[149] Man hört heftige und starke Schritte, die Türe wird aufgerissen, herein stürmt Mr. Wedge. Hinter ihm tritt unbemerkt eine zweite Person ein, genannt Steinzänger.
MR. WEDGE. Let me – lassen Sie mich –
DENKERKE. Wer sind Sie? Sind Sie tot oder nicht? Mir scheint, Sie leben noch, nur Tote, dem Endlichen Abgestorbene haben Zutritt in dieser Gesellschaft –
MR. WEDGE. What? What? But – aber meine großen discoveries – nur um sogleich dies eine – wenn wir im zweiten Teil überall unter Wasser oder See die Religion verstehen – what a sublimity – welche Erhabenheit leiht dies dem fünften Akt! With what a mysterious light beleuchtet dies die ganze Tragödie! Überhaupt –
DENKERKE. Aber, mein Herr –
KARRER. Er ist ein Sinnhuber, wir haben deren ohnedies genug, bitten Sie ihn doch, sich zu entfernen!
HASCHERL. Ja, ja wir sind uns ohne ihn genug –
MR. WEDGE. Goddam, I'll speak, speak! Die Welt soll wissen –: Goethes Faust enthält die deutsche Kulturgeschichte – development of German culture – dunkles Mittelalter im ersten Teil, im zweiten Fortschritt zum Humanismus im Kampf mit Aberglauben, Despotismus – nur verhüllt, weil der große Dichter befürchten mußte, daß wider ihn aufstehen – would have roused – die Regierungen, der Klerus, die Presse, ja das Volk selbst –
Wachsende Unruhe – Mr. Wedge schnurrt das Folgende heftig herunter.
Da ist die ganze materielle Welt nur Sinnbild der intellektuellen; Dunkel gleich: Unwissenheit; Licht, Sonne: gleich Quelle alles intellektuellen Lebens, dagegen Mond: Kirchenherrschaft, Mittelalter; Luft gleich: Ideal; Dünste gleich: edlen Gefühlen; Wolken gleich: deren Häufung, Verbindung und Mannigfaltigkeit; Feuer gleich: Aufklärung;[150] Erde gleich: practical Element; Wasser oder See: ich wiederhole, gleich Religion; Feld: gleich strenger Verstand; Kohle: gleich verbrannte Kulturideen früherer Zeitalter; Holzkohle spezieller gleich: künstliche Verbrennung der Naturkultur; Metalle gleich: Tugenden; unter den Planeten ist Merkur gleich dem Prinzip der Diplomatie, Venus gleich dem Ideal der Courtoisie, Grazie, Zeremonie –
VIELE STIMMEN. Genug, genug, zuviel, zuviel!
DEUTERKE, GRÜBELWITZ, HASCHERL. Ja, selbst für uns, die wir etwas vertragen können! –
MR. WEDGE. Alas! I have ja noch lange nicht die ganze inorganic nature – nicht die vegetables – nicht die animals – z.B. the domestic sow – die Haussau: Bild von Aberglauben, verächtlichen, schmutzigen Gedanken, horses Rosse: die unverständigen Menschenklassen, Landleute, Arbeiter, auch Bürger, die sich von verständigen Menschen satteln und reiten lassen; – dann aber men – Menschen: Faust the ideal spirit, der ideale Geist Deutschlands, Kaiser: der practical spirit of the German people, – Geisterwesen: die Mütter – ihre Bedeutung klar: die geheim gehaltene, noch unentsiegelte Bibel, – der Schlüssel: die humanistische Aufklärung, – Fausts stürmischer Ausbruch im Anblick der heraufbeschwornen Helena: der Kampf um die Volksrechte im Bauernkrieg, – das ewig Weibliche: das Schöne und Gute in aller Philosophie – – –
STEINZÄNGER hervortretend. Immer noch nur oberflächlich!
MR. WEDGE. Why? What? Who are you?
STEINZÄNGER. Oberflächlich! sage ich. Wer ich bin, gehört nicht zur Sache. Sie denken bei der Fausterklärung zu wenig an Kant. Faust kann nichts anderes sein als – das ist logische Notwendigkeit – als: der irregehende, nämlich spekulative oder das übersinnliche begreifen wollende Verstand, der den rechten Weg erst betritt,[151] wenn er sich zur Tat wendet. Haben Sie denn z.B. übersehen, was von den zwölf Kategorien vorkommt? Valentin ist ja natürlich der gesunde, im Felde der Erfahrung gültige Verstand. Ihm dienen zur Verarbeitung aller Sinneseindrücke die Verstandesbegriffe, d.h. die Kategorien, deren zwölf sind. Nun bewundert! Sagt Valentin nicht in v. 3385 und 3386: »Und wenn dich erst ein Dutzend hat, so hat dich auch die ganze Stadt«?
VALENTIN. Was sagt der Mensch von mir, kann nit verstahn!
MR. WEDGE. Goddam!
DENKERKE. Wie kommen Sie herein? Wer sind Sie?
DEUTERKE. Es ist zuviel, zuviel, diese Eindringlinge erdrücken uns! Wer ist der Unbescheidene?
STEINZÄNGER. Und wäre eine Welt wider mich, ich rede, weil ich reden muß! Ich greife – da euch die Geduld fehlt, zusammenhängend zu hören – ins volle und sage nur: der Elefant ist der positive Beweis, der alles niederstampft, das Nilpferd jedoch der falsche Beweis. Gretchen ist die Naivetät, deren Mutter das Unbewußte, die drei Tropfen, die diese töten, sind das Ichbewußtsein – Ich bin ich –
DENKERKE. Wenn hier alles nichts hilft –
DEUTERKE. Ja, ja, Gewalt!
KARRER. Hinaus!
HASCHERL. Zu wenig Strafe!
GRÜBELWITZ. Knebeln! Sollen hören müssen und nicht sprechen dürfen!
STEINZÄNGER schreiend, schnell. Szene in Auerbachs Keller: die Jugend, Hexen und Hexenküche: das Alter, Walpurgisnacht: der Wahn, der Kaiser: der Schein, Helena: die Illusion –
KARRER. Herr Wirt, haben Sie nicht ein paar Knebel und ein paar Trum Strick?
VALENTIN zu Bärbel.
O das ist nett, das gibt zu lachen,[152]
Geh, Bärbel, hole die verlangten Sachen!
Waschklämmerlein sind ja im Haus,
Mußt eines schlitzen,
Die Enden ein wenig schnitzen,
Zwei Knebel werden so daraus.
Bärbel ab.
STEINZÄNGER wie vorhin. Die Mütter sind der Urgrund alles Geschaffenen, nämlich das Nichts; klassische Walpurgisnacht – nur so viel in Eile: die Ameisen sind die Kompilatoren, die Gnomen: die Irrtümer, die Greifen: die Diktionäre, – Euphorion ist der Wunsch, Philemon, Baucis und der Wanderer sind die Legende, die Sage, die Tradition, – die seligen Knaben sind die transzendentalen Ideen, Seraphicus ist die transzendentale Ästhetik, seine zwei Augen: Raum und Zeit, die Engel sind die transzendentale Logik, – alles im Sinne Kants, das ewig Weibliche ist die Vernunft –
BÄRBEL bringt Knebel und Stricke, übergibt sie Valentin. Meinst, daß die Herrn das Ding verstehen?
VALENTIN. Gib her, wir wollen sehen. Überreicht dem Präsidenten Denkerke die Sachen.
DENKERKE. Nun, meine Herrn, drauf los!
Angriff, heftige Gegenwehr der Angegriffenen, Rufe von Mr. Wedge: Britons never shall be slaves! von Steinzänger: Ich lasse mich nicht unlogisch behandeln!
BÄRBEL.
Ei lustig! Sie verzwingen's nit,
Geh, Vältl, hilf ein wenig mit!
VALENTIN greift ein, die beiden werden gebunden und geknebelt.
DENKERKE.
Ihr Würgen und ihr Stöhnen wird uns stören,
Wir könnten weder sprechen noch uns hören;
Drum fort mit ihnen, sperrt sie ein,
Dann überlaßt sie ihrer Pein,
Denn jede Schuld rächt sich auf Erden!
Fort, fort, wie wild sie immer sich gebärden![153]
VALENTIN zu Bärbel.
Geh, zeig den Weg zum Rumpelkämmerlein!
Die beiden werden unter schwerem Widerstand fortgeschafft.
DENKERKE. Meine Herrn, endlich, nachdem die Ruhe hergestellt ist, fahre ich fort. Diese ungestümen Eindringlinge, sie haben unsern verdienstvollen Herrn Sinnhubern ungebührlich in ihre Geistarbeit gepfuscht. So geistreich wie diese sind wir auch, wir brauchen keine Hilfe. Wir wissen ja auch nicht einmal, ob sie nicht noch am Leben sind, also doppelt unberufen sich hier eingedrängt haben. Wären Lebende hier zugelassen, würden wir so manchen Würdigeren wählen und einladen; als wir abgingen, lebte z.B. noch jener feine Kopf, der aufgestellt hat, der zweite Teil Faust gleiche an Tiefe, an eigenem, aus immer neuer Erwartung und Täuschung entspringendem Reize Hegels Phänomenologie: – Sie lieben auch die Übertreibung, jene zwei glücklich Beseitigten. Man kann zwar in Sinndeutung nicht leicht zuviel tun; jene Fremdlinge aber tun zuviel. Es muß etwas schon sehr zuviel sein, wenn es uns zuviel ist. Allzu ist allzu. Wir wissen bei alledem, wie viele Rätsel des Weltgedichts noch nicht gelöst sind; dies jedoch ist unsere Arbeit, Unberufene sollen uns nichts vorwegnehmen! – Doch es ist hohe Zeit, auch der Verdienste unserer Herrn Stoffhuber zu gedenken, freilich, um auch da nur zu betonen, wieviel noch zu tun bleibt. Für das bereits Geleistete genügen vollständig Beispiele wie die, daß aufgehellt ist das wunderbarliche Wort Kribskrabs (der Imagination), daß gelöst ist das Rätsel des Namens Urian (Urian sitzt obenauf), daß aufgegabelt ist der Aufsatz von Fernow, woraus sich die dunkeln Worte erläutern: »Und von dem ganzen Hexenheer sind zweie nur gepudert«; doch »zweie« – was dies heißen soll, liegt noch im dunkeln; so auch, wie eben zugestanden, noch manches andere; noch weiß die Welt nicht genau, wer[154] der Servibilis ist, was besagen soll die Hexenstimme: »Wir waschen, und blank sind wir ganz und gar« etc., noch ist nicht erkannt, wer eigentlich unter dem alten General, dem Minister, dem Parvenü am Feuer zu verstehen ist, – ich nenne nicht weiter einzelnes, sage nur: die Studien über die Zeit der Entstehung jedes Teils der Tragödie in höchsten Ehren, aber noch ist nicht erforscht Jahr, Monat, Tag, Stunde, Viertelstunde der Entstehung jeder einzelnen Zeile; wir wissen, daß bei Gretchen an die gewisse Wirtstochter von Bockenheim, dann auch an Friedrike von Sesenheim, wir wissen dagegen noch nicht, an welche wirkliche Personen bei den Bürgern vor dem Tor, bei Frau Schwertlein, bei Valentin, dann – ich nenne vom zweiten Teil in der Eile nur diese – bei Helena, bei dem Homunculus zu denken ist, denn allegorischer Sinn schließt spezielle Anlehnung nicht aus. Wie könnte ich darum vergessen, was Ungeheures im übrigen unsere Herrn Stoffhuber für den zweiten Teil geleistet haben –
BRÖSAMLE. Ja, das dürfen wir sagen, die Finger bluten uns noch vom Nachschlagen, Umblättern in ganzen Bergen von Literatur! Nur nebenher sei erwähnt, daß wir eben jetzt mit Feuereifer nach dem Namen Schwertlein in den Frankfurter Kirchenbüchern stöbern. Aber erst Stücke wie die klassische Walpurgisnacht, was hat sie uns –
DENKERKE unterbrechend. Das führt mich wieder auf unsere verehrten Sinnhuber! An die zwanzig Deutungen liegen vom Homunculus vor – welche ist die wahre? oder – sind alle wahr?
Genug! genug! Unendlich, ja unendlich ist noch die Aufgabe! Und jetzt, jetzt angesichts dieser Unendlichkeit eine neue! Dieser zentrale Feuerherd von Mystik, dieser dritte Teil!
SCHARRER. Nun, gottlob! kommt's endlich!
DEUTERKE. Bitte, ja, ja, bitte![155]
DENKERKE. Ich habe also, wie die verehrten Herrn schon wissen, mir ein erstes, nur ganz vorläufiges Verzeichnis von Aufgaben, die uns erwachsen, eilig entworfen, nach Nummern aufgereiht und lese es Ihnen vor – gewiß nicht zu augenblicklicher Lösung – wie unsinnig wäre solch Verlangen! – nein, nur zum Zweck ungefähren Einblicks in die ungeheure Überfülle, das Milliardengewimmel der aufquellenden, aufzuckenden Fragen, welche uns, gehäuft mit den noch ungelösten alten, eine Ewigkeit zu beschäftigen geeignet sind. Ich lese Ihnen diese Liste vor, nur zum eben genannten Zweck, bitte daher, und zwar hier besonders inständig, mich nicht unterbrechen zu wollen. Jenseits ist ja genug Zeit, da kann jeder von den verehrten Herrn bequemlich seine Ideen, seine Entdeckungen vortragen.
1. Zum ersten Aufzug
a) Was bedeutet Lieschen als Genossin Fausts wie als weiblicher Chorus des Dramas?
b) Was ist Faust in diesem neuen Stadium?
c) Seine Kost betreffend, was bedeuten die Heuschrecken und –
BRÖSAMLE. Heuschrecke von hewi, Heu, und schrikan, springen –
DENKERKE. – Aber ich bitte –
GRÜBELWITZ. – Ganz recht, also Sinn: das gewisse noch Springende, Sprunghafte, Abrupte in Fausts –
DENKERKE. Aber mein Gott, ich habe doch gebeten ich will ja mit Ihrer Genehmigung erst –
DEUTERKE. Es ist auch wahr, bitte die Herrn, lassen wir doch den Herrn Präsidenten fortfahren –
DENKERKE. Und der wilde Honig –
HASCHERL. Doch wohl das gewisse noch Ungesichtete, Ungeklärte im Blumensaftsüßen von Fausts Humanismus –
DENKERKE. Aber um Gottes willen – wie soll ich so denn weiterkommen! Lassen Sie mich doch gelangen[156]
d) zu den verschiedenen neuen Versuchungen im ersten Stadium des betreffenden Stadiums! Die lockenden Speisen, die das Geisterkonzert des Mephistopheles vorspiegelt, die Getränke können doch nicht sich selbst bedeuten! Müssen Sinnbilder für verschiedene Formen feiner geistigsinnlicher Lockungen sein – so die Gans, der Hering –
KARRER. – Nur eine kurze Zwischenbemerkung: es hieß – das ist mir genau im Gedächtnis – nicht Hering, sondern Harung – altertümlich – erinnert schön an das gleich altertümliche abe bei Goethe in »abestürzt« –
DENKERKE. Nun ja, aber weiter! weiter! Der Salat – ich mache auf das naheliegend Symbolische in Öl und Essig aufmerksam –, dann die Schinken, Zungen, Würste –
DEUTERKE. Oh, nur ein Wort zu: Würste! – Nebenher: Zungen – klar: die Sprachen – Aber Würste – sollte nicht – nach bekanntem Studentenausdruck – Andeutung des Wursthaften bloß philologischer –
DENKERKE. Aber so lassen Sie mich doch zum Wichtigeren gelangen – Babette als Köchin –
KARRER. – Ist Barbara –
GRÜBELWITZ. Nun eben, eben – das Barbarische in bloßen, wenn auch noch so feinen Sinnengenüssen –
BRÖSAMLE. – Nichts! kommt von barba –
SCHARRER. – Ob nicht vielmehr von Babe (baby) oder von Babbeln?
DENKERKE für sich. Hilf du mir, Gewalt meiner Stimme! Schreiend. Die Weine! Vielmehr warum nur eine Sorte: Tiroler –
BRÖSAMLE. Unser Wirt, wie die Herrn vorhin bemerkt haben werden, unterscheidet zwei Sorten Tiroler: der feinere: Spezial – Sollte dies – nämlich sonst. Superintendent – nicht etwa auf den gutbestellten Keller eines –
DENKERKE. Aber das Bier, das Bier – also die Bedeutung von Malz und Hopfen und deren Gärung –[157]
HASCHERL. Unschwer deutbar – Zusammengärung des Bittern und Ölignahrhaftfetten – Negation und Position –
DENKERKE lauter schreiend, schnell ablesend. Ferner, ferner
e) das nahe Unterliegen Fausts, das Eingreifen Valentins – was bedeutet überhaupt in dieser neuen Handlung Valentin? – Das Sturzbad, die Malzschaufel, durch sie der Sieg über Mephistopheles –, das Hinauswerfen desselben, und zwar besonders der schnellende Ruck, womit es geschieht. – Weiter dann
f) die Prüfungen Fausts in der Schule durch die seligen Knaben – wer sind diese?
GRÜBELWITZ stark schreiend. In dieser Beziehung ist unsrem geknebelten Steinzänger doch Unrecht geschehen; ich nehme seine geniale Deutung auf: die seligen Knaben sind die transzendentalen Ideen –
SCHARRER. – Faust wünscht ja am Schluß, daß ihnen die Hosen gespannt werden; wie kann man transzendentalen Ideen die Hosen spannen? Sollte nicht eine Beziehung auf Charlottens von Stein kleinen Fritz –
DENKERKE brüllend. Der Bakel, den Faust nicht führen darf, das Ringeln –
HASCHERL. Bitte, bitte! Schlangenstab des Äskulap, Caduceus des Merkur –
DEUTERKE. Nichts da, die Schlangenwindungen der Dialektik –
DENKERKE. Die Knallerbsen, die Maienkäfer –
BRÖSAMLE mit spitzer Stimme durchdringend. Zu untersuchen vor allem, ob zu der Zeit, da Goethe die Walpurgisnacht schrieb, und zur Zeit, da mutmaßlich diese Szene des dritten Teils entstand, viele Maienkäfer –
DEUTERKE. Pah! Maienkäfer sind Gelehrtengrillen!
DENKERKE matt. Wollen die Herrn wohl die Gnade üben, mich zum zweiten, noch viel wichtigern Aufzug –[158]
MEHRERE STIMMEN. Ja! ja! Reden! weiter, weiter!
DENKERKE. Ich überspringe wichtige Fragen, wie die, was nach schwierigem Siege die verbesserte Kost bedeute, eile also zum zweiten Akt, zu dessen erstem Auftritt, bemerke zu den Müttern nur flüchtig, daß meines Wissens noch von keinem Erklärer die Nornen der skandinavischen Mythologie beigezogen sind, und gebe zwei der wichtigsten Punkte mit besonderem Nachdruck künftigem – bitte, nur künftigem – Nachdenken hin: den Schlüssel, welchen der unbekannte, mystisch pseudonyme Dichter aus Goethe herübernimmt, und Mephistopheles als Kaminfeger –
SCHARRER. Bitte, nur eine Bemerkung zur Fragestellung –
BRÖSAMLE. Oh, nur ein paar Worte! Der Schlüssel wurde von unsern Herrn Sinnhubern längst, und wohl richtig, als die Philologie gedeutet, die das tiefere Eindringen in das Altertum zwar nur anbahnt, doch, im Fortschritt sich vertiefend – daher leuchtend – wirklich vermittelt; es ist ihre Feinheit, ihr Spürsinn, ihr Pfiff – daher pfeift Faust auf dem Schlüssel, so legt sich anmutig das Wortspiel nahe: Philologie – Pfiffologie –
HASCHERL. Au! Kalauer! Der Schlüssel ist nach andern, und gewiß einfach richtig, das Symbol des Priestertums, der Weisheit, welche die Pforten der Erkenntnis und das Wesen der Dinge eröffnet.
GRÜBELWITZ. Nichts da! Oberflächlich und dazu unklar! Vielmehr –
DENKERKE. Aber Stille! Stille!
GRÜBELWITZ. Der Schlüssel muß mit dem Kaminfeger zusammengenommen werden. Setzen wir dafür das gleichbedeutende Essenkehrer – esse – Sein – und kehren oder fegen – die äußerste, tiefste Abstraktion, die alles (sinnliche) Sein wegfegt, ausscheidet –
BRÖSAMLE. Prr!
DENKERKE. Soll ich noch präsidieren oder nicht?[159]
GRÜBELWITZ. Ach, nur noch die paar Worte – solche Ideen kann man ja nicht zurückhalten –: zur reinen Abstraktion gelangt man durch Schlußreihen – Schluß – Schlüssel –
BRÖSAMLE. Pah! Bei der Philologie bleibt's! Noch ein Beweis! der Schlüssel ist rostig – Rost, Christi an, Friedrich, berühmter Grammatiker und Lexikograph, Professor am Gymnasium zu Gotha, dann Oberschulrat und Direktor –
GRÜBELWITZ. Absurd! Rost kann nur das Unechte, Veraltete beschränkter Philologie bedeuten –
BRÖSAMLE. Wollen Sie mich beleidigen?
MEHRERE STIMMEN. Zur Ordnung! Zur Ordnung!
ANDERE STIMMEN. Fortfahren! Fortfahren!
DENKERKE der sich vergeblich noch hörbar zu machen sucht, zu Bärbel. Frau Wirtin! Haben Sie keine Glocke? Ich brauche eine Glocke!
BÄRBEL.
Wir haben eine, wohlverwahrt im Schrein,
Ich hole sie. Nun, das wird lustig sein!
BRÖSAMLE. Ich frage noch einmal, ob Sie mich beleidigen wollen? Ich wüßte noch eine andere Erklärung zu: rostig – rusticus – rustik –
GRÜBELWITZ. Sie belieben gröber zu werden als ich! Ich begnüge mich, ihnen zum Bewußtsein zu bringen: Sie haben noch eine andere abgeschmackte Bemerkung vorgebracht, nämlich zu den Maienkäfern, als ob es sich da um eigentliche Maienkäfer handle. Diese sind übrigens auch nicht, wie Herr Deuterke meinte, die Gelehrtengrillen, sondern die krabblich gereizten Nerven eines gequälten Schulmanns –
DENKERKE schreiend. Friede! Friede! Wo bleibt die Versöhnung, der Schmollis?
BRÖSAMLE. Hat Ihnen mein Freund Scharrer richtig oder unrichtig zu bedenken gegeben, ob man transzendentalen Ideen die Hosen spannen könne? Ja, Hosenspanne –[160]
GRÜBELWITZ. Ei, die geistige Spannung –
BÄRBEL mit einer Schelle, zu Valentin.
Da, Vältl, sieh, die gute alte Schelle
Die Schelle bewegend.
Mit ihrem Klang so rund und helle!
Einst hat sie meines Vaters schönste Kuh
Auf unsrer Alm im Hochgebirg getragen,
Wie gerne hört' ich dem Geläute zu!
Als Angedenken aus den alten Tagen
Hob ich sie auf; das gute, zahme Tier,
Die Lisl selbst war stolz auf ihre Zier.
Übergibt Denkerke die Schelle.
Da nehmt und schellt, sie hilft euch schon!
Weithin vernimmt man ihren Ton.
Im Augenblick, wo Denkerke die Schelle ergreift, stürzen durch die Seitentüre, durch welche Bärbel gekommen, Mr. Wedge und Steinzänger wieder herein.
MR. WEDGE. – Delivered! Delivered!
STEINZÄNGER. Ich bin frei! Mir soll niemand wehren!
SCHARRER, KARRER, BRÖSAMLE. Unsere Feinde, die Sinnhuber, wieder um zwei vermehrt!
DEUTERKE, GRÜBELWITZ, HASCHERL. Unsere Partei durch diese unbequemen Freunde wieder blamiert!
DENKERKE schellt.
VALENTIN.
Blitz, Bärbel, hast denn du sie frei gemacht?
BÄRBEL.
Behüte, nein!
Fiel mir nicht ein!
VALENTIN.
So haben sie sich selber losgebracht!
STEINZÄNGER. Uns ist kein Knoten zu verwickelt! Auf, meine Herrn! An die Arbeit! Fortfahren! Weiter auslegen! Auf Kant zurück – –
MR. WEDGE. Forward! Furthermore – symbolic terms, figurative language –[161]
MEHRERE STIMMEN Hinaus! Hinaus!
DENKERKE schellt stärker, unter wachsendem Lärm.
STIMMEN. Was tut denn da für eine Schelle?
ANDERE. Ei seht! eine Kuhschelle!
STIMMEN. Das lassen wir uns nicht gefallen!
ANDERE. Absetzen!
ANDERE. Die Schelle entreißen!
Stürmen auf Denkerke los.
DENKERKE die Kuhschelle zur Verteidigung hebend. Rebellion!
ANDERE die ersteren zurückhaltend. Anarchie!
Es entsteht ein Gezerre, das in eine allgemeine Schlägerei übergeht.
BÄRBEL zu Valentin.
Meinst nicht, man soll sie auseinanderbringen?
Sonst kommt es leicht zu schlimmen Dingen.
VALENTIN der lachend mit eingestemmten Armen zusieht.
Ach was, die Kerle tun einander nix,
Schwach ist die Faust und jeder Schlag ein Gix.
Es geht so zu, wie wenn sich Schneider raufen,
's gibt höchstens blaue Mäler und Rotlaufen.
BÄRBEL.
Vielleicht kommt's aber doch zu Messern?
VALENTIN.
Ach bah! Bei diesen Zuckerfressern?
Der Kampf wird heftiger, es wird mit Seidelkrügen geworfen.
Doch halt, jetzt wird mir's auch zu kraus!
Gebt Ruhe, oder ich biet aus!
Wohl ein paar Püffe geb ich frei,
Doch dies ist eine Sauerei!
Ein Krug streift Bärbels Gesicht.
BÄRBEL.
Au! Das hat weh getan!
VALENTIN.
Nu, jetzt ist's Zeit! Komm, Weib, wir gehen dran!
BÄRBEL die Ärmel aufstreifend.[162]
Ich hoff, so gut wie drunten geht's da oben,
Oft half ich mit, ich kann's noch, sollst mich loben!
VALENTIN indem er mit Bärbel an die Arbeit geht.
Hinaus! Hinaus und hopp, hopp, hopp!
Hinaus, ihr Fexen, im Galopp!
Hinaus, ihr Dackel,
Hinaus, ihr Lackel!
Hinaus, dünnbeinige Grillengeiger!
Hinaus, verhockte Mückenseiger,
Hinaus, Perücken und Hatzeln!
Hinaus, Rohrspatzen und Atzeln!
Getümmel, Geschrei. Valentin und Bärbel werden nach und nach Meister und werfen einen nach dem andern mit so kräftigen Rucken aus der Türe, daß man sie noch die Treppen hinabkollern hört. Inzwischen ist am offenen Fenster ein alter Herr erschienen, er sieht zu, lacht kräftig und verschwindet.
VALENTIN zu Bärbel.
Blitz! Das war nett! Frei ist die Bahn!
Hast's brav gemacht; komm, stoß mit an!
Sie sitzen und trinken.
Es lebe, wer noch wacker ficht!
Rührlöffelchen sind deine Arme nicht!
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
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