Phaethon an Theodor

[77] Alles, was ich tue, Theodor, das bezieh' ich nur auf sie, und ohne sie kann ich nichts denken.

Sonst hab ich Wald und Tal und Berg und Wiese durchwandert und mir weiter nichts dabei gedacht. Jetzt rauscht's in jedem Blättchen: Atalanta! In jeder Quelle: Sie!

Ich rase nicht, mein Lieber! Nicht wild und krampfhaft ist mein Gefühl. Ach, es umspielt mich leise, zärtlich liebend, und kühlt mir wie eine frische Quelle meinen brennenden Busen.

Ich weiß es, ich fühl' es: die Theorien der weisen Diotima im Symposion des göttlichen Platon sind das beseligendste Geheimnis.

Zwischen drei Welten schaukl' ich mich herum. Mit allen Bildern, zarten wie herben, schwebt mir die Vergangenheit am innern Gesicht vorüber. In der Gegenwart treib' ich mich so fort, und ahnungsvoll dämmern mir der Zukunft Bilder wie ferner Berge Nebelgestalten im magischen Spiele des Mondlichts.[78]

Mein letzter Gedanke, meine letzte Empfindung, die durch meine Seele schwebt, eh Geist und Körper wie ein Wiegenlied der Schlummer einlullt, knüpft sich an die Erscheinung lieblich bedeutsamer Träume, und diese wieder an die erste Regung, die beim Erwachen wie der Morgenstrahl durchs Fenster durch die Seele zittert.

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 77-79.
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