Phaethon an Theodor

[27] Ich hab einen Menschen kennen gelernt, der mir sehr gefällt. Schon lange her ist's, daß ich ihn täglich vorbeigehen seh' an meinem Hause. Er grüßte mich immer freundlich. Er hat ein wahrhaft griechisches Profil, ein paar runde lebendige Augen, einen sanften, fast schmerzlichen Mund und einen schönen edlen Gang. Heut rief ich ihn, wie er wieder vorbeikam. Er wäre auch lange schon gern mit mir bekannt gewesen und faßte doch nie den Mut, mich anzureden. Mein Amor macht' ihm gar viel Freude. Er erzählte mir allerlei von der Gräfin Cäcilie und von ihrer Tochter. Das müssen herrliche Menschen sein. Man kennt sie aber nicht viel in der Gegend. Letzthin sah ich ihr Haus auf meiner Wanderung durchs Gebirge.

Es ist ein wunderbar Gefühl, das mich überwallt, wenn ich diesen schönen Jüngling ansehe. Ich hange mit einer schwärmerischen Neigung an diesem seltsamen Menschen.

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 27-28.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Phaeton
Phaeton: Roman