Erster Auftritt

[86] Mephistopheles vor einer großen, dunkeln Wolke, hinter welcher Glanz hervorstrahlt.


MEPHISTOPHELES.

Beim siedenden, höllischen Pech und Schwefel!

Das ist nicht recht, ist Verrat und Frevel!

Ein andrer, ein Schwächling mag dich loben,

Wortbrechende Eigenmacht da oben!

Sooft er mir in die Falle tappt,

Wird er mir wieder weggeschnappt;

Fass' ich ihn wieder, wird aus meinen Ketten

Ihn sicherlich ein neuer Staatsstreich retten!

STIMME DES HERRN aus der Wolke.

Es irrt der Mensch, solang er strebt.

MEPHISTOPHELES.

Nicht übel! Und wenn er zappelnd klebt

Und also in Wahrheit nicht mehr strebt,

Ist er nicht mein?

STIMME DES HERRN.

Nein!

Er wird sich erheben

Und wieder streben.

MEPHISTOPHELES.

Schon gut, nur dauert es nicht lange.

STIMME DES HERRN.

Auch dann ist uns um ihn nicht bange,

Aufs neue schwingt er sich empor.

MEPHISTOPHELES.

So, so! Nun aber kommt mir's vor,

Wir geraten ins ewige Lied hinein,

In die Schraube ohn Ende;[86]

Mir wirbelt's im Oberkämmerlein,

Als ob das Gehirn mir brennte;

Wer sagt mir in dieser Finsternuß,

Wie das Drama dann finde seinen Schluß? –

Und noch etwas: liegt er im Sumpf und Schilfe,

Dann schickst du Geister zu seiner Hilfe.

So freilich zerreißt er leicht seine Kette:

Das ist Unrecht, das ist gegen die Wette.

Du sprachst von einem dunkeln, sichern Drange,

Der ihn noch in die Klarheit werde führen,

Du sprachst kein Wort von Helfen, Sekundieren,

Dir schien um Faust auch ohne das nicht bange;

Du gabst mir vor, er war mir überlassen,

Mit meinen Künsten durfte ich ihn fassen;

Auf seinen Urquell bautest du allein,

Und jetzt mit Geistern greifst du treulos ein.

STIMME DES HERRN.

Ihre Kraft, sie gilt wie seine,

Denn die Menschheit, sie ist nur eine.

Im Wechsel von Fallen und Streben

Bewegt sich ewig das Leben

Und des Lebens innerster Kern und Saft,

Das ist im Wechsel die strebende Kraft.

Unendlich dehnt sich im Lauf die Zeit,

Sie ist nur ewige Endlichkeit,

Wahrhaft ewig, unendlich in sich

Ist der Geist nur, das wahre, reine Ich.

MEPHISTOPHELES lacht stark.

STIMME DES HERRN.

Du lachst?

MEPHISTOPHELES.

Ich lache, ja!

Denn in die Metaphysika,

So merk ich nun, geht's da hinein.

Hab solche Sachen, dünn und fein –

Jetzt will mir die Erinnerung wieder kommen –

In einem deutschen Hörsaal einst vernommen.

Nun aber – wird alles so enthüllt,[87]

Wo bleibt dann Gestalt und Schein und Bild,

Was wird aus dir?

Was wird aus mir?

Wo bleibt der Tragödie ganzer Staat

Ohne den mythischen Apparat?

Und also der Schluß? Nun sage!

Ich wiederhole die Frage!

Mit Fausto was soll am Ende geschehn?

Bin doch begierig, will doch sehn!

STIMME DES HERRN.

Nun ja, zum Himmel führ ich ihn ein,

Und das zweitemal soll es gültig sein.

MEPHISTOPHELES.

Ja, wenn er doch immer wieder irrt

Und der Sinn nur abstrakt in den Lüften schwirrt,

Daß das Streben im ewigen Einerlei

Von Fallen und Streben das Wahre sei,

Dann wird ja als sinnlich einzelnes Fakt

Die Rettung zu einem gewaltsamen Akt,

Ist Staatsstreich, ist Handeln wider den Pakt.

Ist des Bilds Bedeutung herausgehoben,

So ist es verflüchtigt, ist zerstoben,

Drängt es sich dick auch dann noch ein,

So ist es schiefer, konfuser Schein.

STIMME DES HERRN schweigt lange.

MEPHISTOPHELES.

Nun, nun? Kein Wort?

Wie lange währt das Schweigen fort?


Für sich.


Ich hör etwas – vertrau ich meinem Ohr,

So kommt mir's wie ein heimlich Lachen vor.

Da hätt' er also doch das Lachen

Sich nicht ganz abgewöhnt;

Das wäre nett, bei so bestellten Sachen

Ständ' es nicht krumm, wir wären halb versöhnt.

ERZENGEL MICHAEL tritt aus der Wolke hervor.

Nicht weiter verhandelt der Herr mit dir,[88]

Sein letztes Wort übergibt er mir.

Es lautet: Punktum. Es bleibt dabei,

Faust wird gerettet, er wird frei!

Dir aber gönnt die Resolution

Noch etliche Satisfaktion.

Dafür, daß Faust, betäubt vom Myrrhendampfe,

Nicht wacker aushielt in dem Pfaffenkampfe,

Muß er von schimmlich modernden Figuren

Ertragen abgeschmackte Prozeduren,

Legendenhaft,

Studentenhaft

Zur Himmelfahrt sich weihen lassen.

Dann darfst du noch einmal ihn fassen:

Zu Fausti Sanctificatur

Bedarfs noch einer Doppelkur,

Einer trocknen und einer nassen;

Du darfst sie leiten, darfst für seine Nerven

Nach Lust die Läutrung schärfen.

Die Formen, das Verfahren

Wird man dir offenbaren.

Doch nicht mißbrauche das bedingte Recht,

Sonst geht dir's schlecht!

Laß insbesondre bei der zweiten Kur

Das Feuer weg, sonst zittre nur!

Und endlich soll der aufgeschloßne Himmel

Im Unterschied vom früheren Gewimmel

So übersinnlich mager sein,

So transparent, so äußerst fein,

So fadenscheinig und so dünn,

Daß nicht zu glänzend der Gewinn;

Conclusum. Imprimatur!

Janicula claudatur!


Michael und der Glanz verschwinden.


MEPHISTOPHELES.

O klägliche Abfinderei!

Schäbige Halbheit, unrecht gütliche,

So recht perfid gemütliche[89]

Philistertyrannei!

Was kann ich sagen?

Ich muß es tragen!

Es ist mein Schicksal, ach, ich sehe,

Es kann einmal nicht anders sein

In der ewigen gemischten Ehe,

Der Ehe zwischen Ja und Nein!

Doch was ich kann, das will ich nützen,

Der Kerl soll stöhnen und schwitzen,

Will ihn schrauben und schütteln,

Stoßen und rütteln,

Zwicken und Zerren,

Er soll mir plärren!

Und mag mir's auch verboten sein,

Das Feuer schmuggl ich dennoch ein!

Ich, der geborne Vulkanist,

Soll auf des Feuers Kraft verzichten?

Mitnichten, strenger Herr, mitnichten!

Der Willkürmacht begegne ich mit List!

Ich will ihn braten, rösten, brühen,

Das Fegefeuer soll nicht heißer glühen!

Dann sag ich mit lustigem Teufelston:

Siehst du, das ist der Humor davon!


Quelle:
Friedrich Theodor Vischer: Faust, Der Tragödie dritter Teil. Stuttgart 1978, S. 86-90.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Reigen

Reigen

Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.

62 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon