnen verankert zu bleiben.

– Laß ihm nur seinen Zungenschlag, Ollive, antwortete der Kapitän Bourcart. Es sind ja nur leere Worte! Jean-Marie Cabidoulin ist deshalb doch ein tüchtiger Kerl!«

Am Nachmittage lavierte der »Saint Enoch« bei günstiger Brise etwa vier Meilen vor Akaroa, als von dem Harpunier Louis Thiébaut der erste Walfisch gemeldet wurde. Es war gegen zwei Uhr; die große Cetacee trieb in geringer Entfernung ihren Schaumstrahl in die Höhe.[37]

Bourcart ließ sofort gegenbrassen. Dann wurden zwei von den vier Booten ausgesetzt, das des ersten Lieutenants Coquebert und das des zweiten Allotte. Die beiden Officiere stiegen hinein und nahmen auf dem Hintertheile Platz. Die Harpuniere Durut und Ducrest standen vorn auf dem gedeckten Bootstheile. Einer der Matrosen ergriff das Steuer, die anderen handhabten die Ruder.

Bei dem Feuereifer, der sie erfüllte, kamen die beiden Lieutenants dem Walfisch fast gleichzeitig nahe genug, ihn angreifen, d. h. die Harpune nach ihm werfen zu können.

An der Harpune ist eine ungefähr dreihundert Faden lange Leine befestigt, die sorgfältig gerollt mitschiffs in einer Balje liegt, so daß sie ohne Hinderniß ablaufen kann.

Die beiden Harpuniere schleuderten ihre Harpunen, die die linke Seite des Wales trafen; das verwundete Thier entfloh mit größter Geschwindigkeit. Da verwickelte sich trotz aller Vorsichtsmaßregeln die Leine des Lieutenants Coquebert, so daß sie eiligst gekappt werden mußte. Romain Allotte blieb also allein in Verbindung mit dem Meeresriesen, dessen Verfolgung sein Kamerad zu dessen größtem Bedauern aufgeben mußte.

Widerstandslos fortgerissen, flog das zweite Boot über die Wellen hin, während das Wrickruder es gegen Gierschläge geschützt hielt. Als der Wal verschwand, d. h. zum erstenmale untertauchte, ließ man ihm, in der Erwartung, daß er doch bald wieder auf der Wasserfläche erschiene, die Leine nachschießen

»Achtung! Achtung! rief der Lieutenant Allotte. Sobald der Bursche wiederkommt, schleudern Sie, Ducrest, eine Lanze und ich eine zweite!

– Es ist alles bereit, Lieutenant,« antwortete der Harpunier, der auf dem kleinen Vordeck zusammengekauert saß.

An Bord dieser Jagdboote hält man allgemein auf Steuerbord gleichzeitig mit zwei Reserveharpunen drei wie Rasiermesser scharfe Lanzen in Bereitschaft. Auf Backbord liegen dagegen ein Bootshaken und ein Handbeil, das dazu dient, die Verbindung mit dem Walfisch zu zerschneiden, wenn dieser mit so großer Schnelligkeit dahinschießt, daß es unmöglich wird, sich von ihm schleppen zu lassen, ohne die Sicherheit des Bootes und seiner Insassen zu gefährden. Dann sprechen die Leute vom Fache von einem »mit der Lanze arbeiten«.

Als der Wal in geringer Entfernung wieder auftauchte, schlich sich das Boot an ihn heran. Der Lieutenant und der Harpunier schleuderten jeder gegen[38] seine Seite eine Lanze. Da diese aber keine lebenswichtigen Organe des Seesäugethiers getroffen hatten, spritzte dieses statt eines blutigen, noch immer einen weißschaumigen Strahl aus und suchte nach Nordosten hin zu entweichen. Es lag also deutlich auf der Hand, daß der Wal nicht unmittelbar tödtlich verwundet war.

An Bord des »Saint Enoch« verfolgten der Kapitän Bourcart und die übrige Mannschaft mit gespanntem Interesse den Verlauf dieser Jagd, die sich offenbar zu verlängern drohte, obwohl es so gut wie unmöglich war, daß das Thier noch mehrere Stunden lang zu entfliehen vermöchte. Bourcart ließ jetzt sein Schiff in den Wind legen, um sich der von diesem zwei gute Seemeilen entfernten Pirogue zu nähern.

Dieses Boot glitt mit außerordentlicher Schnelligkeit dahin. Soweit man den zweiten Lieutenant kannte, wußte man auch, daß er seine Beute sich auf keinen Fall entgehen lassen werde, trotz aller Ermahnungen zur Vorsicht, die ihm zutheil geworden waren.

Auch Yves Coquebert, der seine Leine wieder entwirrt hatte, schickte sich jetzt an, dem Kameraden zu helfen.

Eine halbe Stunde später zeigte es sich schon deutlich, daß der Walfisch der Erschöpfung nahe war. Er tauchte nur noch für wenige Minuten unter, ein Beweis, daß es ihm an Athem zu fehlen anfing.

Romain Allotte, der sich die langsamere Fortbewegung des Thieres sofort zunutze machte, ließ seine Leine einholen, und in dem Augenblicke, wo das Boot des Lieutenants Coquebert herankam, gelang es schon seinem Harpunier Ducrest, eine der Flossen des Walfisches mit dem Beile abzuhacken und dem Thiere noch weitere Beilhiebe zu versetzen. Nach einem letzten Untertauchen erschien es aufs neue und peitschte jetzt das Wasser so furchtbar, daß eines der Boote dem Kentern nahe kam. Endlich stieg der Kopf des Wales höher über das Wasser empor, und aus ihm spritzte – ein Zeichen des bevorstehenden Endes – ein blutgefärbter Schaumstrahl auf.

Immerhin galt es noch bei den letzten Zuckungen des mächtigen Thieres auf seiner Hut zu sein. Gerade dabei sind die Jagdboote am schlimmsten gefährdet, denn ein einziger Schlag mit dem Schwanze genügt, sie zu zerschmettern. Diesmal glückte es den beiden Lieutenants, einem solchen Schlage aus dem Wege zu gehen, und nachdem sich der Walfisch auf die Seite gedreht hatte, blieb er regungslos auf der Meeresfläche liegen.[39]

Eben jetzt befanden sich die beiden Boote etwa anderthalb Meilen vom »Saint Enoch« entfernt, der im Heransegeln war, um diesen den Weg abzukürzen. Der Seegang wurde bei nordwestlicher Brise allmählich etwas lebhafter. Uebrigens war der erbeutete Walfisch so groß, daß die Leute viel Mühe gehabt hätten, ihn an das Schiff zu schleppen.

Zuweilen kommt es vor, daß die Boote mehrere Meilen weit von ihrem Schiffe verschlagen oder richtiger weggezogen werden. Steht dann gar eine widrige Strömung, so sind sie genöthigt, sich mittels eines kleinen Wurfankers am Walfische festzulegen, und man nimmt diesen erst, wenn die Strömung sich umgekehrt hat, ins Schlepptau.

Heute war es nicht nöthig, damit zu warten. Gegen vier Uhr hatte sich der »Saint Enoch« bis auf wenige Kabellängen genähert. Die beiden Boote fuhren auf ihn zu, und noch vor fünf Uhr war der todte Wal schon an der Seite des Schiffes festgelegt.

Der Lieutenant Allotte und seine Begleiter wurden von der ganzen Besatzung freudig beglückwünscht. Das Thier war wirklich von sehr ansehnlicher Größe, denn es maß – bei den südlichen Walen eine Seltenheit – zweiundzwanzig Meter in der Länge bei zwölf Metern Umfang hinter den Brustflossen, was etwa ein Gewicht von siebzigtausend Kilogramm erwarten ließ.

»Meinen Glückwunsch, Allotte, meinen Glückwunsch! rief Bourcart wiederholt, das ist ja ein schöner Anfang, und wir brauchten nur wenige Wale von solcher Größe, unsere Thranfässer zu füllen. Was meinen Sie, Meister Cabidoulin?

– Ich? antwortete der Böttcher. Na, so an hundert Fässer Thran wird Ihnen der Bursche schon einbringen, und sollt' ich mich dabei vielleicht um ein Dutzend Fässer irren, so liegt das daran, daß ich das Abschätzen seit längerer Zeit etwas verlernt habe.«

Jean-Marie Cabidoulin verstand sich darauf aber jedenfalls noch so weit, daß er wenigstens einen größeren Schätzungsfehler gewiß nicht beging.

»Heute, erklärte dann der Kapitän Bourcart, ist es schon zu spät. Der Seegang nimmt ab und der Wind auch, so können wir also unter kleiner Segelfläche liegen bleiben. Legt nur den Walfisch ordentlich fest an, morgen mag dann dessen Zerlegung beginnen.«


Der Wal spritzte noch immer einen weißschaumigen Strahl aus. (S. 39.)
Der Wal spritzte noch immer einen weißschaumigen Strahl aus. (S. 39.)

Die Nacht blieb still und der »Saint Enoch« brauchte nicht zu lavieren. Sobald dann die Sonne über den Horizont heraufstieg, ging die Mannschaft andei Arbeit, und zunächst wurden die Lauftaue um das erbeutete Thier gelegt, um dieses mit Hilfe des Spills beliebig drehen zu können.

Dann zog man eine Kette unterhalb der einen äußeren Flosse hindurch, die oben mit einem Tauring geschlossen wurde, um ihre Lage zu sichern. Sobald die Harpuniere dann die andere Flosse abgehackt hatten, begannen die Matrosen die Stangen des Gangspills in Bewegung zu setzen, um das Thier näher an Bord heranzuziehen. Dazu war es nur nöthig, dieses um sich selbst zu drehen, was nach den getroffenen Vorbereitungen keine Schwierigkeiten machte.

Zuerst wurden nun die Weichtheile des Kopfes in Angriff genommen: die Unterlippen wurden abgeschnitten und an einem ungeheueren Haken aufgehängt; dann kamen die Zunge und andere Theile des Rachens daran, die zusammen über die Reling auf Deck befördert wurden, und hierauf der Theil des Maules, woran die Barten sitzen, deren niemals weniger als fünfhundert vorhanden sind.

Dieser Theil der Arbeit erforderte die meiste Zeit, denn um das letzte Stück des Kopfes zu gewinnen, mußte der sehr dicke und harte Knochen, der ihn mit dem Rumpfe verbindet, mühsam durchgesägt werden.

Uebrigens überwachte Meister Cabidoulin diese Arbeit als Sachverständiger, und auch die Leute aus der Mannschaft waren darin keine Neulinge mehr.

Sobald diese vier Theile vom Kopfe nach dem Deck geschafft waren, begann man mit dem Abhäuten des Specks. Die Haut des Wales war zu diesem Zwecke durch Einschnitte in einen Faden breite und zwischen acht und neun Fuß lange Streifen zertheilt worden.

Als sich der größte Theil des Specks an Bord befand, schnitten die Matrosen den mächtigen Schwanz des Thieres ab, der mit anderen nutzlosen Theilen des Rumpfes ins Wasser geworfen wurde. Andere Theile des Thieres wurden zur Ablösung des Specks an Bord genommen, weil diese Arbeit hier bequemer war als vorher, wo das große Seesäugethier noch angeseilt neben dem Schiffe lag.

Der ganze Vormittag ging, obwohl man keinen Augenblick rastete, mit dieser nicht gerade angenehmen Beschäftigung hin, und Bourcart ließ sie erst gegen ein Uhr, nach dem Mittagsessen, wieder aufnehmen.

Die Matrosen gingen nun daran, den Kopf selbst vollends zu zerlegen. Als die Harpuniere daraus vier Theile gemacht hatten, lösten sie mit der Axt die Barten los, die je nach ihrer Dicke mehr oder weniger lang sind. Von diesen faserig-hornigen Gebilden sind nämlich die vordersten kurz und schmal,[43] sie nehmen dann nach der Mitte des Rachens hin an Größe zu und werden im hinteren Rachentheil wieder kleiner. In vollkommener Regelmäßigkeit angeordnet und mit den Wurzeln in einander gefügt, bilden sie eine Art Gitterwerk oder Reuse, die die winzigen Wasserbewohner, die Myriaden kleiner Gliederthiere, mit denen die Spritzwale sich ernähren, gut zurückhalten.

Als die Barten losgelöst waren, ließ Jean-Marie Cabidoulin sie nach dem Hintertheile, neben die Deckcajüte schaffen. Hier sollten sie geschabt werden, um sie von dem walrathähnlichen, aus dem Zahnfleisch abgesonderten, verhärteten Schleime zu befreien. Das im oberen Theil des Kopfes enthaltene Fett wurde herausgeschält und vorläufig zurückgelegt. Nachdem dann der Kopf von allem nutzbaren Inhalte befreit war, wurden dessen Ueberreste einfach über Bord geworfen.

Das Ende des Tages und den ganzen folgenden widmete die Mannschaft dem Schmelzen des Specks. Da von den Wachhabenden nichts über das Auftauchen eines zweiten Wals gemeldet wurde, brauchten die Boote nicht wieder ausgesetzt zu werden, und alle Leute konnten sich an der, eine gewisse Beschleunigung erfordernden Arbeit betheiligen.

Meister Cabidoulin ließ eine ziemliche Anzahl Baljen (Schiffskübel) zwischen dem Großmast und dem Vordercastell aufstellen. In diese warf man den zu kleinen Stücken zerschnittenen Speck, setzte ihn darin einem starken Drucke aus und verwandelte ihn dadurch in so kleine Stückchen, daß diese in die Töpfe des Schmelzofens eingelegt werden konnten, worin sie unter der Wirkung der Hitze schmolzen.

Was dann von dem Speck übrig blieb, die sogenannten Grieben oder Griefen, diente dann selbst wieder zur Unterhaltung der Feuerung für die Zeit, wo der Ofen in Betrieb erhalten wurde, d. h. so lange, bis der gesamte vorhandene Speck zu Thran verwandelt war. Nach Vollendung dieser Operation brauchte jener nur noch in die im Frachtraume aufgestellten Fässer abgelassen zu werden.

Das verursacht keine besonderen Schwierigkeiten. Man läßt den Thran einfach durch eine kleine Luke des Decks durch einen mit Hahn versehenen Hanfschlauch nach einer im Innern aufgestellten Balje ablaufen und von dieser aus wird er in die Fässer gefüllt. Damit ist die Arbeit beendigt und sie beginnt wieder in ganz gleicher Weise, wenn von den Booten weitere Wale neben die Schiffswand geschleppt worden sind.[44]

Am Abend dieses Tages und als der Thran in die Fässer gefüllt war, fragte Bourcart den Meister Cabidoulin, ob er sich nicht über die von dem Thiere gelieferte Ausbeute getäuscht habe.

»Nein, Kapitän, erklärte der Böttcher, der Bursche hat uns hundertfünfzehn volle Fässer eingebracht...

– Wie... soviel? rief der Doctor Filhiol, das muß man gesehen haben, um es zu glauben!

– Ja freilich, meinte Heurtaux, doch das war auch der größte Walfisch, den wir je harpuniert haben.

– Ein glücklicher Wurf des Lieutenants Allotte, setzte Kapitän Bourcart hinzu, und wenn der sich so ein dutzendmal wiederholt, hätten wir fast schon unsere ganze Ladung.«

Man sieht aus diesen Worten, daß die günstigen Erwartungen Bourcart's doch den Sieg über Jean-Marie Cabidoulin's ungünstige Prophezeiungen davontrugen.

Die Meeresgegenden bei Neuseeland sind mit Recht sehr gesucht. Vor dem Eintreffen des »Saint Enoch« hatten mehrere englische und amerikanische Schiffe schon einen recht guten Fang gehabt. Die sogenannten Glattwale sind leichter zu erbeuten als die anderen; sie haben ein weniger feines Gehör und man kann sich an sie heranschleichen, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Leider wüthen hier häufige Stürme und oft auch mit solcher Gewalt, daß die Fahrzeuge fast jede Nacht unter kleiner Besegelung auf dem offenen Meer bleiben müssen, um sich der Gefahr, an die Küste geworfen zu werden, nach Möglichkeit zu entziehen.

In den vier Wochen, die Bourcart in den Gewässern hier verweilte, wurden von der Besatzung elf Wale erbeutet. Zwei davon fing der Obersteuermann Heurtaux, drei der Lieutenant Coquebert, vier der Lieutenant Allotte und zwei der Kapitän selbst. Sie erreichten aber keiner die Größe des ersten, und die Ausbeute davon fiel natürlich auch minder ergiebig aus. Außerdem zogen sich die Spritzfische jetzt schon mehr nach den höheren Breiten zurück. Auch der »Saint Enoch«, der bisher nur neunhundert Fässer voll hatte, mußte nun andere Jagdgründe aufsuchen.

Bourcart gedachte aber vorher noch die Bai des Iles, eine englische Colonie an der Ostküste von Ika-Na-Maui, anzulaufen. An der im Norden der Gruppe gelegenen Insel hoffte er seine Ladung zu vervollständigen, ehe die[45] Fahrt nach den Westküsten Amerikas angetreten wurde. Dort konnte der »Saint Enoch« überdies seine Vorräthe an Kartoffeln ergänzen, und zwar leichter als in der Umgebung von Akaroa, wo diese Knollenfrucht nicht in größerer Menge angebaut wird.

Der Dreimaster lichtete am Abend des 29. März die Anker und am übernächsten Tage bekam er die Bai des Iles in Sicht.

Hier wurde in geringer Entfernung vom Lande geankert. Im Hafen lagen noch mehrere Walfischfänger, die sich bereit machten, von Neuseeland abzusegeln

Gleich nachdem der Kapitän Bourcart beigelegt hatte, erkundigte er sich nach dem Orte, wo er sich mit Kartoffeln versorgen könnte. Man verwies ihn nach einer ein Dutzend Seemeilen vom Hafen im Innern gelegenen Farm. Die Boote der beiden Lieutenants gingen sofort in Begleitung eines als Führer angenommenen Engländers dahin ab.

Sie fuhren einen, sich zwischen hohen Hügeln hinschlängelnden Fluß hinauf. Längs des Ufers standen aus Holz errichtete Maoriwohnungen inmitten von Gärten, deren Erzeugnisse die Eingebornen gern gegen Kleidungsstücke europäischer Herkunft umtauschen. Am Ende der befahrbaren Strecke des Flusses erreichten die Boote eine Farm, wo es Kartoffeln in Ueberfluß gab, mit denen mehrere Binsensäcke gefüllt wurden. An demselben Abend noch an Bord zurückgekehrt, brachten die Boote daneben noch einen hübschen Vorrath vortrefflicher Austern mit, die an den Felswänden des Ufers gesammelt worden waren – ein Labsal für die Officiersmesse wie für die gemeinschaftliche Wohnung.

Am nächsten Tage konnte sich der Tafelmeister des »Saint Enoch« auch eine Menge Zwiebeln aus den Gärten der Maoris verschaffen. Sie wurden wie die Kartoffeln in hergebrachter Weise mit Hosen, Hemden und Stoffen bezahlt, wovon das Schiff zu diesem Zwecke einen großen Ballen mit sich führte.

Uebrigens zeigten sich die Eingebornen, wenigstens in der Umgebung der Bai des Iles, recht entgegenkommend. An anderen Stellen der Inselgruppe kam es jener Zeit freilich leider zu häufigen unruhigen Auftritten. Die Colonisten mußten sich oft gegen die Neuseeländer vertheidigen, und gerade an jenem Tage war ein englischer Aviso aus dem Hafen ausgelaufen, um einige feindliche Stämme zu züchtigen.

Die Officiere und die Matrosen des »Saint Enoch« hatten sich dagegen über den hiesigen Aufenthalt in keiner Weise zu beklagen. Ueberall gastfreundlich empfangen, besuchten sie die Hütten der Eingebornen, wo ihnen Erfrischungen[46] – freilich keine Limonade und kein Bier, denn dergleichen kennen die Eingebornen nicht – in Gestalt vorzüglicher Wassermelonen angeboten wurden. Von solchen strotzte es geradezu in den Gärten, ebenso von nicht minder guten Feigen, unter deren Last die Zweige der Bäume zu brechen drohten.

Bourcart verweilte nur drei Tage in der Bai des Iles. Da er wußte, daß die Wale jetzt diese Gegend verließen, traf er die nothwendigen Maßnahmen für eine lange Fahrt, die sich über viertausend Seemeilen erstrecken sollte.

An der Küste Niederkaliforniens, nahe der Bai Sainte Marguerite war es nämlich, wo der »Saint Enoch« seine so glücklich begonnene Fangreise fortsetzen und voraussichtlich beendigen sollte.

Das durfte man freilich vor dem Böttcher nicht aussprechen.

»Der Anfang ist nur der Anfang, murmelte dann Jean-Marie Cabidoulin. Warten wir erst das Ende ab...

– Ja, ja, das wollen wir gern abwarten,« antwortete darauf Meister Ollive, indem er geringschätzig die Achseln zuckte.

Quelle:
Jules Verne: Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXX, Wien, Pest, Leipzig 1902, S. 32-41,43-47.
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