Phaethon an Theodor

[48] Theodor, wir sind unsterblich! O, das ist ein großer Gedanke!

Mag auch der Himmel sich in Wolken hüllen, in ihrem Schoß des Blitzes Flammen kochen und niedersenden die Donner, seine Brüder, daß die Erd' erzittert, mag er die schwarzen hochgewachsenen Stämme mit Riesenkraft aus ihren Wurzeln reißen, mag auch sein Feuer den Leib, der sterblich ist, verzehren: er kann mich doch nicht töten!

Ich bin ein Funken der Flamme, die sich Gott nennt. Ich bin aus ihr entsprossen und kehr' einst wieder zurück zu ihr.

Darum ist mir auch das Winseln und Ächzen und Kriechen vor Gott so zuwider, das manchem Menschen für Frömmigkeit gilt. Warum sollt' ich mich auch meiner Schwächen und Menschlichkeiten schämen? Und tu ich eine Sünde, wenn ich menschlich bin? Ich kann nicht mit ewigem Zagen und Zittern, mit ewiger Furcht und Reue, daß ich ein Sünder sei, vor Gott treten. Mein Gott ist kein Gott der Zerknirschten. Er ist ein Gott der Lebendigen.[49]

Die Religion soll beseligen, nicht schrecken; uns zu Gott führen und nicht von ihm hinweg; in den Himmel und nicht auf die Erde. Sie ist das namenlose Gefühl der Entzückung, wenn wir in einer Stunde des Lichts die Gottheit küssen. Die Religion ist wie eine keusche sonnenweiße Jungfrau, die sehnend ihre Arme zum Himmel hebt. In ihrem Auge schauert die Träne einer ungestillten Sehnsucht. Um ihre Lippen spielt die Unschuld wie der West um eine nieberührte Rose. Ihr ganzes Wesen aber ist ein Geheimnis, und wehe dem Frechen, der's auszusprechen wagt!

Die wahre Religion und die höchste Poesie liegt in der Astronomie.

Ich bin nie entstanden und nie werd' ich untergehen. Wie kann etwas entstehn auf der Welt? Gott hat sie nicht aus nichts geschaffen. Alles, was ist, ist vom Anfang.1

Das ist Knabensinn, zu glauben, die Erde gehe sobald wieder unter, da sie erst die wenigen Jahrtausende gewesen. Unsere Welt bleibt noch mehr als Millionen Jahre in ihrer Gestalt. Es wäre sonst zu kleinlich für den Riesenschöpfer.

Es gab eine Zeit, wo mir die Erde zu groß war für den Gedanken. Jetzt ist sie mir zu klein.

Oft wenn ich hinausblicke bei Nacht und brennen seh' am Bogen des dunkeln Himmels all die flammenden Welten und sehe, wie die eine wieder verlöscht und die[50] andere funkelnd hervortritt, wenn ich schaue jenes bleiche Meer von Körpern, das aus der Fülle der schaffenden Gottheit strömt wie aus den Brüsten einer Mutter, und erkenne den großen erhabenen Geist der Ordnung und Weisheit, der diese gewaltigen Riesenschöpfungen zusammenhält, wenn ich mir die Erde denke, wie auch sie, von jenen Sternen aus ein schwachglimmendes Pünktchen, im Ozean der Unendlichkeit schwimmt, und ich mir vorstelle, wie ich selbst gegen diese kleine Erde nur bin, was sie gegen die ungemessene Schar der sichtbaren Welten, ach, da möcht' ich mich zernichten, weil ich nur so ein kleiner Teil bin vom unendlichen All.

Und doch schwingt sich mein beflügelter Geist empor und schwärmt durch die Räume der Unendlichkeit wie Bienen durch die Blumen.

Und doch bin ich unsterblich und werd' einst mit allen meinen Brüdern, diesen unendlich kleinen Teilen der Weltseele, zusammenfließen in Eins mit ihr.

Es gab ja Menschen, die eine Welt aus sich gebaren, Urbilder der Menschheit, zusammenfließend mit Gott. Die neuere Zeit kennt nur drei solche Geister: Raffael, Shakespeare und Mozart.

O, denke Dir den Prometheus in der größten aller Tragödien an der himmelragenden Stirne des Kaukasus hängen wie eine kleine Welt im Raume der Unendlichkeit. Und wenn auch diese ewige Urkraft gefesselt ist an die starre Notwendigkeit, es lebt in ihr eine Fülle, die allen andringenden Gewalten ihren Busen voll Unsterblichkeit entgegenstemmt, mit der Titanenkraft des Willens selbst dem Ewigen trotzt und, wann zuletzt[51] die allverzehrende Flammenlocke herabgeschleudert wird, wann sich die Erde losreißt, aus der Wurzeln Fugen von der Windsbraut Hauch gerüttelt, da kann sie untersinken samt dem Felsen unterm wirbelnden Zusammenströmen aller Elemente, aber sterben kann sie nicht.

Fußnoten

1 Κοσμον τον αὐτων ἁπαντων οὑτε τες ϑεος οὐτε ἀνϑρωπων ἐπυιησε, ἀλλ᾽ἠ ἀει ἐδε και ἐται.

Aristoteles.


Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920.
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