Fünfter Auftritt

[54] Euphorion kommt aus der Seitenhöhle gehüpft, zur Laute singend, in kurzen Pausen hochaufspringend.


EUPHORION.

Bin die Begeisterung,

Bin der sublime Schwung,

Bin auch der wilde Sprung

Tief in die Niederung,

Hurre hopp hopp!


Bin Himmelsstürmerei,

Edelste Raserei

Neuester Poesei,

Ungezähmt göttlich frei!

Hurre hopp hopp!


Springt stärker auf.


HELENA.

Ach du lieb Knabenbild,

Springe doch nicht so wild,

Möglichenfalls

Brichst du den Hals!

EUPHORION springt noch heftiger.

Fern und so weiter fern,

Weit und so ferner weit

Spring ich und hüpf ich gern

Hoch über Raum und Zeit,

Hurre hopp hopp!


Fort und so ferner fort,

Fern und so forter fern

Stürm ich von Ort zu Ort,

Frage nach keinem Herrn!

Hurre hopp hopp!


Treulich und so fortan

Flieg ich zum Himmelszelt,

Freilich und fort so an[55]

Nieder zur Erdenwelt!

Hurre hopp hopp!

HELENA.

O denk, o denke,

Wem du gehörest,

Wie du uns störest

Durch diese Schwänke!

Lasse vom tollen Trieb

Deinem Papa zulieb,

Welcher im Staat

Möglicher künftiger,

Wirklicher zünftiger,

Zünftiger wirklicher,

Spreeflußbezirklicher

Geheimerrat!

EUPHORION wie vorhin.

Bin nicht nur Sang und Klang,

Sondern auch Tatendrang,

Nicht nur Geistüberschwang,

Auch etwas Dong Juang!

Hurre hopp hopp!


Bin nämlich eigentlich,

Wenn man profunder bohrt,

Merklich hinzeigentlich

Byron der stolze Lord.

Hurre hopp hopp!


Springe auch wagentlich

Diesem Mann und Papa

Nicht viel nachfragentlich

Über den Kopf, haha!

Hopsasa, hopsasa

Hurre hopp hopp!


Er springt beiden mit sog. Grätschsprung über den Kopf.


VALENTIN.

Jetzt ist's zuviel, verzogner Naseweis,

Lausbub, ich packe dich am Hosenpreis![56]

FAUST.

Ja, faß ihn nur und gib zu seinem Heil

Ihm eine Tracht auf jenen Teil

Der menschlichen Persönlichkeit,

Der stets, da er so rund und breit,

Am meisten ein Objekt ist der Erziehung,

Ein Ziel der pädagogischen Bemühung!


Valentin tut es.


HELENA.

Laß ab, laß ab, du nordisch eherner Barbar,

Germanischen Waldes wildes Eichelfraßprodukt!

FAUST.

᾽Ο μὴ δαρεὶς ἀνϑρωπος οὐ παιδεύεται.

EUPHORION.

Ototoi, ai, ai, ai!

HELENA.

Ach, diese Hiebe auf des Kindes zart Gesäß,

Sie sind trotz tiefem Wort des Dichters Sophokles

Für fühlend weiches Griechenmutterherz zu räs!

VALENTIN fortfahrend.

Hei! Wie das patscht

Und platzt und klatscht!

FAUST.

Der Mensch ist schrecklich drastisch,

Die Griechin gar hört man in Reimen klagen.

VALENTIN.

Es macht sich gar so gut elastisch,

's ist eine Lust, recht draufzuschlagen.

HELENA wankend.

Entsetzt vom Anblick dieser grausen Schaudertat,

Geh ich verhauchend meine Seele jetzt zurück

In das geheimnisvolle Müttermagazin.

Ein altes Wort bewährt sich traurig auch an mir:

Daß Draht und Kleister dauerhaft sich nie vereint.

Zerrissen ist der Fädchen und der Drähtchen Band,

Werg, Leinwand, Flicken, Pappe fallen stäubend ab.[57]

Bejammernd solches, sag ich schmerzlich Lebewohl

Und sinke dir noch einmal weinend an die Brust,

Doch sterbend laß ich meine Krinoline dir!


Sie umarmt Faust und löst sich in Teilchen auf, welche in die Krinoline hineinfallen.


FAUST.

O dieser Wendung Tiefsinn ist enorm!

Es bleibet vom Antiken nur die Form!

Zwar ist's schon einmal dagewesen,

Auch kann man's sonst in Büchern lesen.

VALENTIN in die Krinoline hineinblickend.

Was tausend! Trödelwerk von lauter Drähtchen,

Von Kurbeln, Stangen, Bügeln, Rädchen

Verkritzeltes Papier aus Schülermappen,

Pappreste, Leinwandfetzen, Flicken, Lappen –

Ganz blieb nur dieses luft'ge Reifgestelle,

Da sieht man's recht: Plusmacherei der Hölle!

FAUST.

Am Hühnerkorbe freilich ist nicht viel!

Die Mode geht jetzt auf ein andres Ziel;

Von außen her umnähet sie den Rock

Mit Flatteraufputz, windigem Gelock,

Nach hinten drängt sie mit vermehrten Kräften,

Der Wölbung dort ein Bauschwerk aufzuheften,

Dort häuft und häuft sie und gestaltet so

Das zücht'ge Weib zum wandelnden Popo;

Sieht man sie gehn, so ist der rechte Name:

Da kommt ja ein Popo mit etwas Dame.

Die Dichtkunst, diesem reinen Drange gleich,

Baut dortherum ihr muffig Himmelreich;

Standhaft erprobet im Kloakenwerke

Des Nasennerves ungewohnte Stärke

Der neuen Zeit Savonarola,

Herr Zola,

Und ruft der Klassizistenzunft zum Trutz:

Das wahrhaft Ideale ist der Schmutz![58]

Da ist die steifste Klassik mir doch lieber;

Heb auf den Korb und stürze mir ihn über.

VALENTIN tut es, reißt aber das Gestell wieder weg und wirft es beiseite.

Den Teufel auch! Was soll die Narretei!

Was soll die Maske der entseelten Puppe!

Geh du natürlich, ungezwungen, frei

Wie ich in deiner guten, deutschen Juppe.

FAUST nach dem Gestell greifend.

Nein, nein! Hochklassisch will ich jetzo bleiben

Der Poesie zu ihrem wahren Heil,

Pandora, Epimenides will ich schreiben,

Will schreiben meinen eignen, zweiten Teil.

VALENTIN.

Du warst ein andrer Kerl, mein Bester,

Als mich du schriebst und meine Schwester!

Zum Henker mit dem steifen Artefakt,

Das dich in Roßhaar, Wachstuch, Werg verpackt!


Er zerreißt das Gestell.


EUPHORION der wimmernd zugesehen.

Schreckliche Rupferei!

All meine Hupferei

Wird Überdruß!

Müde des Tageslichts,

Streb ich ins ew'ge Nichts –

Dies ist der Schluß.


Werde vor bittrem Leid

Jetzt die Zerrissenheit,

Weltschmerzlerei,

Die pessimistische,

Die nihilistische

Ausmerzlerei.


Fort mit der Seinerei!

Sei's die Verneinerei,

Die jetzt regiert!

Fort die Fortanerei![59]

Hoch die Nirwanerei!

Welt sei negiert!


Er springt mit einer heftigen Schnellung ans Gewölbe auf und fällt zerplatzt in Form von Guttaperchalappen herunter.


VALENTIN.

Da liegt der Spatz,

Da sieh den Schatz!

Ein Haufen Gummifetzen!

FAUST.

Es ist auch wahr, wer mag sich da ergetzen,

Am Puppenspiele weiter noch sich letzen!

Das ganze Zeug ist endlich mir entleidet,

Ich mache einen Strich,

Der jetzt entschlossen scheidet

Mein altes Ich von einem neuen Ich.


Er stößt die Lappen mit dem Fuße zu den Krinolinresten.


Fort mit dem Plunder, und zertreten sei

Die tatenfaule Humanisterei!


Beide treten auf den Resten herum.


GESANG UNSICHTBARER GUTER GEISTER.

Glücklich erstanden!

Selig derjenige,

Der die Helenige,

Mehr krinolinische

Als heroinische,

Nicht sehr natürliche,

Wächsern figürliche,

Klassisch beschwatzende,

Mannsgeist befratzende,

Dann die euphorische,

Hüpfend emporische,

Auf und ab purzliche,

Springende, sturzliche,

Naseweis knabische,[60]

Gummiarabische,

Sturmdrangpoetische,

Wilde, phrenetische,

Lordische, britische,

Launische, wittische,

Zweifelzerbissene,

Weltschmerzzerissene,

Willen kastrierende,

Dasein negierende

Prüfung bestanden!

FAUST.

Ihr Geister, Dank! Doch fast des Lobs zuviel!

Es war im Grund ein abgeschmacktes Spiel.

Ich strecke mich nach einem höhern Ziel,

Ich such ein neues Blatt in meines Lebens Kodex.

VALENTIN.

Das tücht'ge Pritschen auf Euphorions Potex

Gemahnte mich an meine alten Zeiten.

Als guter Landsknecht möcht' ich wieder schreiten

Zur Schlacht, zur Schlacht,

Dreinhaun mit Macht!

Schlugst du nicht auch zu eines Kaisers Heile

Schon eine Schlacht in Goethes zweitem Teile?

FAUST.

Das war ja nichts; warst vorhin ja dabei,

Wie ich der Helena gestand die Flunkerei;

Mephisto mit fingierten Kriegerscharen,

Mit allegorischen Automaten

Trieb mir den Feind im vierten Akt zu Paaren:

Dies ist das Ganze meiner Taten,

Symbole sind's von Noten, Tintenflüssen,

Depeschen, diplomatischen Ergüssen,

Mit denen ich, des Friedens schlaffer Sohn,

Trieb die bewaffnete Mediation.

Ich bin's nicht mehr, nicht mehr der friedereiche

Romantiker, der tatenscheue, weiche;[61]

Seit diese Helena nun wieder hat gastieret,

Bin ich, ich wiederhol's, vom Schöngeisttum kurieret;

Mein Will' ist jetzt ein Helm, ein Schwert, ein Schild,

Mir graust vor jener Zeiten mattem Bild,

Da ich gestrebt, mir eine Macht zu schaffen,

Um zu bezwingen eine Welt in Waffen,

Dann so gepanzert vorzog, mich zu ducken,

Daß selbst ein Zwerg mir durft' ins Antlitz spucken;

Zum Spott der Völker war's benannt

Die Politik der freien Hand.


Quelle:
Friedrich Theodor Vischer: Faust, Der Tragödie dritter Teil. Stuttgart 1978, S. 54-62.
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