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[220] Die Meeresstrecke, die Antigoa von Guadeloupe oder richtiger: von der unter diesem Namen zusammengefaßten Inselgruppe trennt, beträgt nicht mehr als hundert bis hundertzwanzig Seemeilen.
Unter gewöhnlichen Verhältnissen konnte der »Alert« – der am Morgen des 16. August beim Auslaufen aus dem Hafen von Sankt-John vom Passatwinde getrieben wurde – binnen vierundzwanzig Stunden recht gut an seinem Bestimmungsorte eintreffen.
Louis Clodion hoffte auch, daß sich morgen bei Tagesanbruch die ersten Höhen der französischen Antille am Horizonte zeigen würden.
Es sollte aber anders kommen. Eine Windstille oder richtiger die große Schwäche der Brise verlangsamte den Lauf des Schiffes, obwohl dieses sein[220] gesamtes Segelwerk trug. Außerdem rollten ihm trotz des kaum zu spürenden Windes kurze, ziemlich hohe Wellen entgegen. Das kam daher, daß dieser Teil des Meeres, ungedeckt von Inseln, nach der Seeseite weit offen lag. Verschiedene Gegenströmungen erzeugen hier eine Art Brandung, ehe die Dünung sich an den Rissen von Montserrat bricht. Selbst wenn der »Alert« vor einer frischen Brise gelaufen wäre, würde er auf dieser Wegstrecke tüchtig geschüttelt worden sein. Horatio Patterson sprach auch bald einigen Zweifel an der Wirksamkeit der Kirschkerne als Schutzmittel gegen die Seekrankheit aus.
Harry Markel hätte ja nötigenfalls hinter Montserrat hinwegsegeln können, wo der Seegang weniger stark war. Damit hätte er sich aber der Gefahr ausgesetzt, zu vielen Schiffen zu begegnen, und das wollte er doch möglichst vermeiden. Dieser Weg wäre überdies etwa um dreißig Meilen länger gewesen. Er mußte dann bis zur äußersten Südspitze von Guadeloupe hinunter gehen und nach deren Umschiffung vielleicht bei Gegenwind erst wieder nordorstwärts nach Pointe-à-Pitre steuern.
Guadeloupe besteht aus zwei großen Inseln.
Die westliche Insel ist das eigentlich sogenannte Guadeloupe, das die Karaïben einst Curucuera nannten. Offiziell mit dem Namen Basse-Terre (Niederland) bezeichnet, obwohl es von den beiden Inseln am höchsten aufsteigt, erhielt es diesen Namen wegen seiner Lage in Bezug auf die Passate.
Die auf den Karten mehr östlich verzeichnete Insel heißt dagegen Grande-Terre (Groß- oder Oberland), obgleich ihre Bodenfläche kleiner ist als die der andern. Der Gesamtumfang beider Inseln beträgt sechzehnhundertdrei Quadratkilometer und ihre Bevölkerung beläuft sich auf hundertsechsunddreißigtausend Seelen.
Basse-Terre und Grande-Terre sind durch einen Salzwasser führenden Fluß getrennt, dessen Breite zwischen fünfundzwanzig und dreißig Metern schwankt und den Fahrzeuge bis mit sieben Fuß Tiefgang benützen können. Der »Alert« hätte in diese Wasserstraße, die den kürzesten Weg für ihn gebildet hätte, gar nicht oder doch nur zur Zeit der höchsten Flut einfahren können, und auch dann hätte jeder vorsichtige Kapitän lieber davon abgesehen. Auch Harry Markel hielt sich auf dem offenen Meere im Osten der Gruppe. Die Fahrt beanspruchte damit vierzig Stunden, statt vierundzwanzig, und erst am Morgen des 18. August erschien der Dreimaster am Eingange der Bucht, in die der erwähnte Fluß ausmündet und in deren Hintergrunde Pointe-à-Pitre liegt.[221]
Zuerst war hier noch ein Kranz von Holmen zu passieren, die, das Wasserbecken umschließend, den eigentlichen Hafen bilden, nach dem nur schmale und ziemlich gewundene Kanäle führen.
Fünf Jahre waren verflossen, seitdem die Familie Louis Clodions die Antillen verlassen hatte, während nur ein Bruder seiner Mutter in Pointe-à-Pitre zurückgeblieben war. Seine Eltern waren mit den andern Kindern nach Frankreich, nach Nantes, übergesiedelt, wo Herr Clodion ein großes Schiffsequipierungsgeschäft leitete. Louis Clodion hatte sich übrigens eine recht treue Erinnerung an die Insel seiner Geburt bewahrt, von der er ja erst im Alter von fünfzehn Jahren weggekommen war, und er hoffte, seinen Kameraden hier alles zeigen und erklären zu können.
Von Osten her heransegelnd, bekam der »Alert« zuerst den Landvorsprung der Grande-Vigie auf Grande-Terre, der nördlichen Gruppe, dann die Spitze der Groß-Caps, hierauf die der Anse aux Loups und die Bucht Saint-Marguerite, und endlich, am Südwestausläufer von Grande-Terre, das Vorgebirge des Châteaux in Sicht.
Louis Clodion konnte an der Ostküste zunächst auf die Stadt du Moule hinweisen, die mit ihren zehntausend Einwohnern die drittwichtigste der Kolonie ist. Hier liegen die mit Zucker beladenen Schiffe und warten einen zum Auslaufen günstigen Wind ab, geschützt gegen stürmtische Witterung und gegen die oft gewaltigen Gezeitenströmungen, die in dieser Gegend häufig schweres Unglück anrichten.
Vor der Umschiffung der Südostspitze von Grande-Terre sahen die Passagiere noch la Désirade, eine andere französische Antille, die den von Europa eintreffenden Schiffen zuerst in Sicht kommt, und von der ein zweihundertachtundsiebzig Meter hoher Berg schon aus großer Entfernung wahrnehmbar ist.
La Désirade an Backbord liegen lassend, steuerte der »Alert« am Vorgebirge des Châteaux vorüber, und von hier aus konnte man im Süden kurze Zeit Petite-Terre, eine weitere Insel, erblicken, die ebenfalls zu der Gruppe von Guadeloupe gehört.
Um einen Überblick über die ganze Inselgruppe zu bieten, hätte das Schiff noch weiter südlich gehen müssen, und zwar bis Marie-Galante, das bei einer Bevölkerung von vierzehntausend Seelen einen Umfang von hundertdreiundsechzig Quadratkilometern hat, und hier wären die bedeutendsten Städte der Insel, Gros-Bourg, Saint-Louis und Vieux-Fort, zu besuchen gewesen.[222]
Mit einem Kurse nach Westen und ziemlich in derselben geographischen Breite, wäre man dagegen auf den kleinen Archipel der Saintes gestoßen, der gegen zweitausend Einwohner und eine Bodenfläche von vierzehn Quadratkilometern hat. Aus sieben Inseln oder Eilanden bestehend und von dem dreihundertsechzehn Meter hohen Chameau überragt, gilt die Gruppe für das beste Sanatorium der Antillen.
Administrativ ist Guadeloupe in drei Arrondissements verteilt. Dazu gehören der Teil von Sankt-Martin, der nicht im Besitz Hollands ist, die Insel Sankt-Barthelemy, die Schweden an Frankreich abgetreten hatte, und die Saintes, die zusammen das Arrondissement Basse-Terre bilden, ferner la Désirade mit der gleichnamigen Hauptstadt, zum Arrondissement Poin te-à-Pitre gehörig, und endlich Marie-Galante, der Hauptort des dritten Arrondissements.
Dieses Kolonialgebiet wird in seinem Generalrat durch sechsunddreißig Räte und im Parlament durch einen Senator und zwei Abgeordnete vertreten. Sein Handelsumsatz erreicht in der Ausfuhr fünfzig, in der Einfuhr siebenunddreißig Millionen Francs, zum größten Teile im Verkehr mit Frankreich.
Die örtlichen Bedürfnisse im Betrage von fünf Millionen Francs werden durch einen Ausfuhrzoll auf Kolonialwaren und einen Einfuhrzoll auf Spirituosen u. dgl. gedeckt.
Der Onkel Louis Clodions, der Bruder seiner Mutter, ein Herr Henry Barrand, war einer der vermögendsten und einflußreichsten Pflanzer von Guadeloupe. Er wohnte in Pointe-à-Pitre und hatte ausgedehnte Besitzungen in der Umgebung der Stadt. Sein Vermögen, seine Lebenserfahrung, neben einem offenherzigen Charakter, einnehmenden Wesen und einem nie versiegenden Humor gewannen ihm alle zu Freunden, mit denen er in Berührung kam. Sechsundvierzig Jahre alt, ein eifriger Jäger und warmer Freund jedes Sports, ritt er lustig durch seine weiten Pflanzungen, liebte gutes Essen und Trinken wie ein echter Landedelmann, wenn man einen Kolonisten der Antillen so nennen darf, und, obendrein unverheiratet, war er ein richtiger amerikanischer Erbonkel, auf den seine Nichten und Neffen zählen konnten.
Man kann sich wohl leicht vorstellen, mit welch freudiger Rührung er Louis Clodion bei der Ankunft des »Alert« in die Arme schloß.
»Willkommen... willkommen, mein liebster Louis! rief er. Welches Glück, dich nach fünfjähriger Trennung wiederzusehen! Wenn ich mich nicht ebensoviel[223] wie du verändert habe, bin ich noch nicht zum alten Manne geworden, während du zum jungen Manne herangewachsen bist!
– Mein lieber Onkel, antwortete Clodion, du bist ja noch immer derselbe!
– Nun, desto besser! erwiderte Herr Barrand, der sich nun an die auf dem Deck versammelten Passagiere wendete. Seien auch Sie mir willkommen, Sie jungen Genossen meines Neffen, und halten Sie sich überzeugt, daß die Kolonie die Pensionäre der Antilian School mit freudiger Befriedigung empfängt!«
Dann drückte der prächtige Mann alle ihm entgegengestreckten Hände und wendete sich hierauf wieder an Louis.
»Und wie befinden sich Vater, Mutter, Kinder... kurz, alle da unten... in Nantes?
– Gott sei Dank, alle befinden sich recht wohl, lieber Onkel. Über sie kann ich ja aber wohl etwas mehr durch dich erfahren...
– Gewiß, ich habe erst vorgestern einen Brief von meiner Schwester erhalten. Die ganze Familie ist wohlauf. Die zärtliche Schwester legt mir ans Herz, dich gut aufzunehmen... als ob das nötig gewesen wäre! Na, nächsten Winter werd' ich sie einmal besuchen, sie und die ganze Verwandtschaft...
– Ach, das ist ja herrlich, Onkel, denn zu der Zeit werde ich die Schule absolviert haben und jedenfalls auch in Nantes sein.
– Wenn du nicht hier bist, lieber Neffe. Ich habe darüber so meine eigenen Gedanken... doch das wird sich später finden.«
Eben näherte sich Patterson mit einer gemessenen Verbeugung vor Herrn Barrand und sagte:
»Sie erlauben mir wohl, geehrter Herr, Ihnen meine lieben Pensionäre vorzustellen.
– Ah, rief der Pflanzer, das ist doch... das muß ja Herr Patterson sein. Na, wie gehts Ihnen denn, Herr Patterson?
– O, so gut, wie es nach einer Seereise mit tüchtigem Stampfen und Schlingern möglich ist...
– Ja ja, ich kenne Sie schon, unterbrach ihn Barrand, ebenso wie alle Zöglinge der Antilian School, deren Großalmosenier und Geistlicher Sie sind...
– Entschuldigen Sie, Herr Barrand... Verwalter...[224]
– Verwalter oder Almosenier, das kommt zuletzt auf eins hinaus, erwiderte der Pflanzer herzhaft auflachend, der eine hat es mit den irdischen, der andere mehr mit den himmlischen Rechnungen zu tun. Wenn zuletzt nur der Abschluß stimmt, dann ist es ja gut.«
Während er so sprach, ging Herr Barrand schon von dem einen Preisträger zum andern, und zuletzt drückte er Horatio Patterson die Hände so kräftig, daß dieser, wenn er Almosenier gewesen wäre, den Pensionären der Antilian School unmöglich hätte seinen Segen erteilen können.
»Machen Sie sich bereit, ans Land zu gehen, meine Freunde, fuhr der aufgeräumte Pflanzer fort. Sie wohnen natürlich alle bei mir! Mein Haus ist groß genug, und wenn sie hundertmal so viele wären, Sie äßen doch nicht auf, was meine Felder liefern! Sie, Herr Patterson, begleiten selbstverständlich die jungen Leute, und Sie, Kapitän Paxton, wenn es Ihnen genehm ist, ebenfalls.«
Diese Einladung wurde natürlich wie immer abgelehnt, und Herr Barrand, der keine langen Worte zu machen liebte, bestand auch darauf nicht weiter.
»Aber, verehrter Herr Barrand, bemerkte da der Mentor, wenn ich Ihnen herzlich danke für die Gastfreundschaft, die Sie uns anbieten... anbieten mit soviel... wie soll ich sagen...
– Sagen Sie lieber nichts, Herr Patterson, das ist jedenfalls besser.
– Doch wenn wir Sie irgendwie belästigen... nur im geringsten genieren...
– Mich genieren... mich?... Seh' ich denn aus wie Einer, den man genieren kann oder der sich selbst geniert?... Nichts da, ich will es nun einmal!«
Einem so bestimmten Verlangen gegenüber mußte man wohl oder übel gehorchen.
Als Patterson dann seine Passagiere noch förmlich vorstellen wollte, rief der Pflanzer freundlich abwehrend:
»Ach was, ich kenne ja die jungen Leuten, alle ihre Namen haben in den Zeitungen gestanden, und ich wette, daß ich weiß, wer die einzelnen sind. Hier zum Beispiele die Engländer: Roger Hinsdale, John Howard und Hubert Perkins... ich bin ja schon mit deren Familien in Sankta-Lucia, auf Dominique und auf Antigoa zusammengetroffen.«
Die drei Engländer fühlten sich durch diese Erklärung nicht wenig geschmeichelt.[227]
»Dann, der große Blondin hier... das ist natürlich Albertus Leuwen aus Sankt-Martin.
– Wie Sie sagen, Herr Barrand, erwiderte der junge Holländer grüßend.
– Und die beiden hübschen Leutchen, die sich so bescheiden im Hintergrunde halten, das sind der eine Niels Harboe aus Sankt-Thomas, und der andre Axel Wickborn aus Sainte-Croix. Sie sehen, ich täusche mich bei keinem einzigen. Und du da drüben, der Kleine mit den lebhaften Augen, der nicht einen Moment stille stehen kann, der Kuckuck soll mich holen, wenn du nicht französisches Blut in den Adern hast.
– Bis zum letzten Tropfen, bestätigte Tony Renault, doch ich bin auf Martinique geboren.
– Na, das ist aber unrecht!
– Wieso... unrecht?
– Jawohl; wenn man als Franzose auf den Antillen geboren wird, so darf das nur auf Guadeloupe, doch nirgends anderswo sein, denn Guadeloupe... nun ja, das ist und bleibt einmal Guadeloupe.
– Man kommt eben zur Welt, wo einem das möglich ist, rief Tony Renault laut auflachend.
– Hast recht, mein Sohn, erwiderte Herr Barrand, ich werde dir wegen jenes Fehltritts auch nicht weiter böse sein.
– Unserm Tony kann überhaupt niemand böse sein, mischte sich Louis Clodion ein, das ist einfach unmöglich.
– O, es soll niemand argwöhnen, setzte der Pflanzer hinzu, daß ich etwa Martinique, Désirade oder andere französische Inseln geringer schätzte! Doch ich stamme nun einmal von Guadeloupe, das sagt alles. Der lange Secco dort... der mit dem hellblonden Haar... das muß Magnus Anders sein...
– Ganz recht, lieber Onkel, antwortete Louis Clodion, er ist es, der in Sankt-Barthelemy seine Heimatinsel nicht wiedergefunden hat, weil sie aufgehört hat, schwedischer Besitz zu sein.
– Ja, richtig, meinte Herr Barrand, das haben wir durch die Zeitungen erfahren. Schweden hat seine Kolonie an uns abgetreten. Nun nun, Anders, deshalb brauchen Sie nicht so bekümmert zu sein!... Wir neh men Sie als Bruder auf, und Sie werden bald erkennen, daß Schweden keinen bessern Freund als Frankreich hat.«[228]
Das war also Herr Henry Barrand, der Onkel Louis Clodions. Gleich nach der ersten Begegnung kannten sie ihn, als ob sie seit ihrer Geburt auf seinen Pflanzungen gelebt hätten.
Ehe er fortging, sagte Herr Barrand noch:
»Um elf Uhr steht das Frühstück bereit... ein ordentliches Frühstück für alle. Verstanden, Herr Patterson? Ich dulde keine zehn Minuten Verspätung.
– Rechnen Sie auf meine chronometrische Pünktlichkeit!« versicherte Patterson.
Herr Barrand nahm seinen Neffen gleich in dem Boote mit, das ihn beim Einlaufen des »Alert« nach diesem gebracht hatte.
Basse-Terre macht vielleicht einen hübschern Eindruck als Pointe-à-Pitre. Durch seine Lage an der Mündung des Flusses Aux-Herbes und nahe der äußersten Spitze der Insel, erregt es mehr die Aufmerksamkeit der Besucher ebenso durch seine amphitheatralisch einander überragenden Häuser, wie durch die schönen Hügel, die die Stadt einrahmen. Henry Barrand hätte dem vielleicht nicht völlig zugestimmt, denn so wie er Guadeloupe für die erste der französischen Antillen hielt, so erklärte er auch Pointe-à-Pitre für die erste Stadt Guadeloupes. Er erinnerte sich nur nicht gern daran, daß Guadeloupe 1759 vor den Engländern kapitulierte, daß es 1794 und noch einmal 1810 unter englische Oberhoheit kam und Frankreich endgültig erst durch den Friedensvertrag vom 30. Mai 1814 zurückgegeben wurde.
Pointe-à-Pitre verdiente jedoch ebenfalls den Besuch der jungen Reisenden, und Herr Barrand würde es gewiß nicht an Eifer fehlen lassen, dessen Schönheiten in eindringlichster Weise hervorzuheben. Das blieb einem spätern Spaziergange vorbehalten. Jetzt fuhren die Gäste des Kolonisten nur in mehreren, ihnen zur Verfügung gestellten Wagen quer durch die Stadt, und in einer Viertelstunde hatten sie den Landsitz Rose-Croix erreicht, wo Louis Clodion und sein Onkel sie erwarteten.
In dem großen Speisezimmer der prächtigen Villa stand für sie ein vortreffliches, mehr nahrhaftes als gewähltes Frühstück bereit. Die hungrigen jungen Leute taten ihm natürlich alle Ehre an und verzehrten mit Vergnügen das saftige frische Fleisch neben Fischen, Wildbret, Gemüsen aus der Pflanzung, Früchten aus den Baumgärten, ferner den Kaffee erster Güte, der, da man sich auf Guadeloupe befand, sogar für noch besser erklärt wurde als der von Martinique, vorzüglich weil er noch obendrein aus den Kaffeeplantagen von Rose-Croix herstammte.[229] Dabei regnete es Lobsprüche auf Guadeloupe, vor allem auf Pointe- à-Pitre, und eine Menge Toaste, die der darin unerschöpfliche Amphitryo ausbrachte.
Jedenfalls hat die Natur übrigens für Basse-Terre mehr getan als für Grande-Terre. Hier zeigt sich eine bergerfüllte Gegend, der plutonische Kräfte ein malerisches Relief verliehen haben; hier steigt die Grosse-Montagne siebenhundert Meter hoch hinauf und erheben sich die drei Manilles, die ihn noch um fünfzig Meter überragen, ebenso wie der fast gleich hohe Caraibe; ferner, mehr in der Mitte der Insel, die berühmte Soufrière, deren höchster Gipfel fast fünfzehnhundert Meter über dem Meere liegen soll.
Wie könnte sich wohl, außer in der lebhaften Phantasie des Herrn Barrand, Grande-Terre mit dieser an Schönheiten so reichen Gegend, dieser kleinen antillanischen Schweiz vergleichen wollen! Grande-Terre ist fast ein Flachland mit niedrigen, mehr ebenen Erhöhungen, die sich bis über Sehweite hinaus hinziehen. An Ergiebigkeit des Landbaues steht es seiner Nachbarinsel dagegen nicht nach.
Horatio Patterson machte auch die recht treffende Bemerkung:
»Was ich nicht begreife, Herr Barrand, ist, daß der furchtbare Schmied Vulkan gerade nur Basse-Terre auf seinem mythologischen Amboß mit solcher Vorliebe bearbeitet hat... wenn diese Metapher zulässig ist.
– Bei einem Glase Wein ist alles zulässig, Herr Patterson! antwortete der Pflanzer, sein Glas erhebend.
– Mich verwundert es, fuhr der Mentor fort, daß dabei jenes Basse-Terre von Erschütterungen durch Erdbeben verschont geblieben ist, während Grande-Terre, das einst doch mehr aus den freundlichen Händen des Gottes Neptun hervorging, solchen Naturerscheinungen besonders ausgesetzt ist.
– Eine richtige Bemerkung, Herr Verwalter, erklärte Herr Barrand. Basse-Terre müßte eigentlich von solchen Zuckungen der Mutter Erde weit mehr heimgesucht werden als Grande-Terre, denn das erste sitzt wie ein Kochtopf über dem Feuerherde. Dennoch hat von den beiden Inseln die unsrige stets am meisten zu leiden gehabt. Ja... was meinen Sie?... die Natur begeht auch zuweilen Fehlgriffe, und da der Mensch dagegen ohnmächtig ist, muß man sich mit diesen wohl oder übel abfinden. Ich wiederhole also... und bitte Sie, in einen letzten Toast einzustimmen: Auf das Wohlergehen von Grande-Terre, auf das fröhliche Gedeihen unserer Stadt Pointe-à-Pitre![230]
– Und ein Hoch zu Ehren unseres gastfreien Wirtes!« fügte Patterson hinzu.
Die guten Wünsche waren übrigens schon erfüllt. Pointe-à-Pitre ist seit seiner Gründung stets ein blühender Ort gewesen, trotz der Angriffe und Überfälle, wodurch die Insel wiederholt arg verwüstet wurde, trotz der Feuersbrünste, die sie mehrfach heimsuchten, und trotz des schrecklichen Erdbebens von 1843, das binnen siebzig Sekunden fünftausend Opfer forderte. Damals blieb von der Stadt nichts übrig als einige Mauerreste und die Vorderwand einer Kirche, deren Uhr bei zehn Uhr fünfunddreißig Minuten Vormittag stehen geblieben war. Die Katastrophe erstreckte sich noch bis zur Stadt Moule und nach den Ortschaften Saint-François, Sainte-Anne, Port-Louis, Sainte-Rose, sowie über die Bertrandbucht und nach Joinville, sie erschütterte sogar noch Basse-Terre, wo sie jedoch nicht mehr so heftig auftrat wie in Pointe-à-Pitre. Sehr bald nachher waren die Häuser, doch alle nur niedrig und voneinander getrennt, wieder aufgebaut. Jetzt verlaufen von der Hauptstadt aus mehrere Schienenstränge, die die Zuckermühlen und andere industrielle Anlagen in der Umgebung verbinden. An allen Seiten sind außerdem Eukalyptuswälder aufgewachsen, die durch das Aufsaugen der Bodenfeuchtigkeit den Gesundheitszustand sehr günstig beeinflussen. Durch den Besuch seiner vortrefflich gepflegten Besitzungen machten die Gäste ihrem Wirte eine besondere Freude. Dank einer höchst zweckmäßigen Bewässerungsanlage versprachen die ausgedehnten Zuckerrohrfelder eine überreiche Ernte. Die Kaffeeplantagen, die auf den zwischen zwei- und sechshundert Meter hohen Hügeln der Insel ausgezeichnet gediehen, lieferten – nach Herrn Barrands Versicherung – einen weit besseren Kaffee als Martinique. Weiter durchstreifte die Gesellschaft die Felder in der nächsten Umgebung der Wohnstätte, die Weideplätze, die infolge guter Bewässerung im frischesten Grün prangten; man bewunderte die üppigen Karata-Aloes, die Baumwollpflanzungen, die zwar noch wenig ausgedehnt waren, doch einen guten Ertrag versprachen, ferner die Kulturen von Tabak, der nur für den eigenen Verbrauch angebaut wurde, aber nach dem Urteil des tätigen Pflanzers sich mit jedem anderen von den Antillen messen konnte, und endlich die Felder mit Maniok, Ignamen, Bataten und die Baumgärten mit hochedlen Obstsorten.
Selbstverständlich beschäftigte Herr Barrand ein zahlreiches, freies, ihm treu ergebenes Personal, das eher alle Vergünstigungen der Emanzipation geopfert, als es die Besitzung Rose-Croix verlassen hätte.[231]
So selbstwillig der Onkel Louis Clodions aber auch war, wollte er die Passagiere des »Alert« doch nicht des Vergnügens berauben, einige besonders interessante Punkte des westlich gelegenen, eigentlichen Guadeloupe kennen zu lernen. Am zweiten Tage nach deren Ankunft, am 20. August, brachte sie ein eigens gemietetes kleines Dampfboot, das ihrer im Hafen von Pointe-à-Pitre wartete, nach der Südküste von Basse-Terre.
Die Stadt Basse-Terre, obwohl politisch der Hauptort der Gruppe, nimmt unter den Städten der Kolonie doch nur die dritte Stelle ein. Trotzdem kann sich, wenn Barrand das auch nicht zugeben wollte, keine andere mit ihr vergleichen. Erbaut an der Mündung des Aux-Herbesflusses, liegen ihre zwischen prächtigen Bäumen hervorschimmernden Häuser amphitheatralisch über einen Hügel zerstreut, und außen herum noch zahlreiche hübsche Villen, die sich unausgesetzt der heilsamen, erquickenden Seewinde erfreuen. Hatte ihr Wirt die jungen Leute bei diesem Ausfluge nicht begleitet, so trat für ihn doch Louis Clodion, der Basse-Terre gründlich kannte, als trefflicher Cicerone ein. So wurde denn auch weder der auf allen Antillen berühmte Botanische Garten, noch das, ebenso wie das von des Saintes, besonders heilsame Sanatorium Jacob übergangen.
In dieser Weise verliefen die vier Aufenthaltstage mit Spaziergängen und belehrenden Ausflügen, bei denen keine Stunde unausgefüllt blieb. Die mehr als reichlichen Mahlzeiten eröffneten Horatio Patterson freilich die Aussicht auf viele Magenkatarrhe oder Magenerweiterungen, wenn der Aufenthalt hier noch einige Tage länger gedauert hätte!... Die Zeit der Abfahrt war jedoch herangekommen.
Die so umfassende, so herzliche, kurz echt französische Gastfreundlichkeit sollten die Passagiere des »Alert« zwar in Martinique jedenfalls wiederfinden, das war aber kein Grund, nicht eine überaus angenehme Erinnerung an Guadeloupe und eine aufrichtige Dankbarkeit für die Aufnahme seitens des Herrn Barrand zu bewahren.
Nur dessen starke Eifersucht durfte man nicht dadurch reizen, daß man vor ihm von Martinique sprach, und noch am Abend vor der Abreise sagte er zu Patterson:
»Es bringt mich ordentlich in die Wolle, zu sehen, daß die französische Regierung für unsere Rivalin immer eine gewisse Vorliebe zeigt.
– Und worin äußert sich denn diese Bevorzugung? fragte Patterson.
– Nun, erklärte Barrand, ohne seinen Mißmut zu bemänteln, hat sie nicht Fort-de-France zum Anlaufhafen ihrer transatlantischen Paketboote gewählt? Erscheint denn Pointe-à-Pitre dazu nicht weit geeigneter?
– Gewiß, gab Patterson zu; ich meine, die Bewohner von Guadeloupe sollten gegen jene Anordnung doch Einspruch erheben können.
– Einspruch erheben... rief der Pflanzer, wer sollte denn das in die Hand nehmen und wer sich dessen annehmen?
– Haben Sie denn keine Vertreter im französischen Parlamente?
– O doch, einen Senator und zwei Abgeordnete, antwortete Barrand, sie tun auch, was in ihren Kräften steht, die Interessen der Kolonie zu wahren.
– Das ist ja ihre Pflicht,« meinte der Mentor.
Am Abend des 21. August begleitete Herr Barrand seine Gäste an Bord des »Alert«, und nachdem er seinen Neffen zum letztenmal umarmt hatte, drückte er allen seinen Kameraden die Hand.
»Würdet ihr, statt nach Martinique zu gehen, sagte er, nicht wirklich besser tun, noch acht Tage länger auf Guadeloupe zu bleiben?
– So?... Und was würde es dann mit meiner Insel? rief Tony Renault.
– Deine Insel, mein Sohn, o, die schwömme auch nicht davon; du würdest sie bei einer spätern Reise schon noch wiederfinden.
– Ihr Anerbieten, Herr Barrand, warf da Patterson ein, berührt uns aufs angenehmste und wir sind Ihnen dafür herzlich dankbar. Wir müssen uns aber an das Reiseprogramm der Mistreß Kathlen Seymour halten...
– Ja freilich; so geht denn nach Martinique, meine jungen Freunde, lenkte Herr Barrand ein, doch nehmt euch dort vor den Schlangen in acht, die die Engländer vor der Überlassung der Insel an Frankreich heimlich dahingebracht haben sollen.
– Wäre das möglich? antwortete der Mentor. Nein, ich werde meinen Landsleuten eine solche heimtückische Bosheit niemals zutrauen.
– Es ist aber geschichtlich, Herr Patterson, erwiderte der Pflanzer, geschichtlich nachgewiesen. Und wenn Sie sich da unten beißen lassen, wird das wenigstens von einer britischen Schlange gewesen sein.
– Britisch oder nicht, lieber Onkel, fiel Louis Clodion ein, wir werden uns schon davor zu hüten wissen.
– Was ich noch fragen wollte, sagte Barrand, schon im Begriff, das Schiff zu verlassen, habt ihr denn einen guten Kapitän?[235]
– So gut es einen solchen geben kann, versicherte Patterson, wir haben alle Ursache, mit ihm vollkommen zufrieden zu sein. Mistreß Kathlen Seymour hätte keine bessere Wahl treffen können.
– Desto schlimmer, antwortete Barrand ernsthaft und mit den Achseln zuckend.
– Desto schlimmer?... Ich bitte Sie, inwiefern denn?
– Weil der ›Alert‹, wenn ihn ein schlechterer Kapitän befehligte, beim Verlassen des Hafens vielleicht an der Küste aufgelaufen wäre, und ich hätte damit die schönste Aussicht gehabt, euch alle noch ein paar Wochen in Rose-Croix zu behalten!«
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