Phaethon an Theodor

[151] Die Sonne stieg blutrot am Osten empor und erhellte die Welt, die so fürchterlich mir war in dieser Nacht. Die schwarzen Berge glühen in Morgenrot, aber durch meine Seele ist noch kein Licht gebrochen.

Mein Busen brennt wie die glutrote Feuerlilie.

Wo sollt' ich Trost finden? O dieser Schmerz! Er ist eine Wollust, dieser Schmerz! Eure stoische Apathie ist der Greuel höchster! Bruder, wenige waren glücklich wie ich. Warum sollt' ich nicht auch unglücklicher sein als andre? Aber warum mußt' ich glücklich sein, eh' ich unglücklich wurde?

Was hilft mir nun all mein Wissen? Meinst Du, es lindre diese kämpfende Brust?

Die Sonne lächelt wieder freundlich draußen; aber ich mag nicht in die Natur. Glaubst Du, ich wolle allein durch Wies' und Aue streifen wie eine gewitterschwangere Wolke durch die heitere Luft und allein mich unglücklich fühlen unter den Kindern der Natur?[152]

Ich hatte überlegt. Mir ist das Leben wie ein Schlaf ohne sie. Der Schlaf ist des Todes Bruder. Schlafen und Gestorbensein unterscheidet sich ja nur durchs bloße Träumen; und ob ich vollends entschlummere und nicht mehr träume, gilt mir gleich.

Lebe wohl!

Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Phaeton. Teil 1 und 2. Dresden 1920, S. 151-153.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Phaeton
Phaeton: Roman